Donnerstag, 30. August 2018

Live to Rise




















Zu Unrecht gelten Alice in Chains (zumindest außerhalb der ewig nostlagischen Hardrock-Szene) inzwischen wieder als eine eher unspektakuläre Bands, wenn es um die Weiterführung der Traditionen des Neunziger-Rock geht. Nicht nur, weil sie als künstlich wiederbelebte Formation eine der wenigen verbliebenen noch aktiven Veteranen-Crews der Grunge-Bewegung ist, sondern vor allem auch deshalb, weil sie vor etwa zehn Jahren die ersten waren, die sich an ein Revival des ganzen Blödsinns trauten, was ja rückblickend gar nicht mal so einfach ist. Denn selbst über zwei Dekaden nach den Heydays des Subgenres hört dieses Thema nicht auf, unglaublich emotional zu sein. Erst vor wenigen Jahren sind mit Scott Weiland und Chris Cornell zwei weitere Größen des Movements gestorben, einer durch Drogen, einer durch Suizid. Es sieht also immer noch nicht so aus, als würde über so schnell Gras über die Sache wachsen. Und wenn davon jemand ein Lied singen kann, dann sind das definitiv Alice in Chains. Ihr erster Sänger Layne Staley, der 2002 starb, ist neben Kurt Cobain vielleicht das "berühmteste" Opfer des Grunge-Lifestyles und nach wie vor ein Thema, an dem man bei dieser Band nicht vorbeikommt. Umso erstaunlicher, dass gerade sie es waren, die bereits 2009 ein Comeback mit neuem Frontmann und neuem Album wagten und damit für kurze Zeit eine kleine Wiedergeburt ihres Genres verursachten, die unter anderem die Reunion von Soundgarden und den Stone Temple Pilots nach sich zog. Und ganz davon abgesehen sind sie sicherlich auch die Band, die in dieser Zeit insgesamt die solideste Musik gemacht hat. Zwei neue Alben gab es seit der Wiedervereinigung, von denen zumindest eines, nämlich the Devil Put Dinosaurs Here von 2013, es durchaus schaffte, an den Neunziger-Output unter Staley heranzukommen und dabei stilistisch trotzdem nach vorn zu schauen. Im Klartext heißt das, dass Alice in Chains inzwischen zwar Dadrock spielen, aber auch eine sehr genießbare Version davon. Wobei Rainier Fog absolut keine Ausnahme darstellt. Diese vier Musiker haben es geschafft, eine Art von Grunge-Songwriting zu etablieren, dem stromlinienförmige HiFi-Produktion absolut nichts anhaben kann und das sowohl die eingeschworenen Szene-Ultras von früher befriedigen kann als auch die Laufkundschaft, die gerade den Metal Hammer liest. Dabei hört sich die Platte auch kein bisschen nach Kompromisslösung an. Sicher, besonders kratzbürstig und fies klingt das hier alles nicht mehr, was aber für eine Gruppe, die durchschnittlich 50 Jahre alt ist, auch quatsch wäre. Alice in Chains spielen sehr harmonischen und schöngeistigen Hardrock (mit gelegentlicher Tendenz zum Classic Rock), der - und das ist wichtig - ihnen großen Spaß zu machen scheint. Was sie von Routiniers wie Bush, Filter oder (Gott bewahre!) Nickelback unterscheidet, ist die Leidenschaft, mit der sie sich nach wie vor in kleine Details wie den sehr häufigen Satzgesang oder Klavierpassagen reinbohren und diese Platte damit irgendwie schon zu einem kleinen Erlebnis machen. Nicht falsch verstehen: Rainier Fog wird weder mein Album des Jahres werden noch für ein erneutes Grunge-Revival sorgen, es zeigt lediglich eine sehr souveräne Band, die sich auf ihre alten Tage nicht in Götzenverehrung oder Fanservice zurückzieht, sondern die Art von Musik macht, die sie spielen möchte. Das ist nicht sensationell, aber zumindest auch nicht übel. Und gemessen daran, was wir in den letzten Jahren so von Leuten wie Pearl Jam, den Stone Temple Pilots oder Dave Grohl hören mussten, ist das hier schon relativ hochwertig. Ich habe also durchaus einen Grund dafür, Alice in Chains auch 2018 noch interessant zu finden. Wobei ich auch weiß, dass viele von euch das auch tun. Mit diesem Post will ich eigentlich nur sagen: Dieses Interesse ist weiterhin gerechtfertigt.






Persönliche Highlights: the One You Know / Red Giant / Fly / Drone / Maybe

Nicht mein Fall: Deaf Ears Blind Eyes

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Mittwoch, 29. August 2018

Jetzt im Kühlregal




















Die Musikwelt würde Devonté Hynes sicherlich auch dann lieben, wenn er selbst gar keine eigenen Platten mehr veröffentlichen würde. Als Produzent und Songwriter für so unterschiedliche Acts wie Solange, FKA Twigs, Kylie Minogue und Carly Rae Jepsen hat er sich in den letzten vor allem einen Namen als der Star hinter den Reglern gemacht, den vor allem Mainstream-Künstler*innen immer dann heranziehen, wenn sie artsy und verwegen klingen wollen. Er für seinen Teil macht auf seinem eigenen Projekt Blood Orange ja schon seit Ewigkeiten vor, wie sowas funktionieren kann. Wenige andere Musiker*innen verstehen es, mit solch minimalen kompositorischen Akzenten so gelungenen und emotionalen R'n'B zu machen wie Hynes, dessen letzte zwei Alben Cupid Deluxe und Freetown Sound ihn als Schöpfer einer eigenen kleinen klanglichen Welt zeigten. Nicht selten klingen die Songs darauf dann wie die eindrucksvollen Covermotive der Platten: Irgendwie kalt, irgendwie erfüllt von Tristesse, aber auch in gewisser Weise mystisch und voller verborgener Geschichten. Die Musik von Blood Orange findet ihre Spannung stets in den Stellen, die sie leer lässt, in Zwischenräumen und in den kleinen Gesten, die woanders vielleicht gar nicht auffallen. Es brauchte daher auch für mich Zeit, diesen Minimalismus nicht mit schlichter Langeweile zu verwechseln und mittlerweile kann ich durchaus zwischen dem einen und dem anderen unterscheiden. Weshalb ich auch definitiv keiner Verwechslung anheim falle, wenn ich seine neueste LP Negro Swan wirklich ein bisschen langweilig finde. Dabei zeigt sich auch erstmals, wie schmal der Grat ist, auf dem Devonté Hynes stilistisch wandert. Denn eigentlich ist dieses Album rein ästhetisch so etwas wie der Zwillingsbruder seines Vorgängers Freetown Sound. Die gleichen leichten Funk- und Gospel-Tupfer, viele Gastauftritte von anderen Sänger*innen, ein alles umschwebender Soul-Schleier, Tracks, denen insgesamt viel Platz gelassen wird und ein genereller Unwille, aus Skizzen fertige Songs zu bauen. Wo einen dieser frei schwebende, zerfaserte und zelluläre Sound dort aber faszinierte, ist er hier tatsächlich einfach nur ziemlich öde und bisweilen auch etwas seltsam. Wenn man sich beispielsweise in Holy Will fast zwei Minuten lang eine isolierte A-Capella-Gospelpassage anhört, ist das sicher sehr experimentell und neu, es braucht aber auch niemand wirklich. In anderen Nummern wie der großen Single Saint oder Vulture Baby passiert nicht besonders viel und dass gefühlt 30 Prozent der Platte aus gesprochenen Skits, Interludes und anderthalbminütigen Mini-Songs besteht, hilft ebenfalls wenig. Dabei sind sehr gute Stücke hier durchaus keine Seltenheit: Der Opener Orlando besticht mit seiner groovigen Funk-Basis, Hope mit dem Zusammenspiel aus Rap und R'n'B, Runnin' hat eine wunderbare Akustikgitarre an der Spitze (ganz zu schweigen von der fantastischen Georgia Anne Muldrow) und Nappy Wonder bringt die unterkühlten Synthesizer vom Vorgänger zurück. Das Problem dabei ist nur, dass es in dieser Qualität keine Stringenz auf dieser LP gibt. Die eben genannten Tracks sind Highlights, die aus einer großen Masse an Füller-Stücken, Songskizzen und klanglichen Experimenten herausragen, die irgendwo zwischen gleichgültig und furchtbar tendieren. Insgesamt macht das Negro Swan zwar nicht im geringsten zu einer wirklich schwachen Platte, aber zumindest zu einer sehr durchwachsenen. Und diese Vokabel musste ich für die Arbeit von Blood Orange zumindest schon lange nicht mehr bemühen, das letzte Mal vielleicht bei seinem Debüt. Dass man Devonté Hynes deshalb komplett vergessen kann, bedeutet das natürlich auch nicht gleich. In den Momenten, die hier wirklich anstecken, zeigt sich der Songwriter ein weiteres Mal als höllisch talentierter Studio-Fuchs, bei dem diesmal einfach nicht alles so funktioniert, wie es geplant war. Und wenn er in Zukunft stilistisch vielleicht ein bisschen was anderes probiert und wenigstens einige seiner Leerstellen ausfüllt, bin ich mir sicher, dass er nochmal ein so großartiges Projekt auf die Beine stellt wie vor zwei Jahren. Andernfalls haben wir ihn ja auch immernoch als tollen Produzenten auf unserer Seite.






Persönliche Highlights: Orlando / Take Your Time / Hope / Charcoal Baby / Nappy Wonder / Runnin' / Out of Your League / Smoke

Nicht mein Fall: Saint / Chewing Gum / Holy Will / Minetta Creek

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Dienstag, 28. August 2018

Die Legende vom Scheitern des großen Musikers




















Die Geschichte von Orpheus, dem begnadeten Sänger, seiner Frau Eurydike, die er im Hades verlor und seinem legendären Deal mit den Göttern ist eines der großen Epen der griechischen Mythologie und gerade in der Musik ein allzu oft bearbeiteter Stoff. Der tragische Held darin bietet seit jeher eine optimale Projektionsfläche für Generationen von Musiker*innen, die sich selbst mit ihm identifizieren, weshalb auch nicht wenige von ihnen, von Claudio Monteverdi bis Arcade Fire, sich an einer Bearbeitung der Story versucht haben. Ein Rap-Album war darunter allerdings noch nicht, zumindest bis jetzt. Denn mit Animoss und Ka, die sich für dieses Projekt unter dem Namen Hermit & the Recluse zusammengefunden haben, widmet sich nun erstmals auch ein Hiphop-Duo dem klassischen Mythos. Und rein theoretisch könnte man keine besseren Leute für diesen Job finden. Animoss, der lange Zeit als Hauptproduzent für Rob Marciano tätig war, ist als äußerst begnadeter Sample-Grabräuber bekannt und versteht es, einen organischen und edlen Sound zu finden, der die richtige Balance zwischen musikalischem Geschmack und Storytelling-Note findet. Ka wiederum ist am anderen Hebel eben genau der Storyteller, den diese Geschichte verdient. Nicht nur beeindruckt er regelmäßig durch eine beachtliche Ausführlichkeit in seinen sehr lyrischen Texten, vor allem ist er bereits erfahren mit den Ansprüchen, die klassische Weisen mit sich bringen. Erst vor zwei Jahren beeindruckte er auf einem Album Namens Honor Killed the Samurai mit einem textlichen Amalgam aus Gangster-Rap und Erzählungen aus dem Japan des Mittelalters, das ich an dieser Stelle wärmstens empfehlen kann. Wenn es also eine Person im Hiphop gibt, der sich dieser Geschichte würdig erweisen könnte, dann er. Und sein Beitrag hier war letztendlich auch der Hauptgrund, warum Orpheus vs. the Sirens für mich so interessant war. Sicher, das Albumkonzept an sich ist auch wahnsinnig spannend und sein Kollege Animoss hat zweifelsohne Talent, vor allem wollte ich aber mal wieder eine richtige Platte von Ka hören. Die habe ich hier in gewisser Weise auch bekommen. Die zehn Tracks dieser LP sind gewohnt bodenständiger, ehrlicher und inhaltlich fokussierter Rap, der musikalisch nicht viele Mätzchen macht und vor allem durch seine Texte reizvoll sein soll, das übliche Prozedere also. Das große Problem des Projekts ist nur, dass es dabei eben genau an dieser Kernkompetenz hapert. Beurteilt man Orpheus vs. the Sirens danach, ob die Beats gut sind, der Flow hinhaut und der allgemeine Vibe stimmt, ist das hier eigentlich eine ziemlich gute Platte. Das Material von Animoss ist zwar vielleicht etwas standardmäßig und viele der Sprachsamples könnten offensichtlicher nicht sein, aber handwerklich schlecht ist das alles nicht. Sein Beitrag hier ist sehr ähnlich dem, was man vor einigen Jahren auf den beiden Twelve Reasons to Die-Alben von Ghostface Killah hörte, die ich ja beide ziemlich mochte. Ihm kann man hier also nicht wirklich einen Vorwurf machen. Viel eher ist es die Performance von Ka, die hier die wirkliche Enttäuschung darstellt und mich als einen Verehrer seiner Kunst sogar ein bisschen schockiert. Denn was er hier von sich gibt, kann man in den meisten Momenten einfach nur als oberflächlich bezeichnen. Dass die Erzählung von Orpheus und Eurydike hier eher zur groben Rahmenhandlung wird und er dafür auch biografische Themen aufarbeitet, ist dabei nicht mal das Problem. Viel schlimmer ist, dass er das ganze Konzept mit der griechischen Mythologie lediglich als billigen Metaphern-und-Punchline-Lieferanten benutzt. Beliebig springt Ka dabei von Story zu Story, greift etwa auch ganz andere Materialien wie König Ödipus, Atlas, Jasons Argonauten oder den Fluch des Sisyphus auf und bastelt daraus dann jeweils irgendeine Botschaft, die ihm gerade in den Kram passt. Die Beschäftigung mit den eigentlichen Mythen geht dabei ebensowenig in die Tiefe wie die letztendlichen Aussagen des Rappers, die sich mit billigen Floskeln wie "das Leben ist kein Ponyhof" oder "Mit großer Macht kommt große Verantwortung" zusammenfassen lassen. Wenn dabei dann auch noch Zeilen wie "It ain't never shoot you / just headed to you with nines / it's the hydra" herauskommen, weiß man eigentlich bescheid: Orpheus vs. the Sirens ist ziemlich pretenziöse Pseudo-Kacke. Was eigentlich unverständlich ist, denn gerade Ka musste sich diesen Vorwurf bisher nie gefallen lassen. Wenn es in meinen Augen einen Rapper gab, der wirklich tiefsinnige Sachen schrieb, war er das und Sprüchekalender-Songs wie hier waren stets unter seinem Niveau. Wie es zu diesem Totalausfall kommen konnte, ist mir daher ein ziemliches Mysterium. Und es ist deshalb schade, weil ich tatsächlich glaube, dass die Kombination der drei Faktoren Ka, Animoss und griechische Mythologie hätte funktionieren können, wenn es daran nicht gehangen hätte. So erleben wir hier den ersten mächtigen Durchänger des New Yorker MCs und hoffentlich bis auf weiteres auch den letzten. Denn ein großer Verehrer seiner Kunst bin ich nach wie vor. Und hey, auch Orpheus hat es in der Geschichte am Ende ziemlich verkackt. Ein bisschen passt das ganze also schon.






Persönliche Highlights: Atlas / Argo / Hades / Companion of Artemis

Nicht mein Fall: the Sirens

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Montag, 27. August 2018

Die Prozedur




















Man braucht nicht wirklich viel um den heißen Brei herumreden: 2018 sind Interpol eine Band, die sich langsam aber sicher ihrem gemächlichen Zerfall hingibt. Wo dieser angefangen hat, ist Ansichtssache. Viele sehen ihn beim selbstbetitelten Album 2010, andere bei den Soloplatten von Paul Banks, wieder andere beim Ausstieg von Bassist Carlos Dengler kurz danach. Doch egal, wo die Fäule letztendlich begann, das Ergebnis ist das gleiche: Schon seit ziemlich langer Zeit machen die New Yorker einfach keine gute Musik mehr. Wenn man mich persönlich fragt, sind es tatsächlich Fragmente jener 2010er-LP, auf denen sie das letzte Mal so richtig überzeugten, danach wurde die Luft stetig dünner. Und ihr letzter Longplayer, El Pintor von 2014, klang dann erstmals nach einer völlig unmotivierten, festgefahrenen und langweiligen Band, die mit letzter Kraft versuchte, uns den vierten Aufguss des Sounds ihrer ersten beiden Platten zu verkaufen, was kläglich scheiterte. Es siecht sich also so dahin bei Interpol und zum jetztigen Zeitpunkt ist daher eine klangliche Runderneuerung bei ihnen mehr als überfällig. Wobei ich auch gleich sagen kann, dass diese mit Marauder mal wieder nicht kommt. Auf der mittlerweile sechsten LP der New Yorker hört man zum mittlerweile sechsten Mal die gleiche musikalische Rezeptur aus Postpunk, Indierock und New Wave, die schon lange ihre letzte Attraktivität verloren hat. 16 Jahre nach Turn On the Bright Lights hat diese Band so gut wie nichts an ihrer kompositorischen Ästhetik verändert und rudert auch inhaltlich ziemlich im Kreis. Noch immer dominieren hier die scharfkantigen Gitarrenlinien, die fast schon nostalgisch klingen, noch immer gibt es eher wüste Riff-Collagen und zusammengeschusterte Hooks statt gescheiter Songstrukturen und noch immer schmiert sich über alles die inzwischen totnervige Wannabe-Goth-Stimme von Paul Banks. Es gibt Platten von ihnen, da sind das alles Elemente, aus denen sie Indierock-Wunderwerke wie Evil oder the Heinrich Maneuver am laufenden Band schneidern, es ist seitdem aber auch eine Formel geworden. Eine Formel, die ich für meinen Teil einfach nicht mehr hören kann. In ihrer eigenen Stilsicherheit sind Interpol bereits jetzt so verkrampft wie es sonst nur altehrwürdige Acts wie Element of Crime oder AC/DC sind, die ihren Stiefel deshalb so spielen, weil sie Kreativität überwunden haben. Doch dass das auch für diese Jungs gilt, wage ich zu bezweifeln. Wäre dem so, dann hätte Paul Banks nicht erst vor zwei Jahren ein gemeinsames Album mit RZA gemacht und Daniel Kessler würde nicht nebenbei ein Ambient-Postrock-Projekt betreiben. Diese Musiker schauen durchaus über den Tellerrand, nur leider nicht mehr im gemeinsamen Bandkontext. Demzufolge ist Marauder ein ziemlich trauriges Häufchen Elend von einem Album, über das man sich nicht mal das Maul zerreißen kann, weil man dabei genau die gleichen Dinge sagen würde wie vor vier Jahren bei El Pintor. Der einzige Grund, warum ich sie deshalb nicht einfach in den Schnelldurchlauf verklappe ist, weil sie am Ende des Tages doch immer noch einen Platz in meinem Herzen haben und irgendwann mal so gut waren, dass sie den auch mit ihrem zweiten richtig miesen Album in Folge nicht einbüßen. Außerdem scheint es da draußen genügend Leute zu geben, die tatsächlich noch immer glauben, Marauder wäre gut. Und gegen solche Fake News muss ich mich als verantwortungsbewusstes Medium natürlich in aller Deutlichkeit äußern.






Persönliche Highlights: If You Really Love Nothing / Mountain Child / NYSMAW

Nicht mein Fall: Complications / Flight of Fancy / It Probably Matters

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Sonntag, 26. August 2018

Hoch hinaus




















Wenn es eine Rockband gibt, die in den letzten Jahren die Bezeichnung "Geheimtipp" mehr als viele andere Acts verdient hat, dann sind es definitv Nothing. Denn wo andere Träger*innen dieses Prädikats dieses nach einiger Zeit meist los werden, sei es durch den plötzlich doch kommenden Erfolg oder das komplette Vergessen, hat ihn diese Formation aus Philadelphia bisher sehr souverän verteidigt. Vor acht Jahren gegründet und mit bisher zwei veröffentlichten Alben seit 2014 hat sich die angeblich lauteste Gruppe der Welt mittlerweile so etwas wie einen Stammplatz unter den Künstler*innen erarbeitet, die mal "mal im Auge behalten sollte". Wenige scheinen es am Ende wirklich getan zu haben. Denn wenn man sich den Output der US-Amerikaner bisher mal anhört, erlebt man eine durchaus sehr stabile Diskografie, über die man bisher eigentlich nicht meckern kann. Mit Tired of Tomorrow veröffentlichten sie 2016 sogar ein Album, das ich persönlich als eines der sträflich vergessenen Highlights jenes Jahres bezeichnen würde. Den rockig-atmosphärischen Shoegaze-Sound, den Nothing hier spielten, hörte man kurze Zeit später auch auf universell beliebten Platten von Slowdive oder Moaning, ein Publikum wäre also durchaus da gewesen. Trotzdem kommt die Band objektiv noch immer nicht so richtig aus dem Mittelfeld ziemlich guter Indierock-Acts heraus, was aktuell die Gefahr birgt, dass sie bald den Weg anderer toller Formationen wie the Joy Formidable oder the Duke Spirit gehen, nach denen schon lange kein Hahn mehr kräht. Zum Glück ist aber ihr neues Album ziemlich gut geworden, was zumindest rechtfertigt, sie mal wieder an die große Glocke zu hängen. Dabei hat sich bei ihnen eigentlich nicht viel verändert: Die Marschrichtung ist noch immer eine sehr organische und ruhige Form von Shoegaze, die sie auf ihrem Stammlabel Relapse zu absoluten Exoten macht und schon auf Tired of Tomorrow so gut funktionierte. Der größte Unterschied diesmal ist, dass sie sich dabei stärker an große Rock-Momente herantrauen und auch durchaus mal episch sein wollen. Bereits der großartige Opener Zero Day ist mit seiner weitläufigen Struktur und dem exzessiv zelebrierten Outro eine ziemliche Hausnummer, leider aber auch der beste seiner Art. Es gibt einige gute, brachiale und pathetische Tracks hier, doch dieser ist der einzige wirklich überragende. Wobei der Punkt ist, dass Nothing dieses Wagnis überhaupt eingehen. Es ist nicht selbstverständlich für eine Band, die so gut gemachten Shoegaze spielt wie sie, sich stilistisch und kompositorisch dieses Stück weiter aus dem Fenster zu lehnen und ein bisschen Größenwahnsinnig zu sein. Die meisten ihres Schlages zumindest tun das nicht und verkriechen sich in ihrer gemütlichen Reverb-Wolke. Das zeigt aber auch, dass diese Jungs hier nicht zum Standard gehören und das kleine Stück weiter wollen, was im Moment blöderweise noch nicht immer klappt. You Wind Me Up probiert es mit großen Melodiebögen, die eben an manchen Stellen ziemlich albern wirken, I Hate the Flowers will eine Art nihilistische Oasis-Ballade sein, bleibt aber eher ziemlich pubertär und the Carpenter's Son ist ein fantastischer ätherischer Shoegaze-Jam, der mit acht Minuten Spielzeit mehr als ein bisschen übertreibt. Es ist vieles nicht perfekt an diesem Album und man könnte sagen, Nothing haben sich damit ein kleines bisschen verhoben. Dass sie so nach den Sternen greifen, ist aber gleichzeitig ihr größter Fehler und ihr größter Trumpf. Sie sind keine Band der großen Gesten und werden wahrscheinlich nie so richtig eine werden, allerdings geben sie sich auch nicht mit den popeligen Indie-Sound zufrieden, den zurzeit jede*r Zweite spielt. Dance On the Blacktop ist zumindest der Versuch, sich abzusetzen. Und für ihre Hingabe muss ich ihnen dabei Respekt zollen. Alles andere kommt dann schon mit der Zeit.






Persönliche Highlights: Zero Day / Us/We/Are / Hail On Palace Pier / (Hope) is Just Another Word With A Hole in It

Nicht mein Fall: You Wind Me Up

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Freitag, 24. August 2018

Monster Mash




















Wenn man es so will, sind die Oh Sees in letzter Zeit nicht eine Band gewesen, sondern gleich ziemlich viele. Unter grob überschlagen drei Namen haben die Kalifornier seit 2016 Musik veröffentlicht und dabei klang keine Platte wie die andere. Sei es das seltsame Krautrock-Projekt A Weird Exits (samt Bonus-Mini-LP An Odd Entrances), der Garagen-Standard Orc vom letzten Sommer oder das jazzig-folkige Memories of A Cut Off Head vom November, das Feld kann gerade nicht weit genug sein für sie. Und als im Frühsommer diesen Jahres bereits das nächste Album angekündigt wurde, noch dazu mit diesem Artwork, war klar, dass diese Arbeitsweise so schnell kein Ende nehmen würde. Was machte die Band wohl diesmal? Thrash Metal? Industrial? Dungeon Synth? Gewundert hätte mich ehrlich gesagt wenig. Dass es am Ende jetzt "bloß" zeitgenössischer Psychedelic-Rock und Oldschool-Prog geworden ist, enttäuscht da schon fast ein bisschen. Ehrlich gesagt war ich am Anfang des Albums sogar regelrecht empört. Viele Ideen, die die Musiker in den ersten vier Songs des Albums eingebaut hat, scheinen nämlich direkt aus dem King Gizzard & the Lizard Wizard-Lehrbuch geklaut. Die krautigen Grooves, das Schlagzeugspiel, die obskuren Harmonien, ja sogar John Dwyers Gesang ähnelt hier sehr dem von Stu Mackenzie. Meine Befürchtungen waren schon, dass Oh Sees ihren kompletten Songwriting-Stil für eine billige Gizzard-Kopie über Bord geworfen hätten. Dabei hatte ich jedoch meine Rechnung ohne die dicke zweite Hälfte dieser LP gemacht. Nominell nur sieben Songs nimmt der hintere Teil von Smote Reverser über 40 Minuten Spielzeit ein, die diese Platte zum Glück doch noch in ganz andere Dimensionen führen. Last Peace beginnt mit einem zarten Jazzrock-Thema, das sich in seinen knapp acht Minuten zum psychedelischen Überflieger steigert und von da an sind Oh Sees ganz klar wieder eines ihrer vielen Selbst. Höhepunkt der Freakshow ist ganz klar der zwölfminütige Mega-Jam Anthemic Aggressor, bei dem freidrehende Gniedelei kein bloßer Bestandteil, sondern die Regel ist und der anstrengend wäre, wäre er dabei nicht so hingebungsvoll bescheuert. Solche Eskapaden sind aber eher die Ausnahme, die meiste Zeit groovt Smote Reverser eher gemächlich vor sich hin und kleidet seine breiten Gitarrenflächen mit kitschigen Beat-Orgel-Sounds aus. Und im allgemeinen ist das schon ganz ordentlich und unterhaltsam, vor allem dafür, wie wenig Arbeitszeit in diese LP geflossen ist. Wenn man es an seinen Vorbildern misst, hat dieses Album allerdings bestenfalls den Status einer sehr gelungenen Aufwärmübung. Denn weder haben die Kalifornier hier große kompositorische Momente, noch machen sie wirklich etwas anders als viele andere Bands ihrer Sparte. Smote Reverser hat mit Abstrichen das gleiche Problem, das viele Jam-Platten haben, insofern dass es einfach nicht zum Punkt kommt. In Tracks wie Anthemic Aggressor, die genau darauf ausgelegt sind, mag das passen, allerdings findet sich hier auch eine ganze Reihe an Stücken, denen durch ihre Mäanderei jeglicher Charakter abhanden kommt. Live würde so etwas wahrscheinlich unglaublich gut kommen, auf Konserve jedoch zieht es an mit vorbei. So ist vieles an dieser LP gut gespielt, bleibt aber nicht wirklich hängen. Und darauf kommt es ja beim einschätzen von Studioalben letztendlich an. Oh Sees macht das definitiv nicht zu einer schlechteren Band und Smote Reverser hält in meinen Augen das Niveau ihrer meisten Platten, es ist eben nur nicht das Highlight, das es hätte sein können, wenn man sich ein bisschen mehr Mühe mit fokussiertem Songwriting gegeben hätte. Und überhaupt, was ist denn jetzt eigentlich mit meiner Thrash Metal-LP?






Persönliche Highlights: C / Last Peace / Moon Bog / Anthemic Aggressor / Nail House Needle Boys / Flies Bump Against the Glass

Nicht mein Fall: Enrique El Cobrador

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Donnerstag, 23. August 2018

Besserwisser unter sich




















Objektiv gesehen ist es eigentlich keine große Sache, dass es jetzt ein gemeinsames Album von Milo und Elucid gibt. Zwei nerdige Indie-Rapper, die beide dafür bekannt sind, in ihren Texten ziemlich komplizierte Sachen zu sagen, kommen hier für 28 Minuten zusammen und geben sich mit ihren Eydeetenschädeln gegenseitig die Klinke in die Hand. Na und? Nun ja, für mich persönlich ist diese Kollaboration schon von einer gewissen Bedeutung, ehrlich gesagt kommt Nostrum Grocers bei mir sogar einer Art intellektuellen Version von Watch the Throne gleich, sind beide hier beteiligte Künstler doch jeder für sich in der Vergangenheit sowas wie Lieblingsrapper von mir geworden. Elucid vor allem durch seine Beteiligung an den Platten von Billy Woods und ihrem gemeinsamen Projekt Armand Hammer, Milo durch unzählige geniale Solo-Alben, sowie sein Alter Ego Scallops Hotel. Und obwohl es auch schon im letzten Jahr auf Landscaping von Milo eine erste Zusammenarbeit der beiden gab, die ich ziemlich gut fand, war ein Unterfangen wie Nostrum Grocers bisher alles andere als absehbar. Für mich stellte sich sogar die Frage, ob dieser Ausflug gut gehen würde, denn obwohl ich beide Rapper unglaublich mag, ergänzen sie sich inhaltlich nicht wirklich. Wo Elucid stets durch eine sehr stringente Erzählweise auffiel, die oft auch explizit politisch ist und letztes Jahr in einer Reimkette über Robert Mugabe gipfelte, ist Milo immer eher so ein bisschen der verrückte Professor, der in einem Song Anspielungen an seine Lieblingsserien, Arthur Schopenhauer und sein letztes Mittagessen vermengt und daraus ein wüstes Narrativ zusammenschustert. Schaut man genau hin, so haben beide Künstler eigentlich mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Aber im Endeffekt ist genau das auch die Basis, auf der diese Platte funktioniert. Die beiden Rapper sind Gegenpole, die sich voneinander abheben, statt sich auszulöschen. Beide machen hier irgendwie ihr Ding und Song für Song klappt das eigentlich ganz gut. Wenn man nicht mehr hören will als zwei gute Rapper, die in jedem Track eine gute Strophe bringen, hat dieses Album jede Menge zu bieten. Elucid ist dabei ein klein wenig cooler, weil er durchschnittlich mit mehr Passion in die Stücke geht als der schwerelose und in Fragmenten sprechende Milo, aber an und für sich nehmen sie sich nicht viel und beide haben mal den jeweils besseren Part. Hier kommen wir aber auch an das kleine Problem, das dieses Album hat: Es ist eben kein Soloprojekt eines dieser Rapper, weshalb eine deutliche Marschrichtung hier irgendwie fehlt. Die zwei Musiker machen beide ihren Job, wirklich darüber hinaus geht Nostrum Grocers aber nie. Es gibt keine wirkliche Ergänzung untereinander, von Hooks ganz zu schweigen, was zur Folge hat, dass Milo und Elucid hier die ganze Zeit irgendwie nebeneinander her arbeiten. Sie machen ohne Frage ziemlich gute Songs, deren Rezeptur aber auch nach zwei, drei Malen immer die gleiche bleibt. Das ist insofern schade, als insbesondere Milo zuletzt eigentlich durch einen extrem experimentellen Ansatz überzeugte, der hier nur in Spuren vorhanden ist. Elucid ist da schon immer etwas konservativer, doch auch dafür bekannt, mit allem arbeiten zu können. Nostrum Grocers verpassen also die Chance, hier eine Platte zu machen, die mehr ist, als nur ein Rap-Album zweier starker Texter. Mit diesen beiden wäre durchaus ein Regeln auflösendes Projekt im Stil von Kids See Ghosts möglich gewesen, dafür wurde aber anscheinend weder Zeit noch Mühe investiert. Diesen Punkt anzubringen ist natürlich Jammern auf sehr hohem Niveau, allerdings ist das hier vielleicht auch eine einmalige Chance gewesen. Wer weiß, ob diese beiden Ausnahmekünstler sich noch einmal gemeinsam an einen Tisch setzen werden und selbst wenn, sind sie gerade jetzt jeweils auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Vergleichbare Bedingungen wird es also höchstwahrscheinlich so bald nicht mehr geben. Für seine Verhältnisse ist das, was hier rausgekommen ist durchaus ein gutes Ergebnis, aber weder ein Highlight von Milos noch von Elucids Diskografie. Eher ein Nebenprojekt, das auch nach einem Nebenprojekt klingt.






Persönliche Highlights: Circumcision is the First Betrayal / Milk Drunk / Where'ing Those Flowers / '98 Gewehr / Camera / Peace is the Opposite of Security

Nicht mein Fall: -

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Mittwoch, 22. August 2018

In Echt: Vituosen der emotionalen Klaviatur

2018 ist ein denkbar komischer Zeitpunkt, La Dispute zum ersten Mal in Echt zu sehen. Nicht nur, weil die Band inzwischen seit fast vier Jahren quasi inaktiv ist (zwei Jahre, wenn man die Live-DVD Tiny Dots von 2016 mitzählt). Nicht, weil man irgendwie ziemlich viel Distanz zu ihrer Musik aufgebaut hat und nicht, weil ihre Form von Hardcore momentan etwas altbackenes hat. Vor allem ist es schockierend, dass man all diese Veränderungen überhaupt nicht mitbekommen hat. Es scheint so, als seien die fünf Menschen, die da gerade auf der Bühne stehen, nicht die echten La Dispute, sondern bestenfalls welche, die sehr gut so tun als ob. Jordan Dreyer sieht nicht mehr aus wie ein schmächtiger Teenager, Brad Vander Lugts Mähne würde izwischen jedem Stoner-Gitarristen alle Ehre machen und der Rest der Band ist gefühlt überhaupt nicht identifizierbar (im Falle des neuen Tourgitarristen ist das auch faktisch so). Es hat zunächst etwas befremdliches, diese Leute auf der Bühne zu sehen. Allerdings auch nur bis zu dem Moment, wo sie anfangen, Musik zu spielen und man sich sicher ist: Ja, das sind La Dispute! Und zwar nicht die La Dispute, in die ich mich 2012, als ich das erste Mal Safer in the Forest hörte, verschossen hatte, sondern eine Formation, die sechs Jahre später in die Gegenwart gehechtet kommt und sich mit großen Schritten wieder ihren Platz auf den Bühnen Europas einräumt. Gestern Abend war Berlin dran. Als Vorband spielen noch die Briten von Svalbard, die an dieser Stelle zumindest mal erwähnt gehören. Ihre atmosphärisch-brutale Mixtur aus Blackgaze und Hardcore weiß zwar nicht genau, in welche Pose sie sich lieber schwingen soll, ist musikalisch aber ein guter Einstand und hat zum Glück wenig von einer undankbaren Support-Show. Zumindest ist es schon zu diesem Zeitpunkt schwer, einen gescheiten Platz in der Halle des Columbia-Theaters zu finden, das nur als Ausweichmöglichkeit herhalten muss, denn ursprünglich war das Konzert im Bi Nuu angesetzt. Der Vorteil der ganzen Sache ist, dass hier die Raumakustik kaum besser sein könnte und Svalbard nicht laut spielen müssen um mitzureißen. Als eine gute halbe Stunde später der Hauptact die Bühne betritt, werden die Regler natürlich trotzdem nochmal um ein paar Dimensionen nach oben gerissen. Die Setlist am heutigen Abend ist eine ganz leicht andere als bei den letzten Konzerten (setlist.fm weiß Bescheid!), statt mit Scenes From the Highways 1981-2009 beginnt die Band mit Harder Harmonies, was definitiv gut ankommt. Im letzten Refrain steigt schon hier das ganze Publikum ein und trägt den Song mit. Es soll nicht das letzte Mal bleiben. Der klare Fokuspunkt der Show liegt dabei das ganze Konzert über klar bei Jordan Dreyer, der im Gegensatz zum ziemlich passiven Rest der Musiker mit viel Körpereinsatz performt, nicht unähnlich seinem einstigen Vorbild Cedric Bixler-Zavala. Er hat dabei eher etwas von einem Rapper als von einem Sänger, spuckt seine Geschichten teilweise als rotzige Bars ins Mikrofon und lässt sich regelmäßig von den anwesenden Zuschauer*innen unter die Arme greifen, die zumindest in den ersten Reihen allesamt textsicher sind. Nach dem Opener folgen diverse Tracks des letzten Albums, sowie das uralte Why It Scares Me vom 2010er Split mit Touché Amoré. Immer wieder nutzt Dreyer Spielpausen dabei für Ansagen, bedankt sich bei Svalbard, bei den Veranstaltenden, spricht über respektvollen Umgang miteinander auf Konzerten und kündigt beinah nebenbei einen neuen Longplayer an, der "somewhere in the future" erscheint. Die aktuelle Tour ist also auch mehr als  bloße Fitnessübung und Gruppentherapie. Wobei es bis auf weiteres bei altem Material bleibt, das gespielt wird. Eine besondere Rolle nehmen hierbei die Stücke der ersten La Dispute-LP Somewhere at the Bottom of the River Between Vega and Altair ein, von der bald ein Remaster erscheint. Im regulären Set finden letztendlich nur Damaged Goods und Said the King to the River Platz, die sind dafür aber auch die Highlights des Abends. Viele Wildlife-Songs, die während der gesamten bisherigen Tour prominent vertreten waren, tauchen heute nicht auf, schade finde ich es vor allem um mein persönliches (Mit-)Lieblingsstück Safer in the Forest/Love Song for Poor Michigan. Stattdessen fördert die Band mit the Most Beautiful Bitter Fruit und You and I in Unison zwei Deep Cuts zutage, die ich eher nicht erwartet hätte und die immerhin gute Alternativen darstellen. Wenn es überhaupt etwas gibt, was so gar nicht funktioniert, sind es die beiden Woman-Tracks, die ziemlich am Ende des Konzerts kommen. Das Publikum macht zwar brav mit, im Gesamtkontext wirken sie aber eher mau und langweilig. Bei For Mayor in Splitsville stelle ich wiederum fest, dass der Song eigentlich schon immer eine ziemliche Schnulze war. Es ist aber am heutigen Abend eher weniger die Frage, welche Nummern La Dispute spielen oder ob diese akkurat performt sind (was übrigens trotz neuer Besetzung absolut der Fall ist). Es ist die Energie, die zwischen Musikern und Publikum erzeugt wird, die besondere Momente ausmacht. Und weil das so ist, nimmt es auch niemand so richtig für voll, als die Akteure nach You and I in Unison erstmal die Bühne verlassen. Alle wissen, was jetzt noch kommt. Keine zwei Minuten nach dem "Ende" des Gigs steht die gesamte Mannschaft erneut bereit und zockt das Doppelpack aus Such Small Hands und King Park, ohne das hier wahrscheinlich viele nicht nach Hause gegangen wären. Ein klitzekleines bisschen Routine macht sich dabei auf Seiten der Band bemerkbar, was aber egal ist, weil von hier an der Rest des Saales übernimmt. Keine einzige Zeile muss Jordan Dreyer alleine singen und beim dramatischen Finale von King Park entlädt sich die ganze Spannung, die die Musiker zuvor in die Menge eingespeist haben, auf sie zurück. "Can I still get into heaven if I kill myself?", Crescendo, Vorhang, Schluss. Danach noch einen Song zu spielen, wäre auch quatsch. Das wissen La Dispute und das wissen die Zuschauer*innen. So schnell war dieser Saal nach einer Zugabe wahrscheinlich selten leer. Wobei vieles an dieser Show bis dahin eigentlich ziemlich normal war. Es könnte daran liegen, dass diese Formation gerade wieder laufen lernt, aber wirklich atemberaubend war dieses Konzert am Ende nicht. Gut auf jeden Fall, stellenweise sogar sehr, aber auch nichts, was man gesehen haben muss, wenn man kein Fan ist. 2018 sind La Dispute eine sehr abgeklärte und professionelle Band, die weiß, was bei ihren Gigs funktioniert und was nicht und die Momente wie dieses King Park-Finale oder akzentuierte Breaks gezielt performt und triggert. Sie spielen sozusagen weniger ihre Instrumente als die Menschen, die ihnen dabei zuhören. Das ist schon eine Kunst für sich, aber man muss das auch mögen. Und schlussendlich ist es vielleicht nicht ganz das, weswegen ich ihre Musik so mag. Es ist diese sehr nerdige Form des Hörens, mit Textblatt in der Hand und Fokus auf die Emotionalität, die ich mit La Dispute verbinde und das live einzufangen, ist nun mal relativ unmöglich, noch dazu auf einem Hardcore-Konzert. Objektiv war das gestern also gut, mein Herz hat es trotzdem nicht unbedingt höher schlagen lassen. Dieser Moment kommt dann wahrscheinlich erst, wenn es wieder eine Platte von ihnen gibt.

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Montag, 20. August 2018

Kleine Liste: Kanyes Sommerspiele

Es machen ja zurzeit alle so, und weil ich a) ja immer alles machen muss, was gerade cool ist und b) ich auch meinen Senf dazu geben möchte, tu ich es eben auch: Meine persönliche Rangliste der diesjährigen Projekte aus der Produktionsschmiede des Kanye West. Es ist dabei eine Sache, dass ich dem Hypetrain folge und dem ganzen Rummel um die fünf Platten jetzt vielleicht nochmal etwas mehr unnötige Aufmerksamkeit verschaffe. Es ist eine andere, dass ich gerne nochmal ein Statement zu den Projekten als Gesamtidee abgeben möchte. Vieles davon kam in den eigentlichen Besprechungen dazu nicht wirklich durch und gerade was die Punktbewertungen angeht, gab es keine großen Unterschiede. Außerdem finde ich es interessant, dass ganz global gesehen jede*r irgendwie seine eigenen Favoriten (und Gründe dafür) hat und es keine wirklich einhellige Meinung dazu gibt. Und noch mehr Verwirrung zu stiften, sehe ich in diesem Zusammenhang als meine heilige Pflicht. Deshalb auch von mir nochmal die ganze Leier.

1. TEYANA TAYLOR
K.T.S.E.
Vielleicht die erste kleine Überraschung: Das in meinen Augen beste Projekt der Serie ist mit Teyana Taylors K.T.S.E. sein am wenigsten Rap-zentrierter Beitrag und wahrscheinlich auch einer der konservativsten. Der Grund dafür: Taylor ist die einzige, die sich von Kanyes Produktion nicht die Show stehlen lässt und künstlerisch vollwertig auftritt. Außerdem sind hier sämtliche Features sehr stimmig und die Platte bewahrt musikalisch wenigstens ein bisschen Konsistenz.

2. KANYE WEST
Ye

Die äußerst kontroversen Lines über Trump und Sklaverei sind die eine Sache, die andere ist die, dass Kanye West in diesen zwanzig Minuten nicht weniger tut, als seine Karriere zu retten. Ye ist eine extrem freshe Platte, seine beste seit fast zehn Jahren. Mal abgesehen von dem vielen Bullshit, den er quatscht, ist das ein kleines Wunder. Der bittere Beigeschmack ist da und deshalb nur Platz Zwei, aber trotzdem: Hut ab vor dieser künstlerischen Runderneuerung. Nicht weniger ist das hier (mal wieder).

3. KIDS SEE GHOSTS
Kids See Ghosts

Künstlerisch die visionärste Platte der fünf und deshalb auch nur mit hauchdünnem Abstand hinter Ye, aber an manche künstlerischen Entscheidungen hier kann ich mich beim besten Willen nicht gewöhnen. Kids See Ghosts sind zeitgenössische Popmusik auf Steroiden und definitiv eine wahnsinnig bemerkenswerte Sache, nur ob das nun genial ist oder nicht, wird erst die Zeit zeigen. Das nächste 808s & Heartbreaks oder pretenziöser Kram? Kann und will ich nicht beantworten.

4. PUSHA T
Daytona

Mein größtes Problem mit dieser Platte habe ich bereits in der Besprechung erklärt: Es klingt nicht wie ein Projekt von Pusha T, sondern so, als hätte Kanye einfach jemand anderen angeheuert, der seine Texte aufnimmt und dann als seine Songs verkauft. Das ist klanglich eine gute Kombo, aber dem Talent eines Push nicht würdig und ein kleines bisschen ein arschiger Move von Kumpel Kanye. Außerdem war da der unschöne Beef mit Drake und das nutzlos provokative Artwork: Das können beide besser.

5. NAS
Nasir
Daytona ist keine gute Platte, aber sie hat wenigstens den Vorzug, dass Kanye sich darauf Mühe gegeben hat, was man von seiner Arbeit für Nas nicht sagen kann. Der hat zu konservative Ansprüche, will ein klassisches Rap-Album machen, was mit Yeezy als Partner natürlich nicht drin ist. Das Ergebnis ist eine halbgare, langweilige Promenadenmischung, mit der wahrscheinlich weder der eine noch der andere wirklich zufrieden ist. Aber wenigstens haben 2018 nochmal alle eine Nas-Platte gehört.



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Gegen die Wand




















Ich hatte schon vor längerer Zeit überlegt, mal über Ariana Grande zu schreiben, denn warum sollte man das eigentlich auch nicht tun? Als Sängerin ist sie inzwischen schon ein paar Jahre ziemlich erfolgreich, regelmäßig wird über sie und ihren Output diskutiert und wirklich lahm oder gesichtslos fand ich ihre Musik eigentlich noch nie. Seit ihrem Debüt 2013 hat sich die Musikerin aus Florida einen mehr oder weniger stringenten künstlerischen Charakter zugelegt, der abseits von Trends funktioniert und dann und wann auch wirklich mal überraschend sein kenn. Woran es bisher einzig fehlte, waren in meinen Augen die starken Songs, die eine Platte von vornherein anziehen konnten und interessant machen konnten. Sicher, Hits hatte Grande bis hierhin bereits eine ganze Menge und kommerziell kann man ihrer Karriere tatsächlich nichts besseres wünschen. An einer wirklich bemerkenswerten, zeitlosen Nummer, die auch in kreativer Hinsicht Aufsehen erregen konnte, fehlte es allerdings lange Zeit. Und an dieser Stelle kommt 2018 eine kleine Single namens No Tears Left to Cry ins Spiel. Ein Song, der meiner Meinung nach ein entscheidender Drehmoment für die Künstlerin ist. Zum einen ist er der bisherige Höhepunkt der langen und aufwändigen Charakterbildung von Ariana Grande, an dem sie völlig souverän eine ziemlich erwachsene Popmusik spielt, zum anderen endlich der eine große Einzeltrack, der wie ein Leuchtfeuer auf der Spitze ihrer Diskografie strahlt. Wenn man mich fragt, ist No Tears Left to Cry unangefochten einer der besten Songs des bisherigen Jahres und ganz klar das Highlight, das mich endgültig dazu bewogen hat, auch zum ersten Mal einen Longplayer von ihr zu besprechen. Denn nach so einem Einstand hatte ich tatsächlich das Vertrauen, dass es auch auf Großformat lohnenswert wäre, sich Ariana Grande zu widmen. Und ganz nebenbei waren auch die übrigen Vorab-Singles von Sweetener gar nicht mal so übel. Es schien also das Album zu werden, das mich von dieser Künstlerin überzeugen würde. Oder auch nicht. Denn was ich in all meiner Euphorie vergessen hatte war, dass sie sich vielleicht gar nicht künstlerisch durchsetzen will. Am Ende des Tages muss man nämlich auch bedenken, dass sie nach wie vor den größten Teil ihrer Musik nicht selbst macht, ein von A&Rs aufgedeckeltes Image verkörpert und ganz allgemein noch immer ein ziemlicher Retorten-Popstar ist. Ihr Publikum ist eines, das gerne die Katze im Sack kauft, ein Album vielleicht noch immer wegen zwei, drei guten Tracks besitzen möchte und falls nicht, wenigstens für die Quote in den sozialen Netzwerken sorgt. Und genau in diesem Stil ist Sweetener dann auch eine Platte, die extrem an der Oberfläche schwimmt. Alle Stücke, die man hier als halbwegs akzeptabel bezeichnen kann, sind zu diesem Zeitpunkt bereits als Singles veröffentlicht wurden, den ganze Rest kann man bestenfalls als hingeschludert betrachten. Pharell Williams als einziger Produzent macht seinen Job okay, liefert hier aber auch die gleiche Show ab, die man von ihm seit Jahren kennt (inklusive 4/4-Trademark-Hit in circa jedem zweiten Song), und sein Gesangs-Feature in Blazed ist definitiv eine der schlimmsten Sachen an diesem Album. Auch die beiden weiteren Gäste Nicki Minaj und Missy Elliott machen die Suppe mit ihren ziemlich luftleeren Parts nicht fett, was aber ganz klar auch nicht der Plan war. Viel schlimmer ist es, dass Ariana Grande selbst sich auf diesen ganzen Mist einlässt. Es ist fast niedlich, wie sie sich hier stimmlich in Songs reinwirft, die ganz offenkundig ohne jedes Herzblut zusammengeschustert wurden und so mal wieder gute Miene zum bösen Spiel macht. Man kann ihr das nicht vorwerfen, ist sie doch augenscheinlich die einzige Person, die sich für diese LP irgendwie Mühe gegeben zu haben scheint. Sie tut mir deshalb eher Leid. Man spürt, dass sie am jetzigen Punkt ihrer Karriere echt einiges zu sagen hat (Manchester, Feminismus, ihre Verlobung, et cetera...) und für die Umsetzung dessen eigentlich jemanden in ihrem Team bräuchte, der sich dessen annimmt. Sicher, einen Pharell Williams zu engagieren ist tausendmal besser, als 30 Songschreiber*innen vom Label gestellt zu bekommen, die aus diesem Album ein kommerzpoppiges Wurstgewitter gemacht hätten, allerdings wirkt auch der hier ziemlich ratlos. Mit dem Ergebnis, dass eine wahnsinnig talentierte junge Musikerin hier weiterhin gegen eine Wand singt. Und das im vielleicht entscheidenden Moment ihrer Karriere. Eine verschwendete Chance.






Persönliche Highlights: the Light is Coming / God is A Woman / Breathin / No Tears Left to Cry / Better Off

Nicht mein Fall: Raindrops (An Angel Cried) / Blazed / Successful

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Sonntag, 19. August 2018

Voll korall!




















Eine der klügsten Karrierentscheidungen von Animal Collective in den letzten Jahren war es ganz gewiss, dass sie solche Ökos geworden sind und seit kurzem immer wieder Platten aufnehmen, die im weitesten Sinne irgendwie den Planeten retten sollen. Das ist einerseits für den Planeten gut, der nicht oft genug unterstützt werden kann, aber auch der Band selbst scheint es zu helfen. Denn seitdem sich die Musiker aus Baltimore von den Naturräumen, die sie zu schützen versuchen, auch die Inspiration für ihre Songs holen, ist künstlerisch wieder was los bei ihnen. Schon 2017 begeisterte die Delegation aus Avey Tare und Geologist mit dem komplett im Amazones zurechtgejammten Meeting of the Waters, das völlig neue Maßstäbe für das Konzept Live-Album setzte und damit der kreativen Dürrephase der letzten Jahre Einhalt gebot. Und mit Tangerine Reef geht es jetzt glücklicherweise in eine ähnlich experimentelle Richtung weiter. Nach ihren ersten audiovisuellen Versuchen mit dem Film Oddsac, der 2010 veröffentlicht wurde, ist dies hier eine weitere LP mit Bewegtbildbegleitung, die gemeinsam mit dem Künstlerduo Coral Morphologic entstand. Animal Collective spielen dabei den Soundtrack zu dokumentarischen Filmaufnahmen von Korallen, was durchaus passender ist, als es erstmal klingt. Denn abgesehen davon, dass das psychedelische Potenzial dieser Meerestiere schon lange unterschätzt ist, hat das Projekt natürlich auch ein Anliegen. Es zeigt beeindruckendes Material eines Ökosystems, das durch Schiffahrt, Übersäuerung und Tourismus immer mehr bedroht wird und hier eine Art künstlerische Hommage erlebt. Wobei Animal Collective für ihren Teil den impressiven Score dafür liefern. Tangerine Reef ist ihr Versuch einer Ambient-Platte, die die visuelle Komponente des Projekts lediglich unterstützt, platzt dabei aber selbstverständlich immer ein bisschen aus den Nähten. Für ungefähr einen halben Song bekommt es die Band durchschnittlich hin, sich auf ozeanisches Gewaber und atmosphärische Klangtapete zu beschränken, danach friemelt oder ploppt oder klimpert immer irgendetwas auf. Es ist nach wie vor ein sehr getragenes Album, für dessen Umsetzung lediglich die vielleicht hibbeligsten Musiker der letzten zwanzig Jahre zuständig sind. In meinen Augen ist das aber eine der großen Stärken dieser Platte: Klar wäre es ein leichtes gewesen, hier so ein ätherisches Ambient-Soundtrack-Ding hinzustellen, das allenfalls als Begleitmaterial zu den Filmaufnahmen funktioniert. Was Animal Collective aber tun, ist dem Projekt auch musikalisch Charakter zu geben, der trotz allem nicht ablenkt, sondern eher noch zur Atmosphäre beiträgt. Wie gesagt: Korallen sind auch einfach verdammt psychedelische Viecher. Doch nicht nur für das Gesamtergebnis des Films springt hier unterm Strich das Maximum raus, auch die Band selbst hat sich damit einen großen Gefallen getan. Denn nach den lahmen letzten Platten wie Painted With und der völlig überflüssigen Solo-Kackerei drumherum ist Tangerine Reef nach Meeting of the Waters das zweite deutliche Statement der Gruppe in Richtung Experimentalmusik. Obwohl ich keines der beiden Projekte als wirklich vollwertigen Longplayer anerkennen würde und gerade dieses hier auch alles andere als ein Meisterwerk ist, zeigen sie doch sehr klar, wohin die Reise bei diesen Musikern gerade geht. Und das verspricht vor allem eines zu werden: Spannend. Gerade jetzt erleben wir Animal Collective wieder als eine Formation, die sich mit jeder neuen Aufgabe vor eine Herausforderung stellt, ihre Grenzen sucht und dabei im Optimalfall sogar die Grenzen der Popmusik aufspürt. Wenn man mich fragt, waren sie darin auch schon immer besser als darin, tighte Songs zu schreiben und Hooks mit Melodien zu bauen. Sie sind die Band, die psychedelische Musik im 21. Jahrhundert ihren Namen wieder verdienen lässt. Und gerade machen sie das so gut wie selten zuvor.






Persönliche Highlights: Buffalo Tomato / Inspector Gadget / Airpipe (To A New Transition) / Jake & Me / Hip Sponge / Lundsten Coral / Best of Times (Worst of All)

Nicht mein Fall: -

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Samstag, 18. August 2018

Puberty Strikes Again




















Ziemlich genau zwei Jahre ist es her, dass Mitzki Miyawaki zu meiner persönlichen Pop-Hoffnung wurde. Ihr gerade erschienenes zweites Album Puberty 2 war zu diesem Zeitpunkt alles, was man sich von einer jungen, hungrigen Künstlerin wünschen konnte und dafür vor allem schon ganz schön ausgewachsen. Die Art, wie sie konsequent Americana, Indierock und Electronica vermischte, hatte bereits viel von einem sehr persönlichen Stil, war kompositorisch unglaublich spannend und sorgte mit Happy oder Your Best American Girl sogar für ein paar anständige Single-Auskopplungen. Rückblickend war es vielleicht eines der originellsten und spannendsten Arbeiten jener Saison, was ich seinerzeit leider nicht ganz kapiert hatte. Der Hauptgrund, warum ich damals so reagierte, war das unbestimmte Gefühl, dass hier noch viel Luft nach oben war. Trotz aller Definiertheit war Puberty 2 noch immer etwas zerfasert, wenig fokussiert und mit 31 Minuten schlicht und ergreifend zu kurz. Mitski präsentierte ein Konzept, das für sich sehr gut war, aber noch die richtige Umsetzung brauchte. Und für diese Aufgabe sah ich die Platte vor, die nun in Form von Be the Cowboy Wirklichkeit geworden ist. Ich hoffte, die Sängerin wäre hier in ihrem Stil vollständig angekommen, würde ihre vielen experimentellen Ansätze besser artikulieren und vor allem ein geschlossenes Gesamtwerk von größerem Format abliefern. Was oberflächlich gesehen auch irgendwie zutrifft. Die Songs, die die New Yorkerin hier schreibt, sind ein Stück generischer, verlieren dabei aber nichts von ihrer Vielschichtigkeit, haben textlich jede Menge Charakter und beherrschen musikalisch die optimale Balance zwischen experimenteller Ausgelassenheit und strukturiertem Pop-Songwriting. Dass Mitski dabei auch verstärkt Elemente aus New Wave und Synthpop einbaut, macht Be the Cowboy darüber hinaus noch zu einer kleinen stilistischen Weiterentwicklung. Im großen und ganzen muss man aber sehr klar sagen, dass es sich bei diesen Veränderungen eher um Marginalien handelt. Konzeptuell betrachtet spielt die Platte die Idee von Puberty 2 sehr konsequent weiter und ist künstlerisch nicht der von mir erhoffte Schritt in Richtung charakteristischer Größe. Mit 32 Minuten ist die LP auch nur ganz wenig länger als ihr Vorgänger und sehr kurze Songs spielen hier eine noch stärkere Rolle als vor zwei Jahren. Wo das aber klingt wie Kritik, bin ich, um ehrlich zu sein, begeistert davon, wie Mitski das hier hinkriegt. Be the Cowboy ist ganz klar eine bessere Gesamtleistung als Puberty 2 und das nicht zuletzt, weil die Dinge, die ich beim letzten Mal noch kritisiert habe, hier plötzlich funktionieren. Füllmaterial gibt es hier gar keines mehr, dafür tolle Einzeltracks wie Geyser, Me & My Husband, Two Slow Dancers oder Washing Machine Heart, die auch prima in den Gesamtflow passen. Darüber hinaus klingen viele Performances souveräner und klanglich befreiter. Mitski hat also mit ganz anderen Mitteln das erreicht, was ich mit von ihr gewünscht habe. Und wenn das am Ende unterm Strich steht, will ich wirklich nicht meckern. Zumal sie hier ihren Status als eine der wirklich besonderen Figuren im Bereich Artpop mit Leichtigkeit verteidigt und wir jetzt an einem Punkt sind, wo endlich auch mal der Rest der Welt hinhört. Was beim letzten Mal noch eine vorsichtige Ahnung war, hat sich mit Be the Cowboy für mich nun eindeutig bestätigt: Mit dieser Frau ist zu rechnen. Und dieses Album ist ihr erster richtig fetter Fußabdruck in der modernen Musiklandschaft.






Persönliche Highlights: Geyser / Old Friend / Remember My Name / Me & My Husband / Nobody / Washing Machine Heart / Two Slow Dancers

Nicht mein Fall: -

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Freitag, 17. August 2018

Nicht Nico




















Die Band Die Heiterkeit war für mich in diesem Format bisher nie ein Thema, und eigentlich hatte das bisher auch keinen wirklichen Grund. Was ich vor diesem Artikel von ihnen wusste war, dass es sie gab und dass sie meistens von intelligenten Kunstmenschen gemocht werden. Seit ein paar Tagen weiß ich jetzt auch noch, dass ich sie nicht besonders mag, weil ich mir sie angehört habe. Ich weiß außerdem, dass Stella Sommer ihre Sängerin ist, denn sie ist der Grund, warum ich Die Heiterkeit hörte. Und das wiederum hängt damit zusammen, dass sie gerade aus dem Stand ein ziemlich gutes Solo-Debüt veröffentlicht hat, das zum Glück reichlich wenig mit ihrer Band zu tun hat. Sicher, Sommer hat einen ziemlich unverwechselbaren stimmlichen Fußabdruck, der ganz klar Vergleiche hervorruft, auch wenn sie hier englisch singt. Doch in fast allem anderen streift die Hamburgerin hier jegliche Stilmittel ab, die man mit ihr verbindet und erfindet sich auf 13 Kinds of Happiness als artsy, kosmopolite Songwriterin neu. Und das hat auch einen Effekt auf ihre allgemeine Wirkung. Denn als im Frühjahr dieses Jahres ihre erste Single Light Winds bei den richtigen Leuten landete, fanden das auch außerhalb Deutschlands ein paar von ihnen gut und plötzlich steht Stella Sommer international auf manch einer Trendsetter-Liste. Was aber sicherlich auch damit zusammenhängt, das sie hier noch mehr denn je an eine andere sehr bekannte deutsche Songwriterin erinnert, die in Übersee erfolgreich wurde und sogar eine Platte mit Velvet Underground machte. Man braucht eigentlich nur wenige Minuten, um bei diesen Songs an Nico zu denken. Nicht nur wegen Sommers sonorer Stimme und dem absichtlich dick aufgetragenen Akzent, auch kompositorisch gibt es Parallelen: Tracks wie I Had No Idea oder das Titelstück nehmen ganz klar große Inspiration aus sehr verschiedenen musikalischen Phasen der Sängerin, was aber nicht unbedingt bedeutet, dass die komplette Platte nur geklaut ist. Das Nico-Plagiat ist eine Grundstimmung, die Sommer jedoch mit allen möglichen stilistischen Ausflüchten zu zerstreuen vermag. Da gibt es beispielsweise das düstere und groovige Dark Princess, Dark Prince, das leicht an Americana angelehnte A Certain Glow, das eher elektronisch getragene For A Loner oder mein persönlicher Favorit, die Klavierballade Birds of the Night im Duett mit Dirk von Lowtzow. Der Closer Hierhin kommt der Teufel ist sogar auf deutsch gesungen. Alle Songs umschwebt darüber hinaus ein leichter Hauch von Gothrock, der mitunter auch mal zum sehr konkreten Ian Curtis-Moment werden kann. Wenn Stella Sommer also schon nicht besonders originell ist, so befindet sie sich einflusstechnisch zumindest in ziemlich illustrer Gesellschaft. Man kann sagen was man will, die Platte ist insgesamt sehr stimmig und man hat trotz allem den Eindruck, die Sängerin tut hier etwas künstlerisch sehr wertvolles. Nicht etwa so wie bei Die Heiterkeit, wo man sich das einfach selbst einredet, sondern hier hat man tatsächlich das Gefühl. Für mich persönlich schafft sie es sogar, hier ein bisschen die Art von Künstlerin zu sein, die Leute wie Chelsea Wolfe und Perfume Genius wahrscheinlich nie für mich sein werden. Und das ist für das Debüt einer Sängerin, die ich bisher nicht kannte und die ich verachtet hätte, falls ich sie gekannt hätte, doch gar nicht so schlecht. Im Optimalfall ist 13 Kinds of Happiness ein Album, dass im Nachhinein auf die Karriere von Frau Sommer abstrahlt und vielleicht auch ihre Band irgendwann halbwegs genießbar macht. Im schlimmsten Fall ist es dann die Platte, auf die man verweisen kann und sagt "Die war auch mal richtig gut.", beziehungsweise die wahrscheinlichere Variante "Die klang mal ziemlich wie Nico".






Persönliche Highlights: 13 Kinds of Happiness / Light Winds / Do You Still Love Me Now? / Dark Princess, Dark Prince / Birds of the Night / Collapse/Collapsing / Hierhin kommt der Teufel

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Donnerstag, 16. August 2018

Broken Soul




















Dafür, dass in den letzten Tagen und Wochen gerade alle total auf die Musik der jungen Tirzah abfahren, ist sie eine ziemlich schwer greifbare Künstlerin. Sie ist bisher lediglich durch eine einzige 12-Inch irgendwelchen Superexperten bekannt, hatte bisher keinen Single-Hit, ihre Produzentin ist eine ehemalige Schulfreundin von ihr und niemand weiß so richtig, wer sie eigentlich ist. Alles, was wir wissen ist, dass sie einen Vertrag beim Edel-Indie Domino Recordings hat und ganz plötzlich auch dieses Debütalbum hier, das gerade ein paar wichtige Leute ziemlich verrückt macht. Und im Gegensatz zu ihrer Person wird man hier mit der Klarheit darüber förmlich erschlagen: Devotion ist eine Platte, die viele Dinge anders und spannend anpackt und darin wahnsinnig souverän agiert. Die Britin nimmt hier die trendigen Sounds des experimentellen R'n'B und tut nicht weniger, als ihnen die Knochen zu brechen. Musikalische Strukturen zerreißt sie und schickt ihre Bestandteile in völlig unterschiedliche Richtungen, sie dreht klangliche Erwartungen durch den Fleischwolf und schafft mit kompositorischen Pinseltupfern, wozu andere selbst mit 30 Produzent*innen nicht imstande sind. Sie ist also definitiv ziemlich talentiert. Was Devotion aber abgesehen davon noch viel spannender macht ist, mit welcher Seelenruhe sie hier ihre eigene Musik ausweidet. Die Entspanntheit, mit der viele Songs hier einen Sound zerlegen, ist fast psychopathisch und sorgt bei den Hörenden dafür, dass man von der Cleverness dieser LP fast gar nichts mitbekommt. Sicher gibt es die ein oder andere Stelle, wo eine Synth-Passage mal auffällig flackert oder der Beat absichtlich komisch ist (ganz zu schweigen von der fetten Metal-Gitarre am Anfang von Guilty), die meiste Zeit könnte man das hier aber auch ein ziemlich lethargisches R'n'B-Werkstück im Stile einer Teyana Taylor oder Sudan Archives halten. Größtenteils liegt das an Tirzahs Stimme, die mit ihrer naiv aufgetragenen, schlumpigen Art eigentlich etwas zu niedlich ist für so aufgekratzte, minimalistische Musik. Erst wenn man etwas genauer hinhört und der Gesang mal in den Hintergrund tritt, fällt auf, was die Sängerin hier nebenbei eigentlich abzieht. Die Instrumentals, die sie wahlweise mit dem Synthesizer, mit Loops oder mit dem Piano baut, möchte man anfangs fast etwas dümmlich nennen. Die Begleitungen, die Tirzah spielt, sind winzig und eine 13-lährige Klavierschülerin könnte die meisten davon mit Leichtigkeit imitieren, doch der Ertrag ist maximal. Denn obwohl die Stücke hier so minimalistisch komponiert sind, wirken sie nur sehr selten spröde oder einfältig, teilweise haben sie sogar sehr flächigen Charakter. Das liegt zum einen daran, dass die Britin auch wirklich gut singen kann und mit ihrer Stimme hier trotz schlampiger Technik viel ausfüllt, zum anderen daran, dass die wenigen Elemente hier verdammt gut abgemischt wurden. Unterm Strich kommt dabei am Ende einiges raus. Erstens ein experimentelles R'n'B-Album, das die Bezeichung "experimentell" mit Bravour verdient hat, zweitens eine Künstlerin, die einiges an Potenzial birgt und drittens ein Ergebnis, das vergeblich nach Artverwandten sucht. Tirzah klingt hier wie keine ihrer Zeitgenoss*innen, schon gar nicht innerhalb des Soul-Kontextes. Und wo das hier schon sehr gut geworden ist, bin ich überzeugt, dass dieser Faktor vor allem in fernerer Zukunft noch viel besser zur Geltung kommen könnte, wenn die Sängerin erstmal weiß, was sie drauf hat. Wenn man mich fragt, ist das hier eine klasse LP, aber auch erst der Anfang.






Persönliche Highlights: Fine Again / Do You Know / Holding On / Devotion / Go Now / Say When / Reach

Nicht mein Fall: Guilty

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Mittwoch, 15. August 2018

Zu spät




















Es gab vielleicht mal einen Zeitpunkt, da hätte Ben Khan eine dieser großen Newcomer-Sensationen werden können, von denen die Leute von der Presse immer so viel schreiben. Zwischen 2014 und 2015, als der Brite seine ersten Gehversuche als Musiker direkt mit ein paar sehr gelungenen EPs bestritt, witterten es die ersten schon. Da hatte jemand mal wirklich Talent. Man spürte es zu diesem Zeitpunkt: Sobald der Junge ein Debüt veröffentlichen würde, würden sich die Kritiken überschlagen. Nur dass er genau das danach immer nicht gemacht hat. Khan war stattdessen in Indien, holte sich Inspiration, machte so dies und jenes und hatte Zwischendurch auch mal gar keinen Bock auf neues Material. Und an dieser Stelle kommt plötzlich die sehr undankbare Seite des Musikjournalismus zum Vorschein, der dann doch nicht ewig auf diese kommende Platte warten wollte und den jungen Songwriter schlichtweg vergaß. Drei Jahre später ist das Debüt nun fertig, aber keine Sau interessiert das ganze. Ben Khan lässt sich schlecht vermarkten, er ist mittlerweile etwas untrendy geworden und außerdem hat Twin Shadow vor ein paar Monaten schon ein Album gemacht, das ziemlich ähnlich klingt. Sorry Bruder, dumm gelaufen. Was diesen Leuten allerdings entgeht, ist eines der mit Sicherheit schicksten Indiepop-Alben dieses Sommers, das definitiv noch einiges an Potenzial in diesem Typen zeigt. Sicher, Ben Khan ist stilistisch nicht wirklich an vorderster Front, was Innovation angeht, fast hätte ich für das, was er hier spielt, sogar den Uralt-Begriff des Indietronic strapaziert, aber Songs kann er dafür schreiben. Zwischen verfrickeltem Elektro, Retro-R'n'B, neuem R'n'B und einem kleinen bisschen Folk (aus Europa und aus dem mittleren Osten) schafft er hier eine sehr edle und erlauchte Ästhetik, die noch vor ein paar Jahren bei Berliner Clubbesitzern für feuchte Höschen gesorgt hätte. Seine Tracks sind psychedelisch, aber auf eine charmant-zurückhaltende Art, sie zitieren Peter Gabriel, Springsteen und Gerry Rafferty, aber ironisch-verwegen und mit modernem Filter: Ben Khan klingt, als hätten die Veranstalter*innen des Melt!-Festivals heimlich eine künstliche Intelligenz programmiert, die das Repertoire des gesamten Line-Ups seit 2010 gelernt hat, nur um selbiges ab nächstem Jahr langsam aber sicher komplett zu ersetzen. Ein bisschen Porches, ein bisschen James Blake, ein bisschen Jamie XX, ein bisschen Moderat. Und obwohl das jetzt gehässig klingt, finde ich das eigentlich ganz cool. Mein Gott, musikalisch ist das vielleicht nicht mehr ganz up to date und ein bisschen abgeschaut, aber ich bin eben auch keiner von diesen Pressefuzzis, für die nur dieses Kriterium zählt. Denn gute, verschrobene Popsongs sind das hier allemal. Mit Stücken wie 2000 Angels, Do It Right oder Ruby sind sogar echte kleine Meisterwerke dabei, die unbedingt gewürdigt gehören. Ein großer Newcomer wird Ben Khan damit nicht mehr, aber ganz ehrlich, wer will sowas überhaupt sein. Ich finde es eher sehr mutig und abgebrüht, dass er sich mit seinem Debüt Zeit gelassen hat und damit zwar seinen Entdeckungs-Bonus verspielt hat, dafür mit dem Ergebnis aber wahrscheinlich auch zufrieden ist und hier ein ernsthaft gutes Album vorweisen kann. Und so hören diese Musik jetzt wenigstens auch nur diejenigen, die sie auch wirklich ehrlich mögen und nicht nur die, die denken, es wäre cool. So kann man die Hipster natürlich auch austricksen.






Persönliche Highlights: 2000 Angels / Do It Right / Ruby / Merchant Prince / Warriors Rose

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