Sonntag, 17. Februar 2019

Y Tho?




















[ mystisch | dramatisch | bluesig ]

Wenn es darum geht, Coverplatten aufzunehmen, die sich lediglich mit dem Material eines einzigen Ausgangsalbums zu befassen, so wählt man bestenfalls auch etwas, das dafür die richtige Tragweite hat. Dark Side of the Moon zum Beispiel, Nevermind oder In the Aeroplane Over the Sea. Eine LP eben, die eine gewisse kulturelle Bedeutung hat, damit der direkte Vergleich überhaupt Sinn ergibt. Entweder das, oder das ganze muss schon echt ein krasses Leidenschafts-Ding sein. So wie im Falle des neuesten Albums von Mercury Rev, das mit the Delta Sweete von Bobbie Gentry einen echten Geheimtipp aus der Erinnerung der Pop-Historie hebt. Erschienen 1968 war dieser eine der eher weniger erfolgreichen Platten der ohnehin schon mäßig erfolgreichen Country- und Blues-Sängerin, die auch nachträglich keinen Fankult oder Meme-Status hervorgebracht hat. Und als ich mir das Original als Vorbereitung für diese Besprechung anhörte, hatte ich ehrlich gesagt nicht wirklich den Eindruck, dass Gentry eine Art unentdecktes Genie oder ähnliches wäre. Stünde hier also nicht der Name der renommierten New Yorker Experimentalrock-Band auf dem Cover, ich würde Delta Sweete Revisited wahrscheinlich glattweg ignorieren, hätte ich im Vorfeld überhaupt Wind davon bekommen. Dass mein Interesse für diese Bearbeitung aber so groß ist, lag von Anfang an eigentlich gar nicht an den Qualitäten des Originals, sondern vor allem am Personal, welches die Neuinterpretation hier umsetzt. Nicht nur Mercury Rev, über die ich hier immerhin zum ersten Mal schreibe, sondern vor allem die Legion an Gastsängerinnen, die Bobbie Gentrys Songs hier die Stimme leiht: Mit Hope Sandoval, Rachel Goswell, Susanne Sundfør und Lucinda Williams sind hier einige meiner absoluten Lieblings-Vokalistinnen am Start und mit (unter anderen) Phoebe Bridgers, Margo Price, Norah Jones und Game of Thrones-Star Carice van Houten darüber hinaus mindestens ein halbes Dutzend weitere, die zumindest jede Menge Diskussionsstoff versprachen. Ganz davon abgesehen war die Leadsingle Sermon, gesungen von Margo Price, eines der späten Highlights des vergangenen Jahres, was mich insgesamt sehr neugierig darauf machte, was Mercury Rev hier wohl veranstalten würden. Wobei sie Sache formell erstmal ziemlich einfach ist: Aufgenommen wurden insgesamt zwölf Tracks, elf davon sind die vom Delta Sweete-Original, plus einem Cover von Ode to Billie Joe, dem einzigen richtigen Hit von Bobby Gentry, gesungen von Lucinda Williams. Die Art und Weise, wie dabei mit dem bluesrockigen Ausgangsmaterial umgegangen wird, ist dabei von Song zu Song sehr verschieden. Der Triphop-lastige Sound, den Sermon letzten Herbst vornan setzte, ist dabei aber mehr oder weniger die Basis. Viele der Songs, die in Gentrys Version flott und rockig daherkommen, werden hier dramatisch in die Länge gezogen und mit Pathos aufgeblasen, ähnlich wie man es von vielen Pop-Covern aus schlechten Blockbuster-Soundtracks kennt. Mercury Rev machen die ganze Sache zwar etwas besser und verleihem dem ganzen zumindest einen Hauch von portishead'scher Mystik, so packend wie auf Sermon wird das Album allerdings nie wieder. Reunion schafft passend zum Feature von Rachel Goswell einen leicht shoegazigen Hintergrund und Phoebe Bridgers macht aus Jesseye' Lisabeth am Ende fast eine Goth-Folk-Nummer, ansonsten beschränkt sich die Platte größtenteils auf etwas epischere Bearbeitungen von Country und Blues-Standardwerten. Das kann okay sein, steht und fällt aber dann auch mit dem dazugehörigen Gesangspart. Ausgerechnet Norah Jones schafft mit Okalona River Bottom Band eine ziemlich würdige Eröffnung der LP, zumindest im Vergleich zu dem, was wenig später noch passiert und auch die Performance von Lucinda Williams kann sich sehen lassen. Enttäuscht bin ich hingegen von der sonst eigentlich unfehlbaren Hope Sandoval, die in Big Boss Man plötzlich sehr öde klingt, aber wenigstens noch was zu ihrem Stück beiträgt. Nicht so Carice van Houten, die mit ihrer Version von Parchman Farm leider alle dämlichen Klischees einer singenden Schauspielerin erfüllt oder Susanne Sundfør, die auf Tobacco Road einen der wenigen richtig guten Songs der Originalversion ruiniert. In den schlimmsten Momenten klingt Delta Sweete Revisited tatsächlich wie eine übersäuerte Allstar-Compilation, auf der unkreative Konsensmusiker*innen sich mit alten Country- und Blues-Klassikern anbiedern, einzig die Beteiligung von Mercury Rev selbst vereitelt diese Wirkung zu großen Teilen. Etwas wirklich neues und besonderes erwirtschaftet dieses Projekt am Ende aber in keinem Augenblick dieses Albums. Obwohl Bobbie Gentrys Songs hier teilweise fast zur Unkenntlichkeit verbogen werden, ein ziemlich umfangreiches Instrumentarium aufgefahren wird und dafür wahrscheinlich auch ordentlich Kohle drauf ging, fragt man sich am Ende, was daraus nun eigentlich der Mehrwert sein soll. Eine Gruppe prominenter Indie- und Mainstream-Künstler*innen macht hier aus einer völlig unbekannten und bestenfalls okayen Sechziger-Platte eine unnötig aufgeblasene, fahrige und leider sogar nur sehr mittelmäßige neue Platte, die weder die Bedeutung der Originals hervorhebt, noch ein neues kreatives Signal sendet. So bleibt am Ende eigentlich nur das, was mich anfangs überhaupt darauf aufmerksam machte: Ein Haufen großer Namen. Und die sind ja bekanntlich Schall und Rauch.


Klingt ein bisschen wie:
Norah Jones
...Featuring Norah Jones

Gorillaz
Demon Days

Persönliche Highlights: Okalona River Bottom Band | Reunion | Sermon | Jesseye' Lisabeth | Ode to Billie Joe

Nicht mein Fall: Parchman Farm | Tobacco Road

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