Mittwoch, 22. August 2018

In Echt: Vituosen der emotionalen Klaviatur

2018 ist ein denkbar komischer Zeitpunkt, La Dispute zum ersten Mal in Echt zu sehen. Nicht nur, weil die Band inzwischen seit fast vier Jahren quasi inaktiv ist (zwei Jahre, wenn man die Live-DVD Tiny Dots von 2016 mitzählt). Nicht, weil man irgendwie ziemlich viel Distanz zu ihrer Musik aufgebaut hat und nicht, weil ihre Form von Hardcore momentan etwas altbackenes hat. Vor allem ist es schockierend, dass man all diese Veränderungen überhaupt nicht mitbekommen hat. Es scheint so, als seien die fünf Menschen, die da gerade auf der Bühne stehen, nicht die echten La Dispute, sondern bestenfalls welche, die sehr gut so tun als ob. Jordan Dreyer sieht nicht mehr aus wie ein schmächtiger Teenager, Brad Vander Lugts Mähne würde izwischen jedem Stoner-Gitarristen alle Ehre machen und der Rest der Band ist gefühlt überhaupt nicht identifizierbar (im Falle des neuen Tourgitarristen ist das auch faktisch so). Es hat zunächst etwas befremdliches, diese Leute auf der Bühne zu sehen. Allerdings auch nur bis zu dem Moment, wo sie anfangen, Musik zu spielen und man sich sicher ist: Ja, das sind La Dispute! Und zwar nicht die La Dispute, in die ich mich 2012, als ich das erste Mal Safer in the Forest hörte, verschossen hatte, sondern eine Formation, die sechs Jahre später in die Gegenwart gehechtet kommt und sich mit großen Schritten wieder ihren Platz auf den Bühnen Europas einräumt. Gestern Abend war Berlin dran. Als Vorband spielen noch die Briten von Svalbard, die an dieser Stelle zumindest mal erwähnt gehören. Ihre atmosphärisch-brutale Mixtur aus Blackgaze und Hardcore weiß zwar nicht genau, in welche Pose sie sich lieber schwingen soll, ist musikalisch aber ein guter Einstand und hat zum Glück wenig von einer undankbaren Support-Show. Zumindest ist es schon zu diesem Zeitpunkt schwer, einen gescheiten Platz in der Halle des Columbia-Theaters zu finden, das nur als Ausweichmöglichkeit herhalten muss, denn ursprünglich war das Konzert im Bi Nuu angesetzt. Der Vorteil der ganzen Sache ist, dass hier die Raumakustik kaum besser sein könnte und Svalbard nicht laut spielen müssen um mitzureißen. Als eine gute halbe Stunde später der Hauptact die Bühne betritt, werden die Regler natürlich trotzdem nochmal um ein paar Dimensionen nach oben gerissen. Die Setlist am heutigen Abend ist eine ganz leicht andere als bei den letzten Konzerten (setlist.fm weiß Bescheid!), statt mit Scenes From the Highways 1981-2009 beginnt die Band mit Harder Harmonies, was definitiv gut ankommt. Im letzten Refrain steigt schon hier das ganze Publikum ein und trägt den Song mit. Es soll nicht das letzte Mal bleiben. Der klare Fokuspunkt der Show liegt dabei das ganze Konzert über klar bei Jordan Dreyer, der im Gegensatz zum ziemlich passiven Rest der Musiker mit viel Körpereinsatz performt, nicht unähnlich seinem einstigen Vorbild Cedric Bixler-Zavala. Er hat dabei eher etwas von einem Rapper als von einem Sänger, spuckt seine Geschichten teilweise als rotzige Bars ins Mikrofon und lässt sich regelmäßig von den anwesenden Zuschauer*innen unter die Arme greifen, die zumindest in den ersten Reihen allesamt textsicher sind. Nach dem Opener folgen diverse Tracks des letzten Albums, sowie das uralte Why It Scares Me vom 2010er Split mit Touché Amoré. Immer wieder nutzt Dreyer Spielpausen dabei für Ansagen, bedankt sich bei Svalbard, bei den Veranstaltenden, spricht über respektvollen Umgang miteinander auf Konzerten und kündigt beinah nebenbei einen neuen Longplayer an, der "somewhere in the future" erscheint. Die aktuelle Tour ist also auch mehr als  bloße Fitnessübung und Gruppentherapie. Wobei es bis auf weiteres bei altem Material bleibt, das gespielt wird. Eine besondere Rolle nehmen hierbei die Stücke der ersten La Dispute-LP Somewhere at the Bottom of the River Between Vega and Altair ein, von der bald ein Remaster erscheint. Im regulären Set finden letztendlich nur Damaged Goods und Said the King to the River Platz, die sind dafür aber auch die Highlights des Abends. Viele Wildlife-Songs, die während der gesamten bisherigen Tour prominent vertreten waren, tauchen heute nicht auf, schade finde ich es vor allem um mein persönliches (Mit-)Lieblingsstück Safer in the Forest/Love Song for Poor Michigan. Stattdessen fördert die Band mit the Most Beautiful Bitter Fruit und You and I in Unison zwei Deep Cuts zutage, die ich eher nicht erwartet hätte und die immerhin gute Alternativen darstellen. Wenn es überhaupt etwas gibt, was so gar nicht funktioniert, sind es die beiden Woman-Tracks, die ziemlich am Ende des Konzerts kommen. Das Publikum macht zwar brav mit, im Gesamtkontext wirken sie aber eher mau und langweilig. Bei For Mayor in Splitsville stelle ich wiederum fest, dass der Song eigentlich schon immer eine ziemliche Schnulze war. Es ist aber am heutigen Abend eher weniger die Frage, welche Nummern La Dispute spielen oder ob diese akkurat performt sind (was übrigens trotz neuer Besetzung absolut der Fall ist). Es ist die Energie, die zwischen Musikern und Publikum erzeugt wird, die besondere Momente ausmacht. Und weil das so ist, nimmt es auch niemand so richtig für voll, als die Akteure nach You and I in Unison erstmal die Bühne verlassen. Alle wissen, was jetzt noch kommt. Keine zwei Minuten nach dem "Ende" des Gigs steht die gesamte Mannschaft erneut bereit und zockt das Doppelpack aus Such Small Hands und King Park, ohne das hier wahrscheinlich viele nicht nach Hause gegangen wären. Ein klitzekleines bisschen Routine macht sich dabei auf Seiten der Band bemerkbar, was aber egal ist, weil von hier an der Rest des Saales übernimmt. Keine einzige Zeile muss Jordan Dreyer alleine singen und beim dramatischen Finale von King Park entlädt sich die ganze Spannung, die die Musiker zuvor in die Menge eingespeist haben, auf sie zurück. "Can I still get into heaven if I kill myself?", Crescendo, Vorhang, Schluss. Danach noch einen Song zu spielen, wäre auch quatsch. Das wissen La Dispute und das wissen die Zuschauer*innen. So schnell war dieser Saal nach einer Zugabe wahrscheinlich selten leer. Wobei vieles an dieser Show bis dahin eigentlich ziemlich normal war. Es könnte daran liegen, dass diese Formation gerade wieder laufen lernt, aber wirklich atemberaubend war dieses Konzert am Ende nicht. Gut auf jeden Fall, stellenweise sogar sehr, aber auch nichts, was man gesehen haben muss, wenn man kein Fan ist. 2018 sind La Dispute eine sehr abgeklärte und professionelle Band, die weiß, was bei ihren Gigs funktioniert und was nicht und die Momente wie dieses King Park-Finale oder akzentuierte Breaks gezielt performt und triggert. Sie spielen sozusagen weniger ihre Instrumente als die Menschen, die ihnen dabei zuhören. Das ist schon eine Kunst für sich, aber man muss das auch mögen. Und schlussendlich ist es vielleicht nicht ganz das, weswegen ich ihre Musik so mag. Es ist diese sehr nerdige Form des Hörens, mit Textblatt in der Hand und Fokus auf die Emotionalität, die ich mit La Dispute verbinde und das live einzufangen, ist nun mal relativ unmöglich, noch dazu auf einem Hardcore-Konzert. Objektiv war das gestern also gut, mein Herz hat es trotzdem nicht unbedingt höher schlagen lassen. Dieser Moment kommt dann wahrscheinlich erst, wenn es wieder eine Platte von ihnen gibt.

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