Freitag, 4. August 2017

Nichts ist leicht

Die Motive, warum ich diese Besprechung in den letzten Wochen so lange wie möglich vor mir her geschoben habe, liegen wahrscheinlich auf der Hand. Eine Platte von Tyler, the Creator zu durchsteigen, war noch nie ein Zuckerschlecken und mit Flower Boy ist es diesmal besonders kompliziert. Schon lange bevor die LP überhaupt erschien krallten sich die Medien in das angebliche Coming-Out des Rappers auf gleich mehreren der Singles und auch ich kam um die ein oder andere Debatte nicht umhin. Erst vor wenigen Tagen schrieb mir jemand, dass ich in einem Frank Ocean-Artikel vor vier Jahren das Wort "homophob" in Bezug auf Tyler verwendet habe, was ja mal total falsch sei. Und ja, mittlerweile bin ich ebenfalls dieser Ansicht. Aber es hat eben lange gedauert, dort hinzukommen und zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass es 2013 wahrscheinlich keine*n Musikschreiber*in gegeben hat, der*die nicht dasselbe dachte. Mit Zeile wie "I been kissing white boys since 2004" hat der Kalifornier uns alle ins kalte Wasser geworfen. Und wisst ihr was? Es ist eigentlich völlig egal. In vielen der Diskussionen um die jüngsten Aussagen von Tyler wurde ein Interview zwischen ihm und Larry King von 2014 zitiert, in dem King fragt, wie es denn wäre, einen Mainstream-Rapper zu haben, der sich öffentlich als homosexuell outet. Tyler antwortet mit einer Gegenfrage: "why do we care?". Und in meinen Augen sind das magische Worte. Warum ist es wichtig, die sexuelle Orientierung dieses Menschen zu kennen, der sicherlich für die wenigsten von uns mehr als ein Künstler ist? Ist es nicht blanker Sensationswahn, sich am Coming-Out berühmter Persönlichkeiten aufzugeilen? Wieso reden wir in diesem Zusammenhang überhaupt von einer Sensation? Sicher ist die Frage nach einer Position im Bezug auf die noch immer anhaltende Homophobie im HipHop (siehe Quavo) und auf die Texte Tylers irgendwie spannend, man kann den Mann aber auch einfach mal in Ruhe lassen. Sich so in die Privatsphäre von Künstler*innen einzumischen, das ist Käseblatt-Niveau. Und dieser Rapper wusste das eben vor drei Jahren schon besser als wir jetzt.
Was durch all diese Ausweichungen nicht einfacher wird, ist jedoch der Inhalt dieser Platte. Flower Boy kann man mit ziemlicher Sicherheit als bis dato persönlichstes Werk von Tyler bezeichnen und das nicht nur Aufgrund seiner Homo-Hints. Überall hier geht es um die Motivation als Musiker, den Umgang mit seinem (abklingenden) Ikonen-Status, das Erwachsenwerden und am Ende auch oft um Liebe. Die gekünstelte, postironische Maske, die Alben wie Goblin oder Bastard so cool und einzigartig machten, ist hier endgültig gefallen und macht Platz für den hemmungslosen Seelen-Striptease. Das ist schon irgendwie gut so und für einige Fans das, was sie sich schon seit dem ersten Mixtape wünschen, doch ich hatte am Anfang ein wenig die Sorge, wie Tyler damit künstlerisch umgehen würde. Ich mochte eigentlich immer eher die Seite an ihm, bei der man nie so recht wusste, woran man war und die über verschiedene Kunstfiguren kommunizierte. Ich fragte mich daher, ob es hier nach wie vor gelingen würde, diese tiefgründigen Messages vernünftig zu vermitteln. Doch diese Sorgen konnte zum Glück ich sehr schnell wieder in den Wind streuen. Auf Flower Boy gelingt es dem Rapper noch immer, seine dreckige Schnauze zum stilistisch Besten einzusetzen und abgefahrene, weirde Lines am Stück vom Stapel zu lassen. Rein künstlerisch ist man hier sogar noch etwas mehr ergriffen, weil man jetzt tatsächlich damit rechnen muss, dass diese Sachen ernst gemeint sind. Gerade bei Passagen über seine Motivation zur Musik oder Monologen über den Tod kommt man mitunter ins Schlucken. Von Chester Bennington habe ich erst vor kurzem gelernt, dass man solche Andeutungen lieber nicht als edgy Stilmittel abtun sollte. Im Moment ist der Effekt jedoch nicht mehr als eine von Tylers textlich besten Platten. Und das kann man ja erstmal gut finden. Denn wo es schon eher hapert, ist die musikalische Umsetzung der Songs. Flower Boy ist klanglich wieder sehr variabel und erinnert darin sehr an den (wahnsinnig unterschätzten) Vorgänger Cherry Bomb. Neben hartgesottenen Brechern wie Who Dat Boy oder I Ain't Got Time versucht sich Tyler erneut an gefassteren, sehr neo-souligen Stücken wie Where This Flower Blooms oder See You Again, in Boredoms begleitet er sich sogar kurz selbst auf der Akustikgitarre. Doch im Gegensatz zur letzten Platte fallen viele der Tracks hier ein ganzes Stück weniger catchy und fett aus. Vielleicht war das Absicht, weil Flower Boy ja offenkundig alles andere als ein Hit-Album ist, aber nichtsdestotrotz leiden viele Songs darunter. Zwar geht es am Anfang mit dem souligen Triple Foreword, Where This Flower Blooms und Sometimes... richtig gut los, doch danach kommt die LP aus einer gewissen Schwammigkeit nicht mehr heraus. Gerade der Mittelteil ist mitunter ziemlich schwach und viele werden mich hassen, aber ich mag Who Dat Boy irgendwie überhaupt nicht. Zum Ende hin gibt es dann wieder ein paar ziemlich solide Nummern, aber auch nichts, was Tyler nicht schon mal besser gemacht hätte. Was unterm Strich bedeutet, dass ich Flower Boy lediglich für eine ganz gute Platte halte. Ich habe mir so sehr gewünscht, dass der Kalifornier hier die eine geniale LP macht, die seiner Karriere nach Goblin eine neue Richtung gibt und das große Statement wird, das alle über diesen Typen gebraucht haben. Und für einige ist sie das sicherlich, nur für mich definitiv nicht. Mit der größtmöglichen Vorsicht würde ich sogar äußern, dass ich Cherry Bomb ein bisschen besser finde als das hier. Was als Anklagepunkt für meine bevorstehende Steinigung sicherlich reichen wird. Ist okay, ich bin wenigstens zu mir selber ehrlich gewesen.





Persönliche Highlights: Foreword / Where This Flower Blooms / Sometimes... / Pothole / I Ain't Got Time / 911/Mr. Lonely / Droppin' Seeds / Glitter

Nicht mein Fall: Who Dat Boy

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