Dienstag, 29. August 2017

Zehn Songs: August 2017 (Taylor Swift, Alvvays, Primus, Brockhampton, A$ap Ferg und und und...)

1. PRIMUS
the Seven
Anhören
Primus waren eigentlich nie ein Thema, mit dem ich mich irgendwie eingehend beschäftigen wollte, aber diese neue Single dürfte daran einiges ändern. The Seven oder the Desaturating Seven kehrt mit seinem trockenen Retroprog-Sound zurück zu den Neunziger-Alben der Band wie Frizzle Fry und ist mal nicht nur wegen Les Claypool am Bass geil, sondern auch wegen Les Claypools Gesang. Ein skurriler U-Turn der Kalifornier, der nebenbei auch noch ein bisschen politischen Kommentar bietet. Definitiv eine der Überraschungen des Monats und ein Grund, sich auf das kommende Album zu freuen.

2. ALVVAYS
Plimsoll Punks
Anhören
Ich hatte schon gedacht, Alvvays lassen mich diesmal im Stich. Aber kurz vorm Release ihres zweiten Albums Antisociales kommt dann doch noch die eine geniale Single, die alles hat, was ich am Debüt der Kanadier so liebte: die klingelnden, flächigen Gitarren, Molly Rankins naiv-melancholischen Gesang, eine supersonnige Strophe und eine Hook, die einem für die eben noch empfundene Seligkeit eine fette Emo-Keule ins Gesicht schlägt. Vielleicht nicht das originellste, was Alvvays jemals gemacht haben, aber gut für die Nerven. Und von mir aus kann das neue Album ruhig mehr davon haben.

3. BROCKHAMPTON
Sweet
Anhören
Bisher war ich immer eher Fan der Videos von Brockhampton und weniger der Songs, doch mit dem neuen Album sind schon ein paar echte Brocken dabei. Mein persönlicher Favorit ist dabei mit Abstand Sweet, in dem sich die Rapper nicht nur einen unglaublich stimmigen Schlagabtausch liefern (das machen sie eigentlich immer), sondern endlich auch mal einen Hit schreiben. Das Sample hier ist unglaublich stark und es gibt sogar ausnahmsweise mal eine Hook. Darüber hinaus ist auch jeder einzelne des Teams hier absolut on Point und liefert eine ziemlich geniale Strophe ab. Im Austausch dafür ist das Video dafür nicht so pralle. Ja nun.

4. A$AP FERG FEAT. BUSTA RHYMES, A$AP ROCKY, DAVE EAST, FRENCH MONTANA, SNOOP DOGG & RICK ROSS
East Coast (Remix)
Anhören
Wenn ich gerade von Brockhampton als Crew sprach, die gute Posse Cuts kann, dann ist das gar nichts im Vergleich zur Party, die A$ap Ferg auf dem Remix von East Coast schmeißt. Man denkt, die letzte Strophe war schon ganz schön fire, aber dann kommt noch eine und noch eine und noch eine und es scheint einfach nie aufzuhören. Busta Rhymes: grandios. A$ap Rocky: revolutionär. French Montana: stylisch. Und wenn am Ende Rick Ross und Papa Snoop die Rückendeckung geben, weiß man, das hier ist erste Liga. Diesen Move muss Ferg erstmal einer nachmachen.

5. NOA
Golden Leaves
Anhören
Es ist extrem schön, auch diesmal wieder jemanden hier stehen zu haben, den ich nicht nur aus dem Internet kenne, sondern persönlich. Die Leipziger YouTube-Musikerin NOA gab es bisher vor allem in Live-Videos, wo sie unter anderem Songs von Lykke Li, Beirut oder Die Antwoord coverte. Jetzt aber das erste Mal originales Material von ihr zu hören, ist definitiv nochmal etwas anderes. Golden Leaves nutzt stärker elektronische Elemente, bleibt im Kern aber indiefolkig und extrem nahbar, auch wenn es am Ende ein wenig zur Sache geht. Vor allem ist das hier aber ein unglaublich gut geschriebener Song, der mich sehr neugierig macht, was NOA noch so auf dem Kasten hat. Shoutout.

6. ENTER SHIKARI
Live Outside
Anhören
Wenn man so will ist das hier mein größtes Guilty Pleasure in diesem Monat. Man kann sich schon fragen, was das hier soll, habe ich doch noch vor zweieinhalb Jahren geäußert, dass ich mir Enter Shikari "definitiv nur noch auf Trash-Niveau" anhören kann. Aber tatsächlich ist Live Outside auch eine ganz andere Baustelle: Statt sich wie zuletzt mit Skrillex-Metalcore und Gabber-New Metal selbst lächerlich zu machen, spielen die Briten hier eine Art synthetische Pop-Punk-Nummer ein, die a) die nötige Selbstironie glaubwürdig verkörpert und b) einfach mal verdammt catchy ist. Und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte damit in den letzten Wochen nicht meinen Spaß gehabt. Haters Gonna Hate.

7. DER WEG EINER FREIHEIT
Finisterre
Anhören
Der beste Song vom neuen Album ist und bleibt Skepsis 2, aber der war hier schon im Mai und genügend gute Songs gibt es auf der Platte ja weiß Gott. Zum Beispiel den extrem groovigen und schmissigen Titelsong, der mit seinem Green-Day-Schlagzeugpart am Anfang für Black Metal fast ein bisschen zu drollig ist. Aber keine Sorge, Nikita Kamprad und der Rest der Band holen das Ding in seinen elf Minuten schnell genug wieder runter und machen doch noch eine richtig brutale DWEF-Schwarte daraus. Wobei diese nachher auch wieder in fast jazzige Postrock-Gefilde abdriftet. Und wieder mal zeigt, wie unglaublich progressiv die Bayern eigentlich sein können. Ein Allrounder-Song und ein weiteres Highlight dieser grandiosen neuen LP.

8.TAYLOR SWIFT
Look What You Made Me Do
Anhören
Ja, okay, es ist geil. Anfänglich war ich noch etwas misstrauisch, ob ich diese Lyrics und Taylors Nicht-Edgyness cool finde, aber schon nach wenigen Tagen kann ich diese Frage mit einem klaren Ja beantworten. Look What You Made Me Do steht ihrem fantastischen letzten Album fürs erste in nichts nach und auch wenn die Hook von Right Said Fred geklaut ist: Sie funktioniert wahnsinnig gut. Dazu gibt es eine geniale Klavier-Bridge, ein tierisch cooles Gitarrensolo im letzten Teil und diese Frau kann einfach verdammt nochmal Hits schreiben. So wie es im Moment aussieht, wird Frau Swift also weiterhin die beste Pop-Dive der letzten Jahre bleiben.

9. THE NATIONAL
Day I Die
Anhören
Heute erschienen und kurz vor knapp noch in diese Liste gerutscht ist die neue Single von the National, die im Vorfeld des neuen Albums nur noch mehr Verwirrung stiftet. Nach den zwei doofen Singles the System Only Dreams in Total Darkness und Carin at the Liquor Store und dem absolut genialen Guilty Party kommt hier ein Song, der vor allem auf lyrischer Ebene anspricht. Matt Berninger singt über verflossene Freundschaft, Sehnsucht und das alles wieder so tragisch, dass man direkt denkt, man wäre selbst schon in der Midlife-Crisis. Zum Glück konnte man diese Woche gut mit XXXtentacion kontern.

10. THE CLIENTELE
Everyone You Meet
Anhören
Noch ist der Sommer 2017 nicht vorbei, was heißt, dass noch Zeit ist für wolkige Shoegaze-Balladen wie diese hier. Die altehrwürdigen the Clientele machen hier einen denkbar gemütlichen Song, der mit Retro-Super-8-Video, massiven Streichern und Shalala-Refrain die richtige Melancholie für die kommende Jahreszeit einstellt, aber die letzten Tage nochmal doppelt so schon werden lässt. Und mich ganz nebenbei das erste Mal wirklich neugierig auf ein Album dieser Band macht. Auch wenn ich hoffe, dass dort noch ein bisschen mehr Energie geboten wird.

CWTE auf Facebook

Montag, 28. August 2017

Schnelldurchlauf: August 2017 (Oh Sees, Brockhampton, Tera Melos, Lazy Lizard Gang und und und...)

Da ich mir die nächsten Wochen noch einmal komplett frei nehmen werde und in dieser Zeit nicht beabsichtige, neue Besprechungen zu veröffentlichen, habe ich für die restlichen für mich relevanten Releases des Monats August hier noch einmal eine knappe Übersicht gemacht. Über die meisten dieser Platten hätte ich gerne ausführlich gesprochen, aber die Zeit hat wie immer gegen mich gearbeitet. Hier also noch ein paar Platten aus den letzten Wochen:

LIARS
T.F.C.F.
Die letzten, verstärkt elektronischen und sehr abgefahrenen Alben der Liars mochte ich eigentlich sehr gerne, doch auf T.F.C.F. geht die Band für meine Begriffe den entscheidenden Schritt in die falsche Richtung. Die LP ist ein anstrengender, experimenteller Klumpen Musik, der so gar nichts von der Catchyness seines Vorgängers hat. Kurzum: Wen das Cover schon abschreckt, der kann sich den Rest komplett sparen. 6/11

OH SEES
Orc
Die Namensabkürzung der Ex-Thee Oh Sees kann dem Sound der Band wenig anhaben, Orc klingt wie die konsequente Fortführung des auf A Weird Exits etablierten Psych-Kraut-Sounds. An manchen Stellen sind die Kalifornier hier vielleicht etwas sanfter, aber dafür Riff-technisch auch nicht mehr ganz so stark. Insgesamt eine solide Platte und alles wie immer. 7/11


BROCKHAMPTON
Saturation II
Das Debütalbum des texanischen Rap-Kollektivs vom Juni fand ich ein bisschen überbewertet, doch der gerade mal zwei Monate später erscheinende Nachfolger hat es schon mehr in sich. Zumindest ist diese LP für ein paar extrem starke Banger wie Gummy, Sweet oder Teeth gut, die sich hier deutlich absetzen. Was ich abgesehen davon sehr empfehlen kann sind Kevin Abstracts Musikvideos zu diesen Tracks, von denen jedes zu den besten dieses Jahres gehört. 8/11

TERA MELOS
Trash Generator
Die mittlerweile zur Institution für guten Mathrock gewordenen Tera Melos machen mit Trash Generator ein überraschend dreckiges und punkiges Album, das aus dieser Ästhetik aber durchaus seine Qualitäten bezieht. Gleichzeitig sind mir die Kalifornier in diesem Vorhaben noch zu zaghaft und hätten an einigen Stellen ruhig ein wenig mehr auf die Tube drücken können. Kann ja aber auch nicht jeder Pauwels sein, wa? 7/11

SANNHET
So Numb
Vor zwei Jahren eine kleine Hoffnung am atmosphärischen Black Metal-Himmel, haben sich Sannhet aus New York mit ihrem zweiten Album zu einem seltsamen Postrock-New-Wave-Amalgam entwickelt, dass ziemlich langweilige, ätherische Musik spielt. Zwar ist So Numb ein klanglich recht gutes Album, doch passiert hier kompositorisch zu wenig, das mich irgendwie überzeugt. Dranbleiben lohnt sich bei dieser Band trotzdem. 8/11

LAZY LIZARD GANG
Wald
Den Hippie-Umweltaktivismus-Trap dieses ulkigen Konglomerats empfand ich erst als nicen Witz, doch bin jetzt doch überrascht, wie cool dieses Tape geworden ist. Die Produktion von AsadJohn ist wie immer on point und die selbstironischen Texte der LLGs sind auf eine seltsame Art und Weise stimmig. Die einzige Frage bleibt, warum Cem Özdemir diese Jungs bisher ignoriert hat. 7/11


UNKLE
the Road Pt. 1
Ihre Platten könnten noch so scheiße sein, ich höre wahrscheinlich niemals damit auf, die neuen Sachen alter Jahrtausendwende-Bigbeat-Helden zu hören. Und so übel sind die heutzutage ja nichtmal, obwohl diese LP von Unkle hier doch schon arg nach späten Neunzigern klingt. The Road Pt. 1 ist sicherlich was für Fans dieses Sounds, aber die werden hier glücklich. 8/11


THE DUKE SPIRIT
Sky is Mine
Die originellste Band der Welt waren die Briten noch nie, aber Sky ist Mine ist schon ein extrem auswechselbares Album. Wer von the Joy Formidable, Sharon Van Etten und Angel Olsen noch nicht genug hat, der kann sich hier alles nochmal in doppelter Ausführung geben. Eine musikalische Bereicherung wird man dabei jedoch nicht erfahren. 5/11





CWTE auf Facebook

Samstag, 26. August 2017

Routine Killed the Rock'n'Roll Star

Man kann die Queens of the Stone Age nicht hassen. Ich weiß das, denn ich habe es lange genug versucht. Als ich während der späten Nullerjahre erstmals so etwas wie ein musikalisches Bewusstsein entwickelte, spielten die Kalifornier schon sehr lange die Art von Rockmusik, die ich auch in der Folgezeit lernte, aufs tiefste zu verachten: Schnelle, schnippische und deftige Songs, die irgendwie in der Tradition von klassischen Bands wie Led Zeppelin, T.Rex und ZZ Top standen, aber in ihrer Ausführung doch zu modern waren, um wirklich vintage zu klingen. Noch dazu hatten Queens of the Stone Age Erfolg damit und waren deshalb für mich maximal ekelhaft. Zumindest in der Theorie. Denn in der Praxis gab es eben Stücke wie Go With the Flow, Little Sister, In My Head oder Make It With Chu, die über jeden Zweifel erhaben waren. So sehr man sich auch das Gegenteil wünschte: Diese Band konnte einfach keine schlechten Songs schreiben. Sich mit dieser Erkenntnis abzufinden, hat Jahre gedauert. Dass ich den Output von QOTSA mittlerweile vorbehaltlos genießen kann, ist eine ziemliche Erlösung. Denn nur so gelang es mir, mit einer gesunden Einstellung auf ihr neues Album Villains zuzugehen. Diesmal hatte ich es endlich geschafft, wirklich unvoreingenommen an ihre Musik heranzugehen, mich wie jeder normale Mensch auf das kommende Spektakel zu freuen und nicht heimlich zu hoffen, dass sie es letztendlich doch verkacken würden. Ich war, wie man so schön sagt, geläutert. Und was machen Queens of the Stone Age? Sie verkacken es. In dem Moment, in dem ich seit Jahren das erste Mal Bock auf ein großartiges neues Album von ihnen habe, machen sie das erste mal ein eher mittelmäßiges. Na Wunderbar! Was soll ich damit denn jetzt anfangen? Das beste ist, das ganze erstmal zu sortieren. Und Entwarnung zu geben. Denn Villains ist noch immer weit davon entfernt, wirklich kacke zu sein. QOTSA machen hier eine sehr solide gute Dreiviertelstunde Musik, die auch einige ziemlich gute Songs wie Feet Don't Fail Me, the Evil Has Landed oder Head Like A Haunted House bereit hält. Das Ganze ist absolut hörbar, gut produziert und nichts, was man nicht schon von den Kaliforniern kennen würde. Doch gerade in letzterem Punkt liegt in meinen Augen auch das Problem mit Villains. Denn im Prinzip macht die Band hier lediglich eine billige Kopie ihres letzten Albums ...Like Clockwork, die so gut wie gar nichts neues oder überraschendes zu bieten hat. Auf so gut wie allen Stücken hier hört man die etwas ruhigere, soulige Ästhetik, die den Vorgänger vor vier Jahren so cool machte, doch eben abgeschwächt und abgegriffen. Dass Josh Homme auch im Falsett gut klingt, überrascht 2017 genauso wenig wie die Tatsache, dass Balladen mittlerweile ganz selbstverständlich zum Repertoire von QOTSA gehören. Wie gesagt, all diese Elemente sind hier nach wie vor nett eingesetzt und passen perfekt zum stimmigen Songwriting, doch wer hier solche Hits wie My God is the Sun oder If I Had A Tail sucht, wird hier eher nicht fündig werden. Und das liegt in meinen Augen vor allem daran, dass die Band hier keine wirklichen Risiken eingeht. Für mich waren Queens of the Stone Age immer dann am besten, wenn sie sich auf verrückte Sachen einließen, die sich andere Retrorock-Acts aus "Ernsthaftigkeit" nicht trauten. Das machte ihre Musik irgendwie cool und gerade auf ...Like Clockwork war davon sehr viel zu hören. Hier hingegen würde man sich ab und an mal eine solche Albernheit wie ein "ooh-la-la, a-doo-ron-ron" wünschen, die einen wirklich aufhorchen lässt. Denn ohne diese war ich hier einigermaßen erschrocken, wie ereignislos diese Platte an mir vorbei zog. So etwas darf bei guter Rockmusik nicht passieren und ganz besonders nicht bei Queens of the Stone Age. Wenn so etwas passiert, dann sind sie nämlich nicht mehr besser als all die Royal Bloods, Kaleos und Schießmichtots, die ihre Coolness seit Jahren nur nachäffen können. Zu diesem Eklat ist es auf Villains zwar zum Glück noch nicht gekommen, aber es ist schon schlimm genug, dass er durch diese LP erstmals möglich scheint. Die Queens of the Stone Age müssen sich jetzt etwas überlegen, ansonsten könnte es sein, dass sie ihr Rennen gegen alle Trends zum ersten Mal verlieren.





Persönliche Highlights: Feet Don't Fail Me / Domesticated Animals / Head Like A Haunted House / Un-Reborn Again / the Evil Has Landed / Villains of Circumstance

Nicht mein Fall: Fortress

CWTE auf Facebook

Freitag, 25. August 2017

Mit uns die Sintflut

Eine ziemlich gute Band waren Der Weg einer Freiheit eigentlich schon immer. In den inzwischen fast zehn Jahren ihres Bestehens haben die Würzburger vier gute bis sehr gute Black Metal-Alben aufgenommen, von denen bisher jedes ihren Stil ein Stückchen weiter pushte. Angefangen beim ziemlich klassischem, garstigen Sound ihres Debüts hat sich die Formation in der Szene mittlerweile zu einer internationalen Marke für qualitativ hochwertigen Stoff gemausert, inklusive Plattenvertrag beim Vertrauens-Indie Season of Mist. Und wie alle coolen Black Metal-Acts sind auch DWEF zuletzt immer mehr in Richtung einer eher atmosphärischen Ästhetik abgewandert. Bei ihrem letzten Album Stellar von 2015 musste man aufpassen, dass man vor lauter Shoegaze-Breaks und Postrock-Crescendi nicht auf dämliche Floskeln wie "die deutschen Deafheaven" zurückgriff und wer diesem Sound nicht schon überdrüssig ist, dem sei an dieser Stelle die Platte noch einmal ausdrücklich empfohlen. Dass Finisterre in den letzten Monaten zu einer mit großer Spannung erwarteten LP wurde, liegt aber nur zum Teil daran. Denn wo es vor zwei Jahren noch cool war, dass DWEF sich sehr gut einem Stil anpassen konnten, klang es im Vorfeld von Album 5 so, als würden die Würzburger endgültig über sich selbst hinaus wachsen. Die Leadsingle Skepsis Pt. 2 überraschte im Mai mit eingefütterten Synthesizern, seltsam melodischen Refrains und einer Produktion, die noch zehnmal epochaler war als die des Vorgängers. Von der schammigen Gazeigkeit bei Stellar war hier nicht mehr viel zu hören, man war eher ziemlich baff ob des harten Stoffs, den die Band hier servierte. Der anfängliche Schock mündete aber alsbald in große Begeisterung und nachdem man wenig später auch den ersten Teil von Skepsis zu hören bekam, war die Aufregung groß: Allem Anschein nach würden DWEF hier mal wieder ihr bisher bestes Album veröffentlichen. Und siehe da, die Prognose hat sich bewahrheitet. Finisterre ist nach fast zehn Jahren die LP, auf der diese Band nicht mehr einfach nur eine gute Band ist. Denn das was sie hier machen, ist schon ein Stückweit einzigartig. Zumindest insofern, dass es schwer fällt, direkte Vergleiche zu dem zu ziehen, was in diesen sechs Stücken passiert. Zwar ist das hier nach wie vor der altbewährte, progressive Black Metal mit großen Versatzstücken aus Screamo und Postrock, doch er präsentiert sich hier völlig neu. Für Szene-Verhältnisse klingen DWEF hier wie Popstars, mit unglaublich clean und knackig produzierten Instrumenten, die den Pathos der Tracks ins unermessliche Steigern. Nikita Kamprads Gitarren-Mäander sind harmonisch meilenweit entfernt von klassischem Metal-Songwriting und streifen immer wieder großzügig eingebaute Dur-Oasen. Dazu kommen in Songs wie Aufbruch und Skepsis Pt. 2 noch die bereits angesprochenen, wahnsinnig clever eingefädelten Synth-Matten, die mitunter fast einen New Wave-Charakter erzeugen. Und obwohl man sie auf dem kompletten Album weniger häufig hört als ich gehofft hätte, fluten sie bei jedem Einsatz das Album mit unglaublich viel Power. Zusammen mit dem wie üblich extrem genialen Schlagzeugspiel von Tobias Schuler entsteht daraus eine LP wie ein Malstrom, der die Hörenden ab Minute Eins (also nach dem gesprochenen Intro von Aufbruch) ohne Chance auf Überlebende wegspült. Einmal angefangen, ballert Finisterre eine gute Stunde konstant durch, lässt sehr selten Platz zum Luftholen und wenn doch, dann nur, um zwei Sekunden später mit doppelter Intensität weiter zu brettern. Und immer, wenn das ganze droht, ermüdend zu werden, zaubert die Band irgendeinen coolen Trick aus dem Ärmel: Das geniale Da Capo in Skepsis Pt. 2, das prollige Eighties-Thrash-Solo in Neubeginn oder die groovigen Jazz-Drums im Titelstück. Man kommt aus dem Staunen hier nicht raus. Dabei hatte ich bis vor kurzem gedacht, diese Band könne nicht mehr besser werden. Aber Finisterre belehrt mich nicht nur eines besseren, sondern es ändert auch meine Perspektive auf DWEF. Logisch können die noch besser werden, wenn sie hier erstmal so richtig entdecken, wozu sie eigentlich fähig sind. Mit dem Stil, den die Würzburger auf dieser LP etablieren, schaffen sie sich die Basis dafür, innerhalb eines bestimmten Definitionsbereiches absolut unfickbar zu werden. Für mich sind sie es spätestens mit diesem Album.





Persönliche Highlights: Aufbruch / Ein letzter Tanz / Skepsis Pt. 1 / Skepsis Pt. 2 / Finisterre / Neubeginn

Nicht mein Fall: -

CWTE auf Facebook

Donnerstag, 24. August 2017

Kenne deine Grenzen!

"Tocotronicore" schimpfte ich die Musik, die the Hirsch Effekt spielen, einst und zielte dabei auf ihre eigentümliche Mischung aus intellektuellen deutschsprachigen Texten und Posthardcore an, mit dem ich zu diesem Zeitpunkt nicht viel anfangen konnte. Heute muss ich zugeben, dass jene Bezeichnung doch ziemlich verkürzt daherkommt, kann man den Hannoveranern doch eine unglaubliche Kreativität in ihren Songs nicht absprechen. Ihre Verbindung aus lyrischer Postpunk-Poesie, Metalcore, Progressive-Versatzstücken und Avantgarde ist mehr oder weniger einzigartig in der hiesigen Musiklandschaft und in den fünf Jahren, die seitdem vergangen sind, hat sich die Band damit ein beachtliches Publikum geschaffen. Nichtsdestotrotz hielt sich meine Leidenschaft dafür immer in Grenzen und obwohl ich jedes Mal wieder neugierig auf ihren Output war, sprach mich dieser am Ende doch meist nicht so wirklich an. Viele Motive ihres Stils fand ich übermäßig pathetisch, eine klare Linie hatten ihre Stücke nie wirklich, Nils Wittrocks Texte waren mitunter ziemlich cringy und mit verrückten Taktwechseln und verklausulierten Komposita konnte man mich sowieso noch nie so richtig beeindrucken. Dass ich über ihr viertes Album Eskapist doch wieder in dieser Ausführlichkeit spreche, liegt primär am Wunsch eines einzelnen Lesers. Doch ich will auch nicht leugnen, dass die Platte vorher irgendwie auf meinem Radar war. Wie auch vor den letzten Alben des Trios war ich ziemlich neugierig, ob es vielleicht diesmal was mit uns werden würde und im Anbetracht der Tatsache, dass Eskapist die erste LP von the Hirsch Effekt ist, die nicht mehr Teil der Holon-Serie ist, versprach ich mir hier einiges an stilistischer Veränderung. Und in gewisser Weise hat die hier auch stattgefunden. Die neuen Stücke klingen insgesamt moderner, sind weniger rustikal produziert und eine ganze Ecke technischer gespielt. Von allen Platten der Hannoveraner dürfte diese mit Abstand die vertrakteste und gniedeligste sein. Gleichzeitig sind aber auch die Melodien größer geworden und Wittrock traut sich noch ein bisschen mehr Pathos in seinen schmierigen Bridges zu. Fans der Band wird das sicherlich freuen, denn die besten Sachen an ihrer Musik sind hier noch einmal wesentlich intensiver vertreten. Man muss aber auch zugeben, dass diese Intensivierung lediglich die logische Folge des Sounds von Holon:Agnosie ist und wenn man mich fragt, wird er hier ein wenig verschlimmbessert. Mehr denn je klingen the Hirsch Effekt wie eine der unsäglichen Emocore-Formationen, von denen sie sich aus gutem Grund immer distanziert haben und was Texte angeht, finde ich viele Sachen hier wesentlich überflüssiger als auf den Vorgängern. Wo mich die Band auf den letzten beiden Platten zwischenzeitlich auch immer wieder schwer begeisterte, finde ich die besten Elemente auf Eskapist höchstens günstig platziert oder deshalb gut, weil sie neu sind. Wenn Lifnej beispielsweise kurz in ein Stoner-Riff übergeht oder Aldebaran im Mittelteil sehr punkig wird. Auch der Neun-Minuten-Gigant Natans ist ziemlich beeindruckend und sorgt gleich am Anfang des Albums für ordentlich Bums. An anderen Stellen wiederum frage ich mich, was sich the Hirsch Effekt dabei eigentlich gedacht haben. Muss beispielsweise Inukshuk so tief in die Tears for Fears-Trickkiste greifen? Hätte man aus Tardigrada nicht mehr machen können? Und wie sinnlos ist bitte Nocturne? An einigen Stellen wirkt Eskapist darüber hinaus etwas platt und nicht so richtig zu Ende gedacht. Ein bisschen so, als wollte die Band alle ihre coolen Stilelemente hier unbedingt reinpacken wollen, obwohl sie gar nicht unbedingt passen. Was bei mir unterm Strich wieder zum gleichen Ergebnis führt wie bei bisher jeder Hisch Effekt-LP: Wir erleben hier eine echt fette, ambitionierte Gruppe, die über Genregrenzen hinaus denkt und sich einen echt geilen Stil zurecht montiert hat, aber in ihrem kreativen Überschwang auch gerne mal großen Blödsinn anstellt. Eskapist ist irgendwie gut, aber es hätte so viel besser sein können, wenn sich die Musiker ein bisschen beherrscht hätten. Ich weiß auch, dass viele Fans genau diese Unberechenbarkeit an Hirsch Effekt mögen, nur ich komme hier nach wie vor nicht so richtig ran. Auch wenn ich dem jetzt vielleicht näher bin als noch vor fünf Jahren. Um weiterhin neugierig zu bleiben, reicht es auf jeden Fall.





Persönliche Highlights: Xenophotopia / Natans / Berceuse / Aldebaran / Autio / Lysios

Nicht mein Fall: Nocturne / Inukshuk / Acharej

CWTE auf Facebook

Dienstag, 22. August 2017

Return of the Trap Lord

Es gab mal eine Zeit, da hätte ich auf die Frage, wer denn mein Lieblings-MC des A$ap Mob ist, ohne großes Zögern den Namen A$ap Ferg genannt. Unter den vielen Rappern des Kollektivs ist er einer der wenigen, die wirklich Talent haben, die Hits schreiben können und auch auf einem Album souverän ihr Ding durchziehen. Ferg ist allerdings der einzige in der Bande, der sich dabei traut, so dermaßen schräge Sachen abzuziehen und damit auch noch durchzukommen. In meiner Besprechung seines Mixtapes Ferg Forever schrieb ich Ende 2014 die Worte "Meiner Meinung nach ist die Karriere des MCs momentan eine der sichersten Kisten im Game, ganz einfach weil sich dieser Typ irgendwie alles leisten kann". Und zu diesem Zeitpunkt war das auch so. Ferg machte nur krasse Sachen und alles daran war genial. Bis zu dem Zeitpunkt, wo es das eben nicht mehr war. Als der Rapper im letzten Juni seinen zweiten kommerziellen Longplayer Always Strife and Prosper veröffentlichte, glaubte ich schon, dass nicht mehr viel schief gehen kann, nur um dort zu sehen, wie so ziemlich alles schief ging. Die Platte war der Versuch, aus dem bis dahin aufgebauten Buzz die Karriere eines Mainstream-MCs vom Format seines Homies A$ap Rocky zu machen, was vom ersten Moment an kläglich scheiterte. Sobald Ferg nicht mehr schräg war, war er zum sterben langweilig und plötzlich waren die Sachen, die vorher so gut funktionierten, doch ziemlich peinlich. Dass diese Platte ein gutes Jahr später schon vergessen scheint, ist der größte Gefallen, den HipHop ihrem Urheber gemacht hat. Und warum auch nicht? Wenn jemand in diesem Game eine zweite Chance verdient, dann der Typ, der uns mit Shabba einst den fettesten Banger der gesamten Trap-Ära beschert hat. Zumal es in letzter Zeit wieder sehr danach aussah, als würde A$ap Ferg sich erneut dem härteren Stoff annehmen und das machen, was er am besten kann: finsteren, abstrusen und grantigen Traprap. Und obwohl die Singles, die es im Vorfeld von Still Striving gab, noch etwas Schlagseite hatten und der Titel böse an den Vorgänger erinnert, macht der Kalifornier hier tatsächlich seine erste gute Platte seit inzwischen fast drei Jahren. In knapp 50 Minuten liefert der MC hier einen fantastischen Banger nach dem anderen ab, ist so Street wie kaum ein Rapper zurzeit und zieht ganz nebenbei alles mit, was im Trap-Kosmos Rang und Namen hat. Leute wie Lil Yachty, Playboi Carti, Meek Mill, Snoop Dogg, Rick Ross oder Cam'Ron (!) sorgen hier nicht nur für den nötigen Prominenz-Faktor, sondern zeigen teilweise auch, dass sie doch ein bisschen Talent haben. Was ich auch cool finde ist, dass gleich zwei der Vorab-Singles, nämlich Mattress und East Coast, hier nicht einfach nur nochmal abgenudelt werden, sondern als Remix-Versionen hier auftauchen. Die sind zwar nicht unbedingt besser als die Originale, aber dennoch ziemlich erfrischend und eben nochmal was anderes. Solche Dinge sind es, die ich an A$ap Fergs Album-Spirit so sehr mag. Wo wir davon aber gerade mal reden, muss ich doch sagen, dass Still Striving zwar gut ist, aber eben auch nichts wirklich neues oder aufregendes bietet. Wir erleben hier ein stimmiges, durchweg bretterndes Trap-Album, das man aber so auch schon von ihm gehört hat. So innovativ, wie Trap Lord und Ferg Forever damals waren, ist das hier bei weitem nicht und klanglich hinkt es dem Trend sogar ein bisschen hinterher. Wer hier also wieder Maßstäbe für das Genre erwartet, den muss ich leider enttäuschen. Trotzdem ist es nicht weniger schön, Ferg hier wieder auf dem Level zu erleben, das er eigentlich immer hatte und so großartige Songs von ihm zu bekommen. Auch den etwas gestrigen Sound mag ich persönlich sogar ein bisschen, weil er eben nach wie vor wesentlich mehr Power hat als Migos oder Yachty. In meinen Augen ist Still Striving deshalb sogar eines der besten Trap-Projekte, die es dieses Jahr bisher gegeben hat. Weil eben keiner mehr den Schneid hat, den dieser Typ hat. Vielleicht macht mich das zu einem sehr konservativen Trap-Fan, aber so ist es nun mal. Und dieser Mann nennt sich ja schließlich nicht umsonst den Lord der Szene.





Persönliche Highlights: Trap & A Dream / Rubber Band Man / Olympian / Aww Yeah / Coach Cartier / Plain Jane / Mattress (Remix) / One Night Savage / East Coast (Remix)

Nicht mein Fall: Nandos

CWTE auf Facebook

Montag, 21. August 2017

And Don't the Kids Just Love It?

In den letzten Jahren, in denen ich dieses Format hier geführt habe, bin ich, teilweise sehr zu meiner eigenen Überraschung, zu einem ziemlich glühenden Fan von amerikanischem Jahrtausendwende-Emorock geworden. Ich habe das Revival von 2013/14 weit über seine Schmerzgrenze hinweg hofiert, habe das Genie des Conor Oberst für mich entdeckt, mich in Sunny Day Real Estate und Built to Spill verliebt und kann inzwischen sogar Jimmy Eat World ganz gut hören. Stand 2017 würde ich mich also durchaus als Emo-Fan bezeichnen. Allerdings gibt es da immer noch eine Sache, für die mich die meisten anderen Fans wahrscheinlich gerne in italienische Stiefel stecken würden, und das ist mein Unverständnis für den ewigen Hype um Brand New. Seit mittlerweile fast zwanzig Jahren machen die New Yorker jetzt gemeinsam Musik und gelten mittlerweile als ganz große Player der Szene-Historie. Platten wie Déjà Entendu oder the Devil and God Are Raging Inside Me gehören zum kleinen Einmaleins des klassischen Zweitausender-Emorock und werden von vielen geliebt wie ihre eigenen Geschwister. Nur ich scheine sie immer ziemlich scheiße zu finden. Überhaupt empfand ich die Musik von Brand New immer als viel zu poliert und kraftmeiernd, um mich wirklich zu bewegen und leider ist das auch auf Science Fiction nicht anders. In Anbetracht der Tatsache, dass diese Platte ihre erste seit nunmehr acht Jahren ist, ließ ich mich im Vorfeld ein wenig dazu hinreißen, optimistisch auf ihr Comeback zu blicken. Doch wenn ich mir das hier jetzt so anhöre, frage ich mich schon, woher das eigentlich kam. Zwar klingen Brand New hier tatsächlich ein ganzes Stück anders als auf den beiden vorherigen Alben, doch dabei nicht wirklich besser. Der gendiegene, etwas weniger rockige Sound entblöst sogar noch mehr das gruselige Dadrock-Countrypop-Herz dieser Band und verbreitet finstere Gavin Rossdale-Stimmung. Wer sich beispielsweise die Schmonzballade In the Water oder anhört und keine komplette Geschmacksverirrung hat, dem dürfte ebenfalls ein kalter Schauer über den Rücken laufen. Es ist echt ziemlich ekelhaft. Doch zum Glück ist nicht alles hier so schlimm. Im Gegensatz zu American Footballs Comeback vom letzten Jahr ist hier der Großteil der Songs einfach nur langweilig und es gibt sogar ein paar Lichtblicke wie das folkige Could Never Have Been oder das grungige No Control. Einen richtigen Aha-Moment gibt es jedoch in den gesamten 61 Minuten nicht und dass es nicht mal ein paar coole Riffs wie auf the Devil and God... gibt, ist schon echt miese Verarsche. Selbst als Fan würde ich hier wahrscheinlich ziemlich auf die Barrikanden gehen und mich betrogen fühlen. Komischerweise lieben die Emokids von damals aber die neue LP und beschreien online schon den nächsten großen Klassiker der Band. Von mir aus soll Science Fiction das gerne sein, solange ich dabei nicht mitmachen muss. Das hier zu verstehen, habe ich eh schon lange aufgegeben.





Persönliche Highlights: Could Never Have Been / Same Logic / Teeth / No Control / Batter Up

Nicht mein Fall: Lit Me Up / Can't Get It Out / Out of Mana / In the Water / Desert / 451

CWTE auf Facebook

Sonntag, 20. August 2017

Nicht mehr cool

Dass King Gizzard & the Lizard Wizard innerhalb der letzten anderthalb Jahre vor allem mit Projekten aufgefallen sind, die im Bereich des experimentellen Psychedelic Rock stattfinden, hat ein bisschen davon abgelenkt, dass die Australier eigentlich gar nicht primär solche Musik machen. Angefangen hat die Band vor knapp zehn Jahren noch mit Surfrock, später kamen akustischer westeuropäischer Folk und Garagenpunk hinzu, bevor 2014 mit I'm Your Mind Fuzz das psychedelische "Gizzverse" eröffnet wurde, durch welches King Gizzard seitdem mit kleineren Unterbrechungen schweben. Dass sie mit Sketches of Brunswick East also eine ziemlich Jazz-orientierte Platte machen, ist also höchstens auf den ersten Blick verwunderlich. Diese Band kann vieles, und wenn es an der Umsetzung hapert, holen sie sich eben ein paar Kolleg*innen dazu. In diesem Fall ist das das kalifornische Indie-Kollektiv Mild High Club, das bereits in der Vergangenheit durch Alben wie Timeline auffiel, die einen starken Cool Jazz-Einschlag aufwiesen und genau den Chill-Faktor doppelt und dreifach hatten, der den hektischen King Gizzard meistens fehlt. Ihre Kompetenz in Sachen Instrumentarium (Querflöte, Mellotron, Glockenspiel) verleiht dem Projekt hier den richtigen klanglichen Touch, um es mit diesen Songs aufzunehmen und sorgt für ein erfrischend entspanntes neues Release nach den stressigen letzten beiden Platten. Das Vorhaben dabei ist auf jeden Fall nicht schlecht und man muss den Australiern dabei auf jeden Fall den Überaschungseffekt zugestehen. Nicht nur klingt Sketches of Brunswick East mal wieder völlig neu, es war am Freitag auch ohne jede Ankündigung plötzlich da. Doch aus eben diesen Gründen muss man ihnen auch wieder den Vorwurf machen, hier einen Schnellschuss zu veröffentlichen. Was wir hier hören, ist mittlerweile das dritte Album von King Gizzard in diesem Jahr und es erscheint gerade Mal anderthalb Monate nach Murder of the Universe, was man ihm auch anhört. Die stilistische Mission, die die beiden Bands hier verfolgen, ist zwar erkennbar und sorgt  für jede Menge schöne Momente, dennoch ist das Songwriting hier durchgängig ziemlich schlampig und mehr als eine nette Spielerei sind die 13 Songs nicht. Ähnlich wie beim Vorgänger hat man das Gefühl, dass die Platte wesentlich besser geworden wäre, hätte man ihr mehr Zeit gegeben und alles etwas gründlicher ausformuliert. Gerade darin bestand für mich bisher zumindest immer die Faszination in dieser Gruppe. Dass sie jetzt in Rekordtempo in alle Richtugen ausholen, ist zwar auch spannend, aber eben nur solange dabei auch coole Platten rauskommen. Und ich habe zuletzt ein bisschen das Gefühl, dass das erheblich zu kurz kommt. Wenn es nach mir ginge, könnten sich King Gizzard ihren Release-Reigen für den Rest des Jahres gerne sparen und dafür nächstes Jahr wieder eine LP vom Format Flying Microtonal Banana oder Nonagon Infinity machen. Denn um ehrlich zu sein: Langsam habe ich auf diese flachen Bälle von ihnen keine Lust mehr, was in Anbetracht meiner Begeisterung für die Band am Anfang des Jahres schon echt traurig ist. Im Moment hoffe ich einfach nur noch, dass sie nicht Omar Rodriguez werden. Das wäre ihrem immensen Talent nämlich unangemessen.





Persönliche Highlights: Sketches of Brunswick East I / Sketches of Brunswick East II / A Journey to (S)Hell / You Can Be Your Silhouette / Sketches of Brunswick East III

Nicht mein Fall: -

CWTE auf Facebook

Samstag, 19. August 2017

Der Gemütlichkeits-Knick

Man konnte die Musik von Grizzly Bear bisher als sehr vieles beschreiben, aber als langweilig ganz bestimmt nicht. Das Quartett aus Brooklyn gehört zu der Sorte Indiefolk-Bands, bei denen man sich eigentlich nie so richtig sicher war, ob Indiefolk überhaupt der passende Begriff für ihre Platten war. Seit ihrer Gründung vor fast 20 Jahren haben diese Jungs Prog, Elektro, Krautrock, Psychedelica und Jazz ausprobiert und dabei immer irgendwie alles gleichzeitig gemacht, was ihnen mehr als einmal den Ruf von Pop-Genies einbrachte. Alben wie Veckatimest und Shields gelten heutzutage als Indiepop für Feinschmecker und Grizzly Bear selbst als absolute Experten für stilvolle Crossover-Musik. Dementsprechend seltsam war es, sie im Vorfeld ihres neuen Longplayers so schüchtern wie selten zuvor zu erleben. Unter der ganzen Reihe an Singles, die es in den letzten Monaten gab, war keine einzige dabei, die so nach vorne ging wie die letzten Platten, und irgendwie wirkten die New Yorker hier das erste Mal so, als hätten sie auf sich selbst keine Lust mehr. Das ist natürlich wieder mal ein bisschen übertrieben von mir. In Wahrheit haben sich Grizzly Bear auf Painted Ruins einfach dazu entschlossen, ein etwas zurückhaltenderes Album aufzunehmen, was in ihrer jetzigen Phase auch gar keine blöde Idee ist. Nach vier guten LPs schaffen sie es somit, noch einmal eine neue Facette ihrer Kunst aufzuzeigen und mal etwas anderes zu machen als hibbeligen Indiepop. Das ist per se eine schöne Sache und es ist dabei auf keinen Fall so, dass die Band nicht die nötige Motivation dafür aufbringt, doch so stark wie zuletzt ist das Ergebnis am Ende eben doch nicht. Das liegt weniger an der Entscheidung, es hier gediegener anzugehen, als an der, die neuen Songs auch in Sachen Songwriting offener anzugehen. Im Gegensatz zu den vollgestopften, unglaublich melodischen Indie-Hits, die es gerade auf Veckatimest gab, lässt Painted Ruins große Stellen frei, skizziert große Melodiebögen nur an oder lässt sich lange Zeit, um Strukturen aufzubauen. Und das funktioniert als ästhetisches Mittel eben nur manchmal. Stücke wie Mourning Sound oder Four Cypresses sind gut geworden, könnten aber auch besser sein. Und im Kontext des gesamten Albums fehlt mitunter eben doch der ein oder andere Paukenschlag, der ein bisschen Bums in die Sache bringt. Losing All Sense versucht das mit seinem peppigen Uptempo-Songwriting zwar einigermaßen erfolgreich, doch versandet am Ende doch wieder in Gefälligkeit. Das geht leider auch vielen anderen Tracks so. Im Gesamteindruck bedeutet das folglich, dass es auf Painted Ruins zwar keinen wirklich schwachen Song gibt und Grizzly Bear durchweg sehr vernünftige und kreative Musik spielen, es aber auch an Überraschungen und Zäsuren fehlt, die mich aufhorchen lassen. So plätschert die Platte eben 50 Minuten vor sich her, ohne dass man sich besonders viel davon mitnimmt. Das ist zwar alles Jammern auf hohem Niveau, bei einer Band wie dieser kann man sich das aber auch durchaus erlauben. Schließlich gelten sie inzwischen als Experten auf ihrem Gebiet und haben bisher gezeigt, dass sie so etwas besser können. Wenn ich ihnen hier also zum ersten Mal nur eine Zwei Plus geben kann, ist das für niemanden ein Grund, weinend zu Mutti zu rennen. Denn wer einmal ein Streber ist, wird es höchstwahrscheinlich auch immer bleiben.





Persönliche Highlights: Wasted Acres / Four Cypresses / Losing All Sense / Cut-Out / Glass Hillside / Neighbors / Sky Took Hold

Nicht mein Fall: Systole

CWTE auf Facebook

Freitag, 18. August 2017

Pop der Verbitterung

Ach ja, Steven Wilson. Mit wenigen Dingen habe ich mich so sehr gegen meine eigenen Leser*innen aufgebracht wie mit meiner Meinung über diesen Künstler. Ich will nicht abstreiten, dass dieser kleine Beef immer wieder ein Grund ist, warum ich doch über seine Platten schreibe, aber es ist trotzdem witzig. Denn so scheiße, wie es vielleicht wirken mag, finde ich seine Musik eigentlich gar nicht. Bei den gefühlt paar Hundert Alben, die der Brite in den letzten 30 Jahren veröffentlicht hat, können ja schließlich nicht nur doofe dabei sein. Einige Sachen von Porcupine Tree gefallen mir beispielsweise sehr gut und auch seine letzte Soloplatte Hand.Cannot.Erase fand ich durchaus ansprechend. Und am Ende ist es auch für einen Wilson-Skeptiker wie mich immer wieder spannend, mir anzuhören, wie sich dieser Künstler ständig verändert, ob nun zum positiven oder zum negativen. Man kommt von diesem Typen einfach nicht weg. Auch wenn sein neuestes Projekt To the Bone mal wieder zeigt, warum ich ihn bisweilen ziemlich verachte. Zu den schlimmsten Phänotypen seiner Diskografie gehören in meinen Augen meistens die Alben, auf denen er versucht, Popmusik zu schreiben: So gut wie alles von No-Man und Blackfield, einige Porcupine Tree-Songs und leider auch große Teile seiner Solokarriere. Fast immer sind diese Ansätze furchtbar langweilig, altbacken und arrogant klingende Schmacht-Pakete, die dem Mainstream ein plumpes "So macht man das!" entgegen halten und dabei einfach nur wirken wie die kläglichen Versuche eines Mittvierzigers, den jungen Leuten zu zeigen, was "ordentliche Musik" ist (hier bitte ein Steve Buscemi-GIF einfügen). Es ist meistens einfach nur peinlich. Hand.Cannot.Erase war da vor zwei Jahren eine angenehme Ausnahme, insofern es dort wenigstens mal vernünftig klang, doch auf To the Bone hat man wieder mal den Eindruck, dass Steven Wilson in den letzten 20 Jahren gar keine aktuelle Musik gehört hat. Man erlebt hier einen dieser anstrengenden Musiker, die der Meinung sind, die allermeiste Ahnung von Popmusik und überhaupt allem zu haben, obwohl sie sich aus Ekel davor seit Jahren in ihrer eigenen Nische einigeln. Dann machen sie solche überproduzierten Sülz-Brocken wie das hier und behaupten, dass darin ja so viel mehr Herz steckt als sonst irgendwo. Es ist einfach nur eklig. Selbst wenn sich Wilson in Songs wie Refuge oder Pariah mit sozialkritischen Themen auseinandersetzt und dabei nicht nur dumme Sachen sagt, ertränkt er das ganze in völlig unnötigem Pathos, der alles wieder unglaubwürdig erscheinen ist. Gerade Refuge, ein fast siebenminütiger Song über das Einzelschicksal eines*r Geflüchteten, ist als Idee echt nicht schlecht. Nur klingt es hier so, als müsse dieser Mensch gleich auch noch den Ring nach Mordor bringen und dabei seinen sterbenden Hund wiederbeleben. Und da reden wir schon von einem der eher vernünftigen Tracks hier. Große Teile der LP sind noch um einiges schlimmer. Wer sich in die tiefsten Abgründe der wilson'schen Pop-Hölle begeben will, dem sei an dieser Stelle die grauenvolle Uptempo-Nummer Permanating empfohlen. Schlimmer wird es hier nicht mehr. Stattdessen gibt es sogar ein paar ganz okaye Songs hier: Das melancholisch-proggige Blank Tapes ist vielleicht nichts neues für Wilson-Fans, aber bietet eine willkommene Pause zwischen dem vielen Mist und auch das sehr rockige, irgendwie an Liam Gallagher erinnernde People Who Eat Darkness hat seine Momente. Leider sind diese Tracks nur kurze Lichtblicke und gerade deshalb besser, weil sie stilistisch so überhaupt nicht auf dieses Album passen. Sie täuschen nicht darüber hinweg, dass ich das, was Wilson hier macht, einfach nur dämlich finde. Ein Album wie To the Bone zeigt, wie lächerlich konservativ das Verständnis dieses Künstlers für Popmusik ist und wie geil er sich trotzdem dafür findet. Und wenn man mich fragt, bringt mich so eine Einstellung als Musikhörer einfach nicht weiter. Ganz davon abgesehen, dass die Platte scheiße ist. Aber keine Sorge: Ich werde deswegen jetzt nicht aufhören, über Steven Wilson zu schreiben. Dafür liebe ich es zu sehr, ihn zu hassen.





Persönliche Highlights: Blank Tapes / People Who Eat Darkness / Song of Unborn

Nicht mein Fall: To the Bone / Nowhere Now / the Same Asylum As Before / Permanating

CWTE auf Facebook

Mittwoch, 16. August 2017

Hauptsache ihr habt Spaß!

Wenn man an eine Hardcore-Punk-Supergroup aus großen Szene-Helden der vergangenen 35 Jahre denkt, hat man vielleicht so Leute wie Ian MacKaye, Kurt Ballou, Henry Rollins oder Buzz Osbourne vor Augen. Leute, die früher in ihren Klassiker-Bands waren und heutzutage eigentlich mit Allen irgendetwas cool klingendes zu fabrizieren verstehen. Aber das wäre ja auch irgendwie langweilig und nichts so richtig neues. Wie wäre es stattdessen mit Justin Pearson und Mike Crain von Retox, Dave Lombardo und Mike Patton? Klingt spannend? Gibt es seit zwei Jahren auch in echt. Dead Cross heißt das gemeinsame Projekt der vier Musiker und was man sich auf dem Papier erstmal so gar nicht vorstellen kann, ist in der Praxis zumindest mal was anderes. Was dieser Haufen macht, ist schon deshalb kein 08/15-Hardcore, weil diese Leute das gar nicht so einfach können. Lombardo hat viel zu abgefahrene Grooves drauf, die er auch hier sich nicht verkneifen kann und Patton hört man noch beim räudigsten Geschrei an, dass er das größte Stimmvolumen aller Rockmusiker hat. Das was Dead Cross damit machen, mag Szene-Hardliner vielleicht ein bisschen enttäuschen, doch für alle, die kreative Ansätze im Genre schätzen, hat dieses Debütalbum sicherlich einiges zu bieten. Die zehn Tracks in knapp 30 Minuten heizen ordentlich durch, aber genehmigen sich auch viele Ausreißer in alle möglichen Richtungen von Industrial über Doom bis Shoegaze und man ist auf jeden Fall im Vorteil, wenn man ein bisschen Sinn für Humor mitbringt. Denn was man diesem Album vorrangig anmerkt ist, dass es wohl großen Spaß gemacht haben muss, es aufzunehmen. Vieles hier, von Lombardos albernen Drum-Solos über billige Scheiß-Riffs bishin zu Pattons operretenhaftem Gesang klingen größtenteils ein bisschen übermütig und lächerlich. Und das ist gut so, denn so blöd es klingt, es macht einen großen Teil der Qualität der Songs aus. Dead Cross sind alles gute Musiker und funktionieren auch als Band ziemlich cool zusammen, doch sie sind sich ebenfalls bewusst, dass sie hier nichts weltbewegendes schaffen (wollen). Deshalb auf die alberne Schiene abzubiegen, ist gar nicht die blödeste Idee. Songs wie Obedience School oder Grave Slave sind nur deswegen so gut, weil sie sich selber nicht zu ernst nehmen und die ganze Bierernste Hardcore-Nummer, die beispielsweise Retox auch sehr gut schieben, auch mal eben in die Tasche stecken. Dass dabei kompositorisch einiges geleistet wird und die LP für Genre-Verhältnisse sehr vielseitig ist, ist ein schöner kleiner Bonus. Kurzum macht es einfach Spaß, Dead Cross beim eskalieren zuzuhören. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und den distinguiereten HC-Leuten, den Faith No More-Fans und den Hater Skaters unter euch kann ich das hier auf jeden Fall empfehlen. Auch wenn es nur ein hübscher kleiner Jux ist.





Persönliche Highlights: Obedience School / Divine Filth / Grave Slave / the Future Has Been Cancelled / Gag Reflex / Church of the Motherfuckers

Nicht mein Fall: Shillelagh

CWTE auf Facebook

Montag, 14. August 2017

Techno Music (For A Film)

Es gab in den vergangenen Jahren immer wieder viele Anfragen von bestimmten Leser*innen, ich solle doch auch mal ein paar Filmsoundtracks besprechen, was ich immer ein bisschen für problematisch hielt. Es ist eine Sache, einfach nur eine Musik zu betrachten, die losgelöst von sonstigen Eindrücken funktioniert, aber eine andere, über welche zu reden, die nur als Begleiterscheinung eines eigentlich viel größeren Werkes existiert. Insbesondere, wenn ich besagten Film nicht gesehen habe (wie im folgenden Fall), ist das immens schwierig. Deshalb hier gleich der Disclaimer: Dieser Artikel wird sich lediglich mit der Musik zu Good Time befassen und so gut wie gar nicht mit dem Inhalt des Films. Mich interessieren Platten, die auch für sich funktionieren und da ich glaube, dass dies hier so eine ist, will ich explizit darüber sprechen. Gerade Originalscores haben nämlich durchaus das Potenzial, musikalisch ganz neue Türen aufzustoßen und auf einer komplett anderen Ebene zu wirken als "normale" Alben. Gerade heutzutage, wo durchaus auch große Hollywood-Projekte an coole, spannende Künstler*innen wie Mogwai, die Chemical Brothers oder William Ryan Fritch vergeben wird, können in diesem Bereich viele Horizonte erweitert werden. Und ganz bestimmt auch im Falle von Daniel Lopatin alias Oneohtrix Point Never. Wer sich mit der Musik des New Yorkers ein bisschen auskennt weiß, dass er mit Sicherheit einer der kreativsten und vielseitigsten elektronischen Künstler des letzten Jahrzehnts sein dürfte, der sich immer wieder die tollsten Dinge einfallen lässt. Und weil es immer spannend ist, wie er sich auf musikalisches Neuland stürzt und Filmmusik eben solches ist, hätte Good Time mit großer Wahrscheinlichkeit eine Offenbarung sein können. Einige seiner Platten hörten sich schon immer wie Soundtracks an und Stimmung erzeugen kann der New Yorker wie ein Gott, wieso also nicht? Die Antwort darauf könnte sein: Weil diese Art von Komposition eben limitierend ist. Scores zu schreiben ist immer etwas, bei dem man sich der Ästhetik und der Handlung des Films unterordnen muss, was für abstruse Experimente meist wenig Platz lässt. Wer hier also eine kreative Explosion erwartet hat, den muss ich enttäuschen. Good Time ist ein sehr gutes Album, aber das eben im Rahmen seiner Möglichkeiten. In Sachen Sound und Songwriting sind die 13 Titel hier stimmig und ich kann mir vorstellen, dass sie die düstere, postmoderne SciFi-Film-Noir-Aura des Streifens gut einfangen, doch sie bleiben eben auch sehr zahm. Zwischen finsterem Ambient und nostalgischer Proto-Elektronik schafft Lopatin hier einen technisch überzeugenden Soundtrack, der eher als Fan-Projekt funktioniert. Wenn man sich den bisherigen Output von Oneohtrix Point Never ansieht, ist es beispielsweise bestimmt kein Zufall, dass viele der Tracks an die Musik von Blade Runner erinnern. Andere Vergleichspunkte wären vielleicht der Hanna-Score der Chemical Brothers oder the Social Network von Trent Reznor und Atticus Ross. Insgesamt also nichts wirklich neues und bombastisch aufregendes. Einzige Ausnahme ist sicherlich der Closer the Pure and the Damned, der immerhin von Iggy motherfuckin' Pop gesungen wird. Er gibt dem hektischen, actionreichen Album einen eher melancholischen Ausklang und ist dann tatsächlich einer dieser Fälle, in denen ein Soundtrack Horizonte pusht. Wo sonst hätten diese beiden Künstler aufeinander treffen können und dabei so genial harmoniert? Leider bleibt es dann eben doch bei nur einem Song. Womit ich bei Gott nicht sagen will, dass Good Time schlechte Musik ist. Ich bin mir sicher, dass Danial Lopatin diesen Film mit seinen Stücken ungemein bereichert und auch unabhängig davon funktioniert das alles. Ich möchte lediglich diejenigen warnen, die sich hier ein vollwertiges Oneohtrix Point Never-Album vorgestellt haben, denn das wird man hier nicht bekommen. Um hier aus seiner Haut zu fahren und seine eigenen Limits zu erreichen, ist dieser Produzent dann doch zu umtriebig und diese Platte nur eine von vielen Stationen, die man ja mal gemacht haben kann (abgesehen davon, dass sie wahrscheinlich ordentlich Geld bringt). Dieser Score ist am Ende des Tages also eher für die Cineasten unter euch etwas. Die werden sich aber trotzdem ärgern, weil ich in diesem ganzen Text noch kein Wort über den Film gesagt habe. Okay Leute, hier ist ein Trailer und jetzt hört auf zu heulen. Das hier ist ein Musikblog, verdammt!





Persönliche Highlights: Good Time / Hospital Escape / Acces A-Ride / Flashback / Romance Apocalypse / the Acid Hits / the Pure and the Damned

Nicht mein Fall: -

CWTE auf Facebook

Sonntag, 13. August 2017

Die Dialektik der Dichtung

Habe nur ich das Gefühl, oder dreht Rory Ferreira dieses Jahr irgendwie ein bisschen frei? Nicht, dass er das nicht sonst auch tun würde, aber 2017 scheint sein künstlerischer Autismus mehr oder weniger Überhand zu gewinnen. Erst vor einem guten Monat zeigte er das schon mit seinem neuen Scallops Hotel-Mixtape, das selbst für die Verhältnisse dieses Projektes äußerst abstrakt war. Und wo ich damals noch dachte, sein Output als Milo würde nun den vernunftbegabten Gegenpol dazu darstellen, bin ich seit Who Told You to Think??!!?!?!?! endgültig überzeugt, dass dieser Typ gerade einen an der Klatsche hat. Nachdem er vor gut zwei Jahren mit So the Flies Don't Come sein bis dato konkretestes und am deutlichsten Rap-zentriertes Werk ablieferte, scheint er zuletzt ganz in die entgegengesetzte Richtung zu schwimmen. Seine Musik schwimmt in letzter Zeit mehr und mehr im Äther, ständig bastelt der MC an seinen Vocals herum und auf HipHop im allgemeinen scheint er nicht mehr wirklich Bock zu haben. Sicher, Milo war noch nie in irgendeinem Sinne konventionell und transzentierte das, was man so als Rapmusik bezeichnet, schon immer. Aber ich habe nunmehr manchmal Angst, dass er den Halt verliert und sich in Gewaber verliert. Im Falle von Scallops Hotel und Over the Carnage Rose A Voice Prophetic war das Ergebnis eines der besten Alben dieses Jahres, doch über diese LP kann ich das leider irgendwie nicht sagen. Zumindest nicht so wie die letzten paar Male, wo mich alles, was dieser Junge machte, den Begriff HipHop neu definieren ließ. WTYTT ist zwei Jahre später eher die Platte, auf der Milo versucht, diese Inkarnation seiner Musik wiederum zu hinterfragen und in sich selbst hinein schaut. Für den geneigten Fan bedeutet das, dass er hier ziemlich viele Sachen ausprobiert. Und dabei auch riskiert, dass eben nicht alles funktioniert. Das mit den Voiceover-Effekten und den komischen Vokal-Samples kennen wir ja schon, aber die sind hier erst der Anfang: Musique-Concrète-Drumbeats, äußerst seltsame Flows, ziemlich alberne Instrumentals und das komplette Fehlen einer klanglichen Leitlinie sind eher die Sachen, die mich hier verstören. Zum einen ist genau so ein Verhalten das, was diesen Typen in den letzten Jahren zu meinem Lieblingsrapper gemacht hat, andererseits wirkt es sich teilweise fatal auf das Gesamtergebnis aus, in dessen Einhalten bisher eine der größten Stärken von Milo bestand. Es ist also wie immer ein zweischneidiges Schwert. Geil sind Sachen wie das rustikale Elucid-Feature in Landscaping, das sehr oldschoolige the Young Man Has A Point, das fast ambiente Note to Mrs. oder der zwielichtige Posse Cut Yet Another. Doof sind Sachen wie das ständige Herumgefrickel an den Gesangsparts, sterbenslangweilige Tracks wie Sorcerer und IDK oder das lächerliche Keyboard in Take Advantage of the Naysayer. Dazwischen bewegt sich die LP immer wieder inhaltlich: Viele der Tracks setzen sich mit Milos Position als MC auseinander, und das nicht nur als Spielfigur in einer Szene, sondern selbstverständlich mit dem Maximum an Existenzialismus und Metaebene. Im Opener Poet (Black Bean) beispielsweise besingt er den Standpunkt des Dichters/Rappers als einzigen Versteher des menschlichen Gemüts, während er diesen ganz am Ende mithilfe von Busdriver in Rapper genüsslich-aggressiv wieder zerlegt. Das alles wäre absolut fantastisch, wenn nicht zwischendurch doch ziemlich viele ziemlich lahme, sehr nach Standard-HipHop-Folklore klingende Bars auftauchen würden. Da waren die Vorgänger doch schon deutlich distinguierter. Am Ende kann ich WTYTT wegen solcher Sachen nicht so sehr verehren wie So the Flies Don't Come oder A Toothpaste Suburb, dennoch muss ich aber das anerkennen, was Ferreira hier tut. Ganz abgesehen davon, dass dieser Mensch sowas wie ein wirklich schlechtes Album eh nicht kann. Das hier ist sehr gut, aber eben nicht so atemberaubend genial wie viele Sachen vorher. Deswegen fange ich nicht an zu jammern. Ich weise nur darauf hin, dass es hätte besser sein können. Und ich mir jetzt noch mehr Sorgen mache, dass Milo in Zukunft kompliziert wird. Also zumindest noch mehr, als er das jetzt schon ist.





Persönliche Highlights: Poet (Black Bean) / Landscaping / Call + Form (Picture) / Magician (Surture) / the Young Man Has A Point (Nurture) / Pablum//CELESKINGIII / Note to Mrs. / Yet Another / Ornette's Swan Song / Embroidering Machine / Rapper

Nicht mein Fall: Sorcerer / IDK

CWTE auf Facebook

Freitag, 11. August 2017

Playlist: Summer '17

Es wird mal wieder Zeit für eine Playlist hier. Ich weiß, der besagte Sommer 2017 befindet sich sozusagen schon im Endspurt, aber das dazugehörige Sommerloch in Sachen Releases hat dieses Jahr eben auf sich warten lassen. Umso schöner ist es, dass dieser Artikel hier doch noch irgendwie zustande kommt und man noch ein bisschen in den Genuss der Sache kommt, bevor es dann auch schon wieder vorbei ist. Hier sind 20 Songs für den (Rest-)Sommer 2017. Viel Spaß beim Hören!

1. GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR
Peasantry or 'Light Inside of Light!' (2015)
Mein erster Pick ist jetzt vielleicht nicht unbedingt der größte Wohlfühl-Hit aller Zeiten und Godspeed sicher nicht die erste Wahl für Strandpartys, aber dennoch hat Peasantry vom letzten Album der Kanadier viele klangliche Lichtflecken und das pastorale Thema des Stücks macht irgendwie ein gutes Gefühl. Und gerade mit den Streichern im zweiten Teil kommt jede Menge Euphorie mit rum. Für mich definitiv ein sonniger Song!

2. MANFRED KRUG & GÜNTHER FISCHER
Wenn's draußen grün wird (1973)

Der Sommer 2017 war für mich bis jetzt schon geprägt von diesem wunderbaren Jazz-Stückchen und Good Ol' Mannes Kollaboration mit Günther Fischer, die man auf keinen Fall als gammligen Ost-Kitsch abtun sollte. Ein fantastisches Arrangement, wundervoll naiv-poetische Texte und nicht zuletzt Krugs Scats machen diesen Song zu einem kleinen Erlebnis.

3. MANITOBA
Hendrix With Ko (2003)
Up in Flames, das beste Album von Daniel Snaith (der sich damals noch Manitoba nannte), ist voll mit sommerlichen Blütenträumen, doch Hendrix With Ko fällt mit seinem krautigen Beat, den psychedelischen Synth-Passagen und der gesampleten Akustikgitarre ganz besonders auf. Definitiv ein ganzes Stück chilliger als die späteren Caribou-Sachen, aber auf jeden Fall jeden Ton wert.

4. FOXYGEN
San Francisco (2013)
Wem Scott McKenzies Frisco-Hymne aus den Siebzigern schon zu kitschig ist, der läuft bei Foxygen Gefahr, ernsthafte Diabetes zu bekommen. Der Zuckerwatte-Sound des Duos ist hier teilweise schon lächerlich, doch schaffen sie es hier trotzdem, einen wunderbar nonchalanten und niedlichen Glitter-Psych-Hit zu schreiben, den man irgendwie trotzdem mag.


5. TALKING HEADS
This Must Be the Place (1986)
Dieser Song muss einfach gut sein, schließlich wurde nach ihm ein extrem guter Paolo Sorrentino-Film benannt. Abgesehen davon ist die seltsame Country/Reggae-Mischung, gepaart mit David Byrnes jammeriger Stimme einfach anstrengend und macht zu jeder Zeit gute Laune. Genau das richtige für lange Landstraßenfahrten und entspannte Nachmittage.




6. CHARLES TRENET
La Mer (1943)
Zur Zeit seines Erscheinens war dieses Stück ein Politikum, das ist aber zum Glück eine ganze Weile her. Heute kann man in La Mer wenig mehr sehen als einen grandiosen Klassiker aus der Hochphase des französischen Chanson, der dazu noch gerade richtig episch ist. Definitiv ein exotischer Pick für diese Liste, aber deshalb keinen Deut weniger begründet.

7. PULLED APART BY HORSES
High Five, Swan Dive, Nose Dive (2010)
Vom romantischen Chanson zum räudigen Hardcore-Punk, der natürlich nirgendwo so Spaß macht wie bei Pulled Apart By Horses. Ich glaube, dass es in diesem Song ums Prügeln geht, aber für so eine Nummer ist auch jeder Skateboard-Freak, jede Moshpit-Ballerina und jede Form von Festival-Jünger dankbar. Damit nicht immer alles nur Chillen ist...


8. MILES DAVIS
Freddie Freeloader (1959)
Man kann die Schweißperlen fast auf der Haut spüren, wenn man diesen Song hört. Freddie Freeloader klingt nach Nachmittagen über 35 Grad Celsius, an denen man es draußen kaum aushält, man aber nicht drinnen sein kann und alles irgendwie daher vegetiert. Also zumindest für mich. Und falls das für euch nicht so ist, ist das hier trotzdem verdammt gute Musik.


9. ANIMAL COLLECTIVE
FloriDaDa (2015)
Wenn man mal davon ausgeht, dass die Beach Boys die ultimative Sommerhit-Band aller Zeiten sind, dann kann man sich vorstellen, was rauskommt, wenn sich die komplett kaputten Animal Collective von ihnen beeinflussen lassen. FloriDaDa ist ein Dschungel an Vokalpolyphonie und ein spritziges Erlebnis in heiterer Psychedelik. Und ganz ausnahmsweise mal nicht sofort total abschreckend.

10. IBRAHIM FERRER
Cienfuegos Tiene Su Guaguancó (1999)

Andere hören im Sommer vielleicht gerne mexikanischen Ska, Reggae von den Bahamas oder Despacito, für mich sind die Kubaner des Buena Vista Social Club jedoch nach wie vor erste Wahl. Die haben nämlich auch gute Solo-Ableger, wie dieser fantastische Track von Ibrahim Ferrer zeigt. Technisch und melodisch beeindruckend, mit viel Soul gespielt und mal was anderes als Chan Chan.

11. ERIC BURDON & WAR
Spill the Wine (1970)
Eric Burdon kennt man als den Sänger der Animals, aber seine andere Band War, mit der er vor allem Funk spielte, ist ebenfalls nicht unspannend. Zur Einführung sei deren erster Hit Spill the Wine empfohlen, der die softe Psychedelik der Acid-Generation mit urigem Skiffle und Funk verbindet und ganz nebenbei einen der coolsten Spoken-Word-Texte jener Zeit hat. Guter Stoff!


12. THE STROKES
Hawaii (2005)
Sicherlich einer der albernsten Songs der Strokes (Julian Casablancas lässt sich doch tatsächlich zu einem "Aloha, he!!-Refrain hinreißen) und deshalb wahrscheinlich nicht mehr als eine B-Seite. Trotzdem oder gerade deswegen ist Hawaii einer der sonnigsten und euphorischsten Songs der New Yorker, der hier genau richtig ist. Vielleicht auch deswegen, weil man dabei schon wieder an die frühen Beach Boys denken muss...

13. CUNNINLYNGUISTS FEAT. ZUMBI OF ZION I
In the City (2014)
Die coolen Parts der Lynguists und von Zumbi in diesem Song sind die eine Sache, doch was Produzent Kno hier mit Kenny Rankins Killed A Cat anstellt, ist das wahre Highlight von In the City. Aus der akustischen Folk-Nummer bastelt er hier einen der gemütlichsten und trotzdem freshen HipHop-Beats der letzten Jahre, den man am besten in Dauerschleife hört.

14. BAG RAIDERS
Way Back Home (2010)
Falls jemand Way Back Home noch kennt, dann wahrscheinlich aus dieser einen Vodafone-Werbung aus der Zeit, als solche Sachen noch Leute berühmt machten. Dass zumindest dieser Track aber wesentlich zeitloser ist und auch sieben Jahre später noch gut funktioniert, sollte man hin und wieder mal anmerken. Die Australier schmieden hier eine gleichsam treibende und chillige House-Nummer, die definitiv mehr verdient als auf ewig mit einer miesen Mobilfunkflatrate assoziiert zu werden.
15. EDDIE VEDDER
Rise (2008)
Wer das Aussteiger-Drama Into the Wild von Sean Penn einmal gesehen hat und Eddie Vedders fantastischen Soundtrack dazu kennt weiß, warum dieser Song in dieser Liste gelandet ist. Rise macht Bock auf Urlaub, Rumfahren und Loslassen und das ohne die unmittelbare Konsequenz, dafür mit der modernen Gesellschaft brechen zu müssen. Ein paar freie Tage reichen ja mitunter fürs erste.

16. OASIS
Morning Glory (1995)

Große Gefühle sind bei den Oasis-Hits der Neunziger immer inklusive, in diesem Fall sind es am ehesten Euphorie, Hedonismus und die Liam Gallagher-Version von Coolness. Und das, obwohl Morning Glory eigentlich primär ein Song über Müßiggang ist. Am Ende passt aber alles davon zu schwülem Augustwetter und einer zelebrierten Urlaubs-Asozialität.


17. COMMODORES
Easy (1977)
Wo wir gerade bei Müßiggang sind: Wenn es so etwas wie einen klassischen Superhit zu diesem Thema gibt, dann sicherlich Easy von den Commodores. Nichts passt besser zum besungenen "sunday morning" als dieses unangestrengt-swingige Klaviermotiv, lässige Motown-Streicher und the one and only Lionel Ritchie, dessen Performance hier noch immer über jede noch so gute Coverversion erhaben ist. Tut mir Leid, Mike Patton!

18. ROD STEWART
Young Turks (1981)
Young Turks ist der eine paradoxe Moment in der Musikgeschichte, an dem Rod Stewart mal kurz cooler war als Bruce Springsteen und Mark Knopfler zusammen und man sollte diesen auf keinen Fall leichtfertig abtun, weil es eben Rod Stewart ist. Diese Mischung aus hemdsärmligen Heartland-Rock und schickem Synthpop ist in meinen Augen ein vergessener Riesenhit, der dringend Aufmerksamkeit braucht.

19. MATTEWS' SOUTHERN COMFORT
Woodstock (1970)

Im Original ist Woodstock zwar von Joni Mitchell, doch dieses wenig später erschienene Cover von Matthews' Southern Comfort ist mir unter den vielen Interpretationen trotzdem die liebste. Instrumental dichter, insgesamt hippiesker und mit einer Chilligkeit, die dem spiritistischen Charakter des Tracks sehr gerecht wird. Warum der Song in dieser Playlist ist, dürfte ja klar sein, oder?

20. TOCOTRONIC
Drüben auf dem Hügel (1995)
So romantisch wie hier erlebt man Tocotronic bis heute selten: Drüben auf dem Hügel ist die adoleszente, melancholische Garagen-Shoegaze-Nummer mit dem poetischen, großen Text, die aus gutem Grund bis heute ein Live-Klassiker der Hamburger ist. Die grantigen Gitarren durchfluten beim hören, jede Zeile bietet irgendwie Identifikationspotenzial und spätestens beim "bis wir zusammen sind"-Finale können auch ruhig mal alle mitsingen. Bei diesen Jungs ein rares Vergnügen.


CWTE auf Facebook