Montag, 25. Juni 2018

Schweinekoteletts Fo' Ya Soul





















Schon häufiger habe ich mich beschwert über vieles aus der Richtung der Popmusik, die sich seit einigen Jahren selbst "alternativer R'n'B" schimpft. Der Begriff, den Journalist*innen als Etikettenschwindel erfunden haben, einfach weil "langweiliger R'n'B" ein bisschen doof klingt und weil es Verschwendung einer tollen Gelegenheit gewesen wäre, diesen Mist mal ausnahmsweise nicht bis in die Unendlichkeit zu pushen. Was mich aber wirklich über die Berichterstattung aufregt ist, dass viele Plattformen die einzigen wirklich tollen Künstler*innen der Bewegung regelmäßig an beiden Seiten überfallen lassen. Statt über eine lahme Kelela mal über die wirklich spannende junge Musikerin Sudan Archives zu schreiben, fällt den Wenigsten ein und gerade im eher experimentellen Bereich des Genres passieren gerade Dinge, die weit über das Zeug einer FKA Twigs hinaus gehen. Hinter dem Rücken der groß aufgeblasenen Lahmarsch-Soul-Nieten formiert sich gerade eine Art R'n'B-Avantgarde, die mal wirklich neue Impulse setzt. Und deren neuer Shootingstar ist ohne Frage ein junger New Yorker namens Josiah Wise, der unter dem Sepentwithfeet arbeitet. Sein Verständnis von Genre-Musik ist bereits auf seinem Debüt so weit aufgelöst, dass der Bezugspunkt zu eben genannter Bewegung eigentlich nur noch einer von vielen ist, wenngleich auch immer noch der deutlichste. Ähnlich wie ein Benjamin Clementine interessiert sich dieser Typ für so viele Sachen, dass einzelne Zuordungen ziemlich schwierig werden, weil alle Einflüsse zu einem äußerst seltsamen Ganzen zusammenfließen. Klanglich sind Frank Ocean und die Young Fathers genauso wichtige Anschlüsse wie Gospel, Johann Sebastian Bach, Einstürzende Neubauten oder Destiny's Child. Was Soil kurz gesagt zu einer ziemlich aufregenden Angelegenheit macht. Denn im Gegensatz zu vielen Kolleg*innen will Serpentwithfeet mit seiner Musik wirklich Wogen schlagen, wozu er dann auch alle Register seines Talents zieht, gern auch sehr ungewöhnliche. Die 39 Minuten dieser Platte verfügen über wenige klare Melodien, aber viel durchstrukturiertes Durcheinander, dem man seine Hierarchie auch durchaus anhört. Nicht selten hört man hier dick orchestrierte Instrumentalparts, die scheinbar ins Nichts führen, aber die mit absoluter Sicherheit akribisch durchkomponiert wurden. Auch in Sachen Percussion ist dieses Album sehr reichhaltig, wobei ich bei keinem der hier eingesetzten Instrumente auch nur raten möchte, was da eigentlich eingesetzt wurde. Theoretisch wäre von Fahrradkette bis Schweinekotelett alles möglich. Was aber in jedem Song definitiv die meiste Aufmerksamkeit auf sich zieht, sind die Gesangsparts von Wise, die ihn einmal mehr als Ausnahmekünstler herausstellen. Nicht nur hat dieser Typ einen unfassbaren Stimmumfang, vor allem nach oben hin, er weiß auch, wie man diesen einsetzt. Wie Mariah Carey in ihren besten Zeiten leiert er hier unglaubliche Vokalschleifen, mit dem einzigen Unterschied, dass er dabei keinen Fick auf Harmonien gibt. Wenn überhaupt, säuselt er in irgendeiner altertümlichen Kirchentonleiter, die er am Ende auch noch selbst erfunden hat. Der Effekt der ganzen Sache ist jedoch immens: Denn wenn man diesen Stücken eines nicht abstreiten kann, dann dass sie Soul haben. Vielleicht nicht im konventionellen Sinne, aber mit hundertprozentiger Sicherheit. Und wenn das stimmt, kann der Rest von mir aus noch so verkunstet sein, die Message kommt rüber. "Alternative" hin oder her, ich finde immer noch, dass ein Mindestmaß an gesanglicher Passion dazu gehört, wenn man R'n'B spielt. In dieser Hinsicht hat Serpentwithfeet also vielen Künstler*innen etwas voraus, die sich viel stärker mit diesem Begriff assoziieren als er. Soul bleibt eben Soul, auch wenn Pitchfork mir seit Jahren etwas anderes weißmachen will.






Persönliche Highlights: Whisper / Wrong Tree / Mourning Song / Cherubim / Seedless / Invoice / Waft / Slow Syrup / Bless Ur Heart

Nicht mein Fall: Fragrant

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