Dienstag, 20. August 2019

Konzert: Schwung in die Kiste

Es hat manchmal etwas abgehobenes, wenn bekannte Bands kleine Clubkonzerte spielen. Die szenige Intimität, den unmittelbaren Publikumskontakt und das für gute Plätze nicht anstehen müssen, das mit solchen Events einhergeht, lassen sich die großen Jungs gerne eine ordentliche Stange Geld Kosten. Es ist eben etwas spezielles, solche Acts in einem Setting zu sehen, für das sie eigentlich untragbar geworden sind, weshalb die Besonderheit des Anlasses für viele Grund ist, selbige als Preisfaktor dreist auszunutzen. Was die Orsons am vergangenen Sonntag im Jugendhaus Roßwein machten, war aber so ziemlich das Gegenteil davon. Läppische 13 bis 15 Euro bezahlten nicht mal 100 Leute, um eine Band zu sehen, die in ein paar Monaten sehr wahrscheinlich das Huxleys in Berlin und die Stuttgarter Porsche-Arena ziemlich gut füllen wird. Eine großartige Anomalie, die zumindest in der Historie des besagten Jugendhauses nicht ständig vorkommt. Aber natürlich fällt so eine Gelegenheit nicht einfach vom Himmel und die Orsons entscheiden sich aus einer Laune heraus, einen Zwischenhalt in der sächsischen Provinz einzulegen. Viel eher war der Gig Ergebnis des Engagements zweier Initiativen, für die Kultur, insbesondere Musik, tatsächlich dazu beiträgt, Zustände zu verbessern. Zum einen die Stiftung Musik bewegt, bei der diverse Künstler*innen gemeinnützige Projekte unterstützen und zum anderen der Treibhaus e.V. aus dem benachbarten Döbeln, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, eben jene sächsische Provinz nicht der gänzlichen Verödung auszuliefern. Grundlage der Vernetzung war die 2018 vom Treibhaus initiierte Kampagne #wannwennnichtjetzt, die im Zuge der zunehmenden Rechtsbewegung sächsischer Politik und Gesellschaftstrukturen versuchte, Aufmerksamkeit für regionale Alternativkultur einzufordern und mittlerweile von vielen Inis im ganzen Bundesland unterstützt wird. Bereits im Herbst wurde dabei auch Musik bewegt auf die Kampagne aufmerksam, auf einem Treffen in Berlin kamen letztlich die Orsons ins Spiel. Lange Rede kurzer Sinn: Am vergangenen Sonntag resultierte diese Zusammenarbeit in jenem extrakurrikularen Soli-Gig der Schwaben. Und das eigentlich auch zum perfekten Zeitpunkt. Denn nachdem gerade Anfang August ihr (sehr gutes) neues Album Orsons Island erschienen war und die Band selbst die letzten Festival-Slots des Jahres absolviert hatte, trafen hier zwei optimale Faktoren zusammen. Die Fans hatten in den zwei Wochen davor genügend Zeit, das neue Werk ausführlich ins auditive System aufzunehmen und die vier Musiker waren gerade richtig aufgewärmt, um dieses auch ganz souverän zu performen. Folglich war das etwa einstündige Konzert in Roßwein auch eine absolut reibungslose Show, die jedes Uhrwerk neidisch gemacht hätte. Fantastischer Sound, einwandfreie technische Leistungen aller Akteure (inklusive DJ und Lichtpult) und ein arschtightes Set ohne irgendwelches Füllmaterial. Gekrönt wurde dieser Perfektionismus noch durch die boybandigen Tanzeinlagen und die ebenfalls nicht weniger an Boybands erinnernden Charakteristiken der einzelnen Mitglieder (natürlich in voller Kostümierung), die auf der kleinen Bühne mitunter ein bisschen deplatziert wirken. Und man merkt, die Clubatmosphäre macht auch mit den Musikern selbst etwas. Bartek und Maeckes nutzen großzügig die Gelegenheiten für Händeschütteln und Mitsing-Parts (Maeckes' Versuch, sich am Ende des Konzerts von allen Besucher*innen persönlich zu verabschieden, scheitert knapp) und Tua packt zwischendurch die Leidenschaft, in eine (zugegebenermaßen überschaubare) Moshpit zu hüpfen. Die nähebedingte Energie ist auf jeden Fall für beide Seiten das entscheidende Plus X dieses Konzertes und natürlich gehört dazu auch ein nostalgischer Monolog über die Zeiten, als die Orsons in den Jugendhäusern Baden-Württembergs ihre ersten Schritte machten. So rührselig und menschelnd wird die Show aber trotzdem eher selten, dafür werden zu viele Banger gespielt. Lediglich als für Jetzt die ebenso alten wie effektiven Moves "alle hinsetzen" und "Arme von rechts nach links" aus dem Hut gezaubert werden, ist man kurz ein bisschen romantisch. Ansonsten: Party. Schwung in die Kiste, Ventilator, Vodka Apfel Z, Rosa, Blau oder Grün sind garantierte Wellenbrecher und auch viele Songs vom neuen Album mischen gehörig auf. Im kleinen Saal des Juha bedeutet das vor allem eine rapide zunehmende Temperaturentwicklung, der durch regelmäßige Bierduschen Einhalt geboten wird. Dass die Kostüme aller vier Rapper am Ende sowohl sauber als auch angezogen bleiben, ist darum ebenso erstaunlich wie die zwei Zugaben, die die Band völlig außer Puste noch gibt. Dass direkt nach Ende der Show ein gepfeffertes Gewitter über Roßwein herniedergeht, passt da fürs erste ganz gut. Und ich glaube, dass am Ende auch im allgemeinen niemand denkt, dass sich dieses Konzert nicht gelohnt hat. Die Orsons hatten allem Anschein nach ihren Spaß, das Publikum sowieso und sowohl das Jugendhaus Roßwein als auch der Treibhaus e.V. profitieren am Ende von den Einnahmen des Abends. Wenn es an dieser Stelle überhaupt ein Aber hinzuzufügen gibt, dann dass der Ausnahmecharekter dieser Veranstaltung kein Dauerzustand bleiben sollte. Wenn es nach #wannwennnichtjetzt geht, braucht es Künstler*innen die wie Orsons, die aus freien Stücken das Kulturangebot in der sächsischen (und ich Füge mal hinzu: allgemein ostdeutschen) Provinz bereichern, noch viel mehr. Natürlich klingt das erstmal viel verlangt, aber immerhin sind es Orte wie das Jugendhaus Roßwein, in denen diese Art von Kultur überhaupt erst entstehen und leben kann. In Sachsen genauso wie in Baden-Württemberg, Tokio oder Sibirien.

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Webseite Treibhaus e.V.

Webseite Jugendhaus Roßwein

Webseite der Musik bewegt-Stiftung

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