Dienstag, 5. Juni 2018

the Upside Down




















Das schönste an meiner Tätigkeit in diesem Format ist für mich immer die Offenbarung, wenn ein*e Künstler*in, deren Arbeit man schon ewig verfolgt und von der man eigentlich bisher wenig überzeugt war, plötzlich dieses eine Album macht, das absolut genial ist und auf einmal alles in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt. Besonders dann, wenn man diesen Act eigentlich schon abgeschrieben hatte und nichts mehr wirklich erwartete. So zum Beispiel beim neuen Projekt von George Lewis Jr. aka Twin Shadow: Das war eigentlich seit fast einem Monat für den Schnelldurchlauf vom Mai eingeplant, der gestern erschien und den ich in den letzten Tagen noch einmal ausführlich vorbereitete. Auf den ersten Blick war Caer schon zu Anfang eine gute Platte, die die übliche Stilistik des Songwriters repräsentierte, die dadurch aber auch nicht wirklich spektakulär war. Lewis machte eben musikalisch das, was er schon seit Jahren machte und setzte das akzeptabel um. Eine vernünftige Sache, aber nichts, worüber große Worte verlieren musste. Zumindest dachte ich das zunächst. Bis ich dann eben doch noch mal in die LP reinhörte und feststellen musste, dass ich von dieser Musik unverhofft völlig baff war. Mit einem Schlag hörte ich hier Dinge, die mir zuvor verborgen geblieben waren und die dafür sorgten, dass ich meine Entscheidung nochmal komplett überdenken musste. Denn Caer, da bin ich mir nunmehr sicher, ist das beste Album, das Twin Shadow je gemacht hat. Während seine bisherigen Platten immer entweder zu extrem oder zu subtil in seine stilistisch ja nicht unbedenkliche Kerbe stießen, ist das Verhältnis hier unglaublich ausgewogen und funktioniert darüber hinaus noch mit einer gewissen Prise Experimentierfreude, die neue Spannung in die Sache bringt. Dass Lewis seinen emotionalen R'n'B gerne mit einer fetten Schippe Eighties-Pop garniert, ist nichts neues, doch passt hier erstmals das Statement dieser Sache und ist nicht bloßer Retro-Kitsch. Caer funktioniert ein bisschen wie die letzten Alben von Leuten wie Porches oder Blood Orange, insofern dass Nostalgie hier sehr subversiv genutzt wird und nicht immer nur sich selbst dient. So ist die Produktion dieser LP beispielsweise sehr bewusst flach gehalten und nutzt ihr Soundspektrum nicht voll aus, damit selbst beim Hören mit Kopfhörer die Ästhetik eines beschissenen Supermarkt-Walkmans entsteht, auf dem man die aus dem Radio überspielte Kassette hört. Klar kann man sich darüber auch aufregen und die mangelnde Qualität anprangern, doch in meinen Augen ist dieses Gimmick sehr clever eingesetzt und trifft auch nicht flächendeckend zu, sondern reduziert sich auf gewisse Spuren. So klingen einige Bässe und Höhen am Ende doch ziemlich High-End und lassen die klangliche Erfahrung nie wirklich unbefriedigend werden. Und diese Art von Arbeitsweise findet sich auch in der Komposition wieder, die auf der einen Seite definitiv im Pop angesiedelt ist, auf der anderen aber auch immer den Weg hinaus sucht. Wo die ersten beiden Songs noch als bombige Hitsingles überzeugen, driftet das Album danach Stück für Stück in die Obskurität ab, in dem sich R'n'B-Kitsch, Phil Collins- und Springsteen-Retromanie, Anspielungen auf Bon Iver und Arcade Fire und eher abstraktes Songwriting auf seltsame Art vermengen. Wo 18 Years noch klingt wie ein etwas hinkender Versuch, eine Soulballade zu schreiben, ist schon der nächste Track Little Woman extrem aus seinen herkömmlichen Strukturen gerissen und spätestens wenn Lewis in Obvious People tief ins Tangerine Dream-Territorium vordringt, denkt niemand mehr an Hits. Man kann sich das ganze ein bisschen vorstellen wie Stranger Things: Am Anfang ist alles der feuchte Traum eines Achtziger-Nerds, komplett mit scheppernden Drums und knalligen Synth-Passagen, doch Stück für Stück wird dieses Bild düsterer und zum Schluss sogar ziemlich creepy. Wobei die ganze Sache in keinem Moment an Zug verliert. Und letzterer Punkt ist wahrscheinlich auch die wichtigste Eigenschaft dieses Albums. Denn was Twin Shadow hier macht, ist experimenteller R'n'B, wie ich ihn mir vorstelle. Statt sich für lethargisches Geheule und Reverb-Orgien die Kreativität zu untersagen, spielt der Künstler hier wirklich mit Erwartungen, probiert gewisse Grenzen aus, baut kompositorisch ein beeindruckendes Konzept und wird klanglich sogar ziemlich meta. Und sorry, aber das macht ihn in meinen Augen um Längen besser als aktuell einen Frank Ocean oder eine FKA Twigs. Nicht auszudenken, wie ich mich geärgert hätte, wäre ich nicht doch noch über dieses Album gestolpert. Denn das hier ist definitiv eine Messlatte. Nicht nur für seinen Schöpfer selbst.






Persönliche Highlights: Brace / Saturdays / 18 Years / Little Woman / Twins Theme (Interlude) / Littlest Things / Rust (Interlude) / Obvious People / Runaway / Bombs Away (RLP)

Nicht mein Fall: When You're Wrong

CWTE auf Facebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen