Dienstag, 16. Oktober 2018

Facelift





















Wäre die Welt eine gerechtere, dann wären Mudhoney heutzutage die Band, an die man als allererstes denken würde, wenn der Begriff Grunge fällt. Unter allen Acts, die man landläufig mit dem Genre in Verbindung bringt, sind sie mit Sicherheit eines der stabilsten Konglomerate:Mit mittlerweile über 30 Jahren auf dem Buckel begründeten sie maßgeblich den Sound, den später Bands wie Soundgarden und Pearl Jam für sie in die Charts brachten und existieren dabei noch heute im fast identischer Besetzung wie 1987. Gleichzeitig waren sie stets so etwas wie das gute Gewissen der Bewegung, blieben sie doch selbst während des großen Grunge-Hypes beim Indielabel Sub Pop, bevor sie erst 1995 zum Major wechselten und sieben Jahre später auch wieder zurückkehrten. Nachteil dieser Bodenständigkeit und Treue ist jedoch, dass sie bis heute weder einen Radiohit noch ein wirklich bekanntes Album hervorbringen konnten und nach wie vor als ziemlich obskure Figuren des Neunziger-Rock gelten. Und spätestens seit ihrem Comeback vor zwölf Jahren nehmen sie eher so etwas wie die Verwaltungsposition des Grunge als eine der wenigen Acts ein, die die Zeit seit den Heydays ohne bandinternen Trauerfall durchgehalten hat. Ihre neuen Platten sind dabei stets ziemlich unspektakulär und gehen als mittelprächtiger Dad Rock durch. Zumindest bis jetzt. Denn in vielerlei Hinsicht stellt ihre jüngste LP Digital Garbage einen ziemlich radikalen U-Turn zu diesem Trend dar. Als das erste Album von Mudhoney seit mittlerweile fünf Jahren ist es selbst schon wieder so etwas wie ein Comeback und als solches ihr vielleicht fettestes Brett seit der Jahrtausendwende. Von den elf Songs hier ist nicht einer so zurückhaltend wie ihre letzten Sachen, das gesamte Ding ist so dreckig produziert wie zuletzt Ende der Achtziger und Frontmann Mark Arm ist hier ganz besonders auf Krawall gebürstet. Rein klanglich ist Digital Garbage so sehr Grunge wie lange niemand mehr, gesanglich erinnert Arm sogar häufig an den jungen Eddie Vedder und entgegen meinen Erwartungen klappt dieser Rückbezug hier sogar ganz vernünftig. Als ich die ersten Singles Paranoid Core und Kill Yourself Live das erste Mal hörte, stellte ich mich ehrlich gesagt darauf ein, hier eines der peinlichsten Alben des Jahres zu hören. Wenn alte Männer sich anschicken, a) politische Musik zu machen und dabei b) nochmal richtig auf die Kacke zu hauen, geht das meistens gehörig schief. Und teilweise hatte ich damit auch Recht. Vor allem die Texte auf Digital Garbage, die oft von einer apokalyptischen Zukunft nach der Schreckensherrschaft von Trump und Zuckerberg handeln, sind nicht selten ziemlich cringy und häufig nichts weiter als unreflektierte Panikmache. Man stelle sich vor, Pearl Jam hätten aus Do the Evolution damals ein Konzeptalbum gemacht, das Ergebnis wäre nicht unähnlich. Sofern man davon aber absehen kann, ist der Plan hier aber aufgegangen: Mudhoney klingen tatsächlich wieder energischer, der groovige, kaputte und dreckige Sound sorgt für einen stimmigen Vibe und kriegt darüber hinaus fette Nostalgie-Punkte, außerdem gibt es nur sehr wenige wirklich mies geschriebene Passagen. Es wäre sicher einfach, Digital Garbage als lachhaften Wiederbelebungs-Versuch einer knorrigen Band von chronisch unerfolgreichen Szene-Veteranen abzutun, aber ein bisschen mehr steckt hier doch drin. Es ist weiß Gott keine Sensation, aber es schafft das Kunststück, den Wind bei Mudhoney wieder aus einer anderen Richtung wehen zu lassen. Und dass sie aggressive Tour bei ihnen doch noch so gut läuft, haben sie vielen anderen Kollegen inzwischen voraus. Ist es da zu früh, von einem dritten Frühling zu sprechen?






Persönliche Highlights: Paranoid Core / Kill Yourself Live / 21st Century Pharisees / Messiah's Lament

Nicht mein Fall: Please Mr. Gunman / Next Mass Extinction

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