Donnerstag, 16. August 2018

Broken Soul




















Dafür, dass in den letzten Tagen und Wochen gerade alle total auf die Musik der jungen Tirzah abfahren, ist sie eine ziemlich schwer greifbare Künstlerin. Sie ist bisher lediglich durch eine einzige 12-Inch irgendwelchen Superexperten bekannt, hatte bisher keinen Single-Hit, ihre Produzentin ist eine ehemalige Schulfreundin von ihr und niemand weiß so richtig, wer sie eigentlich ist. Alles, was wir wissen ist, dass sie einen Vertrag beim Edel-Indie Domino Recordings hat und ganz plötzlich auch dieses Debütalbum hier, das gerade ein paar wichtige Leute ziemlich verrückt macht. Und im Gegensatz zu ihrer Person wird man hier mit der Klarheit darüber förmlich erschlagen: Devotion ist eine Platte, die viele Dinge anders und spannend anpackt und darin wahnsinnig souverän agiert. Die Britin nimmt hier die trendigen Sounds des experimentellen R'n'B und tut nicht weniger, als ihnen die Knochen zu brechen. Musikalische Strukturen zerreißt sie und schickt ihre Bestandteile in völlig unterschiedliche Richtungen, sie dreht klangliche Erwartungen durch den Fleischwolf und schafft mit kompositorischen Pinseltupfern, wozu andere selbst mit 30 Produzent*innen nicht imstande sind. Sie ist also definitiv ziemlich talentiert. Was Devotion aber abgesehen davon noch viel spannender macht ist, mit welcher Seelenruhe sie hier ihre eigene Musik ausweidet. Die Entspanntheit, mit der viele Songs hier einen Sound zerlegen, ist fast psychopathisch und sorgt bei den Hörenden dafür, dass man von der Cleverness dieser LP fast gar nichts mitbekommt. Sicher gibt es die ein oder andere Stelle, wo eine Synth-Passage mal auffällig flackert oder der Beat absichtlich komisch ist (ganz zu schweigen von der fetten Metal-Gitarre am Anfang von Guilty), die meiste Zeit könnte man das hier aber auch ein ziemlich lethargisches R'n'B-Werkstück im Stile einer Teyana Taylor oder Sudan Archives halten. Größtenteils liegt das an Tirzahs Stimme, die mit ihrer naiv aufgetragenen, schlumpigen Art eigentlich etwas zu niedlich ist für so aufgekratzte, minimalistische Musik. Erst wenn man etwas genauer hinhört und der Gesang mal in den Hintergrund tritt, fällt auf, was die Sängerin hier nebenbei eigentlich abzieht. Die Instrumentals, die sie wahlweise mit dem Synthesizer, mit Loops oder mit dem Piano baut, möchte man anfangs fast etwas dümmlich nennen. Die Begleitungen, die Tirzah spielt, sind winzig und eine 13-lährige Klavierschülerin könnte die meisten davon mit Leichtigkeit imitieren, doch der Ertrag ist maximal. Denn obwohl die Stücke hier so minimalistisch komponiert sind, wirken sie nur sehr selten spröde oder einfältig, teilweise haben sie sogar sehr flächigen Charakter. Das liegt zum einen daran, dass die Britin auch wirklich gut singen kann und mit ihrer Stimme hier trotz schlampiger Technik viel ausfüllt, zum anderen daran, dass die wenigen Elemente hier verdammt gut abgemischt wurden. Unterm Strich kommt dabei am Ende einiges raus. Erstens ein experimentelles R'n'B-Album, das die Bezeichung "experimentell" mit Bravour verdient hat, zweitens eine Künstlerin, die einiges an Potenzial birgt und drittens ein Ergebnis, das vergeblich nach Artverwandten sucht. Tirzah klingt hier wie keine ihrer Zeitgenoss*innen, schon gar nicht innerhalb des Soul-Kontextes. Und wo das hier schon sehr gut geworden ist, bin ich überzeugt, dass dieser Faktor vor allem in fernerer Zukunft noch viel besser zur Geltung kommen könnte, wenn die Sängerin erstmal weiß, was sie drauf hat. Wenn man mich fragt, ist das hier eine klasse LP, aber auch erst der Anfang.






Persönliche Highlights: Fine Again / Do You Know / Holding On / Devotion / Go Now / Say When / Reach

Nicht mein Fall: Guilty

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