Donnerstag, 9. August 2018

Beste Platten: 1960


















Es wird mal wieder Zeit für ein bisschen Abwechslung hier. Über haufenweise neue Platten zu schreiben macht sicherlich Spaß, aber mitunter drängt es mich durchaus, zum einen Mal aus dem üblichen Muster auszusteigen und andererseits auch mal wieder über Musik von früher zu schreiben. Und da es das Retro-Review nun bereits seit einigen Jahren nicht mehr gibt und ich sonst kein anderes Ventil weiß (vor allem aus Zeitgründen), kam mir diese eine Sache gerade recht. Über eine ganze Weile habe ich nun schon angefangen, mich mehr oder weniger systematisch durch einzelne Diskografien, bestimmte musikalische Phasen oder auch einfach nur ganz simpel durch Veröffentlichungsjahre zu hören. Aus verschiedenen Quellen habe ich dabei Impulse gesammelt, was aus diesen Rubriken hörenswert sei und bin nun an einem Punkt angelangt, eine erste dieser abgearbeiteten Listen weiterzugeben: Platten aus dem Jahr 1960. Zehn davon habe ich hier versammelt, wesentlich mehr davon im Laufe der letzten anderthalb Jahre durchgehört. Der Prozess war dabei sehr langwierig, allerdings auch deshalb, weil ich das hier als Freizeitprojekt handhabe, das ausschließlich dann aktiv wird, wenn wirklich nichts anderes ansteht. Regelmäßikeit ist bei diesen Listen also kein Kriterium. Es geht lediglich darum, euch ein paar meiner alten Lieblingsalben ans Herz zu legen und vielleicht eines Tages einen einigermaßen vollständigen Katalog davon online zu haben. Mit 1960 möchte ich dabei anfangen und mich Stück für Stück zurück in die Zukunft arbeiten. Mal sehen, wie weit ich dabei überhaupt komme. Aber der Anfang ist mit diesem Post erstmal gemacht.



10. DUKE JORDAN QUINTET
Flight to Jordan

Die wirklich fetten Jahre waren für Duke Jordan als Bandleader 1960 eigentlich schon vorbei. Der ehemals im Quintett von Charlie Parker aktive Pianist erlebte seine großen Solo-Heydays Mitte der Fünfziger, als er mit Größen wie Art Blakey und Stan Getz arbeitete. Mit Flight to Jordan gelingt ihm dennoch eine Art mittelspätes Highlight seiner Karriere. Neben Jordan selbst als Hauptakteur spielen auf dieser LP unter anderem auch Stanley Turrentine und der fantastische Drummer Art Taylor, die hier ein vielseitiges und stimmiges Sammelsorium an Tracks präsentieren. Spannend dabei ist, wie zurückhaltend die Band auf dem gesamten Album arbeitet, obwohl mitunter ziemlich fetzige Bebop-Nummern gezockt werden. Die besten Momente erlebt die Platte aber dennoch, wenn Jordan allein an den Tasten zu hören ist.



09. JOHN COLTRANE
Giant Steps

Giant Steps als einen Klassiker zu bezeichnen, wäre vielleicht zu viel gesagt, unter vielen Bewundernden gilt die Platte dennoch als einer der Höhepunkte der Coltrane-Diskografie. Meiner Ansicht nach eine relative Angelegenheit: Die LP ist nicht wirklich visionär und schmiegt sich in vielen Momenten an den trendigen Sound der damaligen Zeit, ist dabei aber absolut makellos. Für die frühen Sechziger ist Giant Steps das perfekte Pop-Album, das auch durch einzelne Momente heraussticht. Die atemberaubende Melodieführung in Mr. P.C. ist Coltrane-Solokunst wie aus dem Lehrbuch und mit Naima macht er hier in meinen Augen einen seiner besten Tracks überhaupt. Kein Höhepunkt seiner Karriere, aber auch keine Platte, die man vernachlässigen sollte.




08. THELONIOUS MONK QUARTET
At the Blackhawk

Eine Erkenntnis, die ich aus dem intensiven Studium alter Jazz-Platten entnommen habe, ist die immense Bedeutung, die Live-Alben aus der damaligen Zeit haben. Die Chemie, die zwischen den einzelnen Akteur*innen und teilweise auch dem Publikum herrscht, fängt für mich so viel besser den Geist von Jazzmusik ein als Studioaufnahmen. Thelonious Monks Gig im legendären Blackhawk in San Fransisco ist da nur ein Beispiel. Faszinierend ist bei ihm vor allem, wie unglaublich verspielt er hier ist und teilweise abstruse Dissonanzen in die Tasten haut, die von seiner Band zu meinem Staunen auch noch ohne viel Gewese von seiner Band übernommen werden. In diesem Konzertmitschnitt erlebt man einen Hauch davon, warum Monk heute als einer der großen Freigeister und Innovatoren des Modern Jazz gilt. Ein Eindruck, der im Studio sicherlich nicht so entstanden wäre.



07. DUKE ELLINGTON
Blues in Orbit

Wer Big Band-Sound und Swing im allgemeinen für einen musikalischen Witz und eine billige Mainstream-Mutation von "ehrlicher" Jazzmusik hält, dem kann diese LP mit Nachdruck das Gegenteil beweisen. Duke Ellington, der ewige Großmeister des Genres, beweist auf Blues in Orbit mit filigranen Orchestrierungen, melodischen Ausflüchten und einem verhältnismäßig experimentellen Ansatz, wie seriös sein Metier gerne auch sein kann. Wobei der Name hier Programm ist: Mit ihrem weitläufigen, getragenen und gerne auch bombastischen Sound fängt diese Platte tatsächlich ein wenig das Gefühl der einsamen Weiten des Alls ein, zu einem Zeitpunkt, als diese noch mehr oder weniger komplette Zukunftsmusik waren. Definitiv ein erster großer Schritt in Richtung einer Idee, wie so etwas zu klingen hat.



06. JOHN LEE HOOKER
Travelin'

1960 war John Lee Hooker bereits ein einigermaßen altes Eisen und eine feste Größe im Blues, mit Travelin' entstand hier jedoch eines seiner besten Alben. Als ultimatives Erlebnis klassischer Blues-Ästhetik ist dieses Dutzend Songs hier kaum zu übertreffen und Hooker könnte als ihr Botschafter kein besserer sein. Seine Stücke übers Reisen sind zutiefst ehrlich und erdend, obgleich der Künstler dahinter zu diesem Zeitpunkt schon lange alles andere als ein Landstreicher war. Trotzdem klingt dieses Album, als wäre es in seiner Gesamtheit in tausend Zugwaggons und auf den Highways des amerikanischen Kontinents geschrieben worden. Dass man überall die Verstärker rumpeln hört und der beklemmende Klang des Studios jedes noch so hochauflösende Remaster überlebt hat, schadet dabei ebenfalls kein bisschen.



05. FRANK SINATRA
Nice'n'Easy

Auch fast 60 Jahre nach diesem Album ist es einfach nur beeindruckend, wie dieser Typ es versteht, mit seiner Stimme zu arbeiten. Es ist vollkommen egal, dass diese Platte rein theoretisch ein bisschen monoton ist, die Texte darauf aus heutiger Sicht in höchstem Maße zweifelhaft sind und sich eigentlich auch nur um ein einziges Thema drehen: Sinatra als Performer ist zeitlos charmant. Wie er jede Silbe hier auf kleinste nuanciert, sich ganz entspannt in die dicke Orchestrierung einlümmelt und sein Timbre versprüht wie ein sündhaft teures Parfüm, davon kann ich einfach nur fasziniert sein. Ob im swingenden Titelstück, im dramatischen How Deep is the Ocean oder dem vorsichtig jazzenden I've Got A Crush On You, Sinatra singt, als müsste nach Nice'n'Easy nie wieder ein einziges Liebeslied aufgenommen werden. Noch nie klang Sexismus so fabelhaft!



04. CURTIS FULLER
Images of Curtis Fuller

Unter den vielen, vielen guten Jazz-Platten, die ich im Laufe der letzten anderthalb Jahre von 1960 gehört habe, steht Images of Curtis Fuller noch immer als eines der buntesten und unterhaltsamsten für mich heraus. Das liegt größtenteils daran, dass sich der Posaunist aus Detroit hier nicht zurückhält, seine Songs gern auch aufwändig zu instrumentieren. So beschäftigt Fuller hier über weite Teile hinweg einen kompletten Bläsersatz, der mitunter fast Diexiemusik spielt, an anderen Stellen glänzen wunderbare Flötenparts. Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenoss*innen setzt er dabei nicht ganz so stark auf Solierungen, was der Platte insgesamt eine gewisse Formelhaftigkeit nimmt. Leider Gottes aber ein Album, bei dem man viel Glück braucht, um es überhaupt zu finden.




03. EDEN AHBEZ
Eden's Island

Die Figur des Eden Ahbez ist bis heute einer der spannendsten Charaktere in der Popmusikgeschichte, eine Lektüre seines Wikipedia-Artikels kann ich an dieser Stelle wärmstens empfehlen. Demzufolge kann man auch beim einzigen Studioalbum, das er zu Lebzeiten veröffentlichte, wenig konventionelles erwarten. Für seine Zeit nicht weniger als avantgardistisch, nimmt Eden's Island in meinen Augen einiges vorweg, was später von einigen Künstler*innen der Hippie-Bewegung aufgegriffen und populär wurde. Ganz zu schweigen von Dingen wie Field Recordings und Spoken Word-Lyrics, die Ahbez hier ganz selbstverständlich verwendet. Dieses Album ist einer der seltsamsten Schätze der Popmusik und es ist ein riesiges Glück und ein kleines Wunder, dass es überhaupt existiert. Andernfalls würden wohl noch weniger Menschen um diesen eigenwilligen Protagonisten den frühen Popmusik wissen.



02. MUDDY WATERS
At Newport 1960
Die meisten Blues-Künstler*innen sind erfahrungsgemäß dann am besten, wenn man sie reduziert hört, begleitet von einer Gitarre, maximal einer Mundharmonika. Nicht so Muddy Waters, der streitbare Superstar des Genres, der besser als Rocker mit ordentlich Backing funktioniert. Bei seinem Gig auf dem Newport Folk Festival im Sommer 1960 fährt er demnach auch sämtliche Geschütze auf. Begleitet von einer gut bestückten Band spielt er hier ein actiongeladenes Set, dessen Konserve ein echtes Schmuckstück ist. Großartig aufgenommen präsentiert es den typischen Sound des Musikers, unter anderem auch Hits wie Got My Mojo Working und Hoochie Coochie Man, in fantastischen Interpretationen. Möglicherweise ein besseres Dokument für das Talent Waters' als jede Studioaufnahme.




01. MILES DAVIS
Sketches of Spain





















Obwohl von Miles Davis selbst damals mit Arrangeur Gil Evans mehr oder weniger zwischen Tür und Angel aufgenommen, ist Sketches of Spain das vielleicht größte Album des legendären Trompeters. Ganz einfach, weil es bis heute das Verständnis von Jazz und populärer Musik an sich komplett transzendiert. Weil es in keinen Kontext passt, ob nun 1960 oder 2018. Weil es noch immer überrascht. Ständig kratzt Davis hier an den Grenzen modernen klassischer Komposition, spielt bis zu viertelstündige Mini-Sinfonien, kokettiert mit spanischer Folklore als Stilmittel und opfert vorhersehbare Songstrukturen für eine alles umgarnende Atmosphäre, die man inzwischen von modernen Filmsoundtracks kennt. Es ist das erste Album, auf dem der Musiker das gewohnte Territorium von Jazz bisweilen komplett verlässt um etwas zu schaffen, das man als eine Art Proto-Fusion-Idee bezeichnen könnte. Doch auch vor diesem Hintergrund ist das Projekt einzigartig und unvergleichlich bis heute und funktioniert ganz anders als ein Bitches Brew oder ein On the Corner. So anders, dass man sich fragt, ob man eigentlich noch Popmusik dazu sagen kann. In meinen Augen wagt sich Miles Davis hier zumindest weit in die Grauzone hinein und liefert eine extreme Ausprägung davon, was mit ihren Mitteln möglich ist. Die Expedition dahin liefert uns dafür eines der schönsten und bemerkenswertesten Alben, nicht nur im Bereich des Jazz, sondern überhaupt.



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