Sonntag, 13. August 2017

Die Dialektik der Dichtung

Habe nur ich das Gefühl, oder dreht Rory Ferreira dieses Jahr irgendwie ein bisschen frei? Nicht, dass er das nicht sonst auch tun würde, aber 2017 scheint sein künstlerischer Autismus mehr oder weniger Überhand zu gewinnen. Erst vor einem guten Monat zeigte er das schon mit seinem neuen Scallops Hotel-Mixtape, das selbst für die Verhältnisse dieses Projektes äußerst abstrakt war. Und wo ich damals noch dachte, sein Output als Milo würde nun den vernunftbegabten Gegenpol dazu darstellen, bin ich seit Who Told You to Think??!!?!?!?! endgültig überzeugt, dass dieser Typ gerade einen an der Klatsche hat. Nachdem er vor gut zwei Jahren mit So the Flies Don't Come sein bis dato konkretestes und am deutlichsten Rap-zentriertes Werk ablieferte, scheint er zuletzt ganz in die entgegengesetzte Richtung zu schwimmen. Seine Musik schwimmt in letzter Zeit mehr und mehr im Äther, ständig bastelt der MC an seinen Vocals herum und auf HipHop im allgemeinen scheint er nicht mehr wirklich Bock zu haben. Sicher, Milo war noch nie in irgendeinem Sinne konventionell und transzentierte das, was man so als Rapmusik bezeichnet, schon immer. Aber ich habe nunmehr manchmal Angst, dass er den Halt verliert und sich in Gewaber verliert. Im Falle von Scallops Hotel und Over the Carnage Rose A Voice Prophetic war das Ergebnis eines der besten Alben dieses Jahres, doch über diese LP kann ich das leider irgendwie nicht sagen. Zumindest nicht so wie die letzten paar Male, wo mich alles, was dieser Junge machte, den Begriff HipHop neu definieren ließ. WTYTT ist zwei Jahre später eher die Platte, auf der Milo versucht, diese Inkarnation seiner Musik wiederum zu hinterfragen und in sich selbst hinein schaut. Für den geneigten Fan bedeutet das, dass er hier ziemlich viele Sachen ausprobiert. Und dabei auch riskiert, dass eben nicht alles funktioniert. Das mit den Voiceover-Effekten und den komischen Vokal-Samples kennen wir ja schon, aber die sind hier erst der Anfang: Musique-Concrète-Drumbeats, äußerst seltsame Flows, ziemlich alberne Instrumentals und das komplette Fehlen einer klanglichen Leitlinie sind eher die Sachen, die mich hier verstören. Zum einen ist genau so ein Verhalten das, was diesen Typen in den letzten Jahren zu meinem Lieblingsrapper gemacht hat, andererseits wirkt es sich teilweise fatal auf das Gesamtergebnis aus, in dessen Einhalten bisher eine der größten Stärken von Milo bestand. Es ist also wie immer ein zweischneidiges Schwert. Geil sind Sachen wie das rustikale Elucid-Feature in Landscaping, das sehr oldschoolige the Young Man Has A Point, das fast ambiente Note to Mrs. oder der zwielichtige Posse Cut Yet Another. Doof sind Sachen wie das ständige Herumgefrickel an den Gesangsparts, sterbenslangweilige Tracks wie Sorcerer und IDK oder das lächerliche Keyboard in Take Advantage of the Naysayer. Dazwischen bewegt sich die LP immer wieder inhaltlich: Viele der Tracks setzen sich mit Milos Position als MC auseinander, und das nicht nur als Spielfigur in einer Szene, sondern selbstverständlich mit dem Maximum an Existenzialismus und Metaebene. Im Opener Poet (Black Bean) beispielsweise besingt er den Standpunkt des Dichters/Rappers als einzigen Versteher des menschlichen Gemüts, während er diesen ganz am Ende mithilfe von Busdriver in Rapper genüsslich-aggressiv wieder zerlegt. Das alles wäre absolut fantastisch, wenn nicht zwischendurch doch ziemlich viele ziemlich lahme, sehr nach Standard-HipHop-Folklore klingende Bars auftauchen würden. Da waren die Vorgänger doch schon deutlich distinguierter. Am Ende kann ich WTYTT wegen solcher Sachen nicht so sehr verehren wie So the Flies Don't Come oder A Toothpaste Suburb, dennoch muss ich aber das anerkennen, was Ferreira hier tut. Ganz abgesehen davon, dass dieser Mensch sowas wie ein wirklich schlechtes Album eh nicht kann. Das hier ist sehr gut, aber eben nicht so atemberaubend genial wie viele Sachen vorher. Deswegen fange ich nicht an zu jammern. Ich weise nur darauf hin, dass es hätte besser sein können. Und ich mir jetzt noch mehr Sorgen mache, dass Milo in Zukunft kompliziert wird. Also zumindest noch mehr, als er das jetzt schon ist.





Persönliche Highlights: Poet (Black Bean) / Landscaping / Call + Form (Picture) / Magician (Surture) / the Young Man Has A Point (Nurture) / Pablum//CELESKINGIII / Note to Mrs. / Yet Another / Ornette's Swan Song / Embroidering Machine / Rapper

Nicht mein Fall: Sorcerer / IDK

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