Sonntag, 17. Februar 2019

Y Tho?




















[ mystisch | dramatisch | bluesig ]

Wenn es darum geht, Coverplatten aufzunehmen, die sich lediglich mit dem Material eines einzigen Ausgangsalbums zu befassen, so wählt man bestenfalls auch etwas, das dafür die richtige Tragweite hat. Dark Side of the Moon zum Beispiel, Nevermind oder In the Aeroplane Over the Sea. Eine LP eben, die eine gewisse kulturelle Bedeutung hat, damit der direkte Vergleich überhaupt Sinn ergibt. Entweder das, oder das ganze muss schon echt ein krasses Leidenschafts-Ding sein. So wie im Falle des neuesten Albums von Mercury Rev, das mit the Delta Sweete von Bobbie Gentry einen echten Geheimtipp aus der Erinnerung der Pop-Historie hebt. Erschienen 1968 war dieser eine der eher weniger erfolgreichen Platten der ohnehin schon mäßig erfolgreichen Country- und Blues-Sängerin, die auch nachträglich keinen Fankult oder Meme-Status hervorgebracht hat. Und als ich mir das Original als Vorbereitung für diese Besprechung anhörte, hatte ich ehrlich gesagt nicht wirklich den Eindruck, dass Gentry eine Art unentdecktes Genie oder ähnliches wäre. Stünde hier also nicht der Name der renommierten New Yorker Experimentalrock-Band auf dem Cover, ich würde Delta Sweete Revisited wahrscheinlich glattweg ignorieren, hätte ich im Vorfeld überhaupt Wind davon bekommen. Dass mein Interesse für diese Bearbeitung aber so groß ist, lag von Anfang an eigentlich gar nicht an den Qualitäten des Originals, sondern vor allem am Personal, welches die Neuinterpretation hier umsetzt. Nicht nur Mercury Rev, über die ich hier immerhin zum ersten Mal schreibe, sondern vor allem die Legion an Gastsängerinnen, die Bobbie Gentrys Songs hier die Stimme leiht: Mit Hope Sandoval, Rachel Goswell, Susanne Sundfør und Lucinda Williams sind hier einige meiner absoluten Lieblings-Vokalistinnen am Start und mit (unter anderen) Phoebe Bridgers, Margo Price, Norah Jones und Game of Thrones-Star Carice van Houten darüber hinaus mindestens ein halbes Dutzend weitere, die zumindest jede Menge Diskussionsstoff versprachen. Ganz davon abgesehen war die Leadsingle Sermon, gesungen von Margo Price, eines der späten Highlights des vergangenen Jahres, was mich insgesamt sehr neugierig darauf machte, was Mercury Rev hier wohl veranstalten würden. Wobei sie Sache formell erstmal ziemlich einfach ist: Aufgenommen wurden insgesamt zwölf Tracks, elf davon sind die vom Delta Sweete-Original, plus einem Cover von Ode to Billie Joe, dem einzigen richtigen Hit von Bobby Gentry, gesungen von Lucinda Williams. Die Art und Weise, wie dabei mit dem bluesrockigen Ausgangsmaterial umgegangen wird, ist dabei von Song zu Song sehr verschieden. Der Triphop-lastige Sound, den Sermon letzten Herbst vornan setzte, ist dabei aber mehr oder weniger die Basis. Viele der Songs, die in Gentrys Version flott und rockig daherkommen, werden hier dramatisch in die Länge gezogen und mit Pathos aufgeblasen, ähnlich wie man es von vielen Pop-Covern aus schlechten Blockbuster-Soundtracks kennt. Mercury Rev machen die ganze Sache zwar etwas besser und verleihem dem ganzen zumindest einen Hauch von portishead'scher Mystik, so packend wie auf Sermon wird das Album allerdings nie wieder. Reunion schafft passend zum Feature von Rachel Goswell einen leicht shoegazigen Hintergrund und Phoebe Bridgers macht aus Jesseye' Lisabeth am Ende fast eine Goth-Folk-Nummer, ansonsten beschränkt sich die Platte größtenteils auf etwas epischere Bearbeitungen von Country und Blues-Standardwerten. Das kann okay sein, steht und fällt aber dann auch mit dem dazugehörigen Gesangspart. Ausgerechnet Norah Jones schafft mit Okalona River Bottom Band eine ziemlich würdige Eröffnung der LP, zumindest im Vergleich zu dem, was wenig später noch passiert und auch die Performance von Lucinda Williams kann sich sehen lassen. Enttäuscht bin ich hingegen von der sonst eigentlich unfehlbaren Hope Sandoval, die in Big Boss Man plötzlich sehr öde klingt, aber wenigstens noch was zu ihrem Stück beiträgt. Nicht so Carice van Houten, die mit ihrer Version von Parchman Farm leider alle dämlichen Klischees einer singenden Schauspielerin erfüllt oder Susanne Sundfør, die auf Tobacco Road einen der wenigen richtig guten Songs der Originalversion ruiniert. In den schlimmsten Momenten klingt Delta Sweete Revisited tatsächlich wie eine übersäuerte Allstar-Compilation, auf der unkreative Konsensmusiker*innen sich mit alten Country- und Blues-Klassikern anbiedern, einzig die Beteiligung von Mercury Rev selbst vereitelt diese Wirkung zu großen Teilen. Etwas wirklich neues und besonderes erwirtschaftet dieses Projekt am Ende aber in keinem Augenblick dieses Albums. Obwohl Bobbie Gentrys Songs hier teilweise fast zur Unkenntlichkeit verbogen werden, ein ziemlich umfangreiches Instrumentarium aufgefahren wird und dafür wahrscheinlich auch ordentlich Kohle drauf ging, fragt man sich am Ende, was daraus nun eigentlich der Mehrwert sein soll. Eine Gruppe prominenter Indie- und Mainstream-Künstler*innen macht hier aus einer völlig unbekannten und bestenfalls okayen Sechziger-Platte eine unnötig aufgeblasene, fahrige und leider sogar nur sehr mittelmäßige neue Platte, die weder die Bedeutung der Originals hervorhebt, noch ein neues kreatives Signal sendet. So bleibt am Ende eigentlich nur das, was mich anfangs überhaupt darauf aufmerksam machte: Ein Haufen großer Namen. Und die sind ja bekanntlich Schall und Rauch.


Klingt ein bisschen wie:
Norah Jones
...Featuring Norah Jones

Gorillaz
Demon Days

Persönliche Highlights: Okalona River Bottom Band | Reunion | Sermon | Jesseye' Lisabeth | Ode to Billie Joe

Nicht mein Fall: Parchman Farm | Tobacco Road

Samstag, 16. Februar 2019

the Moody Blues





















[ emotional | kämpferisch | hedonistisch ]

Gerade mal gut ein halbes Jahr alt ist Sweetener, das letzte Album von Ariana Grande, trotzdem ist es zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr ansatzweise aktuell. Inzwischen wissen wir, dass die Sängerin nicht das starke, optimistische und professionelle Sonnenscheinchen ist, für das man sie lange hielt, sondern in Wahrheit ein Popstar, dem das Schicksal in den letzten Jahren extrem übel mitgespielt hat. Manchester, Mac Miller, Pete Davidson und über allem der fleißig nachbereitende Medienzirkus waren allesamt Sachen, die spätestens 2018 ein bisschen die Fassade fallen ließen und offenbarten, wie beschissen das Leben der Ariana Grande eigentlich war. In meinen Augen zum allgemeinen Besten, denn nicht nur bekam man dadurch einen Mordsrespekt vor dem Durchhaltevermögen dieser Frau, es setzte auch eine Art öffentliche Aufarbeitung ihres Starseins in Gang, der wiederum das Gespräch über mentale Gesundheit in der Musikbranche als größeres Thema in den Mainstrem brachte. Grande selbst war in dieser Geschichte häufig absolut bewundernswert und hätte als Quasi-Schirmherrin dieses Diskurses nicht großartiger sein können. Nicht zuletzt deshalb wählte ich sie Ende des Jahres zu meiner "musikalischen Persönlichkeit des Jahres". Und auch abgesehen davon ist es schön, dass gerade jemand wie sie der wichtigste Popstar des Augenblicks ist, weil ihr tatsächlich ein gewisser Vorbildcharaker innewohnt. Bei allem Applaus, den ich dieser Frau aber berechtigterweise geben muss, mit ihrer Musik hat das alles ziemlich wenig zu tun. Was diesen Teil ihrer Karriere angeht, ist Grande in den letzten zwei Jahren nicht wirklich interessanter geworden als vorher, vielleicht sogar ein bisschen schlimmer. Schon Sweetener war meiner Empfindung nach ein ziemlich überbewertetes Album, das außer ein paar guten Singles (die es aber auch schon auf den Vorgängern gab) nicht viel abwarf, das war aber wenigstens nur langweilig. Viel schlimmer war hingegen Ende 2018 alles, was im Bezug auf Thank U, Next, den werdenden Titelsong dieser neuen LP, passierte. Alle tollen Dinge, die Ariana Grande menschlich geleistet hatte, waren in meinen Augen kurz Null und nichtig angesichts dieser Katastrophe von einer Single, die für mich ganz klar ihren bisherigen künstlerischen Tiefpunkt darstellte. Nicht nur ist dieser Song musikalisch völlig belanglos, er setzt auch das Prinzip des Andenkens vollkommen verzerrt um. Ich will nicht behaupten, Grande wollte hier primär einen Tribute-Track aufnehmen und ich unterstelle keine bösen Absichten, aber kurz nach dem Tod von Mac Miller einen Part über ihn zu schreiben, der letztendlich nur dazu führt, den eigenen emotionalen Reifeprozess in ein schöneres Licht zu rücken, ist möglicherweise etwas unsensibel. Noch dazu durch den lyrischen Kontext, den die Sängerin schafft und mit der titelgebenden Phrase ihre Exen durchkommentiert, als wäre ihr Beziehungsleben ein Weintasting. Wie gesagt, ich möchte nicht über die Privatperson Ariana Grande urteilen, nur die Form, wie sie das hier vorstellt, kommt mir etwas geschmacklos vor. Und dass diese Premisse nun den Titel für eine neue LP stellen sollte, kam bei mir logischerweise nicht ganz so gut an wie bei vielen anderen. Wobei das Ergebnis letztendlich nicht so schlimm ist, wie zunächst gedacht. Thank U, Next ist ein halbes Jahr nach Sweetener nun das offizielle Aufarbeitungs-Album der Sängerin und beschäftigt sich fast konzeptuell mit Ursachen und Wirkungen ihres Lebens, die einem mitunter echt nah gehen. So schreibt sie hier über Schnellschuss-Beziehungen, ekelhafte Verhaltensweisen und materialistische Anfälle als Folge von öffentlichem Drama und man hat dabei schon das Gefühl, dass sie hier ernsthaft was loswerden möchte. Sie zeigt sich hier sehr offen, hasst sich auch mal selbst und schlägt über die Stränge, was einem mehr als alles andere das Gefühl von Menschlichkeit gibt. Wobei nichts in der Welt so menschlich ist wie Fehler, und auch von denen macht Frau Grande hier jede Menge. Einige davon sind musikalischer Natur, zum Beispiel die wieder sehr monotone klangliche Ausgestaltung in vielen Tracks oder die fatale Entscheidung, auf In My Head die Sängerin selbst die Adlibs singen zu lassen. Andere wiederum sind Teil des inhaltlichen Konzepts und dabei zumindest meiner Meinung nach wesentlich schwerwiegender. Denn hier gibt es Stücke, in denen Ariana Grande einfach nur ziemlich dämlich und egositisch rüberkommt. Das sind dann nicht jene, auf denen sie dieses Verhalten offen kommuniziert und sich reumütig gibt, sondern die anderen, in denen sie angebliche Triumphe besingt und die Ergebnisse ihrer psychischen Reinkarnation bewundert haben möchte. An diesen Stellen wirkt sie nicht selten ignorant, narzisstisch und mitunter auch doppelzüngig. Teilweise hat man hier das Gefühl, ihre Erkenntnisse seien die wichtigsten von allen und das Streben nach persönlicher Erfüllung die Lösung sämtlicher Probleme. Und das ist nicht nur eine verkürzte Aussage, es ist auch eine sehr paradoxe, da Grande sich (und Andere) in anderen Momenten für eben dieses Verhalten verurteilt. Normalerweise würden mich solch psychologische Feinheiten eigentlich nicht interessieren oder ich würde diese zumindest unkommentiert lassen, hier lässt mir die öffentliche Meinung jedoch keine Wahl. In der Woche, die dieses Album nun draußen ist, wird es allerorten als großes moralisches Statement gewertet, das es in meinen Augen ganz einfach nicht ist. Klar, es spricht gewisse Dinge an, die niemand sonst in der Kragenweite einer Ariana Grande ansprechen würde, doch es tut dies nur halbherzig. Und klar kann ich dieser Frau nicht in den Kopf schauen, geschweige denn ihre Situation verstehen, aber ich bewerte hier ja auch nur die Musik, die sie zu diesem Thema veröffentlicht. Wobei eine gewisse Form von Glaubwürdigkeit bei so einer starken Message für mich dazugehört. Und da muss ich ganz klar sagen, dass andere dieses Thema schon besser bearbeitet haben, allen voran Grandes verblichener Kumpel Mac Miller. Das alles ändert nichts daran, dass die Sängerin einen fantastischen Umgang mit ihrem öffentlichen Diskurs findet und dass sie ganz allgemein und überhaupt sehr bewundernswert bleibt. Nur die Sache mit der Musik ist leider noch immer so eine Baustelle, und da es hier primär um letzteres geht, wird Ariana Grande bei mir wohl erstmal keine Wunder vollbringen.


Klingt ein bisschen wie:
Christina Aguilera
Liberation

Mac Miller
Swimming


Persönliche Highlights: NASA | Bloodline | Fake Smile | Bad Idea | 7 Rings

Nicht mein Fall: Make Up | In My Head | Thank U, Next | Break Up With Your Girlfriend, I'm Bored

Donnerstag, 14. Februar 2019

...Just Listen to the Rhythm of My Heart: Die CWTE-Valentinstagsplaylist 2018


SINFUROCO
Cupid's Bow (2009)
Auch wenn Sinfuroco aus Berlin mittlerweile eine größtenteils komplett vergessene (weil nie sonderlich bekannte) Band sind, Hits haben sie ihrerzeit ein paar geschrieben. Einer davon ist mit Sicherheit Cupid's Bow, der Opener ihres zweiten Albums Elephant, ein sehr fahriger und nervöser Jazzrock-Lovesong, der in einem Paralleluniversum vielleicht so etwas wie das Creep dieser Band ist. Nur dass er Sinfuroco dabei in keinster Weise peinlich sein muss.


THE DARKNESS
I Believe in A Thing Called Love (2003)
Wenn der Valentinstag musikalisch für eines (auch) ein Anlass ist, dann um den einzig jemals wirklich guten Song von the Darkness wieder aufzulegen, der ganz zufällig auch ein richtig knalliger Lovesong ist. Zwar ist er eher energisch und ein bisschen albern als ernsthaft romantisch, aber auch in keinem Fall die Parodie romatischer Hairmetal-Hits, den die Leute ständig daraus machen. Wenn überhaupt, ist er selbst einer dieser romatischen Hairmetal-Hits, und selbst davon noch immer einer der besten.

MOONFACE
November 2011 (2013)
Julia With Blue Jeans On ist nicht nur die beste beste Platte von Spencer Krug und eine Art Goldstandard für klavierbasierte Popmusik, sondern vor allem auch ein hoffnungslos romantisches, hingebungsvolles Album. Die ganze LP handelt von der wahren Geschichte, in der Krug sein bisheriges Leben als Profimusiker aufgibt, um zu seiner Frau nach Finnland zu ziehen, in deren Zentrum November 2011 als Ziel dieses Vorhabens steht: Eine euphorische Powerballade mit mehr Romantik, als eigentlich in einen einzelnen Song passt.

MARVIN GAYE
I Want You (1976)
Hätte der heilige Valentin einen Hofkompositeur gehabt, es hätte dafür niemand besseren als Marvin Gaye gegeben und noch heute erzielen seine Tracks zum 14. Februar wahrscheinlich regelmäßig Streaming-Rekorde. Doch statt eines ausgelutschten Sexual Healing oder Let's Get It On schlägt mein Herz für diesen relativ unbekannten Titel aus seinem Quasi-Spätwerk, das die für Gaye typische Erotik mit dem exotischen Flair der frühen Disco-Bewegung verbindet und damit als frivole Engtanz-Nummer noch optimaler ist.

FRANK SINATRA
Ring-A-Ding-Ding! (1961)
Lovesongs aus den frühen Sechzigern, insbesondere von Frank Sinatra, haben im heutigen Kontext nur allzu oft die romantische Frische einer Folge Mad Men und sind definitiv mit Vorsicht zu genießen, es gibt aber wiederum auch jene, die eine unsterbliche Emotionalität in sich tragen und 2019 noch immer so großartig sind wie vor fast 60 Jahren. Ring-A-Ding-Ding! ist einer von letzteren, der das eigentliche Wesen der Liebe zum Thema hat und eher den beobachtenden Standpunkt eines Märchenerzählers einnimmt, den niemand auf der Welt so gut verkörpern könnte wie Sinatra.

QT
Hey QT (2014)
PC Music aus London haben in den letzten Jahren in Bezug auf Lovesongs das Kunststück geschafft, dass es bei ihnen nicht mehr awkward klingt, über Beziehungen im Internet-Zeitalter zu singen, größtenteils wahrscheinlich, weil gerade Leute wie QT selbst zur Hälfte aus Software bestehen. Man muss Songs wie diesen hier deshalb nicht romantisch finden, ein spannender Auswuchs des Genres "Liebeslied" ist Hey QT aber auf jeden Fall. Und am Ende vielleicht auch realer, als man glauben mag.

THE SMITHS
Hand in Glove (1984)
Das Debütalbum der Smiths ist in seiner Gänze ein faszinierendes Dokument darüber, als Homosexueller im Großbritannien der frühen Achtziger zu leben, wobei es nur Hand in Glove als einen der wenigen direkten Lovesongs braucht. Und als solcher ist dieser auch maximal euphorisch, naiv und unerbittlich. Eine Sache, die man in späteren Jahren nur noch sehr selten bei dieser Band sieht, geschweige denn bei einem griesgrämigen Populisten wie Morissey.

NEGROMAN
Auch ein Negroman hat Gefühle (2016)
Vielleicht geht es in diesem Song auch um Friedrich Nietzsche, um toxische Männlichkeit oder am Ende eigentlich um gar nichts, aber die Grundlage hier ist irgendeine verkorkste Form von Liebe. Bei der metaphorischen Dichte eines Negroman-Textes ist das alles immer nicht so einfach und Romatik ist bei Texten über SM-Praktiken, gegrillten Speck und Asthmaspray Ansichtssache. Ein faszinierendes Stück Musik ist es trotzdem und am Ende trotz allem irgendwie ein bisschen süß.

MAZZY STAR
Fade Into You (1993)
Eine Live-Aufnahme von Fade Into You aus dem Jahr 1994 wurde letztes Jahr zum kleinen YouTube-Hit und es ist eigentlich kein Geheimnis, wieso: Die damals 18-jährige Hope Sandoval bringt mit ihrer Performance eine ganze Arena dazu, für viereinhalb Minuten komplett die Klappe zu halten, weil ihr Song einfach durch jede Faser geht. Das spricht zum einen für das Talent der Sängerin, zum anderen dafür, dass sie hier eine sehr einmalige Nummer über unerwiederte Liebe schreibt, die bei aller Tragik auch unglaublich schön daherkommt.

QUEEN
Seaside Rendezvous (1975)
Es gibt durchaus distinguiertere Lovesongs aus der Feder von Queen und auch viele davon könnten hier stehen, doch jene operettenhafte Comedy-Variante aus A Night at the Opera ist in dieser Hinsicht ein ganz besonderes Schmankerl. Garniert mit den besten Elementen des royalen Glam-Songwritings könnte diese Nummer in ihrer Basis auch von Monty Python geschrieben worden sein und passt damit perfekt in die komödienhafte, unglaublich kreative, verrückte Welt, die Queen auf dieser LP erzeugen.


DARWIN DEEZ
Radar Detector (2010)
Lediglich in der naiv-bunten Wes Anderson-Phase des Mainstream-Pop zu Anfang dieser Dekade hätte ein Song wie Radar Detector tatsächlich eine realistische Chance gehabt, erfolgreich zu werden, und eine Weile war er das sogar ein bisschen. Ein kunterbunter, leichter Indierock-Track, in dem es um die blumigen, euphorischen ersten Wochen einer Beziehung geht, in denen scheinbar einfach alles stimmt. Ein bisschen reifer ist Deez seitdem auch geworden, aber es ist schön, dass er diese Phase hatte. Denn die hatten wir schließlich alle mal.

DIRE STRAITS
Your Latest Trick (1985)
Einer der wenigen Songs der Dire Straits, in denen die Gitarre mal nicht das Hauptinstument ist, sondern eine der steilsten Saxofon-Hooks der Achtziger, nach der selbst George Michael sich noch umschauen würde. Gleichzeitig offenbart ausgerechnet Mark Knopfler hier eine nie geahnte Laszivität in seiner Stimme, die Your Latest Trick zu einem ernsthaften Kandidaten für kitschige Kerzenlicht-Abende macht, den man gar nicht so richtig auf dem Zettel hatte.

MUSE
Invincible (2006)
Den Pathos haben Muse ja seit Eh und Je mit Löffeln gefressen, da wundert auch nicht, dass man Matthew Bellamy glaubt, wenn er Sachen singt wie "there's no one like you in the universe" und hier die ganz dicke Emotions-Keule rausholt. Er ist eben ein Typ der großen Gesten und Invincible daher auch einer der sperrigsten Lovesongs, die man in der modernen Rockmusik finden wird. Trotzdem wirkt er nicht überzogen und falsch, was in dieser Größenordnung schon eine Seltenheit ist und das hier zu einem meiner liebsten Muse-Songs überhaupt macht.

KEN BOOTHE
When I Fall in Love (1968)
Die Schönheit früher Rocksteady-Platten im Vergleich zum klassischen Roots Reggae zeigt sich vor allem in Lovesongs wie When I Fall in Love, die zwar grundlegende Reggae-Elemente aufweisen, inhaltlich aber noch irgendwo im Do-Wop und Motown-Sound zuhause sind. Aber auch ohne zusätzliche Geschichtsstunde taugt dieser Standard von Ken Boothe als großartige Hochzeitsnummer, die die Beständigkeit der Liebe besingt.


FOO FIGHTERS
Tired of You (2002)
Ich habe mit den Foo Fighters immer ein bisschen meine Probleme gehabt, doch diesen einen Song liebe ich eigentlich schon immer. Als grundehrliche Kontemplation über das unausweichliche Ende einer Beziehung schafft Dave Grohl hier einen sehr seltenen nachdenklichen Moment, der vor allem dank der minimalistischen musikalischen Umsetzung und fünf Minuten Streckbank unglaublich stark geworden ist.


ABSOLUTE BEGINNER
Liebes Lied (1998)
Alles andere als ein Geheimtipp und eigentlich kein Song, den man 2019 noch in so eine Liste schreiben muss. Andererseits aber auch einer, für den es seit 20 Jahren auch keinen Grund gab, nicht in so einer Liste zu landen, denn wenn eine Deutschrap-Single der damaligen Zeit das Prädikat "zeitlos" verdient, dann definitiv dieses hier. Und daran kann auch die tausendste K.I.Z.-Parodie und selbst die Tatsache nichts ändern, dass die Beginner hier eigentlich überhaupt kein Liebeslied schreiben.

BOB DYLAN
the Man in Me (1970)
Die meisten kennen das hier ganz sicher als den Song aus the Big Lebowski und wenn man es genau nimmt, singt Dylan hier eigentlich sowas wie die Essenz des Coen-Meisterwerks: The Man in Me ist eine Mischung aus behaglicher Männlichkeits-Hymne und ehrlichem Lovesong, in dem es um Verständnis und Geborgenheit geht. Ganz nebenbei gefühlt das einzige richtig gute Liebeslied von Dylan, das ohne sechsminütigen Storytelling-Aufbau auskommt.


HUND AM STRAND
Jungen Mädchen (2005)
Jungen Mädchen ist der einzige kleine Hit des einzigen Albums von Hund am Strand, eine dieser Motor FM-Bands aus den Zweitausendern, dafür will er aber gleich die große Revolution. Der Text ist gleichzeitig Persiflage und zweiter Aufguss promiskuitiver 68er-Parolen und fordert eventuell auch ein bisschen die freie Liebe. Vor allem ist es aber ein schönes Relikt eines längst vergangenen Nischengenres deutscher Popmusik, das ich selbst fasr vergessen hätte.

KURT COBAIN
And I Love Her (2015)
Vielleicht der schönste Moment der Montage of Heck-Homerecording-Serie von Kurt Cobain ist dieses zweiminütige Schrabbel-Akustik-Cover einer mäßig bekannten Beatles-Nummer, denn es zeigt eine spannende Seite des Musikers. Zum einen natürlich, dass er doch ein ziemlicher Beatles-Fan war, zum anderen ist das hier eine fast schon niedliche Seite des ewigen Grunge-Griesgrams Cobain, die man auf seinen eigenen Stücken eigentlich nie erlebte. Sicher eher ein Fundstück für Hardcore-Fans, aber definitiv nicht zu unterschätzen.

POLIS
Danke (2014)
Wenn Christian Roscher über die Liebe singt, geht es nicht nur ums schnöde Beziehungsleben, sondern um Menschen, Erde und das Universum an sich, daran muss man sich bei ihm gewöhnen. Trotzdem ist Danke in seinem Kern letztendlich auch nicht mehr als ein sehr klassischer Lovesong und funktioniert als solcher auch fabelhaft. Das heißt, wenn man dabei auch auf dreiminütige Soloparts und religiöse Metaphorik steht.

Mittwoch, 13. Februar 2019

Keine Parolen




















[ akademisch | seicht | indiepoppig ]

Sophisticated sind Botschaft auf jeden Fall, zumindest inhaltlich. Man begreift das vielleicht erst, wenn man sich mal mit dem künstlerischen Selbstverständnis dieser Formation auseinandergesetzt hat, dann jedoch ist es ziemlich einleuchtend. Die Diskrepanz zwischen Popmusik und inhaltlichem Diskurs überwinden, quasi das zusammenschweißen, was in ihren Augen nicht zusammengehört, ist die Mission des Hamburger/Berliner Quartetts. Der Bandname ist dabei ebenso strategisch gewählt wie ein so plakativer Albumtitel wie Musik verändert nichts, auf bloße Schlagwörter beschränkt sich dieser inhaltliche Ethos aber nicht. Mit Malte Thran singt hier immerhin ein promovierter Soziologe und die künstlerische Basis der Gruppe ist der eloquente Akademie-Pop der Hamburger Schule. Kurz gesagt kann man festhalten, dass man mit Botschaft ein Gesamtpaket bekommt: Ihr inhaltliches Verständnis füllt jede Nische ihrer Arbeit aus und ist zumindest auf diesem Debüt hier Daseinszweck und Kampfprogramm. Und natürlich stehen dabei mal wieder die Texte an erster Stelle. Thran (der zumindest die meisten davon geschrieben hat) ist dabei nicht unbedingt der Typ für ellenlange Ausführungen und komplexe Stories, er strickt hier eher simple Muster. In den besten Momenten der LP schaffen diese aber genau die Art von Anti-Parolen, die durchaus sehr viel Echtheit transportieren. Gerade Songs wie Niederlage und Atom sind voll davon und zeichnen mit wenigen Konturen ein Schema, das zwar reduziert, aber trotzdem nicht verkürzt ist. Da geht es um gesellschaftliche Prägungen (Sozialisiert in der BRD), die Familie als paradoxes Refugium (Zwischen den Jahren) oder soziologische Metaphern (Atom), was alles keine leichte Kost ist, aber zumindest versuchen Botschaft, diese so gefällig wir möglich zu gestalten. Womit wir zum großen Problem von Musik verändert nichts kommen: der eigentlichen Musik. Es ist schon klar, dass das hier programmatische Stücke sind und gerade die Entscheidung, diese in einer gewissen schlagerhaften Monotonie zu präsentieren, möglicherweise zum Konzept gehört. Es ist ja in der Theorie auch clever, der maximalen Akademisierung auf der einen Seite ein vollendetes kompositorisches Wischiwaschi auf der anderen entgegenzustellen. Aber wie gesagt: in der Theorie. Was in der Umsetzung passiert ist, dass vieles hier einfach nur langweilig klingt. Es ist dabei nicht das Problem, dass sich Botschaft einer Stilrichtung bedienen, für die man in den Achtzigern passenderweise den furchtbaren Containerbegriff "Yacht Rock" erfand, sondern dass sie diesen nicht variieren können. Absolut jeder Song (und ich meine jeder. Song.) hier klingt absolut identisch: die gleichen Reverb-getränkten Gitarrenlicks, die gleiche öde Stino-Bassline, sogar die Hooks sind fast immer sehr ähnlich gesungen. Solange die Texte stimmen, ist das halb so wild und das Reißbrett-Songwriting verschwindet im Hintergrund, doch zeigen sich inhaltliche Schwächen, wie in Treptower Park oder Herrschaftsfrei, offenbart das klangliche Konzept seine Belanglosigkeit, ob nun gewollt oder nicht. In diesen Momenten sind Botschaft nur noch Klangtapete und vermatschen zusehends. Die entscheidende Variable dieses Albums ist letztendlich also die der lyrischen Präsenz. Kann die Band diese Erzeugen, gelingt ihr genau die Form von Diskurspop, die sie in ihrem Selbstverständnis anstrebt (und ganz nebenbei ein nicht zu unterschätzender Unterhaltungswert). Fehlt sie, ist das hier nicht viel besser als Andreas Bourani. Beide Extreme gibt es hier, und letztendlich überwiegen die starken Passagen in meinen Augen, wenn auch nur knapp. Die neuen Blumfeld werden Botschaft auf diese Weise nicht, aber das will ja sowieso niemand mehr werden. Sie selbst wissen das am besten und haben das Fazit der ganzen Sache ja nicht zuletzt auch zum Albumtitel gemacht.


Klingt ein bisschen wie:
Die höchste Eisenbahn
Schau in den Lauf, Hase!

Diiv
Is the Is Are


Persönliche Highlights: Zwischen den Jahren | Atom | Niederlage | Daseinszweck | Sozialisiert in der BRD | Trotzdem

Nicht mein Fall: Herrschaftsfrei

Dienstag, 12. Februar 2019

Mein Gott Walther!




















[ aufgekratzt | atmosphärisch | düster | philosophisch ]

Es war tatsächlich ein bisschen wie verhext und zuletzt immer wieder das unangenehme Leidthema bei meinem jährlichen Besuch eines Walther Luft's Konflikt-Konzertes: Wann kommt denn nun endlich die Platte? Drei Jahre lang musste ich mich hier damit begnügen, ständig nur darüber zu schreiben, wie gut die Brand-Erbisdorfer live sind und darauf bestehen, dass sie auch so die coolste Band aus meiner Gegend sind, was ich inzwischen ohne jede Arschkriecherei sagen kann. Zwar gab es ein Demo von 2016 und ein Jahr später auch einen Konzert-Mitschnitt auf Bandcamp, doch die wirkliche Großartigkeit dieser Gruppe fassten die beide nicht. Das Feeling, das ihre neueren Songs auf der Bühne erbrachen und die kompositorische Sorgfalt, die sich erst im Laufe der Zeit entwickelt hatte, gab es auf Konserve schlichtweg noch nicht. Und allein schon deshalb ist das hier eine Errungenschaft. Weil WLK den Fluch besiegt haben. Den Fluch, der zwei Jahre lang Takes versaute, Spuren verschwinden ließ und Nerven raubte, der an manchen Tagen scheinbar dazu führten, dass der Band jegliche Motivation flöten ging und der dieses Debüt am Ende fast verhindert hätte. Kleine Unwägbarkeiten wie diese sind für eine Teilzeit-DIY-Formation wie diese hier gerne Mal größere Hürden und gerade wenn man sich den künstlerischen Extraschritt gehen will, für den WLK bereit sind, wird der Enthusiasmus oft mit Rückschlägen belohnt. Diese Platte wäre also in meinen Augen selbst dann eine Erfolgsgeschichte, wenn sie kompletter Müll geworden wäre. Dass das nicht der Fall ist, macht sie zu einem umso freudigeren Ereignis. Und zum ersten richtig geltungswürdigen musikalischen Zeichen dieser Gruppe. Denn es ist eben keine popelige Demo, keine Live-Aufnahme, Split-Kassette oder Drei-Track-EP, es ist ein vollwertiges Debütalbum. Ein Attribut, das sich auch in der Struktur dieser Platte wiederspiegelt. Was WLK hier vorstellen, sind nicht nur ihre besten Stücke, sondern auch ein gewisser Kontext und LP-Flow, der eine eigene Logik hat. Vieles hier ist dabei deutlich lichter und fließender als auf dem ersten Demo, die Attitüde im direkten Vergleich nicht mehr ganz so düster und die Texte zwar immer noch tief deprimiert und aufgekratzt, aber in gewisser Weise trotziger formuliert. Dabei stützt die Struktur der Platte durchaus ein gewisses Narrativ, das vielleicht nicht unbedingt gewollt ist, aber sich in meinen Augen sehr schön ergibt. Eine Art Abstreifen des eigenen Elends durch das Entdecken einer überpersönlichen Realität (die am Ende auch nicht unbedingt weniger elend ist). Oder so ähnlich. Allerdings kommen dabei jede Menge schicke Quotables rum, die sich in Gesamtheit zu Songs formen, die nicht nur cool klingen, sondern auch durch ihre Aussage faszinieren. Mein persönlicher Favorit ist in dieser Hinsicht vielleicht der Closer Bruch, der zum Finale der lyrischen Entschalung noch einmal den größtmöglichen Blickwinkel einnimmt und dabei sogar einen Hauch von Optimismus zwischen den Zeilen hat. Welcher Teil der von mir gehörten Botschaft am Ende wirklich der der Band entspricht, kann ich dabei zwar nicht mit Sicherheit sagen, Fakt ist aber, dass diese Platte solche Gedankengänge bei mir angeregt hat. Und das spricht allermindestens dafür, dass Walther Luft's Konflikt sich hier selbst Gedanken gemacht haben. Was die Sache mit dem langen Schaffensprozess nachträglich vielleicht auch einige positive Aspekte abgewinnt, denn so haben wir auch das richtige Format für eine handvoll Songs gekriegt, die spätestens jetzt zu groß für Proberaum-Aufnahmen sind.


Klingt ein bisschen wie:
Fjørt
D'Accord

Todo Para Todos
Todo Para Todos

Persönliche Highlights: Existent in Finsternis | Spiegel | Im Schlamm | Bruch

Nicht mein Fall: -

Montag, 11. Februar 2019

Beste Platten: 1961


Wenn man über das musikalische Jahr 1961 rückblickend eines charakterisieren kann, dann vielleicht, dass es das Jahr der Erschöpfung und des neuen Aufbruchs war. Das Morgengrauen der Sechziger und die Ahnung von etwas, das in kurzer Zeit unser heutiges Verständnis von Popmusik werden sollte: Jazz ist zwar immer noch die Musik der Leute, die sich für Musik interessieren und gerade Künstler wie John Coltrane oder Bill Evans sind die großen Zahnräder in dieser Saison. Doch es dämmert das Ende einer Ära. Ornette Coleman zerfetzt das Konzept des Genres mit der Erfindung des Free Jazz, Soul rückt mit Platten von Ray Charles und Etta James sowie dem Debüt von Nina Simone in den Vordergrund und hinter den Kulissen des Pop formieren sich erste Surf-Gruppen. Rockmusik ist dennoch größtenteils reines Entertainment: Elvis steht auf dem Höhepunkt seiner Kinokarriere und was abseits davon die Charts füllt, ist kommerziell gefönter Wischiwaschi-Schlager für die neu erschlossene Teenie-Zielgruppe. Zwar gibt es im Herzen der New Yorker Clubs schon Musiker*innen wie Woody Guthrie oder Joan Baez, die eine ernstere Form eines neuen Liedguts anstreben, doch sprechen wir in diesem Zeitabschnitt noch von einem winzigen Nischenphänomen, das nur aus heutiger Sicht irgendeine Relevanz hat. Aber genau deshalb machen ich diese Art von Listen ja eigentlich, um meinen Zeitstrahl aus der Zukunft heraus zu schließen. Hier sind meine zehn Lieblingsalben von 1961:


10.

JOHN COLTRANE
Olé Coltrane
Olé Coltrane ist eine dieser Platten, die ihre Großartigkeit im wesentlichen einem gigantischen Song verdanken, der in diesem Fall der Opener und Titelsong Olé ist. Mit über 18 Minuten Spielzeit nimmt er gut die Hälfte der gesamten LP ein (sprich die komplette A-Seite), die in diesem Fall auch ein wirklicher Aufbruch ist. Mit den herrlichen Flötensolierungen von Eric Dolphy und McCoy Tyner am Piano schafft Coltranes Besetzung hier ein exotisches und pulsierendes Stück, das in meinen Augen zu den besten des großen Saxofonisten gehören dürfte. Die B-Seite kontert mit den zwei ansprechenden Jazz-Standards Dahomey Dance und Aisha, die aber ganz klar nicht mehr als schückendes Jam-Beiwerk sind. Was nicht bedeutet, dass ich diese Platte nur zur Hälfte mag, das Qualitätgefälle reicht hier eben nur von 'sehr gut' zu 'hochgradig visonär'. Da darf sollte man nicht mäklig sein.
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09.

PATSY CLINE
Showcase
 Ich musste mit Bedauern feststellen, dass die Bestenliste von 1960 vom letzten Sommer am Ende doch eine ziemliche Nudelparty war, genauer gesagt war keine einzige Frau darauf vertreten. Und obwohl ein Eintrag auf Platz neun für Patsy Cline auch alles andere als ausgeglichen ist, bin ich froh, dass sie überhaupt hier ist. Und im Gegensatz zu einem jammerigen Elvis oder einem frivolen Sinatra war sie für damalige Verhältnisse ziemlich tough und singt schnulzige Lovesongs mit einer Prise Gift in der Stimme, die Anfang der Sechziger schon viel bedeuten kann. Klar ist das nichts gegen eine Flüche flüsternde Nina Simone, aber rein musikalisch war die 1961 noch ganz am Anfang. Im Gegensatz zu Cline, die hier ein hochprofessionelles Country-Pop-Album mit reichlich Schubidu und oh darling abliefert, das man schon auch mögen muss. Aber wie ihr seht, tue ich scheinbar genau das.
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08.

ERIC DOLPHY
Eric Dolphy at the Five Spot Vol. 1
Jazz-Livealben sind die einzig wahren Jazz-Alben, davon bin ich nach wie vor überzeugt. Wo andere Platten sich zwar auch auf die Kunst der Improvisation berufen und ihren Session-Charakter beschwören, ist es doch nochmal was anderes, hier ein tatsächliches Konzert zu hören. Große Künstler wie Booker Little, Eddie Blackwell und eben Eric Dolphy, gemeinsam in einem Raum an einem von vielen Show-Abenden im legendären New Yorker Club Five Spot, die hier eine von tausend Varianten ihrer Songs abnudeln. Gerade Mal drei Titel spielt die Band auf dieser LP, allesamt weit über zehn Minuten lang und gespickt mit endlosen genialen Solierungen und Callbacks, die nicht nur technisch brilliant, sondern auch wahnsinnig energisch sind. Für Auftritte wie diese wurde Bebop erfunden, und hier wurde er einmal in äußert lebendiger Form festgehalten.
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07.

JOHN COLTRANE
My Favorite Things
Ich sagte ja, dass Coltrane damals ziemlich busy war. My Favorite Things ist das erste Album, das er 1961 veröffentlichte und gleichzeitig das erste seines eigenen Quartetts, nachdem er im Jahr zuvor die Band von Miles Davis verlies. Als solches zeigt es vor allem sehr eindrücklich die spielerischen Fähigkeiten des Saxofonisten, mit denen er hier ein paar Musical-Klassiker und bekannte Standards improvisatorsich bearbeitet. Seine Interpretation des Titelstücks aus the Sound of Music dürfte zu den bekanntesten Versionen überhaupt zählen und auch der Twist, den er George Gershwins Summertime verpasst, ist ziemlich markant. Es ist nicht zuletzt die Tatsache, dass er hier solche etablierten Stücke einspielt, die diese LP zu etwas besonderem machen. So viel Kreativität aus bereits endlos verwursteten Nummern zu holen, schaffen nur äußerst talentierte Musiker*innen, und John Coltrane setzt damit nach dem vor allem technisch anspruchsvollen Giant Steps ein weiteres starkes Zeichen für seine Fähigkeiten als Bandleader und großartiger Solomusiker.
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06.

DONALD BYRD
Royal Flush
In meinen Augen ist der Trompeter Donald Byrd, obwohl er seinerzeit ein überaus erfolgreicher Musiker war, aus heutiger Sicht eine der sträflich unterschätzten Figuren des Modern Jazz. Als nicht unbedingt besonders konsistenter oder extrovertierter Geselle, der eher durch sein beachtliches Arbeitspensum auffiel (über 50 Alben gingen bis zu seinem Tod 2013 auf seine Kappe), ist er vielleicht keine besonders strahlende Figur, aber eine, die immer wieder überrascht. Und gerade Royal Flush ist eine dieser Platten, die das ständig tun. Jeder Song hier ist eine neue Wendung, immer wieder wechselt Byrd hier die Marschrichtung und findet im Minutentakt neue Wege, die Grenzen seines Instruments neu auszureizen. Er ist dabei nicht so filigran und pointiert wie ein Miles Davis, sondern eher naiv und auch mal grobschlächtig, was manchmal auch zum Problem wird. Auf dieser LP jedoch haut es mal 41 Minuten lang hin, weshalb es auch definitiv eine seiner besten ist.
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05.

THE GIL EVANS ORCHESTRA
Out of the Cool
 Man könnte lange und ausführlich darüber schreiben, wie aufwändig und durchdacht das gesamte Konzept hinter Out of the Cool ist und wie langwierig sein Entstehungsprozess war, doch eine der besten Sachen an dieser LP ist, dass sie auch ohne all dieses Hintergrundwissen funktioniert. Wichtig ist vielleicht nur, dass Gil Evans ein guter Kumpel von Miles Davis war, weshalb das hier vielleicht so etwas wie der kleine Bruder von Sketches of Spain sein könnte. Auch Evans kratzt mit seinen Kompositionen an der Grenze zur klassischen Komposition, seine Band ist nicht zuletzt ein ganzes Orchester und die messerscharfen, schnarrenden Trompetensoli kann sein Abgeordneter Johnny Coles fast genauso gut wie Davis. Was Out of the Cool unterscheidet ist die gleichzeitige Leichtigkeit, mit der Evans hier agiert und wie er sich auch für moderne Pop- und Blues-Elemente nicht zu schade ist. Für die damalige Zeit macht das diese Platte zu einem sehr kosmopoliten Werk, das für die heilige Welt des Jazz ziemlich expressiv und bunt klingt. Was aber letztendlich auch der Grund ist, warum es hier steht.
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04.

MILES DAVIS
Someday My Prince Will Come
Miles Davis hätte nicht mal ein normales Album aufnehmen können, wenn er es darauf angelegt hätte und Someday My Prince Will Come ist vielleicht die Platte, die dem in seiner Diskografie zumindest am nächsten kommt. Das Quintett-Routineprojekt, dass ihm Columbia damals wahrscheinlich im Ausgleich für das horrend experimentelle Sketches of Spain abverlangte, ist voller hübsch gespielter Standards, melodieverliebt, gemütlich und durchweg Cool Jazz im besten Sinne. Dass hier große Namen wie Hank Mobley und John Coltrane als Gäste zu hören sind, fällt abgesehen von der Ankündigung auf dem Cover gar nicht auf und wie immer bei seinen Alben ist es Davis, der die Musik durchschneidet. Ein relativ unspektakulärer Eintrag in seinem Katalog, der dennoch unglaublich faszinierend und so viel klarer klingt als der meiste Konsens-Jazz aus dieser Zeit.
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03.

RAY CHARLES
the Genius Sings the Blues
Wenn es einen Musiker gab, der in der Zeit Anfang der Sechziger absolut den Status des absolut unfickbaren inne hatte, dann war das definitiv Ray Charles. Zumindest in der afroamerikanischen Soul-Community eilte dem Sänger und Pianisten, den man schließlich nicht umsonst 'the genius' nannte, fast der Ruf eines heiligen voraus und wer damals in seiner Band spielte, hatte es nicht nur in finfzieller Hinsicht geschafft. Nicht zuletzt, weil er eben in diesen Jahren auch seine mit Abstand besten Platten veröffentlichte. The Genius Sings the Blues, dem Namen nach unschwer als "seine Blues-LP" auszumachen, ist zum besten voll mit Hits, die das trockene Lamento von Muddy Waters und Howlin' Wolf in den glamourösen Major-Soul-Sound von Charles übersetzen. Von den vielen Blues-Tangenten, die der Sänger im Laufe seiner Karrier einspielte, dürfte dieses Album dabei mit Sicherheit das authentischste sein, das am nächsten an den Wurzeln des Genres wächst. Definitiv eines meiner Lieblingsprojekte des Genius.
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02.

RAY CHARLES
Genius + Soul = Jazz
Ja, verdammt, warum nicht gleich nochmal? Wie gesagt, die beginnenden Sechziger waren die absolute Blütezeit des Ray Charles und 1961 ganz besonders das Jahr, in dem er einen Hit nach dem anderen rausballerte. Und wo Genius Sings the Blues das torfige, rustikale Blues-Album ist, heizt Genius + Soul = Jazz (der Titel ist als einziges hier totaler Humbug) mit einer Breitseite aus gigantoeskem Bigband-Swing durch die Decke. Papa Charles sitzt diesmal an der Hammondorgel statt am Klavier und singt nur gelegentlich, dafür ist diese LP auch ein erster großer Auftritt für einen zukünftigen Soul-Großmeister: Quincy Jones leistet hier gemeinsam mit Ralph Burns als Arrangeur ganze Arbeit und ist für die Großartigkeit der Platte mindestens genauso verantwortlich wie Charles selbst. Eine der eher ungewöhnlichen Arbeiten aus der damaligen Phase des Genius, aber auch ganz klar eine der bemerkenswertesten.
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01.

JACQUES BREL
Marieke (Vol. 5)
Jacques Brel ist sicherlich eine der spannendsten Figuren des französischen Chanson, und das aus ganz unterschiedlichen Gründen. Zum einen, weil er eigentlich gar kein Franzose ist, sondern gebürtiger Belgier, zum anderen, weil er eine so dermaßen andere Performance dieser Musik kultivierte als seine meisten Kolleg*innen. Seine Art zu singen ähnelt eher der eines Theaterschauspielers als eines Chansonniers, seine Texte sind zum Teil sehr düster, markaber und fast nihilistisch und die dazugehörige Musik nicht minder deprimierend. In den frühen Sechzigern war er so etwas wie der Tom Waits seiner Sparte und in diesem Zusammenhang ist Marieke vielleicht auch seine finsterste Platte. Songs über den Tod, Vergänglichkeit, die Dummheit der Menschen und Erinnerungen prägen den Ton dieser sehr zynischen und melancholischen LP, auf der die ganze Kantigkeit von Brel perfekt zur Geltung kommt. Wie um das zu unterstreichen tauscht er hier das erste Mal anmutige französische Texte gegen die Ruppigkeit seiner flämischen Muttersprache und suhlt sich damit in seiner eigenen Imperfektion. Ein künstlerisches Zeichen, das in nicht nur in einer seiner ehrlichsten Arbeiten, sondern auch in seiner vielleicht besten resultiert.

Sonntag, 10. Februar 2019

Ungezwungen Maskulin




















[ indierockig | gemütlich ]

Das Etikett der Garagen-Girlband war sicher eines, das Girlpool noch nie so wirklich zusagte, auch wenn man zugeben muss, dass er eine Weile lang sehr passend war. Zumindest, wenn man sich ihr Debüt Before the World Was Big von 2015 anhört, findet man alle Klischees, die man landläufig mit solcher Musik verbindet: Rumpeligen Sound, eine gewisse Niedlichkeit gepaart mit schroffen Gitarren, sowie introvertierte Texte mit genau der richtigen Balance zwischen klarer Aussage und entrücktem Wischiwaschi, das zu dieser Zeit sehr viele junge Rockbands spielten. Und nicht zuletzt Platten wie dieser ist es zu verdanken, dass eben jener stilistische Ansatz fünf Jahre später noch omnipräsenter geworden ist und sich gerade zu einer tatsächlichen musikalischen Bewegung verdichtet. Trotzdem: Eine Girlband waren sie definitiv noch nie. Denn von zwei Mitgliedern ist tatsächlich gerade Mal eines ein Mädchen, nämlich Bassistin Harmony Tividad. Ihr Konterpart Cleo Tucker an der Gitarre identifiziert sich inzwischen seit einer ganzen Weile als transgender und titelt sich in aktuellen Interviews ganz souverän als "frontboy" des kalifornischen Duos. Tucker ist auch die Person links auf dem Cover der neuen Platte, die mit Testosteron-Torso und Dreitagebart verwegen in die Kamera blickt, und schon die Tatsache, dass die Band das erste Mal das eigene Motiv für diesen Zweck auswählt zeigt, dass es hier mehr denn je um die beiden Musiker*innen als Menschen geht. Was subjektiv bedeutet, es geht um Cleo Tucker. Denn hier findet sich gleichzeitig die sicherlich größte Neuerung im Sound von Girlpool. Es wäre sicherlich die korrektere Variante, Tuckers Gender-Identität hier komplett außen vor zu lassen und stattdessen nur über die Musik zu reden, doch beeinflusst das eine in diesem Fall zwangsläufig das andere. Cleo Tucker singt auf What Chaos is Imaginary das erste Mal als Tenor, was eine einigermaßen schwerwiegende Veränderung in der Performance dieser Band ist. Die zweistimmigen Harmonien und naiven Duett-Momente, die Girlpool in ihrer Frühphase so cool machten, sind jetzt schlichtweg nicht mehr realisierbar oder würden zumindest ganz schön dämlich klingen, was das Duo dazu veranlasst, kompositorisch und klanglich vieles umzustellen. Wie vieles davon tatsächlich dem Stimmbruch von Tucker geschuldet ist, sei dahingestellt, sicherlich ist der neue Sound auch einfach auch Bock zustande gekommen. Fakt ist aber, dass What Chaos is Imaginary nicht nur stimmlich maskuliner, sondern auch wesentlich rockiger, weitläufiger und erwachsener klingt. Girlpool sind hier keine niedliche Garagenrock-Gruppe mehr, sie sind ehrliche Songwriter*innen, die ihren Stücken eine gewisse Größe verleihen wollen. Und in einem gewissen Rahmen funktioniert das hier auch. Sicher, die Kings of Leon werden die beiden so schnell nicht, aber sie legen sich ganz schön ins Zeug. Vor allem Tucker bringt die neue Stimme in einigen Momenten gewaltig an ihre Grenzen und röhrt dabei schon mal sehr springsteenesk rum. Zum offensiv-lyrischen Thema wird die körperliche Wandlung indes nur selten, und wenn das auf sehr pragmatische Art und Weise. In Hire geht es um Akzeptanz, was hier hauptsächlich mit der Sorge einher geht, als Trans-Person einen Job zu finden und im Supermarkt nicht angestarrt zu werden. Gewissermaßen ist es auch sehr logisch, dass es bei solchen Kleinigkeiten bleibt, denn für Tucker selbst ist das alles nichts neues, lediglich für uns als Publikum. Und in meinen Augen macht What Chaos is Imaginary einen sehr guten Job dabei, den Elefanten im Raum anzusprechen, aber nicht zum riesengroßen Phänomen zu machen. Was intelligent ist, denn zu viel Terz um eine Sache steigert am Ende nicht zwangsläufig deren Akzeptanz (*hust* Laura Jane Grace *hust*). Girlpool machen hier alles richtig und orientieren sich musikalisch ganz nebenbei völlig neu, was sie im Moment definitiv zu einer interessanteren Band macht, als sie es jemals waren. Und man wäre ein Idiot, würde man sich in einer Besprechung über ihr neues Album nur damit aufhalten, über die Gender-Identität von Cleo Tucker zu schwadronieren 😉.


Klingt ein bisschen wie:
Frankie Cosmos
Vessel

Mac DeMarco
This Old Dog


Persönliche Highlights: Where You Sink | Hire | Pretty | All Blacked Out | Hoax & the Shrine | Roses

Nicht mein Fall: Swamp & Bay

Samstag, 9. Februar 2019

Es war nicht Alles schlecht




















[ indiefolkig | sonnig | elektronisch ]

Eine wirklich originelle Band sind Beirut inzwischen schon seit gut einer Dekade nicht mehr, Zach Condon macht nur noch eine ziemlich lasche Indiepop-Version der Musik, mit der er damals auf Gulag Orkestar zum Kritikerliebling wurde, seine Songs sind statisch und monoton geworden und die wenigen Alben, die er in den letzten Jahren gemacht hat, stagnieren bestenfalls auf dem Niveau seiner Starbucks-Phase Ende der Zwotausender: Wenn man 2019 über Beirut spricht, dann selten mit der Euphorie, die man damit vor einiger Zeit noch verband. Und warum auch? Objektiv tut sich seit langem wenig spannendes in diesem Projekt und zeitgeistig gesehen sind Zach Condon und seine Interessengruppe für entrückte Blasmusik gerade nicht das schnellste Pferd im Stall. Gemeinsam mit Bands wie den Editors, Arcade Fire und Mumford & Sons gehören sie zur unmittelbar letzten Generation cooler Indiebands, die zwar noch irgendwie greifbar sind, aber fürs erste all das darstellen, was die jetzige Generation von Musiker*innen überwunden haben will. Beirut stehen jetzt für all die spießigen Alten, die uns damals die blöden Vollbärte, die Holzfällerhemden und den Record Store Day eingebrockt haben. Und dass es diese Reaktion gibt, finde ich an sich auch gut und richtig. Ich selbst habe sie jahrelang herbeigesehnt und staune tagtäglich über die Fülle an neuen Ideen, die durch dieses Umdenken ans Tageslicht kommen. Gleichzeitig muss ich aber auch darauf bestehen, dass früher eben doch nicht alles schlecht war und es durchaus Dinge gibt, die es lohnen, sie weiter zu verfolgen. Beirut sind da eines der besten Beispiele. Zu Anfang seiner Karriere wurde der große Multiinstrumentalist Zach Condon noch als das kommende Wunderkind der Indiemusik ausgerufen und seine Platten regelmäßig bejubelt, bis man sich irgendwann ein bisschen zu sehr daran gewöhnt hatte. Mitte der Nuller war Condon ein extrem fleißiges Bienchen und mit durchschnittlich einem neuen Meisterwerk pro Jahr stellte sich beim Publikum irgendwann eine gewisse Übersättigung ein, die ich gern als den Segall-Effekt bezeichne. Die Kritiken wurden verhaltener und spätestens nach dem Ende der inoffiziellen Schaffenspause 2015 wurde es sogar salonfähig, die neue Beirut-LP komplett zu ignorieren. Und sicher, der Output der Band war in dieser Zeit nicht mehr so erfrischend wie am Anfang, aber schlechte Musik haben sie deshalb noch lange nicht gemacht. Tatsächlich erachte ich Beirut als eine der Formationen, die trotz einer gewissen Routine in ihrem Songwriting niemals scheiße geworden sind. Nicht 2011 auf the Rip Tide (welches vielleicht sogar meine Lieblingsplatte von ihnen ist), nicht 2015 auf No No No und auch nicht 2019 auf Gallipoli. Die neue LP ist zwar mal wieder nicht ihre beste und sicher kein Meisterwerk, aber sie setzt das musikalische Narrativ dieser Gruppe auf würdevolle Weise fort. Nach dem schon etwas ausfälligeren letzten Album ist die Marschrichtung hier wieder ein bisschen klassischer und kompositorisch der auf the Rip Tide wohl am ähnlichsten, allerdings mit einer wesentlich stärkeren Note auf elektronischen Elementen. Wo der Einsatz von Synthesizern und allerhand Gefrickel bei Condon schon immer selbstverständlich war, hat er hier erstmals keinen lediglich untermalenden Charakter, sondern stellt sich sehr breit auf, vor allem in Stücken wie Corfu und We Never Lived Here. Teilweise geht das auf Kosten der klanglichen Harmonie, doch tut dieser minutiöse Schönheitsfehler der ewigen Beirut-Formel zur Abwechslung auch mal ganz gut. Und wer die bauchigen Bläsersätze und lauschigen Indie-Momente liebt, die es bei Condon schon immer gab, kommt auch diesmal nicht zu kurz. Am Ende des Tages sind die synthetischen Einflüsse auch nicht mehr als eine neue Schattierung des typischen Sounds, der hier weiterhin eine sehr solide Strahlkraft besitzt. Dass Beirut noch immer Songs wie Family Curse machen können, die auf ihre Weise auch funktionieren, zeigt mehr denn je, dass dieses Songwriting eine gewisse Zeitlosigkeit besitzt und man von manchen Sachen eben doch nicht genug bekommt. Und das gilt für mich, obwohl Beirut auf jeden Fall schon mal besser waren, es hier einige ziemlich schludrige Nummern gibt und auch die Produktion zu wünschen übrig lässt. Vielleicht hat Zach Condon in meinen Augen aber auch einfach eine gewisse Narrenfreiheit, weil er mich eben auch nach so langer Zeit nicht langweilt. Vernachlässigbar wird er zumindest ganz bestimmt nicht, auch wenn er in den nächsten Jahren noch fünfzehn Mal diese Platte macht. Und ja, das ist vielleicht uncool. Aber dann bin ich das gerne auch.


Klingt ein bisschen wie:
Dirty Projectors
Dirty Projectors

Sigur Rós
Með suð í eyrum við spilum endalaust


Persönliche Highlights: When I Die | Gallipoli | On Mainau Island | Family Curse

Nicht mein Fall: Fin