Donnerstag, 2. August 2018

Schnelldurchlauf: Juli 2018 (Code Orange, Khemmis, Popcaan, Sophie und und und)

Dass der Juli 2018 mal wieder ein bisschen sehr der Monat des Sommerlochs wurde, kam mir ehrlich gesagt ganz gelegen. Denn so viele Besprechungen, wie ich noch vom Juni übrig hatte, konnte ich hier endlich mal etwas meine To-Do-List abspecken, was folglich aber auch heißt, dass in dieser Liste ebenfalls viele Juni-Platten abgerissen werden. Da ist zum Beispiel der dritte Longplayer des ehemaligen Smiths- und Modest Mouse-Gitarristen Johnny Marr, der ja immerhin so etwas wie eine musikalische Legende ist. Wo sein erstes Soloprojekt vor fünf Jahren aber noch eine sehr spannende Angelegenheit war, hat er seitdem ständig abgenommen. Schon Playland von 2014 war ziemlich mau, mit Call the Comet bewegt er sich nun endgültig im Bereich alternder und irrelevanter britischer Indiesternchen, die das Musikmachen nur noch als Beschäftigungstherapie betreiben. Allerdings immernoch zehnmal besser als das, was Morrisey macht. Ebenfalls als Veteran gilt in bestimmten Kreisen der Rapper Busdriver, der Anfang Juni mit Electricity is On Our Side eines seiner größten Projekte der letzten Jahre aufgenommen hat. In starken 82 Minuten Spielzeit schmeißt der MC sich darin noch stärker als sonst an Jazz-Instrumentals an, was vor allem deswegen cool ist, weil er einen der krassesten Flows überhaupt auf dieser Welt hat und diesen hier gerne mal an die instrumentalen Improvisations-Eskapaden anschmiegt. Und wo das sicherlich wahnsinnig spannend und technisch brilliant ist, hat die Platte am Ende doch definitiv ihre Längen und ist stilistisch leider sehr sprunghaft. Sicherlich eines der spannendsten Rap-Performance-Alben des Jahres, aber letztlich kein überzeugendes Gesamtwerk. Wenn man ein anderes ausuferndes Jazz-Epos suchte, war im Juni außerdem noch Kamasi Washington zur Stelle. Der Genre-Nerd und Saxofonist, bei dem unter 4 LPs generell nichts geht, veröffentlichte mit dem Zwei-Stunden-und-Zweiundzwanzig-Minuten-Klopper Heaven & Earth ein vergleichsweise moderat langes Album, das sehr im Stil seines Vorgängers the Epic steht. Das war mir damals an vielen Stellen doch zu ausufernd und spielte klanglich an zu vielen Fronten mit, weshalb die neue Platte mir schon wesentlich besser gefällt. Seine abertausenden Einflüsse kehrt Washington hier ein wenig zusammen und formiert eine festere musikalische Identität, die sich vor allem durch den Einsatz von Streichern und durch viele Fusion-Elemente absetzt. Manko ist allerdings auch hier wieder die unglaubliche Schwere des Projekts sowie das fehlende Auge bei Gastmusiker*innen. Definitiv ein toller Künstler, aber als künstlerisches Zehn-Gänge-Menü etwas, das mich nach wie vor überfordert. Da waren Code Orange diesmal schon eher nach meinem Geschmack: Ihre neue EP the Hurt Will Go On hat zwar nur drei Songs, die sind dafür aber meiner Meinung nach ihre bisher besten. Die Power Violence-Maschine ballert hier so heftig wie sonst immer, diesmal aber endlich auch mit dem nötigen Fokus und tollen kreativen Momenten. Dazu gehört übrigens auch das Feature von Slipknot-Frontmann Corey Taylor in the Hunt. Und obwohl dieses Kleinformat als einer der besten Metal-Momente 2018 eigentlich eine Besprechung verdient gehabt hätte, hoffe ich ja heimlich, dass das hier erstmal nur der Vorbote für ein neues Album ist. Worauf ich mich ganz sicher freuen würde, denn so gut wie hier klangen Code Orange noch nie.
Bleiben wir bei lauter Musik: Sowohl Skeletonwitch als auch Immortal haben im Juli neue Alben veröffentlicht, beide sind ziemlich gut, aber beide auch sehr klassisch. Besonders die Norweger wetteifern auf Northern Chaos Gods eigentlich nur darum, am derbsten ihr eigenes Klischee zu bedienen. Das ist okay, weil ich meinen Black Metal auch mal traditionell mag und diese Band ihn definitiv spielen kann, hat man aber alles auch schon mal besser gehört. Noch immer ein völliges Rätsel ist mir hingegen der Hype um Khemmis, die seit einigen Jahren die Szene-Schlagzeilen zu beherrschen scheinen. Desolation heißt ihr drittes Album und präsentiert wie seine Vorgänger seichten Heavy- und Doom Metal, der in meinen Augen ganz furchtbar umgesetzt ist. Das Songwriting ist ziemlich lahm, die Soli ziemlicher Kram und der Typ am Mikro kann nicht singen, will aber Rob Halford sein. Das einzige wirklich geniale an ihren Platten ist wie immer das sehr ansehnliche Cartoon-Artwork. Ein Eyecatcher, den diesen Monat im wahrsten Sinne des Wortes auch Vein auf ihrer Seite hatten. Auf der Vorderseite ihres Debüts Errorzone ist die Operation eines Augapfels zu sehen, was definitiv zum musikalischen Inhalt der LP passt. Ihr Stil ist eine Mischung aus den Neunziger-Inkarnationen von Bands wie Dillinger Escape Plan, Converge oder Refused, also ziemlich derbes Zeug, das teilweise auch vor elektronischen Elementen nicht zurückschreckt. Das ist eigentlich ganz schick so, wird aber noch zu sehr vom Chaos beherrscht und ist dann doch ein bisschen sehr zurechtkopiert. Könnte aber sein, dass sich hier gerade einer der spannenderen Posthardcore-Acts der nächsten Jahre entwickelt. Über den Status eines Newcomers ist der britische Künstler Sophie mittlerweile definitiv hinaus (die Verwendung des männlichen Pronomens ist in den folgenden Sätzen reine Spekulation), obgleich mit Oil of Every Pearls Un-Insides gerade erst sein Debütalbum erscheint. Der ehemalige PC Music-Produzent, der unter anderem schon für Madonna, Charli XCX und Vince Staples gearbeitet hat, war bisher eigentlich eher eines von diesen anonymen Internet-Phänomenen, die rein über Videos und Singles eine Karriere aufgebaut haben. Demzufolge ist sein Erstlingswerk nun auch eher eine Art Compilation diverser bereits erschienener Songs, was die Platte logischerweise eher zu einer sehr zerfahrenen und richtungslosen Angelegenheit macht. Woher in den letzten Wochen der riesige Hype um ihn kam ist mir ehrlich gesagt ziemlich schleierhaft, für mich ist seine Musik eher viel edgy Effekthascherei und wenig Substanz. Wobei er mir als Produzent dann doch auch mal ganz gut gefällt. Neben seinem eigenen Debüt arbeitete er nämlich zuletzt auch noch am zweiten Album der Folk-Band Let's Eat Grandma mit und verpasste diesem einen ziemlich revolutionären Einschlag. Zwar klangen die Briten schon immer ziemlich weird, die umfangreiche Kollaboration mit Sophie lässt ihr Material aber nun endgültig in den Bereich des Folk-Tronic abdriften. Was auf den ersten Singles aber noch sensationell anmutete, hat auf LP-Format das gleiche Problem wie Oil of...: Zu viele verschiedene Richtungen, keine einheitliche Ästhetik. Aber wenigstens können Let's Eat Grandma einigermaßen gute Songs schreiben, was sie vor dem schlimmsten bewahrt.
Eine Band, die ich mehr oder weniger aufmerksam immer noch gern verfolge, sind die Briten the Wave Pictures. Als Indieband der Generation Dismemberment Plan und Death Cab For Cutie sind sie 2018 eher von geringerer Relevanz, allerdings kann man bei ihnen immer noch auf eine echte Perle hoffen. Die letzte war das Album Long Black Cars von 2012 und auch ihre neue Platte Brushes With Happiness lässt sich zumindest nicht lumpen. Mitunter geraten die Stücke hier etwas eintönig und ihre Art von lyrischem Humor ist durchaus etwas eingerostet, ansonsten aber ein recht stabiles, gefälliges Indierock-Projekt. Ein besseres Wort als "gefällig" kann man dieser Tage auch über Collections of Colonies of Bees nicht mehr verlieren, deren neues Album Hawaii eigentlich kaum noch jemanden interessiert hat. Dabei ist es eigentlich ganz in Ordnung, wie es so zwischen Folk, Electronica und Postrock hin und her spielt, allerdings ist das Kollektiv aus Milwaukee mittlerweile auch ziemlich erhaben geworden. Was auf dieser LP läuft, ist Musik für reiche, weiße und gutausgebildete Mittvierziger zum Samstagabend anhören und sich kulturvoll fühlen. Das heißt nicht unbedingt, dass sie doof ist, ich fühle mich hier nur irgendwie weit außerhalb dieser Zielgruppe. Wobei ein Album wie Forever von Popcaan, das angeblich eher für meinesgleichen zugeschnitten sein soll, noch viel weniger beeindruckt hat. Ich war eigentlich immer ein Befürworter seiner Musik und seines doch sehr umstrittenen Updates von Dancehall-Ideen, diese LP ist allerdings mehr oder weniger alles schlechte daran: Stromlinienförmige, perfekt auf Spotify-Publikum zugeschnittener Reißbrett-Pop, der die Gehörkanäle genauso schnell wieder verlässt, wie er reinkommt. Wahrscheinlich soll diese Stockfoto-Galerie von einem Album eine Sommerplatte sein, für mich ist sie allerdings einfach nur öde und frei von jeglicher Emotion. Ähnlich geht es mir leider auch mit dem Comeback von Melody's Echo Chamber, in das ich eigentlich große Hoffnungen gelegt hatte. Nach den dramatischen mehrmaligen Verzögerungen, die das Projekt Bon Voyage in den letzten Jahren hinnehmen musste und den ambitionierten psychedelischen Singles hoffte ich einfach, dass der viele Aufwand sich hier gelohnt haben würde. Allerdings nützt das breit gefächerte Instrumentarium, die langen und sinfonischen Songs und der ganze Zinnober wenig, wenn die Komposition dahinter schwächelt. Arbeitstechnisch das Opus Magnum von Melody Prochet, leider aber keine LP, an die man sich lange erinnern wird.
Soviel nun zu den letzten zwei Monaten, die als zusammengefasstes Sommerloch dann doch ganz schön viel abgeworfen haben. Der August wird Release-technisch dennoch um einiges actionreicher, unter anderem mit Platten von Mitski, Nothing, Interpol, Ken Mode, Idles und Mogwai. Wahrscheinlich also auch wieder mehr ausführliches...

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