Freitag, 16. August 2019

Die Hölle ist hier































[ pessimistisch | misantrophisch | zornig ]

Ich habe im Zuge der letzten Schönheiten-Besprechungen schon des öfteren über das Thema Pessimismus geschrieben, was vermutlich daran liegt, dass das vergangene Jahrzehnt viel Projektionsfläche für solche Sachen bietet. Gute mies gelaunte und schwarzmalerische Platten gab es zuletzt viele aus ganz verschiedenen Bereichen, ob nun von Father John Misty, Mount Eerie, Wiegedood oder Frittenbude. Und wenn es darum geht, welche von ihnen die Welt in den düstersten Farben und schlimmsten Wortmalereien darstellt, wird die Luft schnell dünn. Ein Künstler, der dabei aber definitiv nicht ungenannt bleiben sollte ist der Rapper Audio88 und sein 2017 veröffentlichtes Mini-Album Sternzeichen Hass. Die schiere Schwere und Intensität der negativen Vibes in diesen gerade Mal 22 Minuten ist schlichtweg beeindruckend und wer mal kultivierte Misantrophie in Reinform hören will, muss sich nach dieser LP nicht länger umschauen.Wobei genau diese Attitüde für damaligen Verhältnisse vor allem erstmal einen ziemlichen Charakterbruch für den Berliner bedeutete. Bis zu diesem Zeitpunkt kannte ich Audio88 als einen dieser süffisant-satirischen Musiker aus dem Dunstkreis der Zwotausender-Untergrund-MCs wie Mädness & Döll, Morlokk Dilemma oder Fatoni, der eher durch sticheligen Humor kritisierte als mit erhobenem Mittelfinger. Gemeinsam mit Sidekick Yassin war er ab 2014 zu einer Art spätem Feuilleton-Erolg gelangt, der auf zwei mäßig guten Platten als Duo beruhte. Das war okay, weil man sich über jemanden wie Audio88 keine Gedanken machen brauchte und er eine sympathische Art von Dad-Rap kultivierte. Dass ihm ein paar Jahre später so der Kragen platzt konnte ja niemand ahnen. Andererseits ist es auch sehr naheliegend, wenn man mal die Gesamtsituation betrachtet. In der es nicht selten die eigenen Mitmenschen sind, die plötzlich alle Probleme in dieser Welt personifizieren, sei es nun im Wahllokal oder in der Cypher. Wo sich aber andere in dieser Situation in die Verzweiflung flüchten, wird Audio88 vor allem sauer. Sauer auf kapitalistische Sachzwänge, Wutbürgertum, Rap-Hedonismus und konservative Ignoranz. Eingekreist sieht er sich in der Mitte haufenweiser kleiner Patrick Losenskys und Lutz Bachmanns, die man aufgehört hat, lustig zu finden. Sternzeichen Hass findet die Grausamkeit in der bundesdeutschen Normalität und das Monster im Otto Normalverbraucher, die Misantrophie als das sinnvollste der Welt erscheinen lassen. Im Video zu Lied vom Tod auf dem Theremin umgibt sich der Künstler mit einer apokalyptischen Szenerie, die angesichts der Texte aber keineswegs übertrieben scheint. Auf dieser LP ist es fünf nach zwölf und jeglicher Optimismus eigentlich nur ein Zeichen von Dummheit. Der Humor der früheren Alben ist dabei zwar durchaus noch da, aber lediglich als finster pervertierter Galgenhumor, bei dem das Lachen im Hals steckenbleibt. Und es ist fast schurkenhaft, wie Audio88 darin aufgeht. Es gibt auf dieser LP ausschließlich sehr gute Features, die alle viel zum Inhalt beizutragen haben. Dennoch ist es immer nochmal ein Schlag in die Fresse, wenn anschließend der Gastgeber seinen Part beginnt. Das ist nicht nur unangenehm, das ist richtiggehend fies. Sternzeichen Hass hinterlässt beim Hören das unangenehme Gefühl, selbst Teil des Problems zu sein und wahrscheinlich hat er damit sogar Recht. Er selbst schließt sich ja aus der Misere auch nicht mit letzter Sicherheit aus. Diese Direktheit und Ansiedlung in der eigenen Komfortzone macht die Platte aber auch so gut. Es gab wie gesagt viele sehr gute pessimistische Platten in den letzten fünf Jahren, diese hier hat für mich aber dennoch einen ganz besonderen Status und ist vielleicht die, der das Prädikat besonders finster am besten zu Gesicht steht. Denn sie bebildert nicht nur den Untergang, sie holt ihn zu uns nach Hause, wo er hergekommen ist. Und das wollten die meisten von uns eigentlich gar nicht wissen.

Klingt ein bisschen wie:
Billy Woods
Today I Wrote Nothing

Der Täubling
Der Täubling

Persönliche Höhepunkte: Dosenpfirsiche | Treibjagd | Lied vom Tod auf dem Theremin | Trottel | Selfies | Vom Wollen und Brauchen | Ab nach Hause | Direkter Vergleich

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