Dienstag, 12. Juni 2018

Violinen für Amerika





















Der Bereich junger, selbstbewusster schwarzer Künstlerinnen, die seit einigen Jahren die Musikwelt überfluten, ist ohne Frage schon lange ein Segen für selbige, in politischer wie kreativer Hinsicht. Was Leute wie Little Simz, Janelle Monàe, Syd tha Kid oder Solange seit einiger Zeit vollbringen, ist nicht nur faszinierend, sondern prägt wahrscheinlich gerade eine Ära, die in die Pop-Historie eingehen wird. Neben der Riot-Grrrl-Bewegung der späten Achtziger sicherlich eine der ersten, die hauptsächlich von Frauen geprägt wurden. Eine Entwicklung, die in dieser Sparte des Entertainment schon lange überfällig ist. Und obwohl ich bisher auch nicht immer unkritisch mit der musikalischen Richtung war, in der vieles hier geht - man denke nur an FKA Twigs oder Kelela - wünsche ich mir eigentlich doch nichts sehnlicher als die Platte, die die Ideen vieler dieser Musikerinnen qualitativ hochwertig festnageln kann und mir als Verweispunkt für die revolutionäre Kraft dieser Bewegung dient. Und mit Sudan Archives habe ich vielleicht die Person gefunden, die sie machen könnte. Die junge Künstlerin aus Cincinatti könnte der Luke Skywalker sein, der für mich die Macht ins Gleichgewicht bringt. Dabei kommt sie eigentlich nicht mal aus dem näheren Kontext der sogenannten "urban contemporary music", sondern viel eher aus Folk und Avantgarde. Das Hauptinstrument der 23-jährigen ist die Violine, das spielen darauf hat sie sich selbst beigebracht. Bei ihren Gehversuchen auf dem Instrument stieß sie auf einen besonderen Stil der Streichermusik, der in der sudanesischen Volksmusik üblich ist und von dem sie sich inspirieren ließ. Dazu kamen programmierte elektronische Elemente und schließlich ihr eigener Gesang, der sich zum sehr eigenwilligen Stilmix der Frau aus Ohio entwickelte. Was man auf Sink, ihrer zweiten EP für Hiphop-Labelgigant Stones Throw hört, ist ein unglaublich erfrischendes Amalgam aus Neo-Soul, Elektropop, Neo-Klassik und einem Spritzer Avantgarde, das sehr vielseitige Ausdrucksweisen kennt. Was klanglich aber erstmal sperrig klingt, ist genau die Essenz dessen, was den so hässlich betitelten "alternativen R'n'B" ausmacht. Auf der einen Seite hat sie die sehr spröden, klaren und fordernden Instrumentalpassagen, die man von FKA Twigs oder How to Dress Well kennt und die in ihrem Fall auch extrem kantig werden können. Allerdings versteht diese Frau es eben genauso gut, das mit einer unglaublich organischen Gesangsperformance zu kontrastieren, die essenziell für die Lebendigkeit dieser Musik ist und die ich bei eben genannten Künstlerinnen stets ein bisschen vermisse. Und wo die erste EP von Sudan Archives im letzten Jahr noch sehr experimentell und karg ausfiel, ist sie hier definitiv im Bereich des Pop angekommen. Songs wie Pay Attention oder Escape tragen wesentlich melodischere Strukturen in sich und oft sind es nicht zuletzt die Vocals, die hier den Unterschied machen. Dass Sink stärker elektronisch beeinflusst ist, bedeutet nicht mehr als dass die Musikerin auch Abseits der Violine unglaublich talentiert ist und auch am Laptop richtig tolle Songs schreibt. Manches hier ist zwar nicht ganz so obergeil wie auf dem Vorgänger, aber einen schlechten Track gibt es trotzdem nicht. Das allermeiste ist sogar wieder überdurchschnittlich gut. Und ehrlich gesagt wundert mich das inzwischen nicht mehr, denn dass Sudan Archives eine der besten Newcomer*innen der letzten Jahre ist, darin besteht spätestens jetzt kein Zweifel mehr. Bisher alle ihre Veröffentlichungen waren durch und durch stilvoll, überraschten mit kreativen Höhenflügen, waren klanglich top und hatten dazu meistens noch eine starke Message. Dass diese Frau so richtig absahnt, ist also nur noch eine Frage der Zeit. Wenn man mich fragt, kann ihr erster Longplayer daher nicht früh genug kommen und wenn es noch dieses Jahr werden würde, wäre das eigentlich am besten. Denn gefühlt ist die ganze Angelegenheit mit den experimentellen R'n'B seit 2017 schon wieder ziemlich am abklingen und es wäre ja schade, wenn das beste Album der Bewegung erscheinen würde, wenn die Bewegung eigentlich schon vorbei ist.






Persönliche Highlights: Sink / Nont for Sale / Pay Attention / Escape

Nicht mein Fall: -

CWTE auf Facebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen