Sonntag, 10. Februar 2019

Ungezwungen Maskulin




















[ indierockig | gemütlich ]

Das Etikett der Garagen-Girlband war sicher eines, das Girlpool noch nie so wirklich zusagte, auch wenn man zugeben muss, dass er eine Weile lang sehr passend war. Zumindest, wenn man sich ihr Debüt Before the World Was Big von 2015 anhört, findet man alle Klischees, die man landläufig mit solcher Musik verbindet: Rumpeligen Sound, eine gewisse Niedlichkeit gepaart mit schroffen Gitarren, sowie introvertierte Texte mit genau der richtigen Balance zwischen klarer Aussage und entrücktem Wischiwaschi, das zu dieser Zeit sehr viele junge Rockbands spielten. Und nicht zuletzt Platten wie dieser ist es zu verdanken, dass eben jener stilistische Ansatz fünf Jahre später noch omnipräsenter geworden ist und sich gerade zu einer tatsächlichen musikalischen Bewegung verdichtet. Trotzdem: Eine Girlband waren sie definitiv noch nie. Denn von zwei Mitgliedern ist tatsächlich gerade Mal eines ein Mädchen, nämlich Bassistin Harmony Tividad. Ihr Konterpart Cleo Tucker an der Gitarre identifiziert sich inzwischen seit einer ganzen Weile als transgender und titelt sich in aktuellen Interviews ganz souverän als "frontboy" des kalifornischen Duos. Tucker ist auch die Person links auf dem Cover der neuen Platte, die mit Testosteron-Torso und Dreitagebart verwegen in die Kamera blickt, und schon die Tatsache, dass die Band das erste Mal das eigene Motiv für diesen Zweck auswählt zeigt, dass es hier mehr denn je um die beiden Musiker*innen als Menschen geht. Was subjektiv bedeutet, es geht um Cleo Tucker. Denn hier findet sich gleichzeitig die sicherlich größte Neuerung im Sound von Girlpool. Es wäre sicherlich die korrektere Variante, Tuckers Gender-Identität hier komplett außen vor zu lassen und stattdessen nur über die Musik zu reden, doch beeinflusst das eine in diesem Fall zwangsläufig das andere. Cleo Tucker singt auf What Chaos is Imaginary das erste Mal als Tenor, was eine einigermaßen schwerwiegende Veränderung in der Performance dieser Band ist. Die zweistimmigen Harmonien und naiven Duett-Momente, die Girlpool in ihrer Frühphase so cool machten, sind jetzt schlichtweg nicht mehr realisierbar oder würden zumindest ganz schön dämlich klingen, was das Duo dazu veranlasst, kompositorisch und klanglich vieles umzustellen. Wie vieles davon tatsächlich dem Stimmbruch von Tucker geschuldet ist, sei dahingestellt, sicherlich ist der neue Sound auch einfach auch Bock zustande gekommen. Fakt ist aber, dass What Chaos is Imaginary nicht nur stimmlich maskuliner, sondern auch wesentlich rockiger, weitläufiger und erwachsener klingt. Girlpool sind hier keine niedliche Garagenrock-Gruppe mehr, sie sind ehrliche Songwriter*innen, die ihren Stücken eine gewisse Größe verleihen wollen. Und in einem gewissen Rahmen funktioniert das hier auch. Sicher, die Kings of Leon werden die beiden so schnell nicht, aber sie legen sich ganz schön ins Zeug. Vor allem Tucker bringt die neue Stimme in einigen Momenten gewaltig an ihre Grenzen und röhrt dabei schon mal sehr springsteenesk rum. Zum offensiv-lyrischen Thema wird die körperliche Wandlung indes nur selten, und wenn das auf sehr pragmatische Art und Weise. In Hire geht es um Akzeptanz, was hier hauptsächlich mit der Sorge einher geht, als Trans-Person einen Job zu finden und im Supermarkt nicht angestarrt zu werden. Gewissermaßen ist es auch sehr logisch, dass es bei solchen Kleinigkeiten bleibt, denn für Tucker selbst ist das alles nichts neues, lediglich für uns als Publikum. Und in meinen Augen macht What Chaos is Imaginary einen sehr guten Job dabei, den Elefanten im Raum anzusprechen, aber nicht zum riesengroßen Phänomen zu machen. Was intelligent ist, denn zu viel Terz um eine Sache steigert am Ende nicht zwangsläufig deren Akzeptanz (*hust* Laura Jane Grace *hust*). Girlpool machen hier alles richtig und orientieren sich musikalisch ganz nebenbei völlig neu, was sie im Moment definitiv zu einer interessanteren Band macht, als sie es jemals waren. Und man wäre ein Idiot, würde man sich in einer Besprechung über ihr neues Album nur damit aufhalten, über die Gender-Identität von Cleo Tucker zu schwadronieren 😉.


Klingt ein bisschen wie:
Frankie Cosmos
Vessel

Mac DeMarco
This Old Dog


Persönliche Highlights: Where You Sink | Hire | Pretty | All Blacked Out | Hoax & the Shrine | Roses

Nicht mein Fall: Swamp & Bay

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen