Montag, 30. Mai 2022

And I Always Find / Yeah I Always Find Something Wrong

KENDRICK LAMAR
Mr. Morale & the Big Steppers
pgLang
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ philosophisch | selbstkritisch | unperfekt ]

Die wichtigste Sache, die ich innerhalb der letzten Woche über mein Verhältnis zu Kendrick Lamar und in dieser Beziehung natürlich zu diesem neuen Album von ihm gelernt habe, ist eine Sache, die ich eigentlich schon vor Jahren hätte lernen sollen und die sich für mich letztlich sogar als Vorteil herausstellt: Ich sollte verdammt nochmal nicht so viel auf meine Erwartungen geben. Denn wenn ich mir rückblickend die Erfahrungen anschaue, die ich mit der Musik dieses Rappers über die letzte Dekade hinweg gemacht habe (mehr oder weniger), befinde ich mich eigentlich in einer einigermaßen luxuriösen Situation, in der Kendrick Lamar für mich kein Künstler ist, der viel zu beweisen hat. Was auf eine Weise auch irgendwie daran liegt, dass er für mich ganz persönlich nie die große Nummer war, die er für viele Andere ist und ich immer schon jemand war, der ihm gegenüber eine entspannte Leidenschaftslosigkeit an den Tag legt. Dass diese nicht bedeutet, dass ich seine Musik schlecht finde und ich an diese neue LP auch mit dem Wissen herangehe, was dieser Künstler für viele Menschen bedeutet, sollte dabei natürlich klar sein. Nur bin ich eben keiner derjenigen gewesen, die die fünf Jahre seit Damn. nur damit verbracht haben, auf ein neues Album dieses Typen zu warten und deshalb auch jetzt nicht damit anfangen muss, so zu tun als ob. Was heißt dass Mr. Morale & the Big Steppers für mich zu diesem Zeitpunkt schon irgendwie mehr ist als nur ein weiteres Hiphop-Album auf meiner persönlichen To-Do-Liste, allerdings auch nicht die eine Platte, die für mich den weiteren Verlauf der musikalischen Saison 2022 bestimmen wird. Und wenn ich ganz ehrlich bin, freue ich mich zum jetzigen Zeitpunkt vor allem darauf, mich nach diesem Artikel erstmal nicht mehr damit beschäftigen zu müssen. Auch wenn ich absolut nicht finde, dass es ein Album ist, dass diese Beschäftigung nicht wert wäre. Immerhin reden wir hier vom ersten richtigen Longplayer des wichtigsten Rappers der Zwotausendzehner in mittlerweile fünf Jahren. Vor allem ist es aber deshalb die Beschäftigung wert, weil Kendrick hier mal wieder sehr viel zu sagen hat und in Sachen konzeptueller Tragweite, textlicher Dichte und auch einfach Spielzeit hier sein fettestes Monumentalwerk seit To Pimp A Butterfly macht. Und ähnlich wie bei diesem sorgt das dafür, dass es hier mal wieder ein paar extrem clevere philosophische und persönliche Denkansätze gibt, die so nur  von einem Kendrick Lamar kommen können. Ähnlich wie bei Butterfly habe ich dabei auch wieder den Eindruck, dass es ein bisschen unter dem Gewicht dieser inhaltlichen Traktaterei leidet und zwischen all dem lyrischen Content ein wenig untergeht, wie durchwachsen das ganze zum Teil musikalisch ist. Von den Kontroversen um gewisse Features und textliche Entscheidungen mal ganz zu schweigen. Mr. Morale ist also definitiv ein Album, das nicht ohne Schwierigkeiten daherkommt und damit auch Probleme zementiert, die ich schon lange mit dem Output von Kendrick Lamar habe, das diese Fehler aber auch in einem Rahmen macht, der mal wieder größer und anspruchsvoller ist als der der meisten zeitgenössischen Rap-Platten und beweist, dass dieser Typ seinen Ruf zu Recht hat. Worum es dabei eigentlich geht? Im großen und ganzen mal wieder um die Position des Kaliforniers im modernen Popkulturverständnis und den Punkt, an dem seine Karriere dabei gerade ist. Wie schon auf den Vorgängern ergibt sich daraus aber wiederum eine Art durchgängiges Narrativ, das sich diesmal vor allem mit den idellen Ansprüchen der Gesellschaft und einem selbst, dem Wunsch nach moralischer Unfehlbarkeit, Kendricks Messiaskomplex und der letztlichen Verweigerung des selbigen auseinandersetzt. Etappen auf dem Weg dahin sind dabei unter anderem Themen wie seine Vaterprobleme (Father Time), das Verhältnis zu Political Correctness aus der Erfahrung eines Umfelds, das selbige eher ablehnt (Auntie Diaries) sowie ein weiteres Mal Lamars Identität und Selbstverständnis als schwarzer US-Amerikaner und wie dieses seine Positionen und Überzeugnungen beeinflusst hat. Kritisiert wurde Mr. Morale diesbezüglich zuletzt als eine Platte, auf der viel über Entwicklungen der sogenannten Cancel Culture gejammert wird, wobei das in meinen Augen auch ein bisschen verkürzt formuliert wird. Denn obwohl einige Songs hier sicherlich ganz bewusst die Kontroverse suchen und Kendrick solche Themen auch direkt anspricht, schafft er es doch in den meisten Momenten, das ganze einigermaßen nuanciert anzugehen oder zumindest, es uns als Endkonsumierenden zu überlassen, was an diesem Album als akzeptable Auseinandersetzung mit einem Thema durchgeht und was als problematische Grenzüberschreitung. Und je nach persönlichem empfinden wird sich das sicherlich auch je nach Hörerfahrung anders verhalten. So finde ich es beispielsweise inhaltich gerechtfertigt und dem Zweck angemessen, dass Kendrick in Auntie Diaries teilweise homo- und transfeindliches Vokabular verwendet, dieses aber stets dazu verwendet, um seine eigene verkürzte Perspektive zum Thema auszuleuchten. Eine Sache wie das Feature des verurteilten Missbrauchstäters Kodak Black hingegen bereitet mir schon eher Bauchschmerzen, selbst wenn dieses ebenfalls ganz bewusst stattfindet, um das Thema moralisches Wachstum und Fehlertoleranz zu illustrieren. Dass Kendrick auf diesem Album aber als Künstler mit Fehlern wahrgenommen wird und man ihn kritisiert, scheint ebenfalls ganz bewusste Absicht zu sein und gerade der Tenor der zweiten Hälfte der LP immer wieder, dass er genau das auch ist. Gerade in einer Position wie der seinen, in der viele Fans die Botschaften von Platten wie To Pimp A Butterfly oder Damn. häufig als Lebensweisheiten aufnehmen und man ständig wieder als moralisch überlegenes Sprachrohr einer Szene hochgehalten wird, ist so ein Bruch sicherlich auch wichtig. Und hier Songs wie We Cry Together, Auntie Diaries oder Savior zu hören, in denen Lamar sich effektiv selbst als kolossales Arschloch darstellt, sind nicht nur deswegen ziemlich spannend, sondern letztlich auch deshalb, weil er oft sehr starke Mittel findet, um diese umzusetzen. Sachen wie den fast schon theatralen Streit-Dialog in We Cry Together oder die inhaltlich In-sich-selbst-Spiegelung der zwei Albumhälften, die strukturell über simples Storytelling hinausgehen. Und schon allein ihrer Existenz wegen sind solche Stilfiguren natürlich unfassbar faszinierend und machen auch diese LP wieder zu etwas sehr besonderem. Der Nachteil dabei: Mr. Morale ist mit ziemlicher Sicherheit das bisher unzugänglichste Werkstück des Kendrick Lamar und an manchen Stellen eben auch nur dann interessant, wenn man für seine ganzen strukturellen und inhaltlichen Hakenschläge bereit ist. Selbst im Vergleich zu ähnlich komplizierten Sachen wie Butterfly oder Good Kid, m.A.A.d City, auf denen es wenigstens noch Quotenhits wie King Kunta oder Backseat Freestyle gab. Und auch wenn das an diesem Punkt sicherlich die wenigsten noch interessieren wird: Viele neue Fans wird Lamar damit sicherlich nicht anziehen. Höchstens die sehr glücklich machen, die es eh schon seit etlichen Jahren sind und zu denen ich mich eben nach wie vor nicht zähle. Weshalb es mir mit so einer LP als erstem Eindruck nach einer halben Dekade und einem durchwachsenen Album wie Damn. auch zunehmend schwerer fällt, mich für all diese Kleinigkeiten zu begeistern, wenn mich das große Ganze noch immer nicht abholt. Wo ich theoretisch also sehr gut nachvollziehen kann, dass Kendrick Lamar hier mal wieder ein objektiv starkes und immens cleveres Stück Musik gemacht hat, bin ich Stand 2022 doch einfach nicht Fan genug, um deswegen wirklich begeistert zu sein. Anerkennung ist das beste, was ich an diesem Punkt für so ein Album aufbringen kann. Aber auch davon nur begrenzt viel.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11

Persönliche Höhepunkte
United in Grief | N95 | Worldwide Steppers | We Cry Together | Crown | Mother I Sober

Nicht mein Fall
Die Hard


Hat was von
Little Simz
Grey Area

Kanye West
Donda


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