Mittwoch, 28. August 2019

Wer Schönheit will muss leiden





















[ romantisch | pastoral | harmonisch | melancholisch ]

Es gibt auf dieser Welt manchmal schöpferische Prozesse, die von ihren Schöpfenden mehr fordern als eigentlich fair ist. Werke, die nicht nur viel Arbeit, Hirnschmalz, Geld und Zeit, sondern teilweise auch persönliche Sinnkrisen, Aufopferungen im Privatleben, menschliches Leiden und geistige wie körperliche Gesundheit fordern. Es gibt immer wieder diese Künstler*innen, die sich ihrer Arbeit so sehr verpflichtet fühlen, dass sie sich (und mitunter ihre Mitstreitenden) regelmäßig ins emotionale Elend stürzen und sich wider aller Vernunft anschicken, übermenschliches zu leisten. Es ist streitbar, ob am Ende irgendein Ergebnis, sei es auch noch so bahnbrechend, eine solche Marter rechtfertigt und ob diese dafür überhaupt notwendig gewesen wäre. Wenn es aber ein Kunstwerk gibt, dass als glühendes Argument für den kreativen Leidensprozess herangezogen werden kann, dann ist es mit Sicherheit Helplessness Blues von den Fleet Foxes. Ein Album, das für das Quintett aus Seattle bis heute mit extrem viel Quälerei und persönlichen Opfern verbunden ist, das die Band aber auch von einem Indie-Newcomer zu einem überlebensgroßen Mythos machte und zumindest für mich zu den besten Dingen gehört, die jemals von einer Gruppe Musikern auf einen Tonträger gebannt wurden. Diese LP ist in jeder Hinsicht genial, was aber auch in jeder Hinsicht damit zusammenhängt, wie furchtbar ihr Entstehungsprozess war. Und viel davon hängt mit dem Perfektionisten Robin Pecknold zusammen, der die Fleet Foxes hier an den Rand des Wahnsinns trieb. Man hätte es eigentlich bereits vorher ahnen können, denn seit jeher ist eines der größten Vorbilder des Songwriters Beach Boys-Frontmann Brian Wilson, der in Fachkreisen legendär für seine Pedanterie und Detailverliebtheit ist und sein Opus Magnum Smile allein deshalb niemals vollendete. Und auch Helplessness Blues hätte wohl um ein Haar so ein Album werden können, hätte man Pecknold machen lassen. Nach dem Überraschungserfolg des selbstbetitelten Debüts der im Jahr 2008 galten die Fleet Foxes gemeinsam mit Grizzly Bear, Midlake und Iron & Wine zu einer Art neuen Garde des klassischen Folk, die von Seiten der Indiepresse ein extremer Hype umschwirrte, was Erwartungen für einen Nachfolger natürlich intensiv in die Höhe trieb. Die Band wollte an der Erfolg des Erstlings anschließen und begann sich richtig ins Zeug zu legen. Wobei es nicht lange dauerte, bis aus gesunder Motivation ungesunder Perfektionswahn wurde: Komplette Sessions wurden verworfen, unendlich viele Takes eingespielt, Songs wieder und wieder umgeschrieben und die Tracklist neu gebastelt ohne dass man mit dem Ergebnis je wirklich zufrieden war. Die Musiker igelten sich im Studio ein, rackerten wie am Fließband und begannen dabei mehr und mehr, aneinander zu geraten, inner- und außerhalb der Band. Zwei tragische Höhepunkte wurden dann zum Knackpunkt der Aufnahmen. Zum einen wurde Pecknold aufgrund seiner exzessiven Arbeit an der LP von seiner langjährigen Freundin verlassen, zum anderen beschloss die Band im September 2010, als die Platte eigentlich schon zum Mixen eingereicht werden sollte, das komplette Ding nochmal komplett neu aufzunehmen. Was genau sich von diesem Punkt an veränderte, ist von außen natürlich schlecht nachvollziehbar, doch es ist zu vermuten, dass am Ende dieser zweiten Aufnahmen ein völlig neues Ergebnis das Resultat war. Denn in seinen meisten Momenten ist das, was letztendlich als Helplessnes Blues veröffentlicht wurde unter anderem auch ein Trennungsalbum. Sicher, würde man nach einem übergreifenden Begriff für alle Songs hier suchen, wären das sicher viel allgemeinere wie "Vergänglichkeit", "Leben und Tod" oder "menschliches Vermächtnis", doch es ist offenkundig, dass Pecknold hier als Teil davon auch ausführlich das Ende seiner Beziehung verarbeitet. Tracks wie Lorelai, the Shrine/An Argument oder Blue Spotted Tail beschreiben genau das Auseinanderleben, Aneinandergeraten und einander fremd sein, das zumeist das Ende einer Liebe bedeutet. Was sehr gut passt, denn auch ein Großteil der restlichen Texte handeln davon, wie ein ziemlicher Idiot an den notwendigen Veränderungen des Lebens zu scheitern. Der Opener Montezuma handelt von einem alternden Menschen, der sein materialistisches Leben reumütig reflektiert, im Titeltrack geht es um die Frage um Freiheit und Determination und in Batterie Kinzie um die eigene Sterblichkeit. Pecknolds Ansatz ist dabei aber eher der eines romantischen Poeten als der eines kritischen Philosophen und immer wieder geht es dabei eben auch um seine Ex. Das passt aber auch viel besser, denn Helplessness Blues ist weißgott kein Album, das Kopfzerbrechen bereiten soll. Was die musikalische Seite der Medaille angeht, sind die Fleet Foxes hier nämlich vor allem romantisch drauf. Das Songwriting hat mitunter etwas von der maximalistschen pastoralen Atmosphärik, die Mumford & Sons mal gehabt hätten, wenn sie keine Partyband gewesen wären. Mit ihrem massiven instrumentalen Aufgebot, sechzig Spuren in jedem Song und einer raumgreifenden Produktion sind sie alles andere als eine niedliche Singer-Songwriter-Gruppe, sondern teilweise sogar sehr bombastisch unterwegs. Klangwellen wie in the Cascades oder Grown Ocean erinnern mitunter an Postrock oder Soundtrack-Arbeitn und die absolut atemberaubenden Vokalharmonien haben sie vielleicht von den Beach Boys geklaut, aber sie hier sehr wirkungsvoll als ihr eigenes Produkt verkauft. Über allem schwebt dann der knabenhafte Gesang von Robin Pecknold, der mit jeder Note die Melancholie und Schwermut seiner Texte untermalt. Und als wären die Songs für sich nicht schon genial genug, ist auch die Anordnung der Tracklist ein Extralob wert. Nur durch den sorgfältig abgestimmten Albumflow entstehen solche Gänsehautmomente, wenn Blue Spotted Tail als akustisches Intermezzo vor Grown Ocean die perfekte Schlussnote setzt oder nach dem Bombast-Finale des instrumentalen the Cascades die vokalistischen Layer von Lorelai übernehmen. Es sind solche Sachen, die sehr gut erklären, warum diese LP diesen extremen Sackgang bei der Band verursachte, weil sie so filigran und so durchkomponiert klingen, dass sie niemand hätte schreiben können, der mit dem Erstbesten zufrieden gewesen wäre. Ich will damit nicht sagen, dass ein Album wie dieses die unschönen Effekte seines Entstehungsprozesses rechtfertigt, es ist nur eine Tatsache, dass es diese LP so nicht geben würde, hätten Robin Pecknold und seine Jungs besser auf ihre geistige Gesundheit und ihre zwischenmenschlichen Unstimmigkeiten geachtet. So wie es ist, ist es in meinen Augen einer der besten Longplayer nicht nur der letzten zehn Jahre, sondern wenn ich ehrlich bin, aller Zeiten. Und ich bin deshalb unglaublich froh, dass es ihn gibt. Manchmal braucht es vielleicht ein Dokument der inneren Zerrüttung, um großes zu schaffen. Wobei Pecknold selbst noch immer über Helplessness Blues sagt, dass es eigentlich nicht fertig ist.

Klingt ein bisschen wie:
Simon & Garfunkel
Sounds of Silence

Beach Boys
Smile

Persönliche Höhepunkte: Montezuma | Bedouin Dress | Sim Sala Bim | Batterie Kinzie | the Plains/Bitter Dancer | Helplessness Blues | the Cascades | Lorelai | Someone You'd Admire | the Shrine/An Argument | Blue Spotted Tail | Grown Ocean

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Montag, 26. August 2019

Don't Stop Believing






















[ dynamisch | instrumental | rockig ]

Einen besonders umfangreichen Katalog brachte das Projekt Brontide aus Großbritannien in den zehn Jahren seiner Existenz wahrhaftig nicht zustande, gerade mal zwei überschaubare Alben und eine Split-EP wurden von den Briten veröffentlicht. Dies ist wahrscheinlich zuvorderst dem Umstand geschuldet, dass es sich bei ihnen ganz ausdrücklich nie um mehr als um eine Nebentätigkeit der drei Musiker Will Bowerman, Nathan Fairweather und Tim Hancock handelte. Hauptberuflich sind nämlich zumindest zwei der Drei Mitglieder schon woanders ziemlich busy. Fairweather ist seines Zeichens Drummer beim Synthpop-Duos I Was A Cub Scout sowie seit 2012 auch bei Rolo Tomassi aktiv, während Bowerman als Bandmitglied von La Roux und Dua Lipa seine Brötchen verdient. Dass eine Gruppe von Studio- und Tourmusikern sich für ein gemeinsames Kurzzeit-Projekt zusammenfindet ist ja an sich keine so spezielle Sache, die Wahl der stilistischen Marschrichtung in diesem Fall allerdings schon ein bisschen. Als begabte Fachmänner aus den Kontexten Elektro- und Indiepop ist es nicht gerade der nächste Weg zum instrumentalen Mathrock, den Brontide auf ihren beiden Platten spielten. Letztendlich ist das aber vielleicht auch der Hauptgrund dafür, dass sie mit ihrem zweiten Album Artery eines der besten Instrumentalrock-Werke der vergangenen Dekade vorlegten.
Postrock war in den letzten zehn Jahren nicht unbedingt die Stilrichtung mit der besten künstlerischen Konjunkturkurve. Spätestens zu Ende der Nuller machte sich selbst im Kern der Szene ein wenig das Gefühl breit, inzwischen schon alles gehört zu haben. Das ewige Aufbau-Crescendo-Ausbruch-Schnittmuster, nachdem legendäre Acts wie Explosions in the Sky, This Will Destroy You oder Mono ihre einflussreichsten Platten geschneidert hatten, wirkte mehr und mehr übersättigt und die Fülle an furchtbar langweiligen Bands, die sich im Windschatten der großen Künstler*innen drängten, begann langsam aber sicher, öde zu werden. Es gab ein paar Schätze hier und da, doch musste man die Nase wirklich tief ins Bandcamp-Feed stecken, um diese herauszupicken. Für jemanden wie mich, der sich am Anfang der Dekade noch als Postrock-Enthusiast bezeichnete, ist mittlerweile viel von der Magie verloren gegangen. Sicher höre ich noch immer gerne diese Musik und bin nach wie vor jemand, der Instrumentalrock-Platten zu seinen jährlichen Favoriten zählt, doch sind das in meinen Augen Ausnahmen in einem sehr dröge gewordenen Mittelfeld. Brontide jedoch ließen es 2014 für einen Moment nochmal so aussehen, als könnte es eine umfassende Vorwärtsbewegung geben. Als primär popmusik- und melodieaffines Dreigespann brachten sie in ihren Stücken nicht die Bürde der technifizierten Dramaturgie mit, die so viele Bands ihrer Generation hatten. Sie hatten nicht den Anspruch, epische und großkotzige Harmoniebögen zu spannen, die am Ende doch immer nur das gleiche machten wie alle anderen, die so ganz besonders sein wollten. Ihre Songs waren dazu da, einfache und unspektakuläre Songs zu sein, die angenehm zum anhören waren und die zwar die Attribute "instrumental" und "Rockmusik" mit sich führten, aber im Kern irgendwie Popsongs waren. Und das war irgendwie erfrischend. Brontide machen herrlich wenig Schnickschnack, sondern loopen einfach ein paar Gitarrenspuren, setzen vielleicht hier und da einen Effekt drüber und Fairweather trommelt dann ein paar Takte dazu. Das Ergebnis ist eine Postrock-LP, die sich nicht minutenlang mit irgendwelchem Detail-Gepinsel aufhält, sondern nach vorne geht, die in einigen Momenten sogar einen gewissen Party-Faktor hat. Und das war und ist einfach unfassbat erfrischend. Wobei die Briten natürlich nicht unbedingt die ersten sind, die die Idee hatten, dem mäandernden Crecendo-Quatsch mal ein bisschen Beine zu machen. Vergleiche, die in Verbindung mit dieser Platte immer wieder fallen sind Bands wie Russian Circles, And So I Watch You From Afar oder Battles. Und wo man diese Einflüsse durchaus nicht abstreiten kann, haben Brontide doch eine Simplizität, die ihren Sound einzigartig macht. Das beste Beispiel dafür ist denke ich die Performance von Nathan Fairweather. Als ich Artery in meiner ersten Besprechung 2014 die volle Punktzahl gab und es zum Album des Monats erklärte, bekam ich vor allem Kommentare, die meinten, sein Schlagzeugspiel als langweilig und zweitklassig zu entlarvt zu haben. Und sicher, ein John Bohnham ist der Junge nicht. Er spielte nur bisher Popmusik in einer Elektro-Band und versteht es daher, seinen Input auch zurückzunehmen und den Song selbst in den Vordergrund zu stellen. Seine Performance ist nicht bombastisch oder auffällig, aber sie ist on point, was für mich definitiv etwas anderes heißt als das sie mittelmäßig ist. So ähnlich verhält es sich auch mit dem gesamten Album: Artery ist nicht mit der Latte zu messen, mit der man ein Godspeed-Album misst, was leider bis heute viele tun. Handwerklich sind Brontide in meinen Augen eher vom Schlag Two Door Cinema Club oder Phoenix, nur eben als Mathrock-Act. Das macht sie anders und das macht sie spannend. Wenn man mich fragt, ist das der frische Wind, den Postrock zu diesem Zeitpunkt brauchte. Die Frage, ob er das im großen Umfang hätte werden können ist allerdings müßig, denn a) gibt es Brontide seit 2017 nicht mehr und b) bleibt Artery auch weiterhin eine Fußnote im Lexikon des Instrumentalrock. In der Szene waren es wenig später Gruppen wie Moon Relay oder Three Trapped Tigers, die ein bisschen die Lorbeeren für "schnellen, Pop-orientierten Postrock" einheimsten, allen anderen war das ganze sowieso schon lange egal. Für mich ist Artery dennoch eines der herausragenden Alben der vergangenen Dekade, das mich immer wieder von seiner Qualität überzeugt. Und wegen sowas höre ich dann eben doch nicht auf, an Instrumentale Rockmusik zu glauben.

Klingt ein bisschen wie:
Russian Circles
Station

And So I Watch You From Afar
And So I Watch You From Afar

Persönliche Höhepunkte: Tonitro | Bare My Bones | Kith & Kin | Knives | Caramel | Red Gold

Dienstag, 20. August 2019

Konzert: Schwung in die Kiste

Es hat manchmal etwas abgehobenes, wenn bekannte Bands kleine Clubkonzerte spielen. Die szenige Intimität, den unmittelbaren Publikumskontakt und das für gute Plätze nicht anstehen müssen, das mit solchen Events einhergeht, lassen sich die großen Jungs gerne eine ordentliche Stange Geld Kosten. Es ist eben etwas spezielles, solche Acts in einem Setting zu sehen, für das sie eigentlich untragbar geworden sind, weshalb die Besonderheit des Anlasses für viele Grund ist, selbige als Preisfaktor dreist auszunutzen. Was die Orsons am vergangenen Sonntag im Jugendhaus Roßwein machten, war aber so ziemlich das Gegenteil davon. Läppische 13 bis 15 Euro bezahlten nicht mal 100 Leute, um eine Band zu sehen, die in ein paar Monaten sehr wahrscheinlich das Huxleys in Berlin und die Stuttgarter Porsche-Arena ziemlich gut füllen wird. Eine großartige Anomalie, die zumindest in der Historie des besagten Jugendhauses nicht ständig vorkommt. Aber natürlich fällt so eine Gelegenheit nicht einfach vom Himmel und die Orsons entscheiden sich aus einer Laune heraus, einen Zwischenhalt in der sächsischen Provinz einzulegen. Viel eher war der Gig Ergebnis des Engagements zweier Initiativen, für die Kultur, insbesondere Musik, tatsächlich dazu beiträgt, Zustände zu verbessern. Zum einen die Stiftung Musik bewegt, bei der diverse Künstler*innen gemeinnützige Projekte unterstützen und zum anderen der Treibhaus e.V. aus dem benachbarten Döbeln, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, eben jene sächsische Provinz nicht der gänzlichen Verödung auszuliefern. Grundlage der Vernetzung war die 2018 vom Treibhaus initiierte Kampagne #wannwennnichtjetzt, die im Zuge der zunehmenden Rechtsbewegung sächsischer Politik und Gesellschaftstrukturen versuchte, Aufmerksamkeit für regionale Alternativkultur einzufordern und mittlerweile von vielen Inis im ganzen Bundesland unterstützt wird. Bereits im Herbst wurde dabei auch Musik bewegt auf die Kampagne aufmerksam, auf einem Treffen in Berlin kamen letztlich die Orsons ins Spiel. Lange Rede kurzer Sinn: Am vergangenen Sonntag resultierte diese Zusammenarbeit in jenem extrakurrikularen Soli-Gig der Schwaben. Und das eigentlich auch zum perfekten Zeitpunkt. Denn nachdem gerade Anfang August ihr (sehr gutes) neues Album Orsons Island erschienen war und die Band selbst die letzten Festival-Slots des Jahres absolviert hatte, trafen hier zwei optimale Faktoren zusammen. Die Fans hatten in den zwei Wochen davor genügend Zeit, das neue Werk ausführlich ins auditive System aufzunehmen und die vier Musiker waren gerade richtig aufgewärmt, um dieses auch ganz souverän zu performen. Folglich war das etwa einstündige Konzert in Roßwein auch eine absolut reibungslose Show, die jedes Uhrwerk neidisch gemacht hätte. Fantastischer Sound, einwandfreie technische Leistungen aller Akteure (inklusive DJ und Lichtpult) und ein arschtightes Set ohne irgendwelches Füllmaterial. Gekrönt wurde dieser Perfektionismus noch durch die boybandigen Tanzeinlagen und die ebenfalls nicht weniger an Boybands erinnernden Charakteristiken der einzelnen Mitglieder (natürlich in voller Kostümierung), die auf der kleinen Bühne mitunter ein bisschen deplatziert wirken. Und man merkt, die Clubatmosphäre macht auch mit den Musikern selbst etwas. Bartek und Maeckes nutzen großzügig die Gelegenheiten für Händeschütteln und Mitsing-Parts (Maeckes' Versuch, sich am Ende des Konzerts von allen Besucher*innen persönlich zu verabschieden, scheitert knapp) und Tua packt zwischendurch die Leidenschaft, in eine (zugegebenermaßen überschaubare) Moshpit zu hüpfen. Die nähebedingte Energie ist auf jeden Fall für beide Seiten das entscheidende Plus X dieses Konzertes und natürlich gehört dazu auch ein nostalgischer Monolog über die Zeiten, als die Orsons in den Jugendhäusern Baden-Württembergs ihre ersten Schritte machten. So rührselig und menschelnd wird die Show aber trotzdem eher selten, dafür werden zu viele Banger gespielt. Lediglich als für Jetzt die ebenso alten wie effektiven Moves "alle hinsetzen" und "Arme von rechts nach links" aus dem Hut gezaubert werden, ist man kurz ein bisschen romantisch. Ansonsten: Party. Schwung in die Kiste, Ventilator, Vodka Apfel Z, Rosa, Blau oder Grün sind garantierte Wellenbrecher und auch viele Songs vom neuen Album mischen gehörig auf. Im kleinen Saal des Juha bedeutet das vor allem eine rapide zunehmende Temperaturentwicklung, der durch regelmäßige Bierduschen Einhalt geboten wird. Dass die Kostüme aller vier Rapper am Ende sowohl sauber als auch angezogen bleiben, ist darum ebenso erstaunlich wie die zwei Zugaben, die die Band völlig außer Puste noch gibt. Dass direkt nach Ende der Show ein gepfeffertes Gewitter über Roßwein herniedergeht, passt da fürs erste ganz gut. Und ich glaube, dass am Ende auch im allgemeinen niemand denkt, dass sich dieses Konzert nicht gelohnt hat. Die Orsons hatten allem Anschein nach ihren Spaß, das Publikum sowieso und sowohl das Jugendhaus Roßwein als auch der Treibhaus e.V. profitieren am Ende von den Einnahmen des Abends. Wenn es an dieser Stelle überhaupt ein Aber hinzuzufügen gibt, dann dass der Ausnahmecharekter dieser Veranstaltung kein Dauerzustand bleiben sollte. Wenn es nach #wannwennnichtjetzt geht, braucht es Künstler*innen die wie Orsons, die aus freien Stücken das Kulturangebot in der sächsischen (und ich Füge mal hinzu: allgemein ostdeutschen) Provinz bereichern, noch viel mehr. Natürlich klingt das erstmal viel verlangt, aber immerhin sind es Orte wie das Jugendhaus Roßwein, in denen diese Art von Kultur überhaupt erst entstehen und leben kann. In Sachsen genauso wie in Baden-Württemberg, Tokio oder Sibirien.

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Webseite Treibhaus e.V.

Webseite Jugendhaus Roßwein

Webseite der Musik bewegt-Stiftung

Freitag, 16. August 2019

Die Hölle ist hier































[ pessimistisch | misantrophisch | zornig ]

Ich habe im Zuge der letzten Schönheiten-Besprechungen schon des öfteren über das Thema Pessimismus geschrieben, was vermutlich daran liegt, dass das vergangene Jahrzehnt viel Projektionsfläche für solche Sachen bietet. Gute mies gelaunte und schwarzmalerische Platten gab es zuletzt viele aus ganz verschiedenen Bereichen, ob nun von Father John Misty, Mount Eerie, Wiegedood oder Frittenbude. Und wenn es darum geht, welche von ihnen die Welt in den düstersten Farben und schlimmsten Wortmalereien darstellt, wird die Luft schnell dünn. Ein Künstler, der dabei aber definitiv nicht ungenannt bleiben sollte ist der Rapper Audio88 und sein 2017 veröffentlichtes Mini-Album Sternzeichen Hass. Die schiere Schwere und Intensität der negativen Vibes in diesen gerade Mal 22 Minuten ist schlichtweg beeindruckend und wer mal kultivierte Misantrophie in Reinform hören will, muss sich nach dieser LP nicht länger umschauen.Wobei genau diese Attitüde für damaligen Verhältnisse vor allem erstmal einen ziemlichen Charakterbruch für den Berliner bedeutete. Bis zu diesem Zeitpunkt kannte ich Audio88 als einen dieser süffisant-satirischen Musiker aus dem Dunstkreis der Zwotausender-Untergrund-MCs wie Mädness & Döll, Morlokk Dilemma oder Fatoni, der eher durch sticheligen Humor kritisierte als mit erhobenem Mittelfinger. Gemeinsam mit Sidekick Yassin war er ab 2014 zu einer Art spätem Feuilleton-Erolg gelangt, der auf zwei mäßig guten Platten als Duo beruhte. Das war okay, weil man sich über jemanden wie Audio88 keine Gedanken machen brauchte und er eine sympathische Art von Dad-Rap kultivierte. Dass ihm ein paar Jahre später so der Kragen platzt konnte ja niemand ahnen. Andererseits ist es auch sehr naheliegend, wenn man mal die Gesamtsituation betrachtet. In der es nicht selten die eigenen Mitmenschen sind, die plötzlich alle Probleme in dieser Welt personifizieren, sei es nun im Wahllokal oder in der Cypher. Wo sich aber andere in dieser Situation in die Verzweiflung flüchten, wird Audio88 vor allem sauer. Sauer auf kapitalistische Sachzwänge, Wutbürgertum, Rap-Hedonismus und konservative Ignoranz. Eingekreist sieht er sich in der Mitte haufenweiser kleiner Patrick Losenskys und Lutz Bachmanns, die man aufgehört hat, lustig zu finden. Sternzeichen Hass findet die Grausamkeit in der bundesdeutschen Normalität und das Monster im Otto Normalverbraucher, die Misantrophie als das sinnvollste der Welt erscheinen lassen. Im Video zu Lied vom Tod auf dem Theremin umgibt sich der Künstler mit einer apokalyptischen Szenerie, die angesichts der Texte aber keineswegs übertrieben scheint. Auf dieser LP ist es fünf nach zwölf und jeglicher Optimismus eigentlich nur ein Zeichen von Dummheit. Der Humor der früheren Alben ist dabei zwar durchaus noch da, aber lediglich als finster pervertierter Galgenhumor, bei dem das Lachen im Hals steckenbleibt. Und es ist fast schurkenhaft, wie Audio88 darin aufgeht. Es gibt auf dieser LP ausschließlich sehr gute Features, die alle viel zum Inhalt beizutragen haben. Dennoch ist es immer nochmal ein Schlag in die Fresse, wenn anschließend der Gastgeber seinen Part beginnt. Das ist nicht nur unangenehm, das ist richtiggehend fies. Sternzeichen Hass hinterlässt beim Hören das unangenehme Gefühl, selbst Teil des Problems zu sein und wahrscheinlich hat er damit sogar Recht. Er selbst schließt sich ja aus der Misere auch nicht mit letzter Sicherheit aus. Diese Direktheit und Ansiedlung in der eigenen Komfortzone macht die Platte aber auch so gut. Es gab wie gesagt viele sehr gute pessimistische Platten in den letzten fünf Jahren, diese hier hat für mich aber dennoch einen ganz besonderen Status und ist vielleicht die, der das Prädikat besonders finster am besten zu Gesicht steht. Denn sie bebildert nicht nur den Untergang, sie holt ihn zu uns nach Hause, wo er hergekommen ist. Und das wollten die meisten von uns eigentlich gar nicht wissen.

Klingt ein bisschen wie:
Billy Woods
Today I Wrote Nothing

Der Täubling
Der Täubling

Persönliche Höhepunkte: Dosenpfirsiche | Treibjagd | Lied vom Tod auf dem Theremin | Trottel | Selfies | Vom Wollen und Brauchen | Ab nach Hause | Direkter Vergleich

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