Samstag, 30. Juni 2018

10 Songs im Juni 2018 (the Smashing Pumpkins, Chistina Aguilera, Underworld, Audio88, Yassin, Mädness & Döll, Eneka und und und)























1. TONY MOLINA
Nothing I Can Say
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Tony Molina, der "Zehn-Minuten-Mann", bekannt für seine extrem kurzen Longplayer, veröffentlicht in wenigen Wochen ein neues Album (wenn man das bei ihm so nennen will), dem er mit Nothing to Say einen ersten Appetizer vorausschickt, der in meinen Augen ungelogen nicht weniger als sein bisher bester Song ist. Das Arrangement ist bunter, da Molina verstärkt auf einen vollen Band-Sound setzt, der von voller Instrumentierung bis zu Backing-Vocals das volle Programm bietet. Die insgesamt 72 Sekunden des Tracks werden da zu gefühlten fünf und man spürt, dass weniger Zeitaufwand nicht gleich weniger Ambitionen heißt. Und ich bin tatsächlich zuversichtlich, dass die neue Platte eines der Highlights dieses Jahres werden könnte.

2. UNDERWORLD
Apple Shine for Belfast
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Zwei neue Songs haben Underworld diesen Monat veröffentlicht, und nachdem bereits im Mai ihr Feature mit Iggy Pop auf Bells & Circles absolut grandios war, verblüffen sich mich diesmal aufs neue. Einer der Tracks ist eine weitere Kollaboration mit Iggy im selben Stil wie der erste, doch es ist diese eher außer der Reihe veröffentlichte Nummer, die mich besonders anzieht. Anlässlich ihres ersten Gigs in Belfast namen die Briten Apple Shine auf, einen bis auf einen markenten House-Beat sehr ambienten Song, der ein Bilderbuch-Beispiel für gut gemachte, zeitlose Clubmusik geworden ist. Mehr als alles andere hört man hier die Erfahrung einer Gruppe, die bereits seit über 20 Jahren diese Musik macht und die Dinge dabei auch 2018 richtig anpackt. In meinen Augen sogar besser als jemals zuvor.

3. IDLES
Danny Nedelko
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Auf ihrem Debütalbum im letzten Jahr waren Idles für meinen Geschmack noch etwas zu grobschlächtig, doch was man in letzter Zeit so von ihnen hört, gefällt mir schon um einiges besser. Insbesondere diese zweite Single ihres kommenden Albums ist ein echtes Highlight, das für sich spricht. Nicht nur ist der Song musikalisch bekömmlicher, es sind vor allem die Lyrics, die inspirieren. Danny Nedelko ist eine schillernde und optimistische Hymne an Migration und Toleranz, die mit der typischen Schnauzigkeit der Briten zu einem wunderbaren Statement wird und die so gar nichts von der Verbitterung manch anderer Tracks zum selben Thema hat. Danny Nedelko ist Musik, die man in einem Stadion singen kann. Und ich hoffe ein bisschen, dass genau das irgendwann mal passiert.

4. MATTY
I'll Gladly Place Myself Below You
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Während seine Band Badbadnotgood seit inzwischen zwei Jahren großzügig Bonusmaterial ihres letzten Albums raushaut, macht wenigestens ihr Keyboarder zur Abwechslung mal neue Musik, die noch dazu ziemlich cool klingt. Abseits der Jazz- und Soul-Avancen, für die man ihn sonst kennt, spielt er solo lieber Indiepop der Marke MGMT und Tame Impala, was zwar natürlich ein bisschen ausgelutscht, aber in diesem Falle mal okay ist. Ganz einfach, weil es dieser Typ einfach kann. Das Arrangement seiner ersten Single ist grandios, der Musiker nutzt seine Stärken als Instrumentalist voll aus und überzeugt nebenbei noch als Lyriker: Was will man mehr von einem Popsong? Ob ein Album auf dem Weg ist, darüber darf noch spekuliert werden, ich drücke aber auf jeden Fall die Daumen. Bei Badbadnotgood sieht es nämlich momentan nicht gerade danach aus.

5. THE SMASHING PUMPKINS
Solara
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Nach dem Totalausfall der letzten Alben und der zunehmenden geistigen Umnachtung des Billy Corgan hätte ich nie gedacht, nochmal so einen großartigen Track von dieser Band zu hören, doch die Gründe für diese Wende liegen ebenfalls auf der Hand: Der erste gute Pumpkins-Song seit Ewigkeiten ist auch der erste Song seit Ewigkeiten, auf dem die beiden Gründungsmitglieder James Iha und Jimmy Chamberlin wieder mitspielen. Zwar ist zu bezweifeln, dass sie an der Komposition von Solara maßgeblich beteiligt waren, doch irgendwas ist definitiv passiert. Anders kann zumindest ich mir nicht erklären, dass diese Band plötzlich wieder so klingt, als wäre Adore nicht 20, sondern gerade mal 2 Jahre alt. Aber egal was die Gründe letztendlich sind, ich freue mich, dass ich die Smashing Pumpkins wieder gerne hören kann. Fragt sich wie lange.

6. GANG GANG DANCE
Young Boy (Marika in Amerika)
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Sicherlich der seltsamste Pick in dieser Liste, aber definitiv seinen Platz wert. Young Boy ist experimentelle Elektronik irgendwo zwischen Die Antwoord, Grimes, Jamie XX und Arca, die definitiv Geduld und guten Willen braucht, sich jedoch mit selbigem zu einem extrem farbenfrohen und exotischen Musikerlebnis entfaltet, das trotz seiner Vertracktheit ziemlich viel Spaß macht. Für mich ist es die erste Begegnung mit dem Projekt Gang Gang Dance, die dieser Tage ein neues Album veröffentlicht haben, über das ich jetzt unbedingt sprechen möchte. Bis es soweit ist, mache ich erstmal Werbung für diesen Einzeltrack. Vielleicht kommen ja ein paar von euch auf den Geschmack.

7. CHRISTINA AGUILERA feat. GOLDLINK
Like I Do
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Ich wollte so unbedingt die Teasertracks vom neuen Album von Christina Aguilera gut finden, doch unter den paar ersten Singles war einfach zu viel lumpiger Kram dabei, dass ich eher enttäuscht war. Ausgerechnet mit Goldlink findet die Sängerin nun aber die Form, die sie für den beabsichtigten Stilbruch vielleicht gebraucht hat. Like I Do ist ein ziemlich versautes Slow-Funk-Duett, in dem sich der Rapper mit seinem soften Flow und die laszive Diva mit ordentlich Milf-Attitüde die Klinke in die Hand geben. Was auf dem Papier ziemlich komisch klingt, wird in der Umsetzung hier zum bisher besten Stück, das ich vom neuen Longplayer gehört habe und gleichzeitig auch einer der besten Songs, die ich von Goldlink kenne. Und ich hoffe ein bisschen, dass Aguileras fertige Platte mehr davon zu bieten hat und weniger von der gestelzten Trap-Pseudo-Artshow der anderen Tracks.

8. AUSTENYO
Personova
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Wer mich kennt und wem auch *räusper* gewisse andere Internet-Musikmedien *räusper* bekannt sind, weiß, woher ich diesen Austenyo kenne. Als Urgewächs aus den Untiefen von YouTube hat er gerade nur diesen einen Kanal, über welchen er vermutlich gerade viel Traffic bekommt. Aber wieso auch nicht? Personova ist ein verdammt guter Song mit einem verdammt guten Video und wenn mir gefällt was ich höre, warum soll ich es dann nicht weiterempfehlen, nur weil ich damit meine Quellen preisgebe? Austenyo selber ist wahrscheinlich der letzte, den das stören wird. Und mich stört es auch nicht. Also: Hört euch diesen Track an!

9. YASSIN, AUDIO88, MÄDNESS & DÖLL
Isso
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Als ich das Personal auf diesem Track in der YouTube-Beschreibung sah, wusste ich bereits, dass hier nur was gutes bei rauskommen kann. Denn nicht nur treffen hier mit Audio88 und Yassin beziehungsweise Mädness und Döll zwei der schärfsten deutschsprachigen Hiphop-Duos aufeinander, den Beat dazu hat auch noch der grandiose Eneka produziert, den ich ja seit Jahren verehre. Und obwohl das Ergebnis dann doch strukturell ziemlich chaotisch ist und die Hook ein bisschen zu wünschen übrig lässt, holen die beteiligten Rapper das ganze mit wie immer bombastischen Punchlines wieder raus. Persönlicher Favorit: Wenn Yassin vergessen hat, Papers zu kaufen.

10. TYLER, THE CREATOR
Gelato
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Dafür, dass Tylers aktuelle Songs zumeist Freestyles, Outtakes vom alten Album oder Remixes sind, ist die Qualitätsquote unglaublich hoch. Nicht zum ersten Mal landet einer dieser Tracks unter den zehn besten Stücken des Monats und was toll, aber auch ein bisschen bitter ist: In meinen Augen ist vieles von dem Zeug sogar besser als das auf Flowerboy. Für mich zeigt dieses Phänomen einwandfrei die Entwicklung des Künstlers Tyler, der schon immer seine besten Sachen eher aus der Hüfte geschossen hat, als sie akribisch zu strukturieren. Dass das mittlerweile auch mit seiner Musik funktioniert, spricht dafür, dass er sich mittlerweile endgültig stilistisch gefunden hat. Und wenn das bedeutet, dass es von ihm kein Album mehr gibt, sondern nur noch solche Tracks, finde ich das im Moment sogar okay.

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Mittwoch, 27. Juni 2018

Zwei außer Rand und Band




















Dass Kanye West dem Jahr 2018 mal wieder unmissverständlich seinen Stempel aufgedrückt hat, ist mittlerweile eine klare Sache, doch finde ich, dass er diesmal ein bisschen auf eine schönere Art und Weise tut als zuletzt immer. Denn obwohl Yeezy die Gemüter auch dadurch erhitzte, dass er in groß angelegten Interviews jede Menge Blödsinn redete und eine Leadsingle ohne Lyrics veröffentlichte, sind es vor allem musikalische Impulse, durch die er in den vergangenen Monaten aufgefallen ist, und ziemlich gute noch dazu. Mit Ye hat der Rapper sein vielleicht bestes Solo-Projekt in dieser Dekade veröffentlicht, vor allem hat er mit seiner noch immer laufenden Mini-Album-Serie ein neues künstlerisches Outlet für sich etabliert, das extrem spannend ist. Die Idee, statt eines groß angelegten Longplayers viele kleine 20-Minuten-Platten zu veröffentlichen, nutzt er bisher dafür, sich auf ganz verschiedene Weisen kreativ auszudrücken, sowohl als MC als auch als Produzent. Und Kids See Ghosts, sein kollaboratives Release mit Kid Cudi, ist nur ein weiteres Kapitel davon. Das es existiert, ist in der Theorie schonmal eine ziemlich coole Sache. Zum einen weil es schön ist, diese beiden langjährigen Partner wirklich mal so intensiv zusammen an einem Projekt arbeiten zu hören, zum anderen weil beide aus ziemlich unterschiedlichen künstlerischen Richtungen kommen, was im Vorfeld sehr dafür sprach, dass ihr Material ziemlich kreativ werden würde. Und nach den ziemlich coolen letzten Stücken der Reihe war ich zuversichtlich, dass das auch wieder gute Musik bedeuten würde. Wer das ebenfalls erwartet hat, dessen Euphorie muss ich an dieser Stelle erstmal dämpfen: Kids See Ghosts ist von allen Platten die bisher gewöhnungsbedürftigste. Das bedeutet nicht unbedingt, dass sie schlecht ist, sie ist nur ziemlich schwierig. Und größtenteils hat das eben mit der Tatsache zu tun, dass hier zwei unglaublich kreative Individuen aufeinander treffen, die sich in ihrem Enthusiasmus auch kein bisschen zurückhalten. Der Schöpfer von Speedin' Bullet 2 Heaven trifft auf den Schöpfer von the Life of Pablo, da weiß man eigentlich, was man bekommt. Bisweilen ist das eben anstrengend und nicht immer gehen alle Experimente auf. So ist beispielsweise der Opener Feel the Love mit Pusha T eher ein ziemliches Gemetzel, bei dem besonders Kanye mit seinen wüsten Scat-Parts mehr als ein bisschen übertreibt und auch Fire ist mitunter eher ein wenig cringy. Von Geniestreichen kann man dabei eher selten sprechen, auch wenn man den beiden Künstlern anrechnen muss, dass sie viele Elemente moderner Popmusik sehr subversiv verwenden. Wobei das eben nicht gleich einen guten Song macht. Die kommen hier eher im hinteren Teil der Platte, in der sich Kanye und Cudi wenigstens ein klein wenig beruhigen. Hier zeigen Tracks wie die Titelnummer oder auch die melancholische Cudi Montage, was die beiden gemeinsam vollbringen können und das mehr in ihnen steckt als nur provokante Exzentriker. Doch obwohl die Stücke ziemlich gut sind, würde ich von keinem der sieben sagen, dass hier in irgendeiner Form ein Meisterwerk geschaffen wurde. Die besten Songs sind wie schon bei Ye welche, die eher die früheren Stile beider Künstler reanimieren und die man daher schon ein bisschen kennt. Die Momente, die hier wirklich mal die experimentelle Keule auspacken, sind meistens eher so lala und machen zwar viel anders, aber wenig gut. Abgesehen davon tragen die geladenen Gäste, die immerhin Yasiin Bey, Pusha T und Ty Dolla $ign heißen, absolut nichts zum Eindruck des Projekts bei und verschwimmen insgesamt komplett in ihren jeweiligen Tracks. Großartig ist Kids See Ghosts also in keinster Weise. Dennoch kann ich sagen, dass die Platte zumindest qualitativ an die beiden letzten Kanye-Episoden anschließt und trotz einger sehr fragwürdiger Elemente eine solide Gesamterscheinung geworden ist. Für die lange antizipierte Kollaboration zwischen Kanye West und Kid Cudi hätte man sich vielleicht etwas mehr Pathos und Trara vorgestellt, aber auch ohne all diese Dinge ist das hier eigentlich echt okay. Damit gelingt es Kanye zwar immer noch nicht, mich mit einem seiner neuen Releases wirklich zu überzeugen, aber wieder steht unterm Strich, dass es immerhin das beste ist, was er seit langer Zeit veröffentlicht hat. Und davon gibt es jetzt zumindest noch eine Platte mehr.






Persönliche Highlights: Freee (Ghost Town Pt. 2) / Reborn / Kids See Ghosts / Cudi Montage

Nicht mein Fall: Feel the Love

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Dienstag, 26. Juni 2018

Schockschwere Not




















In vielerlei Hinsicht sind Mourn eine junge Band, der man eigentlich nur das Beste wünschen kann. Ihre Homezone El Maresme in Katalonien ist nicht gerade eine Metropole des internationalen Top-Geschmacks, trotzdem haben sie es in den vergangenen Jahren in alle wesentlichen Musikformate der Erde geschafft. Größtenteils wahrscheinlich, weil sie einfach so cool sind. Nicht nur repräsentieren sie mit ihrer Musik Ideale gegen Sexismus und Gentrifizierung (was extrem cool ist), vor allem haben sie sich damit mit ihrer bisherigen Arbeit eine ziemlich autarke klangliche Nische gebuddelt, in der sie die unangefochtenen ChefInnen sind. Wesentlich ausschlaggebend dafür war vor zwei Jahren ihr zweites Album Ha, Ha, He, das das Quartett stilistisch erst so richtig ausdefinierte und das auf eine Weise, die zumindest mich ziemlich schockte: Der scharfkantige, brüllige und fragmentarische Postpunk von Mourn war für mich seinerzeit eine ziemliche Offenbarung und obwohl sich die SpanierInnen dafür durchaus bei Bands wie Sleater-Kinney, den Pixies oder Sonic Youth bedienten, hatten sie doch eine ganz eigene Art, diese Songs zu schreiben und zu performen. Die vier KünstlerInnen klangen so rabiat und brutal, wie man das von einer jungen Rockband erwartet, es leider aber eher selten hört. Klar, dass Ha, Ha, He dadurch auch eines meiner Lieblingsalben der damaligen Saison wurde und bis heute viel von seiner Faszination behalten hat. Ein direkter Nachfolger hat es deshalb bei mir schon von vornherein nicht wirklich leicht. Denn nicht nur erwarte ich mindestens das gleiche Maß an allgemeiner Qualität in den Songs wie beim Vorgänger, auch muss die neue Platte den Überraschungseffekt kompensieren, der zuletzt viel ausmachte, mittlerweile aber logischerweise futsch ist. Wenig hätte ich dabei damit gerechnet, dass mich Mourn erneut an der Nase herumführen würden. Wobei es diesmal auch ein paar Anläufe gebraucht hat. Als ich Sorpresa Familia zum ersten Mal hörte, war ich zunächst nämlich schwer enttäuscht: Wo war hier das tolle, clevere Songwriting, die pointierten Gesangsperformances, die pappige Produktion? Das alles waren für mich Voraussetzungen für die Hochwertigkeit eines Projektes dieser Band, ohne die es einfach nicht funktionierte. Doch wo ich mich durch den ersten Hördurchgang noch quälte, machte der zweite schon ein bisschen mehr Spaß und schon ab der Hälfte war ich wieder im gleichen Modus, den ich 2016 bei Ha, Ha, He hatte. Die gleiche spritzige Art, Gitarre zu spielen, die gleichen unverblümten Vocals, der gleiche knochige, grantige Sound fand sich hier durchaus, nur mit anderen Parametern. So ist beispielsweise die Produktion hier wesentlich brutaler und greifender als vor zwei Jahren, als noch ein eher muffiger Indie-Teppich das Geschehen dominierte. Das Mixing hier gibt viele Höhen wieder und filtert wenig raus, weswegen die Songs einem am Anfang ziemlich ins Gesicht springen können. Noch dazu wirkt die Komposition diesmal gerne etwas schlampig, auch weil der Gesang wesentlich plärriger ist, was den anfänglichen Schock nicht gerade mildert. Sorpresa Familia ist ein Album, an das man sich erstmal gewöhnen muss, aber ist es erstmal soweit, ist man voll dabei. Dann ist es - zumindest bei mir - wieder wie vor zwei Jahren, als Ha, Ha, He mir das Fleisch vom Gesicht fetzte. In mancherlei Hinsicht sogar noch besser, weil klanglich optimiert und insgesamt vier Minuten länger. Vor allem setzt es aber die bisher echt großartige Diskografie der SpanierInnen großartig fort und macht es mir leicht, der Bande auch weiterhin die Daumen zu drücken. Denn wo das herkommt, gibt es noch viel zu holen. Schließlich sind die meisten in der Gruppe gerade Mal 20 geworden...






Persönliche Highlights: Skeleton / Fun at the Geysers / Orange / Doing It Right / Thank You For Coming Over / Divorce / Sun

Nicht mein Fall: -

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Montag, 25. Juni 2018

Schweinekoteletts Fo' Ya Soul





















Schon häufiger habe ich mich beschwert über vieles aus der Richtung der Popmusik, die sich seit einigen Jahren selbst "alternativer R'n'B" schimpft. Der Begriff, den Journalist*innen als Etikettenschwindel erfunden haben, einfach weil "langweiliger R'n'B" ein bisschen doof klingt und weil es Verschwendung einer tollen Gelegenheit gewesen wäre, diesen Mist mal ausnahmsweise nicht bis in die Unendlichkeit zu pushen. Was mich aber wirklich über die Berichterstattung aufregt ist, dass viele Plattformen die einzigen wirklich tollen Künstler*innen der Bewegung regelmäßig an beiden Seiten überfallen lassen. Statt über eine lahme Kelela mal über die wirklich spannende junge Musikerin Sudan Archives zu schreiben, fällt den Wenigsten ein und gerade im eher experimentellen Bereich des Genres passieren gerade Dinge, die weit über das Zeug einer FKA Twigs hinaus gehen. Hinter dem Rücken der groß aufgeblasenen Lahmarsch-Soul-Nieten formiert sich gerade eine Art R'n'B-Avantgarde, die mal wirklich neue Impulse setzt. Und deren neuer Shootingstar ist ohne Frage ein junger New Yorker namens Josiah Wise, der unter dem Sepentwithfeet arbeitet. Sein Verständnis von Genre-Musik ist bereits auf seinem Debüt so weit aufgelöst, dass der Bezugspunkt zu eben genannter Bewegung eigentlich nur noch einer von vielen ist, wenngleich auch immer noch der deutlichste. Ähnlich wie ein Benjamin Clementine interessiert sich dieser Typ für so viele Sachen, dass einzelne Zuordungen ziemlich schwierig werden, weil alle Einflüsse zu einem äußerst seltsamen Ganzen zusammenfließen. Klanglich sind Frank Ocean und die Young Fathers genauso wichtige Anschlüsse wie Gospel, Johann Sebastian Bach, Einstürzende Neubauten oder Destiny's Child. Was Soil kurz gesagt zu einer ziemlich aufregenden Angelegenheit macht. Denn im Gegensatz zu vielen Kolleg*innen will Serpentwithfeet mit seiner Musik wirklich Wogen schlagen, wozu er dann auch alle Register seines Talents zieht, gern auch sehr ungewöhnliche. Die 39 Minuten dieser Platte verfügen über wenige klare Melodien, aber viel durchstrukturiertes Durcheinander, dem man seine Hierarchie auch durchaus anhört. Nicht selten hört man hier dick orchestrierte Instrumentalparts, die scheinbar ins Nichts führen, aber die mit absoluter Sicherheit akribisch durchkomponiert wurden. Auch in Sachen Percussion ist dieses Album sehr reichhaltig, wobei ich bei keinem der hier eingesetzten Instrumente auch nur raten möchte, was da eigentlich eingesetzt wurde. Theoretisch wäre von Fahrradkette bis Schweinekotelett alles möglich. Was aber in jedem Song definitiv die meiste Aufmerksamkeit auf sich zieht, sind die Gesangsparts von Wise, die ihn einmal mehr als Ausnahmekünstler herausstellen. Nicht nur hat dieser Typ einen unfassbaren Stimmumfang, vor allem nach oben hin, er weiß auch, wie man diesen einsetzt. Wie Mariah Carey in ihren besten Zeiten leiert er hier unglaubliche Vokalschleifen, mit dem einzigen Unterschied, dass er dabei keinen Fick auf Harmonien gibt. Wenn überhaupt, säuselt er in irgendeiner altertümlichen Kirchentonleiter, die er am Ende auch noch selbst erfunden hat. Der Effekt der ganzen Sache ist jedoch immens: Denn wenn man diesen Stücken eines nicht abstreiten kann, dann dass sie Soul haben. Vielleicht nicht im konventionellen Sinne, aber mit hundertprozentiger Sicherheit. Und wenn das stimmt, kann der Rest von mir aus noch so verkunstet sein, die Message kommt rüber. "Alternative" hin oder her, ich finde immer noch, dass ein Mindestmaß an gesanglicher Passion dazu gehört, wenn man R'n'B spielt. In dieser Hinsicht hat Serpentwithfeet also vielen Künstler*innen etwas voraus, die sich viel stärker mit diesem Begriff assoziieren als er. Soul bleibt eben Soul, auch wenn Pitchfork mir seit Jahren etwas anderes weißmachen will.






Persönliche Highlights: Whisper / Wrong Tree / Mourning Song / Cherubim / Seedless / Invoice / Waft / Slow Syrup / Bless Ur Heart

Nicht mein Fall: Fragrant

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Sonntag, 24. Juni 2018

Dreams Come True




















Vielleicht können sich einige ja noch daran erinnern, wie das vor zehn Jahren war, als alle komplett am Ausrasten waren, weil es plötzlich diesen Konstantin Gropper gab. Da kommt dieser Jungspund aus Biberach an der Riß mit seinem seltsamen Soloprojekt Get Well Soon um die Ecke und auf einmal redet die ganze Welt von ihm. Wenn man sich die damaligen Artikel über das Debütalbum Rest Now, Weary Head! You Will Get Well Soon anhört, sprechen nicht nur deutschsprachige Medien immer wieder vom nächsten großen Pop-Komponisten und einem Newcomer der ganz besonderen Art. Dass es diese Reaktion zu diesem Zeitpunkt gab, ist absolut logisch, da seine Art von Musik natürlich etwas sehr spezielles und einnehmendes hatte und hat, gleichzeitig ist es deshalb auch ebenso logisch, dass aus Gropper eben nicht das Riesending geworden ist, das damals alle prophezeihten. Der Tribut, den seine groß angelegten Albumprojekte seit jeher zollen ist die hohe Schwelle, die man als Hörende*r braucht, um daran teilzuhaben. Eine Platte kann gut und gerne Mal drei bis vier Jahre bis zu ihrer Vollendung brauchen und das Ergebnis ist fast automatisch eine sperrige Angelegenheit. In seinen Kompositionen holt Get Well Soon gerne weit aus und wenn bei regelmäßigen zehnminütigen Orchesterparaden der Mainstream irgendwann das Boot verlässt, braucht sich eigentlich niemand zu wundern. Gleichzeitig konnte diese Musik auch nie das Potenzial eines Indie-Klassikers entfalten, weil Gropper am Ende doch immer in Richtung Pop wollte. Die ersten drei Alben versuchte man immer noch, in diese Richtung zu schieben, doch spätestens bei the Scarlet Beast O' Seven Heads von 2012 sprangen die coolen Kids ab. Übrig blieb dem einstigen Wunderkind also ein Dasein als ewiger Liebling des gediegenen Feuilletons und des Kulturradios, die ihn bis heute frenetisch abfeiern. Weil auf die aber auch niemand mehr hört, hätte man fast gar nicht mitgekriegt, das er diesmal wirklich sein bestes Album gemacht hat. Und dabei ist es eigentlich völlig egal, was für Gedanken dahinter stecken. Denn theoretisch ist auch the Horror wieder ein Konzeptalbum, auf dem der Künstler textlich wie musikalisch seine Alpträume verarbeitet. Allerdings ist wesentlich interessanter, was ihn hier musikalisch inspiriert hat: Thematisch passend setzte sich der Musiker hierfür sehr intensiv mit den Arbeiten des Hitchcock-Komponisten Bernhard Herrmann auseinander, aber auch Frank Sinatra nennt er in aktuellen Interviews als starken Einfluss. Wobei man letzteres tatsächlich sehr intensiv hört. Zwar ist Gropper gesanglich nicht ansatzweise so smooth unterwegs wie dieser, aber die Ästhetik stimmt auf jeden Fall. Bei seinen Arrangements scheut diese LP definitiv nicht vor der ganz großen orchestralen Keule zurück und statt Spaghetti-Western- oder Neoklassik-Zeug spielt Get Well Soon diesmal eben ein bisschen Broadway-Kram. Wobei "gruselig" in diesem Fall noch ein wichtiges Attribut ist. Denn obwohl sich die Platte musikalisch sehr breit aufstellt und in gewisser Weise auch die Gloria von Produktionen aus den späten Fünfzigerjahren hat, ist das ganze doch auch immer wieder kafkaesk und schaurig, ganz im Stil eines guten Soundtracks. Das tolle dabei ist, dass sich Gropper von dieser Ausrichtung nicht den Mut zur Vielfalt wegnehmen lässt, was früher immer ein bisschen sein Problem war. The Horror hat viele kleine Off-Tours, darunter auch jede Menge echt schöne. Die drei Nightmare-Songs sind das stilistische Zentrum des Albums, um die sich alles anordnet und wunderbar spielt. Da gibt es Tracks, die sehr vorbildlich mit dem Thema Field Recordings umgehen, mit Future Ruins Pt. 2 und dem Titelsong gleich zwei fabelhafte Introtracks, mit Martyrs und the Only Thing We Have to Fear ein paar Pop-Versuche und mit dem düsteren Nightjogging auch einen ziemlich weirden klanglichen Ausreißer. Nicht jedes Experiment geht dabei zu hundert Prozent auf und wie immer habe ich dabei einige Probleme mit Konstantin Gropper als Sänger, doch bin vom strukturellen Aufbau dieser Platte definitiv ziemlich beeindruckt. Ein Konzeptalbum zu machen ist eine Sache, aber dabei so penibel auf Übergänge, Spannungsbögen und klangliche Feinheiten zu achten, können nur wenige. Es könnte daran liegen, dass Gropper aus der Klassischen Musik kommt, doch auch er macht das in meinen Augen hier das erste Mal wirklich zufriedenstellend. So, wie ich es eigentlich schon immer von ihm hören wollte. Denn dass dieser Typ gute Arrangements schreibt, muss er 2018 niemandem mehr beweisen. Beweisen muss er, dass er ein gutes Album damit zustande bringt. Mit the Horror ist er diesem Ziel für mich persönlich so nah wie nie zuvor.






Persönliche Highlights: Future Ruins Pt. 2 / the Horror / An Air Vent (In Amsterdam) / A Misty Bay (At Dawn) / Nightmare No. 3 (Strangled) / (How to Stay) Middle Class / (Finally) A Convenient Truth

Nicht mein Fall: Martyrs / Nightjogging

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Samstag, 23. Juni 2018

You'll Never Walk Alone




















Dass 2018 wieder ein Punkrock-Jahr ist, habe ich in diversen Artikeln in diesem Frühjahr schon klargestellt. Es gibt endlich wieder gute neue Punk- und Hardcore-Platten und davon nicht zu wenige. Nach langer Zeit der kreativen Flaute (zumindest im Bereich meines Radars) ist das für mich persönlich wirklich eine gute Nachricht und ein Grund zur Freude, allerdings darf man dabei auch nicht vergessen, dass es auch in jener schweren Phase eine Band gab, die stets den Unterschied machte. Die Big Ups aus New York sind in meinen Augen bereits seit 2014 so etwas wie das kleine gallische Dorf unter den HC-Bands, die sich mit großartig gespielten, einfallsreichen und stimmungsvollen Platten irgendwie doch immer einen Platz unter meinen Lieblingen verschafften. Ihr vor viereinhalb Jahren veröffentlichtes Debüt Eighteen Hours of Static war zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung für mich ein strahlender Leuchtturm gut gemachter Punkrock-Musik, während auf der einen Seite die großartige Wave-Bewegung zusammenbrach und auf der anderen tolle Acts wie This Routine is Hell oder Retox langsam scheiße wurden. Die wahnsinnig trockene, aber dennoch sehr kunstige Art, wie die Band ihre Songs anging und dabei gleichzeitig eine große Verwegenheit und eine klare Message schuf, sind bis heute absolut faszinierend und wer einen Beweis will, braucht sich eigentlich nur ihren schon damals besten Track Justice anhören. Und wo es zu Anfang ihrer Karriere dieses Fanal war, das ihnen meine Aufmerksamkeit bescherte, war es die Jahre darauf ihr unglaublich tapferes Durchhaltevermögen, das sie diese behalten ließ. In der Zeit nach Eighteen Hours gab es zwar bisher mit Before A Million Universes nur ein weiteres Album von ihnen, das war dafür aber ebenfalls ziemlich großartig und hielt bissig an seinem Platz in der beschissenen Welt der uncoolen Musik fest. Leicht hatten es die Big Ups also nicht unbedingt immer, dafür sind sie echte Kämpfer. Und das hört man auch ihrer dritten LP Two Parts Together wieder sehr deutlich an. Nach dem mit 42 Minuten doch sehr umfangreichen Vorgänger ist dieses Projekt mit glatt 30 Minuten Spielzeit wieder ganz klar im Punkrock-Format angesiedelt und auch klanglich hat sich hier nicht viel geändert: Dominant sind auch hier noch immer die sehr sporadischen, spröden und rhythmischen Instrumentalparts, die vor allem von ihrer Strophe-Refrain-Dynamik leben und ziemlich extrem vom Frühwerk von Slint beeinflusst sind, wobei das aktuelle Album mit ziemlicher Sicherheit das bisher ruhigste der New Yorker ist. Die lauten Refrain-Parts, gerade in Joe Galarragas Gesangsparts, sind hier ein ganzes Stück verhaltener geworden und auch lyrisch beschäftigt sich das ganze diesmal eher mit den eigenen Befindlichkeiten als mit explizit poltischem Inhalt. Auch gibt es mit Tenmile hier erstmals einen komplett instrumentalen Song. Man könnte also sagen, dass Two Parts Together so etwas wie das Bauchnabel-Album der Band geworden ist. Schlecht ist das allerdings überhaupt kein bisschen: Die Big Ups machen hier zum dritten Mal in Folge ein sehr gutes Hardcore-Projekt, das in vielen Hinsichten überzeugt und ihren Stil weiter zementiert. Klar kann man kritisieren, dass sie langsam auch mal wieder neue Ausdrucksformen finden könnten und auch die ewige Slint-Vergötterung wird nach dem dritten Mal nicht origineller, aber ich kann ganz ehrlich nicht sagen, dass ich diese Musik schon langweilig finde. Etwas abgenutzt ja, aber kompositorisch immer noch stark und mit der richtigen Emotionalität dahinter. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass diese Platte ein klein wenig besser ist als Before A Million Universes. Wenn Big Ups bis hierhin so arbeiten konnten und stilistisch jetzt die Kurve in Richtung kreativer Neuerungen kriegen, könnten sie sich für immer einen Platz in meinem Herzen sichern. Und ich hoffe, dass sie das werden, denn die Szene wird sie sicherlich nicht zum letzten Mal gebraucht haben.






Persönliche Highlights: Two Parts Together / In the Shade / Trying to Love / Tenmile / Fear

Nicht mein Fall: -

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Mittwoch, 20. Juni 2018

Nochmal ganz von vorne




















Dass es in den Gefilden der Rockmusik schon lange keine wirklich großen Innovationen mehr gibt, muss ich mittlerweile eigentlich keiner Sau mehr erzählen. Das Label "Rock" ist spätestens seit Beginn des aktuellen Jahrzehnts zum Synonym für Traditionsverwaltung, Retro-Kultur und effektiver Lebenserhaltung von klanglichen Prinzipien geworden. Viele verwechseln dies jedoch mit einer gleichzeitigen Absage an die Kreativität darin. Und dass man damit falscher nicht liegen kann hat beispielsweise jemand wie Manuel Gagneux in den letzten Jahren eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Ausgerechnet aus dem Blues, der ältesten und sicherlich am meisten verwitterten Pionierform des Rock, in der man das Wort "Innovation" schon seit den späten Sechzigern nicht mehr gehört hat, zog dieser nämlich die Inspiration für eines der spannendsten musikalischen Projekte seit langem. Zeal & Ardor heißt das Brainchild des Schweizers, dessen Debüt Devil is Fine vor zwei Jahren eine regelrechte Begeisterungswelle auf Bandcamp auslöste. Zu Recht, wie ich meine, denn seine Mischung aus Blues, Gospel, Country, Work Songs und Black Metal, um nur die wichtigsten Bestandteile zu nennen, war etwas so noch nie gehörtes. Und obwohl Gagneux dabei sehr traditionelle Bestandteile in sein Songwriting einbezog, war es die Mischung daraus, die die Sache unglaublich innovativ machte. Vom Plattform-internen Geheimtipp mauserte sich die Platte bald zum heißen Tipp unter Musiknerds und bereits letztes Jahr wurde Devil is Fine bei MVKA Music offiziell veröffentlicht. Dass die ganze Geschichte so erfolgreich war und ich Zeal & Ardor als Medium für neue Impulse schätze, bedeutet allerdings noch lange nicht, dass ich ein Fan von ihm bin. Denn wenn ich ehrlich bin, kann ich bis heute nicht so wirklich an jene erste LP ran. Ich bewundere die Grundidee, doch die Art, wie Gagneux diese umsetzt, ist eher oberflächlich. Zu viele Dinge werden einfach nur angeschnitten, zu wenige Ansätze tatsächlich vertieft und mehr als ein sehr simples Mashup-Verständis der Kombinition verschiedener Genres findet dort nicht statt. Die gute Nachricht ist aber, dass sich diese Dinge inzwischen ein bisschen geändert haben. Zwei Jahre und einen Bekanntheits-Boost später ist das nämlich auch für den Künstler selbst der Fall: Zeal & Ardor ist mittlerweile nicht mehr nur ein Pseudonym im Internet, sondern ein Name mit einem Gesicht, der internationale Gigs spielt, bei einem Label gesignt ist, Interviews gibt und sogar ziemlich gute Positionen in den europäischen Charts abgeräumt hat. Und ebenso ernsthaft, wie plötzlich seine Musikerkarriere geworden ist, geht Gagneux glücklicherweise auch sein neues Material an. Seine  zweite LP Stranger Fruit ist ganz klar nicht mehr das ästhetische Experiment, dessen Ergebnis man sich kostenlos bei Bandcamp ziehen kann, sondern kommerziell wie künstlerisch ein ausgefeilteres Album, was man letztendlich auch im gesamten Songwriting des Projektes bemerkt. Statt verschiedene Stile hier einfach nur aufeinander prallen zu lassen, sucht Gagneux hier erstmals Wege, Gegensätzliches möglichst organisch zu kombinieren, Übergänge zu finden und seine eigenen Inspirationen dabei auch selbst genauer zu erforschen. Was in diesem Prozess dabei herauskommt, ist etwas, das ich durchaus als eigenen Stil bezeichnen würde. Die 16 Songs hier sind kompositorisch dichter, bilden einen klanglich sehr stimmigen Bogen und sind sich trotzdem nicht zu schade, das Konzept Zeal & Ardor auch weiterzudenken. So gehen beispielsweise Tracks wie Built On Ashes oder Ship On Fire auch sehr viel deutlicher in Richtung Pop und We Can't Be Found bindet erstmals deutschsprachige Lyrics mit ein. Damit geht Stranger Fruit schon kleine Schritte weiter, ihr größter Verdients ist in meinen Augen aber, dass sie den Sound, den Gagneux auf Devil is Fine einrührte, tatsächlich verdichten und zu einer festen ästhetischen Masse formen kann. Wenn es nach mir geht, ist das hier eigentlich erst das richtige Debüt des Schweizers, der hier einen zweiten, reiferen Versuch unternimmt, die gleiche Kombination einzugehen wie auf dem Vorgänger. Dass es dabei stilistisch noch immer Elemente gibt, die vielleicht nicht ganz so mein Fall sind, ist dann eben so. Hier muss man zumindest nicht mehr fragen, ob das nun gewollt ist oder nicht.






Persönliche Highlights: Don't You Dare / Fire of Motion / the Hermit / Waste / We Can't Be Found / Built On Ashes

Nicht mein Fall: You Ain't Coming Back

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Dienstag, 19. Juni 2018

Noch so eine!




















Es ist eigentlich vollkommen unmöglich, dass wir inzwischen 2018 haben und die Welt scheinbar trotzdem noch nicht genug bekommt von niedlichen Indie-Songwriterinnen. Jedes Jahr aufs neue versuchen sämtliche Labels es wieder, uns eine meist junge Frau mit E-Gitarre anzudrehen, die alberne Songs über wichtige Themen schreibt und dabei nach einer Mischung aus Liz Phair, Pavement und Molly Rankin klingt und jedes Jahr aufs neue funktioniert das irgendwie, auch für mich. Was in der Vergangenheit mit Waxahatchee, Courtney Barnett und Hop Along eigentlich schon mehr als genug war, wird auch in dieser Saison munter fortgeführt. Und neben Frankie Cosmos und Stella Donelly ist Lindsey Jordan aka Snail Mail dabei eine der heißen Kandidatinnen. Gerade Mal 19 Jahre alt ist die Songwriterin aus Maryland und bereits jetzt hat sie sich unter Expert*innen durchaus einen Namen gemacht. Ihre Debüt-EP Habit wurde 2016 zum Geheimtipp, der vor allem durch Pitchfork ordentlich auftrieb bekam und der ihr neben einem Deal bei Matador unter anderem auch meine Aufmerksamkeit einbrachte. Zwei Jahre später stellt Jordan nun ihr Debüt vor und bei aller Verachtung, die ich theoretisch für diese Art Newcomer empfinde, kann ich doch nicht umhin, diesem Stück Musik meine Probs zu geben. Klanglich wie kompositorisch repräsentiert Lush das absolute Klischee, das man von jungen Frauen mit gefärbten Haaren, Jeansjacken und elektrischen Gitarren so hat, allerdings scheine ich ja genau dafür so anfällig zu sein. Es ist ein bisschen wie bei Alvvays: Man weiß genau, dass das hier nicht die kreativste, nicht die spannendste und nicht die coolste Musik ist, die man je gehört hat, trotzdem spricht sie mich gerade durch diese Eigenschaften an. Und bei aller Stromlinienförmigkeit hat Snail Mail am Ende doch einige Alleinstellungsmerkmale, die sie zumindest ein bisschen abheben. So finde ich es beispielsweise beeindruckend, wie lang ihre Stücke hier teilweise sind. In einer Welt, in der Songs mit drei Minuten Länge schon das höchste der Gefühle sind, schreibt Jordan welche mit über fünf Minuten und länger, die sie darüber hinaus auch zu nutzen weiß. Tracks wie Pristine oder Heat Wave sind sehr clever strukturiert, steigern sich in verschiedene Intensitäten hinein und erstrahlen erst im letzten Drittel in voller Schönheit. Den Vorwurf, nur geradeaus zu ballern, muss sich diese Künstlerin also definitiv nicht gefallen lassen. Auch verfügt sie über eine durchaus sehr ausdrucksstarke Stimme, die gerade in den ruhigeren Passagen von Songs wie Deep Sea wahnsinnig gut zur Geltung kommt und einen Großteil ihres Charismas ausmacht. Lindsey Jordan ist also vielleicht eine Trittbrettfahrerin, allerdings auch definitiv eine ziemlich gute. Ihr erstes Album ist alles andere als originell, aber es überzeugt durch Stimmigkeit, Songwriting, Finesse in der Performance und einem am Ende doch überraschend starken Charakter. Und es sind diese Dinge, die im Haifischbecken der Garagen-Indiepoeten letztendlich die Spreu vom Weizen trennen. Wobei ich für Snail Mail nach diesem Einstand definitiv weiterhin große Hoffnungen habe. Vielleicht macht sie es ja tatsächlich besser als alle anderen.






Persönliche Highlights: Pristine / Speaking Terms / Heat Wave / Stick / Golden Dream / Full Control / Deep Sea

Nicht mein Fall: Intro

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Sonntag, 17. Juni 2018

Lachen ist die beste Medizin




















Kennt ihr auch diese Leute, von denen man einfach nur genervt ist, weil man weiß, dass sie immer Recht haben? Die man deswegen auch irgendwann mal sympathisch fand, aber die mittlerweile eigentlich nur noch ätzend sind, weil sie immer alles besser wissen? In künstlerischer Hinsicht ist Josh Tillman aka Father John Misty für mich zu so einer Person geworden. Es gab mal eine Zeit, da gefiel mir seine Musik gerade wegen ihres schnippischen, satirischen schwarzen Humors und ihrer treffsicheren Wenn-man-trotzdem-lacht-Ästhetik. Tillman war schon immer ein guter Beobachter von Zuständen und diese pointiert zu beschreiben, ist seit jeher der Selling Point seiner Songs. Wenn man sich ein Album wie I Love You Honeybear von ihm anhört, weiß man, wovon ich rede. Und das alles war auch schön, solange man dabei am Ende immer noch lachen konnte. Allerdings ging seine Diskografie zuletzt immer mehr dazu über, einem selbiges im Hals stecken zu lassen, weil seine Pointen einfach unglaublich finster wurden. Die LP Pure Comedy vom letzten Jahr steht exemplarisch für diese Entwicklung als eine Platte, deren Humor quasi apokalyptisch geworden ist und hinter deren satirischen Kommentaren sich die gesamte Verkorksheit der modernen Gesellschaft aufbaut. Eigentlich sollte sowas ja ein starkes künstlerisches Statement sein, doch für mich persönlich ging dieses Vorhaben mehr oder weniger komplett nach hinten los. Das Album war pretenziös, vollkommen überladen und musikalisch ziemlich dröge, ganz davon abgesehen, dass man danach ein paar Monate lang schlechte Laune haben konnte. Und gnadenlos wie er ist, legt Josh Tillman gleich im Jahr danach seine nächste LP nach. Und obwohl der Künstler im Vorfeld sehr deutlich klar machte, dass God's Favorite Customer inhaltlich eine ganz andere Richtung einschlagen würde, hatte ich schon Wochen vor der Veröffentlichung keinen Bock mehr darauf. Vorab-Singles wie Mr. Tillman und Dissapointing Diamonds Are the Rarest of Them All gaben genau das gleiche Narrativ vor wie Pure Comedy, mit dem feinen Unterschied, dass sich die Apokalypse diesmal innerhalb der Psyche des Songwriters abspielte. Und wenn ich eines absolut nicht vermisste, dann war es ein Emo-Album von Father John Misty. Die Voraussetungen für diese Platte bei mir waren also denkbar ungünstig. Nachdem ich das Ergebnis nun aber auch vollständig gehört habe, muss ich sagen, dass sich Father John Misty hier wieder ein bisschen fängt. God's Favorite Customer ist zwar lange kein neues Meisterwerk von Tillman, aber immerhin kein ganz so schlimmer Downer wie der Vorgänger. Was zum größten Teil daran liegt, dass hier auch wieder eine gesunde Portion Selbstironie dabei ist. Wenn der Künstler in Mr. Tillman über sein völlig absurdes Dasein als Profimusiker singt und seine Ausführungen als Gespräch mit einem genervten Hotelmanager inszeniert, sitzt der Humor wieder wie damals auf Honeybear und man driftet glücklicherweise nie in existenzialistisches Territorium ab. Auch die Momente, in denen hier Reaktionen auf Pure Comedy reflektiert werden, sind ziemlich witzig, nicht zulezt weil sie sich auch auf die Enstehung des aktuellen Albums beziehen und dabei ziemlich meta werden. Die textliche Ebene ist aber tatsächlich nur ein Punkt, in dem Father John Misty hier aufholt. Der wichtigste Grund, warum ich diese Platte mehr mag als den Vorgänger, dürfte nämlich der sein, dass Tillman auch musikalisch wieder etwas mehr anzieht. Sicher, die sehr aufwändig produzierte Art von Country-Balladen, die auch zuletzt schon vorherrschend war, hat sich hier nur minimal verändert, doch gibt es diesmal wenigstens ein bisschen mehr Action. So zum Beispiel die großartige Glamrock-Hook im Opener oder das sehr rockige Date Night. In den besten Momenten klingt God's Favorite Customer dabei wie eine späte Beatles-LP, manchmal hat die Produktion allerdings auch die wurstige Art eines Eels-Albums an sich. Wie gesagt, ein Meisterwerk ist das hier nicht. Es ist lediglich die Überzeugungarbeit, dass man mit Father John Misty wieder lachen kann. Und ein bisschen sorgt das tatsächlich dafür, dass ich von ihm jetzt nicht mehr ganz so genervt bin. Auch wenn ich mir medizinisch selbst davon abraten würde, dieses Jahr noch wesentlich mehr von dieser Musik zu hören. Vielleicht wäre es auch ganz gut, wenn Tillman nicht gleich nächstes Jahr wieder ein Album macht. Ein bisschen Distanz hilft ja bekanntlich, wenn man sich nicht mehr ganz grün ist.






Persönliche Highlights: Hangout at the Gallows / Date Night / the Palace / God's Favorite Customer

Nicht mein Fall: Dissapointing Diamonds Are the Rarest of Them All

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Samstag, 16. Juni 2018

Pseudo-Metal




















Von einer meiner Lieblingsbands kann man nicht gerade sprechen, wenn es die Schweden von Ghost geht. Was beim ziemlich überzogenen und glattgebügelten Pop-Metal der Formation aus Jönköping anfängt, endet bei ihren forciert mystischen Charakteren, den bescheuerten Musikvideos und lächerlichen Live-Performances. Statt wie eine solide Band fühlt sich ihre gesamte Ästhetik für mich noch immer etwas nach pseudo-okkultem Kabarett an, weshalb ich wahrscheinlich auch nie ein Fan von ihnen werden kann. Eines jedoch muss ich ihnen bei aller Abneigung zugestehen: Ihr letztes Album Meliora von 2015 war einfach mal ziemlich gut. Abgesehen von nach wie vor makabrer Inszenierung und blödem Show-Hokuspokus spielten sich Ghost hier gemeinsam mit Produzent Andy Wallace endlich einen eigenen Sound heraus, der sich genau in die Lücke zwischen Retro-Prog, Heavy Metal und Popmusik setzte, die diese Band schon seit ihrer Gründung für sich beansprucht. Vor allem Wallace war es dabei zu verdanken, dass viele Ansprüche klanglich kanalisiert wurden und die Platte so fokussiert klang. Mit ihm kristallisierte sich ein starkes Teamwork für Ghost heraus, von dem ich hoffte, dass es weiter verfolgt würde. Und in gewisser Weise ist genau das für diesen Nachfolger geschehen: Zwar ist als offizieller Produzent diesmal Tom Dalgety verantwortlich, der unter anderem für Royal Blood und die Pixies gearbeitet hat, Andy Wallace ist trotzdem an diversen Stellen mit von der Partie und setzt in Sachen Sound auch das Erfolgsrezept von Meliora fort. Was natürlich auch zu großen Teilen an der erneut fabelhaften kompositorischen Leistung der Ghouls liegt. Nach dem etwas Film-Noir-mäßigen Vorgänger sind viele Elemente auf Prequelle wesentlich Pop-orientierter, allen voran Tobias Forges Gesangsperformance. Mehr denn je erinnern seine Vocals hier an den extrem kitschigen Hair-Metal von Bands wie Kiss oder Journey, was zur allgemeinen Ästhetik dieser Gruppe aber nicht besser passen könnte. Denn auch instrumental haben sich Ghost hier etwas gewandelt. Die pathetischen Metal-Solierungen und blasphemischen Textpassagen sind spätestens hier eigentlich nicht mehr als dekorativer Zinnober für einen songwriterischen Kern, der klar in Richtung Hitfabrik geht. So erinnern viele Keyboard-Passagen an die Arbeit von Abba, die die Band ja schon seit langem beeinflusst und die man auf diesem Album das erste Mal wirklich hört. Und natürlich sitzt dabei in jedem Song die Hook wie angegossen, was vor allem in energischen Stücken wie Rats oder Dance Macabre eine tolle Wirkung erzielt. Mit Balladen wie Pro Memoria oder See the Light haben Ghost diesmal indes so ihre Probleme, was anhand von tollen ruhigen Passagen auf Meliora doch ein bisschen überrascht. Allerdings ist auch keiner dieser Tracks wirklich doof, nur eben signifikant schwächer als die epischen Rocknummern. Und am Ende sind es eben diese kleinen Unterschiede, die Prequelle am Ende eben doch nicht zum ebenbürtigen Nachfolger für das tolle letzte Album machen. Vieles hier spricht dafür, dass es hier nicht weit davon entfernt ist und rein stilistisch gehen die Schweden hier den Weg  von Meliora weiter. Nur ist es diesmal eben eine Ecke weniger packend und nicht ganz so präsent wie vor drei Jahren. Wobei man definitiv sagen kann, dass Ghost hier eine Ausdrucksform gefunden haben, die zu ihnen passt und die sich nicht komplett lächerlich macht. Jetzt müssen sie nur noch mit dem komischen Ghoul-Blödsinn aufhören.






Persönliche Highlights: Rats / Faith / Dance Macabre / Witch Image / Helvetesfonster / Life Eternal

Nicht mein Fall: -


Freitag, 15. Juni 2018

Der Künstler an seinem Arbeitsplatz




















Daniel Lopatin aka Oneohtrix Point Never ist im Kontext der heutigen elektronischen Musik definitiv einer der ganz großen. Wenn man mich fragt, zählt er für die letzten zehn bis fünfzehn Jahre zu den kreativsten, fleißigsten und einflussreichsten Musiker*innen seiner sehr experimentellen Form von Electronica, den man inzwischen schon mal in einer Reihe mit Aphex Twin, Matmos oder Orbital nennen kann. Seine Arbeit ist immer unberechenbar, immer an der Grenze stilistischer Ausdrucksweisen und dabei trotzdem nie zu verkopft, ganz zu schweigen davon, dass dieser Typ bereits die Grundlagen für ganze Subgenres gelegt hat. Seine Platten einfach zu besprechen, geht also Stand 2018 immer mehr mit einem Aspekt der Götzenanbetung einher, in den man oft zu verfallen gefährdet ist. Denn obwohl Lopatin ganz klar ein genialer Künstler ist, gibt er selbst häufig zu, dass er gerne auch mal irgendwelchen Murks veröffentlicht. Und weil man eben manchmal nicht wirklich trennen kann, was am Ende ernst gemeint ist und was nicht, neigt man mitunter dazu, den größten Müll als nächstes Meisterwerk auszurufen. Vor zehn Jahren entstand aus so einem Missverständis zum Beispiel die Vaporwave-Bewegung, die mehr oder weniger die ganze erste Hälfte der aktuellen Dekade musikalisch beeinflusste. Der Grund, weshalb ich das erwähne, ist ganz einfach der, weil auch von seinem neuen Album wieder diese Gefahr ausgeht: Age Of ist ein bestenfalls okayes Projekt, das aber definitiv dazu verleitet, sehr überdimensioniert wahrgenommen zu werden. Ganz einfach deshalb, weil hier eben der Name Oneohtrix Point Never drauf steht und der sich ja sicher eine Menge bei dieser LP gedacht hat. Schon allein der Titel und das Cover sind mit Symbolik und einer starken Ästhetik überfrachtet, das ausgekoppelte Video zu Black Snow steht dem in nichts nach. Es muss also quasi etwas hinter dieser Platte stecken. Nur dass es eben genau so nicht ist. Zumindest wenn es nach höherer Bedeutung geht, ist dieses Album eigentlich gar nicht so speziell. Sicher, klanglich ist Lopatin hier gewohnt weird und experimentell unterwegs, doch abgesehen davon ist Age Of eigentlich ziemlich 'normal'. In meinen Augen versteht sich die LP als eine Art Werkschau verschiedener Stile, die der Produzent hier ansteuert. So steht beispielsweise der eröffnende Titeltrack sehr im Stil des retrofuturistischen Sounds eines James Ferraro, We'll Take It ist eine spannende Mischung aus Plunderphonics und Proto-Electronik, Manifold und the Station spielen verstärkt mit organischem Instrumentarium und Black Snow könnte man sogar als Lopatins Versuch beschreiben, eine R'n'B-Nummer zu schreiben. Was hier passiert, ist also im großen und ganzen sehr heterogen. Und das spiegelt sich natürlich auch in der Qualität dieses Albums wieder. Manche Dinge, die der Künstler hier versucht, gehen wunderbar auf, andere eher weniger. Ebensowenig, wie man einen Gesamtklang oder einen kompositorischen Bogen ausmachen kann, fällt es schwer, die gesamte LP als gut oder schlecht einzuschätzen. Von mittelmäßigen Soundskizzen und abstrusen klanglichen Clashs bishin zu ausgefuchsten Einzelkunstwerken und herrlichen Avantgarde-Frickeleien ist hier eigentlich alles dabei und letztendlich ist das alles am Ende auch nicht mehr als die Summer seiner Teile. Obwohl Lopatin dabei keinen wirklich unhörbaren Song hier eingebaut hat, würde ich unterm Strich deshalb sagen, dass Age Of eines seiner schwächeren Projekte der letzten Jahre ist. Was aber eigentlich auch nichts über die künstlerische Entwicklung seines Schöpfers aussagt, denn der macht bekanntermaßen eh, was er will. Und wenn es diesmal eine wüste Aneinanderreihung struktureller Experimente ist, dann ist das eben so. Was als nächstes kommt, kann man am Ende eh wieder schlecht sagen. Wenn es nach mir ginge aber vielleicht doch lieber was mit etwas mehr Rückgrat.






Persönliche Highlights: Manifold / the Station / Toys 2 / Black Snow / Warning / We'll Take It / RayCats / Last Known Image of A Song

Nicht mein Fall: -

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Donnerstag, 14. Juni 2018

Rehabilitiert




















Mittlerweile sollte in Bezug auf Kanye West eines klar sein: Seine Art, Alben zu veröffentlichen hat immer mehr etwas von seismischer Aktivität. Dass eines kommt, merkt man schon Monate vorher daran, dass das Internet mehr oder weniger vibriert. Das Comeback des Rappers auf Twitter im April diesen Jahres kündigte es schon mehr oder weniger an, der Content dieser Tweets säte Spekulation und spätestens als sich Yeezy ein paar Wochen später in diversen Interviews öffentlich blamierte, konnte man sicher sein: Eine neue LP war fertig. Um genau zu sein, diesmal waren es sogar mehrere. Denn statt hier lediglich ein lumpiges Soloprojekt zu promoten, ist es vielmehr eine ganze Kampagne, die er gerade veröffentlicht. Als Appetizer kam Ende Mai das von ihm produzierte neue Album von Pusha T, als zweites, zentrales Element seine eigene neue Platte und als Sahnehaube zum Abschluss eine Kollaboration mit Kid Cudi. Den Frühsommer 2018 hat Kanye damit ganz sicher auf seiner Seite. Und was mich vor allem freut ist ja, dass die ganze Sache diesmal nicht so eine Blase geworden ist wie zuletzt bei the Life of Pablo und Yeezus. Im Vergleich zum PR-Aufwand der letzten Wochen und Monate scheinen die Ergebnisse hier ganz vernünftig geworden zu sein, was ich bisher auch bestätigen kann. Zwar habe ich mit Pusha Ts Daytona durchaus so meine Probleme, allerdings sind diese weniger musikalischer als Marketung-technischer Natur (mehr dazu im Artikel) und Kanye zeigte sich dort endlich mal wieder als der versierte Produzent, als den ich ihn immer noch am meisten schätze. Und ähnliches kann ich nun auch von Ye berichten. Ähnlich wie bei Pushas Projekt reichen auch hier etwas mehr als 20 Minuten, um alles rüberzubringen und der Fokus liegt dabei ganz klar auf den klassischen Qualitäten des Künstlers. Leute, die sich in den letzten Jahren immer wieder den "old Kanye" zurückgewünscht haben, werden dieses Album definitiv als Erlösung feiern, denn mehr als alles andere ist das hier die Arbeit eines Rappers und weniger die eines kreativen Kuratoren, eines Sampling-Genies oder eines selbsterklärten Halbgottes. Die Konzentration liegt hier ganz klar auf inhaltlichen Aspekten und ästhetisch geht Yeezy hier ein ganzes Stück zurück zu den Wurzeln. In klanglicher Hinsicht erinnert mich vieles an dieser Platte an die Periode von Graduation, allerdings ganz klar mit einer Attitüde, die Kanyes Weltbild im Jahr 2018 repräsentiert. Viele der Songs sprechen die Themen an, die auch schon auf Twitter und in Interviews Themen waren: Pharmakonzerne, psychische Instabilität, die Freundschaft zu Donald Trump und eine eigenartige Verschwörungstheorie über Sklaverei und freien Willen. An dieser Stelle kommen wir dann auch an den sicherlich schwierigsten Punkt der LP: Die Ansichten dieses Künstlers sind die Ansichten dieses Künstlers und ich muss ganz offen sagen, dass ich viele davon oberflächlich ziemlich scheiße finde. Allerdings bin ich auch schon lange der Meinung, dass die meisten seiner provokativen Aussagen eher dazu dienen, genau den Aufschrei zu erzeugen, den sie in den letzten Wochen erzeugt haben, weshalb ich darauf auch nicht wirklich viel gebe. Diese Aussagen sind die Art und Weise, wie Kanye West sich selbst promotet und nicht wesentlich mehr. Ihm zu unterstellen, ein Aluhutträger oder Neofaschist zu sein, liegt mir also ziemlich fern. Darüber zu lachen ist in meinen Augen die beste Reaktion. So versaut man sich am Ende auch nicht selbst ein Album, das in allen weiteren Punkten eine ziemliche Rehabilitierung der Musik dieses Typen ist. Ye ist zwar bei weitem kein Meisterwerk und an manchen Stellen wird mir Kanye fast wieder zu traditionell, dennoch macht er hier meiner Meinung nach seinen besten Longplayer seit My Beautiful Dark Twisted Fantasies. Und dass ich von ihm nochmal eine Platte erlebe, die so klingt wie diese, hätte ich in meinen wildesten Träumen nicht erwartet. Für gut befinde ich das hier also allemal und ich muss mal wieder sagen, dass es diesem Künstler gelungen ist, mich gewaltig an der Nase herumzuführen. Was nicht zuletzt auch dafür sorgt, dass ich wieder gespannt bin auf seine Musik. Und ein weiteres Album gibt es ja in diesem Jahr noch...






Persönliche Highlights: I Thought About Killing You / Yikes / All Mine / Ghost Town

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Dienstag, 12. Juni 2018

Violinen für Amerika





















Der Bereich junger, selbstbewusster schwarzer Künstlerinnen, die seit einigen Jahren die Musikwelt überfluten, ist ohne Frage schon lange ein Segen für selbige, in politischer wie kreativer Hinsicht. Was Leute wie Little Simz, Janelle Monàe, Syd tha Kid oder Solange seit einiger Zeit vollbringen, ist nicht nur faszinierend, sondern prägt wahrscheinlich gerade eine Ära, die in die Pop-Historie eingehen wird. Neben der Riot-Grrrl-Bewegung der späten Achtziger sicherlich eine der ersten, die hauptsächlich von Frauen geprägt wurden. Eine Entwicklung, die in dieser Sparte des Entertainment schon lange überfällig ist. Und obwohl ich bisher auch nicht immer unkritisch mit der musikalischen Richtung war, in der vieles hier geht - man denke nur an FKA Twigs oder Kelela - wünsche ich mir eigentlich doch nichts sehnlicher als die Platte, die die Ideen vieler dieser Musikerinnen qualitativ hochwertig festnageln kann und mir als Verweispunkt für die revolutionäre Kraft dieser Bewegung dient. Und mit Sudan Archives habe ich vielleicht die Person gefunden, die sie machen könnte. Die junge Künstlerin aus Cincinatti könnte der Luke Skywalker sein, der für mich die Macht ins Gleichgewicht bringt. Dabei kommt sie eigentlich nicht mal aus dem näheren Kontext der sogenannten "urban contemporary music", sondern viel eher aus Folk und Avantgarde. Das Hauptinstrument der 23-jährigen ist die Violine, das spielen darauf hat sie sich selbst beigebracht. Bei ihren Gehversuchen auf dem Instrument stieß sie auf einen besonderen Stil der Streichermusik, der in der sudanesischen Volksmusik üblich ist und von dem sie sich inspirieren ließ. Dazu kamen programmierte elektronische Elemente und schließlich ihr eigener Gesang, der sich zum sehr eigenwilligen Stilmix der Frau aus Ohio entwickelte. Was man auf Sink, ihrer zweiten EP für Hiphop-Labelgigant Stones Throw hört, ist ein unglaublich erfrischendes Amalgam aus Neo-Soul, Elektropop, Neo-Klassik und einem Spritzer Avantgarde, das sehr vielseitige Ausdrucksweisen kennt. Was klanglich aber erstmal sperrig klingt, ist genau die Essenz dessen, was den so hässlich betitelten "alternativen R'n'B" ausmacht. Auf der einen Seite hat sie die sehr spröden, klaren und fordernden Instrumentalpassagen, die man von FKA Twigs oder How to Dress Well kennt und die in ihrem Fall auch extrem kantig werden können. Allerdings versteht diese Frau es eben genauso gut, das mit einer unglaublich organischen Gesangsperformance zu kontrastieren, die essenziell für die Lebendigkeit dieser Musik ist und die ich bei eben genannten Künstlerinnen stets ein bisschen vermisse. Und wo die erste EP von Sudan Archives im letzten Jahr noch sehr experimentell und karg ausfiel, ist sie hier definitiv im Bereich des Pop angekommen. Songs wie Pay Attention oder Escape tragen wesentlich melodischere Strukturen in sich und oft sind es nicht zuletzt die Vocals, die hier den Unterschied machen. Dass Sink stärker elektronisch beeinflusst ist, bedeutet nicht mehr als dass die Musikerin auch Abseits der Violine unglaublich talentiert ist und auch am Laptop richtig tolle Songs schreibt. Manches hier ist zwar nicht ganz so obergeil wie auf dem Vorgänger, aber einen schlechten Track gibt es trotzdem nicht. Das allermeiste ist sogar wieder überdurchschnittlich gut. Und ehrlich gesagt wundert mich das inzwischen nicht mehr, denn dass Sudan Archives eine der besten Newcomer*innen der letzten Jahre ist, darin besteht spätestens jetzt kein Zweifel mehr. Bisher alle ihre Veröffentlichungen waren durch und durch stilvoll, überraschten mit kreativen Höhenflügen, waren klanglich top und hatten dazu meistens noch eine starke Message. Dass diese Frau so richtig absahnt, ist also nur noch eine Frage der Zeit. Wenn man mich fragt, kann ihr erster Longplayer daher nicht früh genug kommen und wenn es noch dieses Jahr werden würde, wäre das eigentlich am besten. Denn gefühlt ist die ganze Angelegenheit mit den experimentellen R'n'B seit 2017 schon wieder ziemlich am abklingen und es wäre ja schade, wenn das beste Album der Bewegung erscheinen würde, wenn die Bewegung eigentlich schon vorbei ist.






Persönliche Highlights: Sink / Nont for Sale / Pay Attention / Escape

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Montag, 11. Juni 2018

Look What You Made Me Do




















Wenn ich mir im Nachhinein die Historie der Chvrches in diesem Format anschaue, sehe ich als Subjekt davon mittlerweile jede Menge Widersprüche. Zum einen ist das Trio aus Schottland einer der Acts mit den besten Bewertungen meinerseits, andererseits würde ich keines ihrer beiden Alben wirklich als persönlichen Favoriten einstufen. Und obwohl ich ihre letzte LP Every Open Eye dafür über den grünen Klee lobte, das perfekte Pop-Meisterwerk zu sein, habe ich seitdem keinen einzigen Song davon wieder bewusst gehört. Wenn es um meine Haltung gegenüber dieser Band geht, kann ich also bis heute keine eindeutige Position finden. Zum einen machen sie großartige, emotionale und eingängige Musik, die ich mir von vielen sehr viel erfolgreicheren Künstler*innen wünschen würde, auf der anderen Seite scheint diese bei mir bis auf gewisse Ausnahmen aber auch keinen langfristigen Eindruck zu hinterlassen. Stand 2018 sind wir beim dritten Album des Projekts angekommen und ich war mir bis kurz vor Veröffentlichung nicht sicher, ob ich mich darauf freuen sollte. Sicher ist es toll, diese Band wieder zu hören und einen Nachfolger für das trotz allem großartige Every Open Eye zu bekommen, allerdings riss mich keine der bisherigen Singles vom Hocker und wirkliche Vorfreude stellte sich bei mir nicht ein. Letztendlich waren Chvrches für mich aber auch schon immer eine Gruppe, die vor allem im Albumkontext überzeugen konnte, weshalb ich letztendlich beschloss, es einfach auf mich zukommen zu lassen. Was vor allem für eine Erkenntnis ganz gut war: Ich sehe diese Musik mittlerweile nicht mehr durch die rosarote Brille. Zum Glück, muss man sagen, denn viele Dinge an dieser Band mochte ich in der Vergangenheit vielleicht etwas mehr, weil ich sie so sehr mögen wollte. Insbesondere ihr Debüt war davon betroffen, das ich inzwischen sicherlich nicht mehr ganz so positiv bewerten würde. Und vielleicht sehe ich Chvrches jetzt endlich auch als das, was sie wirklich sind: Ein Mainstream-Projekt wie viele andere auch. Wenn ich mir Love is Dead so anhöre, fallen mir plötzlich unglaublich viele Parallelen zu Acts wie Taylor Swift, Goldfrapp oder den neuen Sachen von Coldplay auf. Das macht die SchottInnen jetzt auch nicht schlechter als sie sind, aber es zeigt auch, dass sie nichts wirklich besonderes sind. Klar, ihre Texte sind immer noch ein kleines bisschen besser und bei ihnen sitzt nach wie vor jeder Ton, doch das Handwerkszeug ist das gleiche. Auch wenn ein Avicii vielleicht nicht unbedingt Matt Berninger gefeatured hätte. Mit dieser Erkenntnis wiederum fällt es mir auch diesmal leicht, dieses Album über alle Maßen gut zu finden. Mir ist dabei auch gleichgültig, dass die Band auf ihrem mittlerweile dritten Longplayer komplett gleich klingt, Sängerin Lauren Mayberry mittlerweile immer mehr zur vokalistischen Maschine wird und in Sachen Sound generell immer häufiger Helene Fischer-Methoden Mode sind, die Songs sind nämlich nach wie vor verdammt gut. Es gibt wahnsinnig geile Synthesizer-Passagen, mit denen Iain Cook sich mal wieder selbst übertrifft und spätestens wenn in einem Track die Hook einsetzt, sind hier alle zu hundert Prozent am Start. Es gibt auf dieser Platte keinen einzigen Song, der nicht in irgendeiner Form geil ist auch wenn die Gesamtheit nicht so stark klingt wie der Vorgänger, leisten Chvrches hier mal wieder ganze Arbeit. Wahrscheinlich werde ich von dem ganzen Spaß schin in einer Woche nichts mehr wissen und dass Love is Dead am Ende des Jahres eine realistische Chance hat, bezweifle ich. Dennoch kann ich nicht häufig genug betonen, dass diese LP einfach mal wieder sehr unterhaltsam ist und zumindest für den Moment alle bunten Pop-Träume verwirklicht, die man sich wünschen kann. So verhält sich das nun mal eben mit Chvrches und mir und ein bisschen ist mir das inzwischen auch recht. Muss ja auch nicht immer gleich alles das allerbeste sein.






Persönliche Highlights: Graffiti / Deliverance / My Enemy / Forever / Miracle / Wonderland

Nicht mein Fall: -

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