Mittwoch, 20. Juni 2018

Nochmal ganz von vorne




















Dass es in den Gefilden der Rockmusik schon lange keine wirklich großen Innovationen mehr gibt, muss ich mittlerweile eigentlich keiner Sau mehr erzählen. Das Label "Rock" ist spätestens seit Beginn des aktuellen Jahrzehnts zum Synonym für Traditionsverwaltung, Retro-Kultur und effektiver Lebenserhaltung von klanglichen Prinzipien geworden. Viele verwechseln dies jedoch mit einer gleichzeitigen Absage an die Kreativität darin. Und dass man damit falscher nicht liegen kann hat beispielsweise jemand wie Manuel Gagneux in den letzten Jahren eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Ausgerechnet aus dem Blues, der ältesten und sicherlich am meisten verwitterten Pionierform des Rock, in der man das Wort "Innovation" schon seit den späten Sechzigern nicht mehr gehört hat, zog dieser nämlich die Inspiration für eines der spannendsten musikalischen Projekte seit langem. Zeal & Ardor heißt das Brainchild des Schweizers, dessen Debüt Devil is Fine vor zwei Jahren eine regelrechte Begeisterungswelle auf Bandcamp auslöste. Zu Recht, wie ich meine, denn seine Mischung aus Blues, Gospel, Country, Work Songs und Black Metal, um nur die wichtigsten Bestandteile zu nennen, war etwas so noch nie gehörtes. Und obwohl Gagneux dabei sehr traditionelle Bestandteile in sein Songwriting einbezog, war es die Mischung daraus, die die Sache unglaublich innovativ machte. Vom Plattform-internen Geheimtipp mauserte sich die Platte bald zum heißen Tipp unter Musiknerds und bereits letztes Jahr wurde Devil is Fine bei MVKA Music offiziell veröffentlicht. Dass die ganze Geschichte so erfolgreich war und ich Zeal & Ardor als Medium für neue Impulse schätze, bedeutet allerdings noch lange nicht, dass ich ein Fan von ihm bin. Denn wenn ich ehrlich bin, kann ich bis heute nicht so wirklich an jene erste LP ran. Ich bewundere die Grundidee, doch die Art, wie Gagneux diese umsetzt, ist eher oberflächlich. Zu viele Dinge werden einfach nur angeschnitten, zu wenige Ansätze tatsächlich vertieft und mehr als ein sehr simples Mashup-Verständis der Kombinition verschiedener Genres findet dort nicht statt. Die gute Nachricht ist aber, dass sich diese Dinge inzwischen ein bisschen geändert haben. Zwei Jahre und einen Bekanntheits-Boost später ist das nämlich auch für den Künstler selbst der Fall: Zeal & Ardor ist mittlerweile nicht mehr nur ein Pseudonym im Internet, sondern ein Name mit einem Gesicht, der internationale Gigs spielt, bei einem Label gesignt ist, Interviews gibt und sogar ziemlich gute Positionen in den europäischen Charts abgeräumt hat. Und ebenso ernsthaft, wie plötzlich seine Musikerkarriere geworden ist, geht Gagneux glücklicherweise auch sein neues Material an. Seine  zweite LP Stranger Fruit ist ganz klar nicht mehr das ästhetische Experiment, dessen Ergebnis man sich kostenlos bei Bandcamp ziehen kann, sondern kommerziell wie künstlerisch ein ausgefeilteres Album, was man letztendlich auch im gesamten Songwriting des Projektes bemerkt. Statt verschiedene Stile hier einfach nur aufeinander prallen zu lassen, sucht Gagneux hier erstmals Wege, Gegensätzliches möglichst organisch zu kombinieren, Übergänge zu finden und seine eigenen Inspirationen dabei auch selbst genauer zu erforschen. Was in diesem Prozess dabei herauskommt, ist etwas, das ich durchaus als eigenen Stil bezeichnen würde. Die 16 Songs hier sind kompositorisch dichter, bilden einen klanglich sehr stimmigen Bogen und sind sich trotzdem nicht zu schade, das Konzept Zeal & Ardor auch weiterzudenken. So gehen beispielsweise Tracks wie Built On Ashes oder Ship On Fire auch sehr viel deutlicher in Richtung Pop und We Can't Be Found bindet erstmals deutschsprachige Lyrics mit ein. Damit geht Stranger Fruit schon kleine Schritte weiter, ihr größter Verdients ist in meinen Augen aber, dass sie den Sound, den Gagneux auf Devil is Fine einrührte, tatsächlich verdichten und zu einer festen ästhetischen Masse formen kann. Wenn es nach mir geht, ist das hier eigentlich erst das richtige Debüt des Schweizers, der hier einen zweiten, reiferen Versuch unternimmt, die gleiche Kombination einzugehen wie auf dem Vorgänger. Dass es dabei stilistisch noch immer Elemente gibt, die vielleicht nicht ganz so mein Fall sind, ist dann eben so. Hier muss man zumindest nicht mehr fragen, ob das nun gewollt ist oder nicht.






Persönliche Highlights: Don't You Dare / Fire of Motion / the Hermit / Waste / We Can't Be Found / Built On Ashes

Nicht mein Fall: You Ain't Coming Back

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