Mittwoch, 28. August 2019

Wer Schönheit will muss leiden





















[ romantisch | pastoral | harmonisch | melancholisch ]

Es gibt auf dieser Welt manchmal schöpferische Prozesse, die von ihren Schöpfenden mehr fordern als eigentlich fair ist. Werke, die nicht nur viel Arbeit, Hirnschmalz, Geld und Zeit, sondern teilweise auch persönliche Sinnkrisen, Aufopferungen im Privatleben, menschliches Leiden und geistige wie körperliche Gesundheit fordern. Es gibt immer wieder diese Künstler*innen, die sich ihrer Arbeit so sehr verpflichtet fühlen, dass sie sich (und mitunter ihre Mitstreitenden) regelmäßig ins emotionale Elend stürzen und sich wider aller Vernunft anschicken, übermenschliches zu leisten. Es ist streitbar, ob am Ende irgendein Ergebnis, sei es auch noch so bahnbrechend, eine solche Marter rechtfertigt und ob diese dafür überhaupt notwendig gewesen wäre. Wenn es aber ein Kunstwerk gibt, dass als glühendes Argument für den kreativen Leidensprozess herangezogen werden kann, dann ist es mit Sicherheit Helplessness Blues von den Fleet Foxes. Ein Album, das für das Quintett aus Seattle bis heute mit extrem viel Quälerei und persönlichen Opfern verbunden ist, das die Band aber auch von einem Indie-Newcomer zu einem überlebensgroßen Mythos machte und zumindest für mich zu den besten Dingen gehört, die jemals von einer Gruppe Musikern auf einen Tonträger gebannt wurden. Diese LP ist in jeder Hinsicht genial, was aber auch in jeder Hinsicht damit zusammenhängt, wie furchtbar ihr Entstehungsprozess war. Und viel davon hängt mit dem Perfektionisten Robin Pecknold zusammen, der die Fleet Foxes hier an den Rand des Wahnsinns trieb. Man hätte es eigentlich bereits vorher ahnen können, denn seit jeher ist eines der größten Vorbilder des Songwriters Beach Boys-Frontmann Brian Wilson, der in Fachkreisen legendär für seine Pedanterie und Detailverliebtheit ist und sein Opus Magnum Smile allein deshalb niemals vollendete. Und auch Helplessness Blues hätte wohl um ein Haar so ein Album werden können, hätte man Pecknold machen lassen. Nach dem Überraschungserfolg des selbstbetitelten Debüts der im Jahr 2008 galten die Fleet Foxes gemeinsam mit Grizzly Bear, Midlake und Iron & Wine zu einer Art neuen Garde des klassischen Folk, die von Seiten der Indiepresse ein extremer Hype umschwirrte, was Erwartungen für einen Nachfolger natürlich intensiv in die Höhe trieb. Die Band wollte an der Erfolg des Erstlings anschließen und begann sich richtig ins Zeug zu legen. Wobei es nicht lange dauerte, bis aus gesunder Motivation ungesunder Perfektionswahn wurde: Komplette Sessions wurden verworfen, unendlich viele Takes eingespielt, Songs wieder und wieder umgeschrieben und die Tracklist neu gebastelt ohne dass man mit dem Ergebnis je wirklich zufrieden war. Die Musiker igelten sich im Studio ein, rackerten wie am Fließband und begannen dabei mehr und mehr, aneinander zu geraten, inner- und außerhalb der Band. Zwei tragische Höhepunkte wurden dann zum Knackpunkt der Aufnahmen. Zum einen wurde Pecknold aufgrund seiner exzessiven Arbeit an der LP von seiner langjährigen Freundin verlassen, zum anderen beschloss die Band im September 2010, als die Platte eigentlich schon zum Mixen eingereicht werden sollte, das komplette Ding nochmal komplett neu aufzunehmen. Was genau sich von diesem Punkt an veränderte, ist von außen natürlich schlecht nachvollziehbar, doch es ist zu vermuten, dass am Ende dieser zweiten Aufnahmen ein völlig neues Ergebnis das Resultat war. Denn in seinen meisten Momenten ist das, was letztendlich als Helplessnes Blues veröffentlicht wurde unter anderem auch ein Trennungsalbum. Sicher, würde man nach einem übergreifenden Begriff für alle Songs hier suchen, wären das sicher viel allgemeinere wie "Vergänglichkeit", "Leben und Tod" oder "menschliches Vermächtnis", doch es ist offenkundig, dass Pecknold hier als Teil davon auch ausführlich das Ende seiner Beziehung verarbeitet. Tracks wie Lorelai, the Shrine/An Argument oder Blue Spotted Tail beschreiben genau das Auseinanderleben, Aneinandergeraten und einander fremd sein, das zumeist das Ende einer Liebe bedeutet. Was sehr gut passt, denn auch ein Großteil der restlichen Texte handeln davon, wie ein ziemlicher Idiot an den notwendigen Veränderungen des Lebens zu scheitern. Der Opener Montezuma handelt von einem alternden Menschen, der sein materialistisches Leben reumütig reflektiert, im Titeltrack geht es um die Frage um Freiheit und Determination und in Batterie Kinzie um die eigene Sterblichkeit. Pecknolds Ansatz ist dabei aber eher der eines romantischen Poeten als der eines kritischen Philosophen und immer wieder geht es dabei eben auch um seine Ex. Das passt aber auch viel besser, denn Helplessness Blues ist weißgott kein Album, das Kopfzerbrechen bereiten soll. Was die musikalische Seite der Medaille angeht, sind die Fleet Foxes hier nämlich vor allem romantisch drauf. Das Songwriting hat mitunter etwas von der maximalistschen pastoralen Atmosphärik, die Mumford & Sons mal gehabt hätten, wenn sie keine Partyband gewesen wären. Mit ihrem massiven instrumentalen Aufgebot, sechzig Spuren in jedem Song und einer raumgreifenden Produktion sind sie alles andere als eine niedliche Singer-Songwriter-Gruppe, sondern teilweise sogar sehr bombastisch unterwegs. Klangwellen wie in the Cascades oder Grown Ocean erinnern mitunter an Postrock oder Soundtrack-Arbeitn und die absolut atemberaubenden Vokalharmonien haben sie vielleicht von den Beach Boys geklaut, aber sie hier sehr wirkungsvoll als ihr eigenes Produkt verkauft. Über allem schwebt dann der knabenhafte Gesang von Robin Pecknold, der mit jeder Note die Melancholie und Schwermut seiner Texte untermalt. Und als wären die Songs für sich nicht schon genial genug, ist auch die Anordnung der Tracklist ein Extralob wert. Nur durch den sorgfältig abgestimmten Albumflow entstehen solche Gänsehautmomente, wenn Blue Spotted Tail als akustisches Intermezzo vor Grown Ocean die perfekte Schlussnote setzt oder nach dem Bombast-Finale des instrumentalen the Cascades die vokalistischen Layer von Lorelai übernehmen. Es sind solche Sachen, die sehr gut erklären, warum diese LP diesen extremen Sackgang bei der Band verursachte, weil sie so filigran und so durchkomponiert klingen, dass sie niemand hätte schreiben können, der mit dem Erstbesten zufrieden gewesen wäre. Ich will damit nicht sagen, dass ein Album wie dieses die unschönen Effekte seines Entstehungsprozesses rechtfertigt, es ist nur eine Tatsache, dass es diese LP so nicht geben würde, hätten Robin Pecknold und seine Jungs besser auf ihre geistige Gesundheit und ihre zwischenmenschlichen Unstimmigkeiten geachtet. So wie es ist, ist es in meinen Augen einer der besten Longplayer nicht nur der letzten zehn Jahre, sondern wenn ich ehrlich bin, aller Zeiten. Und ich bin deshalb unglaublich froh, dass es ihn gibt. Manchmal braucht es vielleicht ein Dokument der inneren Zerrüttung, um großes zu schaffen. Wobei Pecknold selbst noch immer über Helplessness Blues sagt, dass es eigentlich nicht fertig ist.

Klingt ein bisschen wie:
Simon & Garfunkel
Sounds of Silence

Beach Boys
Smile

Persönliche Höhepunkte: Montezuma | Bedouin Dress | Sim Sala Bim | Batterie Kinzie | the Plains/Bitter Dancer | Helplessness Blues | the Cascades | Lorelai | Someone You'd Admire | the Shrine/An Argument | Blue Spotted Tail | Grown Ocean

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