Sonntag, 14. April 2024

Die Wochenschau (08.04-14.04.2023): Beyoncé, Alligatoah, Future & Metro Boomin, Omar Souleyman und und und...



 
 
 
 
 
FUTURE & METRO BOOMIN
We Don't Trust You
Epic

Future und Metro Boomin mögen gerade nicht die zwei coolsten auf dem Schulhof sein, soviel ist klar. Trotzdem ist es eine ziemliche Farce, dass ihr erstes Kollabo-Album den größten Buzz aufgrund einiger Diss-Zeilen bekommt, die nicht mal von einem der Hauptakteure kommen, sondern von Kendrick Lamar. Denn was wir hier effektiv haben, ist eines der vielleicht namhaftesten Producer-Rapper-Koops der vergangenen paar Jahre mit zwei Künstlern an der Spitze, die zu den wichtigsten Hiphop-Protagonisten des letzten Jahrzehnts zählen. Obwohl man der Fairness halber sagen muss, dass We Don't Trust You musikalisch kein Album ist, an dem man das zwingend merkt. Vieles daran ist gut und quasi nichts effektiv schlecht, beide kriegen es hier aber von sich aus nicht hin, irgendetwas bemerkenswertes zu ihrem jeweiligen Sound beizusteuern. Metro Boomin versucht es an einigen Stellen zumindest noch und schafft mit Songs wie Young Metro oder Claustrophobic immerhin eine handvoll Momente, an denen man sich festhalten kann, für Future jedoch scheint die Platte (die immerhin seine erste seit gut zwei Jahren ist) mal wieder eine zu sein, bei der er nicht mehr macht als unbedingt notwendig. Weshalb es letztenendes leider doch so ist, dass Songs vor allem dann hängen bleiben, wenn mal ein wirklich gutes Feature darin auftaucht. So wie das von The Weeknd in Young Metro oder eben das von Lamar in Like That. Wahrscheinlich sind die beiden am Ende also selber schuld.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11





RAURY
Transcendence
Die-Ai-Wei

Alle paar Jubeljahre stolpere ich im Internet mal wieder über die Musik von Raury Tullis, die man bis zu meinem letzten Aufeinandertreffen mit seinem Output vor zwei Jahren als durchaus abstrakte, aber in jedem Moment handfeste Rapmusik bezeichnen konnte. Mit seinem neuesten Album scheint er nun aber dem Weg des Andre 3000 zu folgen (der auch vorher schon einen wesentlichen Einfluss auf ihn zu haben schien) und veröffentlicht eine komplett ambiente New Age-Platte völlig ohne Hiphop-Bezüge. Zwar lässt er die Holzblasinstrumente dabei weg und singt sogar an vielen Stellen, inhaltlich hat das ganze aber eher was von meditativen Mantras, in denen einzelne Worte oder Satzfetzen mit tonnenweise Hall gebetsmühlenartig wiederholt werden. Auf instrumentaler Seite ist die Platte ähnlich zurückgesetzt und beschränkt sich größtenteils auf synthetisches Wabern, das in manchen Momenten schon an Field Recording- oder Lowercase-Musik erinnert. Und wenn der Künstler selbst dann auf dem Cover verschwommen im weißen Gewand zu sehen ist und die Songs selbst nach den sieben Yoga-Chakren benannt sind, weiß man ungefähr, wo man spirituell gelandet ist. Aber wo das alles von konzeptueller Seite her ein bisschen esoterisch und Räucherstäbchen-mäßig rüberkommen mag, ist Transcendende musikalisch doch alles andere als verschwurbelter Hokuspokus, sondern in vielen Momenten ein echt stabiles Ambient-Album. Die Soundscapes der sieben Tracks sind nicht selten super ausgestaltet und haben tatsächlich Substanz, vor allem durch Raurys herrlich klaren Gesang wird das klangliche Bild aber in vielen Momenten noch extra abgerundet und schafft einen Aha-Effekt, den ambiente Musik in dieser Form nicht häufig hat. Das ist auch für ihn als Künstler nicht ohne Bedeutung, denn nach Jahren des eher mittelprächtigen Intellektuellen-Rap schafft er sich hier mal wieder ein Album, mit dem er wirklich heraussticht.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11




ROSIE TUCKER
Utopia Now!
Sentimental Records

 
 
 
 
 
 
 
Vor ein paar Jahren noch wäre eine Platte wie Utopia Now! ziemlich sicher in meinen Saison-Top-Ten gelandet, inzwischen ist aber einfach zu viel Musik von dieser Sorte passiert, um das wirklich noch als Sensation zu verkaufen. Was allerdings genausowenig heißt, dass Rosie Tucker langweilige Musik macht. Klanglich geht die Songwriterin den Weg von Soccer Mommy und Snail Mail, hat lyrisch aber den sarkastischen Schalk einer Courtney Barnett oder gar eines Adam Green in sich, wobei vor allem letzteres sie ein Stückweit aus der Masse heraushebt. Empfehlen kann ich diese Platte also durchaus auf eine Für-Fans-Von-XY-Weise. Wenn man dieser Art von Indierock allerdings schon überdrüssig ist, wird Rosie Tucker das Ruder nicht mehr rumreißen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11




ELBOW
Audio Vertigo
Polydor

Ich kann mich eigentlich an keine Zeit erinnern, in der es Elbow nicht genügte, ihren schöngeistig-melancholischen Indierock sehr geradeaus zu spielen und sich in Sachen klanglicher Veränderung und Experiment eher in Grenzen zu halten. Weshalb es überraschend ist, das sie es mit ihrem immerhin schon zehnten Album doch nochmal wissen wollen. Für die Verhältnisse der Band ist Audio Vertigo extrem actionreich und sucht in vielen Momenten groovige oder gar tanzbare Ästhetiken, die man von ihnen so überhaupt nicht kennt. Erstaunlich oft geht das auch gut, was vor allem daran liegt, dass die Band weiß, wo sie mit dieser Metamorphose ansetzen kann. Die Bewegung vieler Songs findet vor allem in der Rhythmusgruppe und einer ganzen Reihe zusätzlicher Instrumentierung statt, während Guy Garveys Gesang weiterhin gut daran tut, das ganze mit der nötigen Portion Soul und Schwermut auszubalancieren. Und mit Songs wie Knife Fight oder dem Closer From the River gibt es weiterhin ein paar klassische Tracks, die der Platte die nötige Abkühlung verschaffen. In den besten Momenten channeln Elbow also eine fast LCD Soundsystem-artige Energie zwischen Groove und Schwerfälligkeit, die ihnen nicht schlecht steht. Ein bisschen nervig finde ich zwar, dass in manchen Songs synthetische Bläsersätze eingebaut sind, die einfach sehr künstlich klingen, toll finde ich aber die ernsthafte Rockigkeit eines Good Blood Mexico City oder das dancepoppige Keyboard-Gewitter Balu. Und unterm Strich kann man definitiv sagen, dass die Briten mit Audio Vertigo ihre interessanteste Platte seit Jahren machen, die mein sorgfältig kultiviertes Desinteresse für diese Band nochmal ziemlich kalt erwischt hat.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11






ALLIGATOAH
Off
Groove Attack

Viele Jahre lang empfand ich die Musik von Lukas Strobel aka Alligatoah aufgrund ihrer durchtechnisierten und operettenhaften Art größtenteils auf einem Spektrum zwischen uninteressant und effektiv nervig und ich hatte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, das ausgerechnet ein New Metal-Album des Rappers daran noch irgendetwas ändern könnte. Zumal Off in vielerlei Hinsicht kein so krasser Stilbruch ist, wie man das aufgrund des Aufhängers vermuten könnte. Klar, die schweren Riffs und hakenschlagenden Grooves sind allgegenwärtig und in Songs wie Wer lacht jetzt driftet Alligaotoah sogar in Metalcore und Black Metal ab. Die üblichen Parameter seines Sounds, vor allem die schnellen, verklausulierten Rap-Passagen und die krass ohrwurmigen Mike Patton-Refrains als deren Konter, sind hier aber weiter da und prägen das klangliche Bild. Wobei das erstaunliche ist, dass es mich diesmal absolut nicht nervt. Allenfalls die Hook von Ich Ich Ich fällt nochmal in alte Schwächen zurück, das abschließende Cover von No Angels' Daylight ist bestenfalls überflüssig und das groß promotete Feature mit Fred Durst trägt musikalisch nichts bei, ansonsten empfinde ich Off aber als ziemlich stabile Sammlung von Songs, an der ich herzlich wenig auszusetzen habe. Wie Strobel hier seine Themen angeht, ist clever und nicht zu anstrengend-nerdig, viele Melodien sind auf die richtige Weise eingängig und selbst potenziell schwierige Feature-Gäste wie Bausa und Sandra Nasic von den Guano Apes (hat die vorher überhaupt schon mal auf deutsch gesungen?) bringen ihre Parts hier gut über die Bühne. Und wo ich mich von der Sache her schon noch daran gewöhnen muss, ein Album dieses Künstlers nicht nur zu tolerieren, sondern effektiv gut zu finden, ist mein Resultat im Moment doch unmissverständlich befürwortend. 

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11




OMAR SOULEYMAN
Erbil
Mad Decent

Fünf Jahre sind seit der letzten LP von Omar Souleyman vergangen, in denen der Sänger wieder einmal seine musikalische Basis wechseln musste. Nach einiger Zeit in der Türkei wurde ihm von der dortigen Regierung die Mitgliedschaft in der PKK vorgeworfen, in seiner syrischen Heimat ist währenddessen immer noch keine Ruhe eingekehrt. Die irakische Stadt Erbil ist nun vorerst sein neues Zuhause, nach dem er auch diese Platte benannt hat, die im Gegensatz zu seinem unglücklichen Schicksal mehr denn je auf Partystimmung setzt. Obwohl Souleyman diesmal größtenteils mit alten Weggefährten und ohne namhafte europäische Produzenten arbeitete, klingen die Songs hier noch weniger traditionell als je zuvor und bauen in vielen Momenten starke EDM-, Trap- und Hiphop-Querverweise ein. Auch der Sound an sich ist an vielen Punkten noch knackiger und tanzbarer, was bei seiner Musik eigentlich immer eine gute Sache ist. Und gerade weil es jetzt so lange nichts neues von ihm gab, bin ich dafür umso dankbarer. 

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11





BEYONCÉ
Cowboy Carter
Parkwood

Ganz ehrlich, Cowboy Carter ist ein seltsames Album. Und damit meine ich nicht, dass ich die Entscheidung von Beyoncé, einen Feldversuch im Bereich des Country zu unternehmen, an sich seltsam wäre. Schon mit dem House- und Dancepop-Werkstück Renaissance vor zwei Jahren unternahm sie einen in meinen Augen sehr gelungenen Exkurs in eine ihr zuvor relativ fremde Musikrichtung und obwohl man sagen kann, dass der Crossover zu Country sich für sie weniger natürlich anfühlt, ist es doch auch irgendwie logisch. Ebenso wie House ist es eine Stilrichtung, die kommerziell wie künstlerisch gerade eine gewisse Renaissance (pun not intended) erlebt und zu der sich zunehmend auch Künstler*innen aus anderen Bereichen hingezogen fühlen. Abgesehen von einer kreativen Herausforderung sehe ich in Cowboy Carter also vor allem das Potenzial für Beyoncé, in ein neues Marktsegment vorzustoßen, dass sie natürlich nutzen will. Nur finde ich den Weg, den sie dahin geht, in vielen Momenten etwas fragwürdig. So sehe ich es auf der einen Seite ein, dass in der Welt dieses Genres immer gerne mit traditionellem Material gearbeitet wird, die Auswahl der Cover reicht aber von oberflächlich bis geschmacklos. Jolene von Dolly Parton ist ebenso passend wie vorhersehbar, These Boots Are Made for Walking von Nancy Sinatra als promominentes Sample in Ya Ya hängt als Inspirition ebenfalls sehr tief und mit einer Neuinterpretation des Beatles-Songs Blackbird vergreift sich die Platte doch ziemlich im Vibe. Ebenfalls komisch finde ich an Cowboy Carter, wie konfrontativ und rechtfertigend es an vielen Stellen die Argumentation führt, dass ein Country-Album von Beyoncé etwas sinnvolles ist. Dadurch kommt es nicht selten ganz schön defensiv rüber (für diese Künstlerin äußerst ungewöhnlich) und es hilft nicht gerade, dass dafür auch noch Spoken Word-Parts von Willie Nelson und Dolly Parton eingespannt werden. Was mich an diesem Album aber musikalisch am meisten wundert ist, wie wenig wirkliche Country-Momente es letztendlich gibt und wie viele Songs eigentlich komplett an der angestrebten Ästhetik vorbeigehen. Von den immerhin 27 Tracks auf Cowboy Carter würde ich die meisten als angesoulten und angegospelten Songwriter*innen-Pop bezeichnen, der ungefähr so viel mit den Parametern der Stilistik zu tun hat wie die späte Zwotausender-Phase von Taylor Swift. Inhaltlich bedient Beyoncé dabei ein paar begriffliche Buzzword und Südstaaten-Patriotismus (die unproblematische Sorte natürlich), das war es dann aber auch. Was im Vergleich zum wirklich tiefen Einstieg in die Subkultur und Pop-Historie, den sie auf Renaissance machte, schon irgendwie enttäuschend ist. Ein effektiv schlechtes Album ist Cowboy Carter dabei nicht und es hat definitiv seine Momente, auch hier ist es aber bezeichnend, dass diese vor allem dann kommen, wenn Beyoncé stilistisch ihr übliches Ding macht und einfach gute Popsongs schreibt. Und selbst wenn es mir egal wäre, was sie hier stilitisch macht und ich lediglich nach der musikalischen Erfahrung an sich urteilen würde, wäre Cowboy Carter eine Platte, die mich mit vielen Fragezeichen zurückließe. Definitiv keine Glanzparade für diese Künstlerin.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠⚫⚫⚫⚫ 06/11





Samstag, 13. April 2024

Mein Mix: Abba


 

Okay, ich probiere nach langer Zeit mal wieder was neues auf diesem Format aus. Beziehungsweise ist das, was ich mit diesem Post hier versuche nur der Überrest von meiner eigentlichen Idee von irgendwann, einen Diskografie-Guide über den Katalog von Abba zu schreiben. Denn eigentlich hätten sie sich perfekt für diese Sorte Artikel geeignet. Abba fielen zumindest bis zu ihrem Comeback 2021 unter die von mir gestellte Maßgabe, dass ihr Oeuvre als Band abgeschlossen ist und ich tatsächlich alle Platten gehört hatte, die zum offiziellen Studiokatalog gehören. Nicht nur machte mir dann aber besagtes neues Album vor zwei Jahren einen Strich durch die Rechnung, viel mehr fand ich es im Zusammenhang mit Abba irgendwie unpassend, über Longplayer zu sprechen. Denn wenn es etwas gibt, als das die Schweden meiner Ansicht nach nie funktioniert haben, dann als eine Albumband. Hätte ich den Artikel über sie so oder so ähnlich gemacht wie 2020 bei the Prodigy, hätte ich vielleicht zwei ganze Langspieler gehabt, die ich wirklich hätte empfehlen können und es wäre womöglich der Eindruck entstanden, dass ich Abba gar nicht so gut finde. Das wäre aber total falsch gewesen, da Abba eine meiner absoluten Lieblingsbands sind und für mich persönlich sogar die erste, die ich in meinem Leben als solche bezeichnete. Nur ist das Problem bei ihnen schon immer gewesen, dass ihre besten Songs auch die erfolgreichsten Singles waren und sie die meisten ihrer Alben mit austauschbaren Deep Cuts vollmachten, die wirklich kein Mensch braucht. Ausnahmen werden wir in dieser Liste sehen, die bestätigen aber wie immer eher die Regel. Um also einen für meine Eindrücke representativen Überblick ihrer Diskografie zu geben, sollte man sich eher die Einzeltracks ansehen. Wobei ich mir folgendes überlegt habe: "Mein Mix" soll eine Aufstellung von Songs sein, die ich als meine persönliche Playlist zu einem jeweiligen Act (oder vielleicht auch mal zu einem bestimmten Thema) definiere, stellt also kein Ranking dar und setzt den Fokus darauf, dass die Abfolge der Tracks eine gewisse Dramaturgie hat. Im Optimalfall bietet sie dabei einen gewissen Querschnitt des Oeuvres von besagtem Act, ich werde allerdings nicht pedantisch darauf achten, dass jedes Album oder jede Phase repräsentiert ist. Kurzgesagt will ich in dieser Rubrik einfach Lieblingssongs vorstellen und euch dabei die praktische Handhabe einer kuratierten Playlist mitgeben. Und da sich nun bald auch zum fünfzigsten Mal ihr Durchbruch mit dem Grand Prix-Sieg 1974 jährt, könnte der Zeitpunkt ja auch nicht besser sein.



1. Dancing Queen
aus dem Album Arrival (1976)
Klassische Eröffnung mit dem vielleicht größten Hit der SchwedInnen, der für mich der perfekte Moodsetter für eine Playlist wie diese ist. Ganz abgesehen davon, dass dieser Track wahrscheinlich niemandem unbekannt sein wird, bringt er zu Anfang auch die komplette Basisformel von Abba zu ihren besten Zeiten an den Start: Eingängiges Discopop-Songwriting mit kreativem Synth-Einschlag, einer unschlagbaren Hook und der gesanglichen Harmonie von Anni-Frid Lyngstad und Agneta Fältskog im Zentrum. Braucht man als Einstiegsdroge, ehe man mit den Deep Cuts anfangen kann.
 



2. Does Your Mother Know
aus dem Album Voulez-Vous (1979)
Does Your Mother Know war im Frühjahr 1979 zwar auch eine Singleauskopplung des in meinen Augen besten Abba-Albums Voulez-Vous, insgesamt zählt es aber zu den unbekannteren Nummern dieser Zeit. Das kann daran liegen, dass es mit Björn Ulvaeus am Leadgesang und einer eher im Glamrock angesiedelten Komposition nicht den typischen Abba-Sound repräsentiert, gerade das macht den Song für mich aber so interessant. Es gibt nicht viele (verhältnismäßig) rockige Nummern, die der Band in ihrer Karriere so easy von der Hand gegangen sind und sieht man mal von den etwas pädagogisch-moralisierenden Lyrics ab (wobei ich die Message nichtsdestotrotz irgendwie wertvoll finde) ist das hier eines der dicksten Bretter der SchwedInnen.





3. Angeleyes
aus dem Album Voulez-Vous (1979)
Gerade im Intro dieses Songs zeigt sich in meinen Augen ganz wunderbar die einzigartige Herangehensweise an Synthpop, die Benny Andersson zu Ende der Siebziger hin entwickelte und auf die ich in dieser Liste sicherlich noch öfter zu sprechen komme. Denn hier geht diese dann eben doch nochmal in einen dieser ganz klassischen Abba-Refrains über, die man auch eher aus der Frühphase der Band kennt, womit das hier einer der Tracks ist, der für mich einen Übergangspunkt in ihrer Stilistik darstellt. Fun Fact: Aus dem selben Jahr gibt es auch einen Song namens Angel Eyes von Roxy Music, der mindestens genauso ein Banger ist.
 



4. Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)
aus dem Album Voulez-Vous (1979)
Voulez-Vous ist an vielen Punkten das definitive Disco-Album von Abba, an keinem Song jedoch merkt man das so sehr wie an diesem hier. Benny Anderssons Synth-Wände sind darauf nicht zum letzten Mal mehrstufig aufgebaut und der digitale Bass drückt schon fast auf Giorgio Moroder-Niveau, während sich durch all das Gepumpe aber trotzdem noch einige der stärksten Melodieführungen der gesamten Band-Diskografie zieht. Nicht nur in Form des unsterblichen Keyboard-Riffs, das eine ultimative Essenz von Abba-Songwriting ist, sondern auch in der einmal mehr perfekt abgeschmeckten Vokalharmonie im Refrain. Tanzbarer ist wahrscheinlich kein Song ihres kompletten Katalogs.
 



5. Lay All Your Love On Me
aus dem Album Super Trouper (1980)
Ende der Siebziger war Benny Andersson einer von vielleicht zehn Musiker*innen weltweit, die im Besitz des bis heute revolutionären Luxus-Synthesizers Yamaha GX-1 waren, weshalb die Abba-Alben der frühen Achtziger einige der ganz wenigen sind, auf denen man dieses Gerät in vollem Glanz hört. Wobei Andersson als Keyboard-Frickeler der ersten Stunde zum Glück auch jemand ist, der dieses Monstrum spielen konnte, wie man auf Lay All Your Love On Me eindrücklich hört. Die Tiefenschärfe der synthetischen Flächen ist klanglich noch immer ziemlich einzigartig und der Track daher noch immer einer, von dem eine seltsame Magie ausgeht. Ganz abgesehen davon, dass spätestens hier die songwriterische Abba-Inkarnation der Achtziger geboren ist.
 



6. If It Wasn't For the Nights
aus dem Album Voulez-Vous (1979)
Unfassbar, dass dieser Song nach wie vor so ein unscheinbarer Deep Cut im Oeuvre von Abba ist. Klar, er wurde nie als Single veröffentlicht, das hat aber andere Songs der Band auch nicht daran gehindert, zu echten Klassikern zu werden. Und diesen hier hielt ich tatsächlich eine ganze Weile für den besten, den sie Schweden je gemacht hatten. Er vermischt den typischen Disco-Sound von Voulez-Vous mit einem Touch von amerikanischen AOR-Ideen und sogar Country, die oft aber für die entscheidende Würze sorgen. Wie ein Song, den Carly Simon oder Stevie Nicks vielleicht geschrieben hätte, wäre sie zur damaligen Zeit bunter unterwegs gewesen.
 



7. Head Over Heels
vom Album the Visitors (1981)
Die ursprüngliche Schlussphase um Abba rund um das Album the Visitors von 1981 hat allgemein wenige Fanfavoriten produziert, in meinen Augen finden sich hier aber nochmal einige der größten Perlen der Band. Head Over Heels ist einer davon, der Synthesizer deutlich prominenter einsetzt als die meisten Songs von Super Trouper und nach einem Versuch klingt, den Sound von Abba in die Achtziger zu hieven. Lange Zeit war ihnen dabei nicht mehr vergönnt, aber mit seiner vielfältigen Soundpalette und einigen angespitzten Momenten (auch im Gesang) hätten Abba vielleicht noch einen Platz als Trittbrettfahrende der ersten New Wave-Welle gefunden, die kurze Zeit später einschlug. 
 



8. My Mama Said
aus dem Album Waterloo (1974)
Wie dieser Song zeigt, waren Abba schon auf ihrem zweiten Album Waterloo von 1974 am Thema Disco dran, das damals aber allgemein noch ein wesentlich archaischeres und rustikaleres Unterfangen war. Folglich erinnert auch ihr Take auf My Mama Said noch an die Ausläufer des Funk und Leute wie Marvin Gaye und Curtis Mayfield. Inklusive fetziger Bassline und frivolem Schlafzimmer-Keyboard, die das hier vielleicht zu der souligsten Nummer machen, die die Schweden jemals schrieben. Das coole dabei ist, dass sie hier trotzdem unpeinlicher kriegen als die meisten europäischen Bands, die früher oder später weitaus "authentischere" Annäherungsversuche in Richtung Funk unternahmen.
 



9. Knowing Me, Knowing You
aus dem Album Arrival (1976)
Ich hatte die Liste eigentlich schon fertig, als mir dieser Song nochmal in die Hände fiel und ich realisierte, wie großartig er eigentlich ist. Irgendwie ein Klassiker der Band und irgendwie auch ewig vergessen, zählt er in gewisser Weise zu den rockigeren Abba-Nummern und ist auf jeden Fall der Track mit ihrem besten Gitarrensolo. Dabei ist er auch einer der vielen echt ominösen, aber starken Breakup-Songs, die die Band geschrieben hat und in diesem Fall mal ausnahmsweise mal einer ohne toxische Untertöne.
 



10. Kisses of Fire
aus dem Album Voulez-Vous (1979)
Kisses of Fire war 1979 die B-Seite der Single Does Your Mother Know, was in meinen Augen ein Frevel ist. Denn nicht nur ist dieser Song der marginal bessere der beiden, er funktioniert vor allem wesentlich besser als Single. Zwar könnte man argumentieren, dass er anderen Tracks auf Voulez-Vous wie Angeleyes und If It Wasn't For the Nights recht ähnlich ist, die wurden aber auch nicht als Singles (oder zumindest nicht als A-Seiten) veröffentlicht. Wahrscheinlich (und das ist allein meine wilde Spekulation) sollte mit Does Your Mother Know einfach die ansonsten stark vernachlässigste Rock-Community angefüttert werden, die aber ohnehin schon wenig von Abba hielt. Man hätte sich das ganze also sparen und einfach gleich Kisses of Fire auf die A-Seite packen können. Meine Meinung.
 



11. Watch Out
aus dem Album Waterloo (1974)
Wo wir gerade von der Rock-Community sprechen: Das hier ist ein weiterer verhältnismäßig rockiger Song von Abba, der ähnlich wie der Titelsong auf dem gleichen Album viel Inspiration von der britischen Glam-Bewegung mitnimmt. Ein besonderes Kuriosum, dessen Entdeckung ich für mich beanspruche: Drums und Gitarren des Tracks wurden wahrscheinlich in der Aufnahme beschleunigt (was zugegebenermaßen ziemlich offensichtlich ist) und ergeben so einen fetzigeren, rockigeren Sound. Wer es aber genau wissen will, spielt das Ding mal bei Youtube auf 75-prozentiger Geschwindigkeit ab und erhält ein Gitarrenriff, das auch von Tony Iommi hätte stammen können.
 



12. Move On
aus dem Album The Album (1977)
Zugegeben, ein bisschen habe ich mit diesem Song das Problem, dass er zu sehr in Siebzigerpop-Klischees wie verhallten Spoken Word-Intros und käsigem Exotismus verloren geht, dafür ist die Instrumentierung und Produktion hier ein echtes Highlight: Angefangen von der leicht südamerikanisch angehauchten Kombination aus Flöte und Gitarre über den typisch andersson'schen Synth-Touch im Abgang bis zu der respektablen Wall of Sound, die zu 50 Prozent nur aus den Vocals von Fältskog und Lyngstad zu bestehen scheint ist das hier ein echtes Kunststück an tonalem Layering, das nur ein etwas feingeistigeres Songwriting hätte vertragen können.
 



13. Fernando
veröffentlicht als Single (1976)
Fernando ist einer meiner schlagerigsten Abba-Favoriten und hat wie Move On auch ein bisschen das (theoretische) Problem, unnötig exotistisch zu klingen. Hier ist das aber eher schmückendes Beiwerk für einen kompositorischen Kern, der einfach nur ein richtig guter Siebziger-Popsong ist und allein durch seine Hook großartig funktioniert. Und in diesem Fall geben die verkitschten Snares und Flöten auch eher was zur Qualität des Songs hinzu, als davon abzutragen.





14. Super Trouper
aus dem gleichnamigen Album (1980)
Vielen Songs auf dem Album Super Trouper merkt man ein bisschen den Versuch an, den Abba-Sound der Siebziger um neue Elemente zu ergänzen, die vor allem die erweiterten technischen Möglichkeiten channeln, die die Band zu dieser Zeit hatte. So auch im Titelsong, dessen wesentlicher Bestandteil für mich ein kompositorischer Kniff ist, der sicher erst auf den zweiten Blick auffällt: Der prominente Synth-Bass im Refrain. Abgesehen davon ist Super Trouper einer der ganz wenigen von Abba, die ich vordergründig ihrer Lyrics wegen schätze.





15. Under Attack
veröffentlicht als Single (1981)
Man könnte Under Attack als letzte offizielle von Abba vor ihrer Trennung 1982 bezeichnen, erschien danach doch nur eine Neuveröffentlichung von Thank You for the Music, das eigentlich schon 1977 auf the Album zu hören war. Auch auf dem bis dahin letzten Longplayer the Visitors ist der Track nicht enthalten, was ihm ein seltsames Schattendasein verpasst. Sicherlich klingt er von allen Abba-Singles auch am wenigsten nach ihnen selbst, ist er doch einer der ganz wenigen, der im Gesang mit starken Verfremdungseffekten arbeitet und einen großen Schritt in Richtung des Synthpop der Achtziger macht. Ich mag ihn dabei als eigentümliche Wildcard, die allermindestens zeigt, wie die Band sich auch in den letzten Atemzügen ihres damaligen Bestehens noch weiterentwickelte.





16. One of Us
aus dem Album The Visitors (1981)
Wie viele europäische Bands Anfang der Achtziger blieben auch Abba nicht von einem hingeschusterten Reggae-Crossover verschont und obwohl One of Us definitiv ganz weit von den Ursprüngen des Genres stattfindet und extrem weißbrotig klingt, finde ich die Umsetzung hier doch gelungen. Gerade auch deshalb, weil der Song eben nicht wie viele andere aus dieser Zeit versucht, inhaltlich irgendeine Sommer- oder Urlaubsthematik aufzumachen, sondern im Gegenteil sogar einer der vielleicht melancholischsten ist, den Abba je geschrieben haben. 





 
17. Eagle
aus dem Album The Album (1977)
Wenn ich einen Song als meinen definitiv liebsten von Abba wählen müsste, dann wäre es in mindestens neun von zehn Fällen wahrscheinlich Eagle. In seinen mystizistischen Lyrics und der sehr amerikanisch klingenden Kompositionsweise channelt er irgendwie die psychedelische Energie eines Flowerpower-Rocksongs der Marke Steppenwolf oder CSNY, setzt das ganze aber fast komplett mit analogen Synths um, was auch irgendwie wild ist. Am ehesten erinnert er mich damit noch ab obskure Ostblock-Bands wie Karat, die zwei Jahre später ja auch einen bombastischen Synth-Prog-Song machten, bei dem es um einen Vogel geht. Ist vielleicht kein Zufall.
 




18. Happy New Year
aus dem Album Super Trouper (1980)
Keine Ahnung, ob der Plan hier eigentlich war, mit einem Feiertags-Song in eine Marktlücke vorzudringen, aber falls dem so ist, war das Vorhaben erfolglos. Denn nicht nur fehlt Happy New Year weitgehend auf einschlägigen Silvester-Playlisten (falls sowas überhaupt ein Ding ist), er wäre darauf auch fehl am Platz. Denn mit seiner tiefen Melancholie und den wenig optimistischen Ausblicken auf die Zukunft nimmt er eher die Scherbenhaufen-Stimmung von The Visitors vorweg und klingt mit seinem großzügigen Synth-Aufbau auch so. Einer meiner Lieblingssongs von Abba ist es aber gerade deswegen.




 
19. Chiquitita
aus dem Album Voulez-Vous (1979)
Auf dem groovigen und Dancefloor-zugewandten Voulez-Vous ist Chiquitita zweifelsohne einer der konservativsten Songs, der eher noch an die schlagerige Frühphase von Abba erinnert, dabei aber von der fetteren Produktion profitiert, die die Band derweile nutzen konnte. Gerade der Break am Anfang des ersten Refrains und die Reprise am Ende wirken vor allem dadurch, dass hier klanglich nochmal extra Zucker gegeben wird und der Song dadurch eine Dynamik erhält, ohne die er wahrscheinlich nur eine austauschbare Schnulzballade geblieben wäre.





20. Arrival
aus dem gleichnamigen Album (1976)
Das komplett textlose Arrival ist auch auf dem Album, als dessen Titelsong es fungiert, eher ein ästhetischer Appendix, der als solcher aber nicht zu verachten ist. Zum einen, weil es einer der ganz wenigen Tracks ist, in denen Abba auch Folk-Elemente aus ihrer Heimat einfließen lassen (zumindest meine ich, darin solche wiederzuerkennen), zum anderen ist es ein weiteres beeindruckendes Meisterstück der Synth-Künste von Benny Andersson, die hier mal ganz unverhohlen im Vordergrund stehen können. Für eine Playlist wie diese außerdem ein echtes Geschenk, da es perfekt als stimmiges Outro funktioniert.