Montag, 31. Juli 2017

Junge, Junge!

Ich hatte immer gedacht, dass die Welt jemanden wie Mura Masa nicht braucht. Der 21-jährige Brite Alex Crossan, der sich hinter diesem Pseudonym verbirgt, ist einer dieser schicken Independent-Produzenten, von denen es eigentlich schon viel zu viele gibt. Sein erfrischender UK Garage ist ebenso clubtauglich wie intelligent, er versteht es, coole Künstler zu featuren und nicht zu viel daraus machen zu wollen. Mit diesen Vorraussetzungen gelang ihm 2015 mit Lovesick ein Single-Geheimtipp, der eigentlich schon deshalb keiner mehr war, weil als Vokalist darauf niemand geringeres als A$ap Rocky zu hören war. Schon von Anfang an war der Name Mura Masa also mit reichlich Hype unterfüttert, von dem ich mich bisweilen ziemlich an der Nase herumführen ließ. Viel zu lange ignorierte ich die Songs des Briten deshalb absichtlich und war so blind für das immense Talent, das dieser Junge tatsächlich hat. Und jetzt, wo sein Debüt erscheint, ist es eigentlich fast schon zu spät, um es wieder gut zu machen. Aber besser spät als nie. Und zum Glück repräsentiert der selbstbetitelte Longplayer auch genau das, was so gut an Crossan ist. Seine unglaubliche Balance zwischen genialen, gigantischen Hooks und edlem Minimalismus, sein Gespür für das Gerüst eines Tracks und wie er dieses auch durch Features vermittelt. Hier zu hören sind so verschiedene Menschen wie Damon Albarn, A.K. Paul, Jamie Lindell, Desiigner, Charli XCX und natürlich der obligatroische Ausgangs-Hit mit A$ap Rocky, und es ist unfassbar, wie der Brite diese hier trotzdem alle irgendwie stilistisch vermittelt. Auch daran gemessen, dass er selbst eigentlich wenig an den Songs macht. Abgesehen von seiner feurigen Leidenschaft für Glockenspiel- und Steeldrum-Samples hält er sich in den Stücken sehr zurück und räumt den Sänger*innen sehr viel Platz ein. Trotzdem klingt beispielsweise 1 Night nicht wie ein Charli XCX-Track, sondern trägt ganz eindeutig den Stempel von Mura Masa. Bei ihr ist das vielleicht keine große Überraschung, da sie ohnehin ein ziemliches Stil-Chamäleon ist, aber bei anderen Songs wie Lovesick oder dem Closer Blu (Damon Albarns Autotune-Entjungferung, oder?) erlebt man schon die ein oder andere (meist positive) Überraschung. Einzig Desiigner schafft es irgendwie, seinen Part in All Around the World komplett an die Wand zu fahren. Doch im großen und ganzen gibt es hier nicht nur jede Menge großartige Einzeltracks, sondern auch als Gesamtheit ist dieses Album äußerst ansprechend. Wenn ich dennoch etwas auszusetzen habe, dann ist es, dass Mura Masas Stil, von dem ich die ganze Zeit rede, zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht komplett ausformuliert ist. Immer wieder gibt es Momente, in denen der Beat auch von Major Lazer, Bon Iver oder Bonobo hätte sein können und sich Crossan noch nicht ganz auf sein eigenes Talent verlässt. Aber im Angesicht der Tatsache, dass dieser Typ gerade mal 21 ist, ist auch das vollkommen in Ordnung. Ich hoffe nur, dass er diese Schönheitsfehlerchen bis zum nächsten Mal ausgebügelt bekommt und selbstbewusster an seine Arbeit herangeht. Denn dann könnte Mura Masa diesem Major Lazer durchaus Konkurrenz machen, auch in kommerzieller Hinsicht. Wenn der Hype bis dahin nicht schon verklungen ist, was in seinem Fall echt schade wäre. Denn dieser Junge ist ausnahmsweise mal nicht überbewertet.





Persönliche Highlights: Messy Love / Lovesick / 1 Night / Give Me the Ground / What If I Go? / Firefly / Second 2 None / Who Is It Gonne B / Blu

Nicht mein Fall: All Around the World

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Mittwoch, 26. Juli 2017

Scheiß auf HipHop, scheiß auf Konventionen!

Nochmal für die Neuen: Quazarz: Born On A Gangster Star ist nicht wie es scheint einfach nur eine normale LP, sondern die eine Hälfte des neuen SciFi-Konzept-Doppelalbum-Projektes von Shabazz Palaces. Und die zweite, über die ich hier eine Besprechung schreibe. Es empfiehlt sich daher für Menschen ohne Vorwissen, den anderen Artikel zuerst zu lesen, den ihr hier findet. Wenn ihr das tut, wisst ihr nämlich, dass mir das andere neue Album des HipHop-Duos aus Seattle eigentlich schon ganz gut gefiel, mir aber über weite Strecken die Action fehlte, für die ich die beiden eigentlich immer sehr mochte. Und dann wisst ihr auch, dass ich für diesen Aspekt des Sounds der Band sehr auf Born On A Gangster Star gesetzt habe, das im Vorfeld der Veröffentlichung als die deutlich experimentellere und raumgreifendere LP beschrieben wurde. Im Falle von Shabazz Palaces bedeutet das soviel wie: Es ist alles möglich. Dem schenkte ich insofern auch glauben, als dass hier der Song Shine A Light mit vertreten ist, auf den diese Beschreibung durchaus zutrifft. Mehr als alles andere ist dieser Track eigentlich eine psychedelische Neo-Soul-Nummer, die für diese Künstler eine vollkommen neue stilistische Ausrichtung darstellte und mich daher ziemlich neugierig machte, was das hier werden sollte. Im besten Fall wäre das Ergebnis hier ein genreübergreifendes, Experimental-Abenteuerland, in dem Shabazz Palaces endgültig mit den Konventionen des klassischen Rap brechen und einfach auf alles kacken. Weil sie es können. Ich wäre dafür auch durchaus bereit gewesen, auf breite Hooks, gehaltvolle Texte und durchgestyltes Songwriting zu verzichten. Nur überrascht wollte ich irgendwie werden. Und je nachdem, wie man es jetzt sieht, ist genau das auch passiert. Nur eben auf umgekehrte Weise meiner ursprünglichen Vorstellung. Um es kurz zu sagen: Gangster Star ist der noch schwächere Zwillingsbruder von Jealous Machines, also mehr oder weniger das schlimmste, was passieren konnte. Der einzige Unterschied zur anderen Hälfte des Projektes ist, dass es hier noch weniger gerappte Parts und noch weniger Zusammenhängende Musik gibt, das jedoch bei genau demselben stinklangweiligen Schlafzimmer-Sound, der mir schon dort zu viel war. Mein Wunsch ist zwar insofern in Erfüllung gegangen, das man hier ein sehr experimentelles, ja fast avantgardistisches Album erlebt, das keine Konventionen kennt. Doch leider findet diese Entgrenzung die meiste Zeit über auf einem sehr monotonem Niveau statt und versteht es nicht, diese aufregend zu inszenieren. Bestes Beispiel ist der Song That's How the City Life Goes, in dem Shabazz Palaces zweieinhalb Minuten rückwärts gespielte Vocals über einen bollernden Elektro-Beat nudeln und darüber dadaistisch auf ein Keyboard einschlagen. Das ist alles ziemlich unkonventionell, aber dabei weder besonders originell, noch fordert es die Hörenden irgendwie zur Auseinandersetzung mit der Musik heraus oder setzt irgendein Zeichen. Es ist einfach nur ziemlich unnötig. Und leider trifft diese Aussage auf den Großteil der Platte zu. Nicht nur hat scheinbar keines der Stücke hier eine Aussage, das ganze ist auch noch vollkommen unzusammenhängend aufgebaut und fängt mit sowas wie Spannungsbögen gar nicht erst an. Lediglich ein paar gute Instrumentals wie das überraschend New-wavige Moon Whip Quäz kommen am Ende rum. Es kann sehr gut sein, dass ich hier nur irgendein wahnsinnig cleveres Konzept nicht verstehe, es kann aber auch genauso gut sein, dass das hier einfach nur Mist ist. Und es fühlt sich definitiv wie letzteres an. Das alles wird nichts daran ändern, dass ich Shabazz Palaces sehr schätze und allein die Tatsache, dass sie sich so ein Projekt trauen, stellt sie im Kosmos des HipHop als besondere Künstler heraus. Doch gut finden muss ich diesen Kram deswegen noch lange nicht. Ich frage mich sogar, ob die beiden das selbst tun.


Persönliche Highlights: Shine A Light / Parallax / Moon Whip Quäz

Nicht mein Fall: Since C.A.Y.A. / When Cats Claw / Dèesse du Sang / That's How City Life Goes / Federalist Papers

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Dienstag, 25. Juli 2017

Das war (noch nicht) alles...

Ich habe in letzter Zeit immer sehr gerne über Künstler*innen geredet, die meiner Meinung nach den Begriff des HipHop transzendieren. Gemeint waren damit meist Leute wie Milo oder Lil Ugly Mane, die dies vor allem auf erzählerischer und lyrischer Ebene tun und die Infrastrukturen des Genres dadurch auf ganz eigene Weise nutzen. Wer mir dabei aber nicht einfiel waren Shabazz Palaces, auf die dieser Transzendenzbegriff ebenfalls sehr gut zutrifft, nur eben anders. Während viele Kolleg*innen des Duos aud Seattle HipHop vor allem auf Text fixieren, sind Ishmael Butler und Baba Maraire seit Jahren dafür bekannt, diese Musik vor allem musikalisch zu zersetzen. Seit ihrer ersten EP von 2009 sind sie mit einiger Sicherheit eine der großen experimentellen Kräfte des Rap und fallen dadurch nicht nur positiv auf. Gerade ihr letztes Album Lese Majesty von 2014 polarisierte weit über die Szene hinaus und ich kann durchaus verstehen, wieso. Zwar bin ich selbst großer Fan dieser LP, weil sie über viele geniale Songs verfügt, doch befinden sich viele von denen ständig kurz vor ihrem kompositorsichen Zerfall. Das macht das Gesamterlebnis einerseits wunderbar fließend und gelöst, doch fehlen mitunter nur wenige Schritte, um dieses Geflecht in ein horrendes Sample-Chaos zu verwandeln, das keinerlei künstlerischen Mehrwert hat. Und dass dieses Rezept auf Lese Majesty irgendwie noch funktionierte, sah ich nie als Garantie dafür, dass es das auch woanders tun würde. Tatsächlich war ich ziemlich skeptisch, als ich hörte, was Shabazz Palaces mit ihrem Quazarz-Doppelalbum vorhatten. Nochmal zur Erklärung: Am 14. Juli veröffentlichte die Band gleich zwei neue Platten auf einmal, die sich beide um ein und dasselbe dystopische Story-Konzept drehen und dabei klanglich sehr unterschiedlich werden sollten. Schon allein auf dem Papier klingt das alles ein bisschen überambitioniert und wenn diese beiden sich so etwas vornehmen, kann man quasi damit rechnen, dass es eine Herausforderung wird. Deshalb wollte ich es auch langsam angehen. Die beiden einzelnen Platten werde ich in zwei unabhängigen Besprechungen angehen und um nicht gleich den totalen Kulturschock zu bekommen, habe ich mal mit der konservativeren von beiden angefangen. Quazarz vs. the Jealous Machines ist, so habe ich mir sagen lassen, das noch am ehesten HipHop-fixierte Projekt, in dem vor allem die Story abgerollt wird. Und tatsächlich kann ich sagen, dass ich hier klanglich nicht direkt überfordert war. Ich würde sogar sagen, dass man hier in Sachen Abgefucktheit einen kleinen Rückschritt zum Vorgänger verzeichnen kann. Man erlebt hier zwölf überraschend chillige Tracks, die zwar durchaus im sehr elektronischen, sehr düsteren Stil von Lese Majesty gehalten sind, aber keine dermaßen großen Hakenschläge machen. Erzählerisch hält sich Jealous Machines ebenfalls in Grenzen, Ishmael Butler fokussiert sich lieber wieder auf seine schamanisch-abstrakte Kunstlyrik, die viele in letzter Zeit so gehasst haben. In meinen Augen ist das alles okay und klingt im Grunde genommen sehr angenehm, doch hat das Album die gesamte Zeit über ein riesiges Problem: Dadurch, dass Ishmael und Baba hier bewusst auf dem Teppich bleiben und sich die klangliche Eskalation für die andere Platte aufheben, kommt Jealous Machines in seinen gesamten 43 Minuten nicht so richtig aus der Rille. Sowohl die Instrumentals als auch die gerappten Parts wabern und lauern mehr oder weniger die ganze Zeit nur so rum, als würden sie auf das große Finale warten, das letztendlich aber nie passiert. Sie machen das an sich nicht schlecht, aber ohne ein paar knallige Akzente wirken sie irgendwann schon ein bisschen monoton und nutzen ihr volles Potenzial nicht so richtig aus. Würde ich Shabazz Palaces hier zum ersten Mal hören, würde ich die krassen Reaktionen auf ihre Musik gar nicht verstehen, geschweige denn Lust haben, mir noch sehr viel mehr davon anzuhören. Zum Glück kenne ich sie und weiß, dass diese Platte in einem Kontext funktioniert. Aber allein die Tatsache, dass es für mich dieses Wissen braucht, hinterlässt bei mir irgendwie einen fahlen Beigeschmack. Und ich schließe mit der Feststellung, dass ich durch das Hören dieses Albums keine neuen Eindrücke über diese Band bekommen habe. Wie gut ich nachher Born On A Gangster Star, die andere "Hälfte" der Quazarz-Serie finden werde, spielt eigentlich auch keine Rolle. Denn Jealous Machines verpufft so oder so. Und das ist eigentlich echt schade, denn so doof ist es gar nicht mal.





Persönliche Highlights: Welcome to Quazarz / Self-Made Follownaire / Julian's Dream (Ode to Bad) / 30 Clip Extesion / Sabonim in the Saab On 'Em / the SS Quintessence / Quazarz On 23rd

Nicht mein Fall: Atlaantis / Love in the Times of Kanye

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Montag, 24. Juli 2017

Du bist Punkrock

Wenn ein paar jugendliche Punks in zwanzig oder dreißig Jahren in irgendeinem AJZ im niedersächsischen Hinterland sitzen, könnte es gut sein, dass sie irgendwann darüber zu reden anfangen, wie gut deutschsprachiger Punkrock Mitte der 2010er gewesen ist. Damals gab es in der Szene großflächigen künstlerischen Aktionismus gegen Rechts, ziemlich intelligente Bands wie Captain Planet, die Nerven oder Love A, einen riesigen HipHop-Ableger, der Zeckenrap-Größen wie Neonschwarz, Antilopen Gang oder im weitesten Sinne auch Kraftklub hervorgebracht hat und zu guter letzt solche Legenden wie Feine Sahne Fischfilet, die einen Spirit nicht nur kommuniziert, sondern gelebt haben und damit sogar Arenen füllten. Kurzum: heutzutage muss man selbst als großer Zyniker zugeben, dass es gerade eine ziemlich gute Zeit ist, um Punker zu sein. Und dann kommt trotzdem eine Band wie die Shitlers und behauptet ganz stur: "nur wegen Shitlers ist Punk wieder interessant". Ja nun. Das ist eigentlich maximal bescheuert, gehört die Bochumer Gruppe doch rein musikalisch zu der Sorte von Szene-Band, die man mittlerweile zum Glück überwunden hat. Das Trio verkörpert noch immer die ekelhafte Neunziger-Inkarnation von Deutschpunk, die spaßige, mit Dosenbier spritzende Generation, die noch immer Platten wie Opel Gang feiert und das politische Bewusstsein eines Dorffußballclubs besitzt. Eigentlich kann man froh sein, dass es sowas nicht mehr gibt, zumindest im großen öffentlichen Bewusstsein. Aber trotzdem braucht die Szene genau jetzt diese Jungs. Genau aus dem Grund nämlich, weil sie ihre Sache nicht so ernst nehmen und sich deshalb Dinge trauen, für die sich andere oft zu cool sind. Welche Punkband würde bitte sonst einen Track über Fler schreiben, in ihren Refrains Autotune benutzen oder über schlechte elitäre Indie-DJs herziehen? This is Bochum Not L.A. ist blödelnder Comedy-Mist, aber wenigstens welcher für 2017. Hier erlebt man nichts von der anbiedernden Neunziger-Nostalgie, in der Altpunks schwelgen, weil sie sich damals um die dreißig Pfennig für das Dosenbier noch richtig kümmern mussten, höchstens vielleicht in total postironisch. Die Themen, die die Shitlers hier darstellen sind die des Punkrock-affinien Millenials, der mit Gafa eingewickelt übers Deichbrand torkelt oder mit seiner Systemkritik bei studentischen Linken anstößig wird. Dieser Mensch stellt eine Zielgruppe dar, die die Szene bisher völlig verfehlt hat und über deren Existenz ich mir auch erst mit der Veröffentlichung dieses Albums bewusst wurde. Diese armen Menschen, die bis jetzt dazu gezwungen wurden, noch immer die Kassierer, oder noch schlimmer, die Ärzte zu hören, hat mit den Shitlers endlich einen Strohhalm, an dem er sich festhalten kann. Und der das Bewusstsein wieder schafft, dass Punk sein vielleicht auch bedeutet, einfach mal drauf zu scheißen. Sei es nur deshalb, weil es sonst keiner macht.





Persönliche Highlights: Wir sind die Shitlers+1 / Dr. Helmut Kohl / Bochum Hamme / Liebeslied / Bierbong / Uwe / Poltische Musik

Nicht mein Fall: Fat Wreck / Epitaph

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Sonntag, 23. Juli 2017

Schnelldurchlauf: Juli 2017

Da ich in den letzten Wochen feststellen musste, dass ich im Moment und wahrscheinlich auch in Zukunft meiner Aktivität als Musiknörgler nicht mehr so intensiv nachgehen kann wie bisher, habe ich kurzerhand beschlossen, ein älteres Format hier wieder einzuführen. Es geht dabei lediglich darum, ein paar Platten kurz zu besprechen, denen ich mich ausführlich nicht wirklich annehmen möchte, aber die dennoch erwähnenswert sind. Normalerweise sollte das am Ende eines Monats oder am Anfang des nächsten stattfinden, doch diesen Teil mache ich einfach mal jetzt, damit ich ein paar Sachen abgearbeitet habe und mich demnächst auch mal ein paar richtige Artikel zu einer Platte verfassen, die im Juli erschienen ist. Davon gab es bisher nämlich noch keinen einzigen.

MARK KOZELEK & SEAN YEATON
Yellow Kitchen
2017 ist für mich definitiv das Jahr des Mark Kozelek und auch diese Kollaboration mit dem Parquet Courts-Musiker Sean Yeaton fand ich im Vorfeld durchaus nicht unspannend, gerade weil man eine gemeinsame Platte dieser beiden Menschen nicht unbedingt erwartet. Auch dass Yellow Kitchen das bisher experimentellste diesjährige Kozelek-Projekt ist, ist nicht per se schlecht. Allerdings sind die langen und monotonen Songs hier am Ende doch ziemlich zäh und gehören definitiv nicht zur Highlight-Strähne, die Mark Kozelek dieses Jahr bisher durchgezogen hat. 7/11

MELVINS
A Walk With Love and Death
In meinen Augen definitiv das spannendste Melvins-Projekt der gesamten letzten Jahre. Auf ihrem neuen Doppelalbum schaffen es die Sludge-Legenden, ihre immer etwas konträren Leidenschaften für hochwertigen Metal und horrenden Blödsinn als musikalische Trennkost zu verkaufen, sprich ein Album mit ihren besten Songs seit Jahren und eines ohne jeden Sinn und Verstand. Definitiv eine sehr gute Entscheidung, so richtig begeistert bin ich aber am Ende doch nicht. Das richtig große Comeback der Melvins lässt weiter auf sich warten. 8/11

PUBLIC SERVICE BROADCASTING
Every Valley
Immer mehr synthetische Indiebands der späten Nullerjahre finden im Moment seltsamerweise ihre Erfüllung im Postrock und seit letzter Woche gehören auch Public Service Broadcasting dazu. Bei ihrem generellen Faible für Konzeptplatten und spacige Sounds ist das aber nur konsequent. Das auf jeder Menge eingesampleten Interviews basierende Projekt über ein walisisches Bergarbeiterdorf ist ein durchaus nicht unspannendes Werk, verlässt sich aber doch zu sehr auf altbewährtes und ist klanglich eher konservativ. 8/11

LAIBACH
Also sprach Zarathustra
Die slowenischen Avantgarde-Industrial-Legenden machen mal wieder ein Album für den ganz besonderen Geschmack, wobei man diesen diesmal mitunter sogar teilen könnte. Das fast ausschließlich instrumentale Werk wirkt durch ausfändige Orchestrierung und atmosphärische Elektronik nicht selten wie ein fiktiver Soundtrack, der manchmal sogar äußerst harmonisch ist. Was Laibach damit wollen, kann aber trotzdem wieder mal keiner sagen. 8/11

WAXAHATCHEE
Out in the Storm
Das letzte Album von Waxahatchee fand ich vor zwei Jahren ziemlich sterbenslangweilig und hatte hierfür keine großen Hoffnungen. Und obwohl Out in the Storm wieder ein bisschen mehr Wind in den Segeln hat, ist es doch noch weit entfernt davon, bei mir irgendetwas auszulösen. Wer seichten Garagenrock Songwriter-Kante mag, ist nach wie vor bei Angel Olsen oder Courtney Barnett besser bedient. 7/11

BORIS
Dear
Nachdem die Musik von Boris in den letzten Jahren in sehr viele verschiedene Richtungen experimentell wurde, ist Dear für viele die lang ersehnte Rückkehr zu den Doom- und Drone-Wurzeln der Japaner. Und obwohl es auch mal wieder schön ist, solche Musik von ihnen zu hören, die auch definitiv nicht schlecht gemacht ist, hoffe ich doch, dass es mit der wilden Phase der Band hiermit nicht zu Ende ist. Denn das hier kennt man von Boris eben schon sehr gut. 7/11

Samstag, 22. Juli 2017

Stützräder ab

Hätte man mich vor ein paar Jahren gefragt, ob ich mich schon auf das neue Tape von Dexy freue, hätte ich wahrscheinlich einen mittelgroßen Rant darüber angefangen, wie überbewertet ich diesen Typen doch finde. Da wurde jemand als neuer Shit des Deutschrap gefeiert, weil er sich einigermaßen vernünftig mit klangvollen Jazz-Samples auskennt und deshalb selber sagt, dass ihm die Texte dazu mehr oder weniger egal seien, weil ja der "Vibe" stimmt. Als 2013 seine erste richtige Soloplatte Palmen & Freunde erschien, war ich deshalb ziemlich sauer auf den Heilbronner und verteufelte danach lange alles, was er anrührte. Ob seine Kollaboration mit Fatoni auf Yo, Picasso, seine Produktionsjobs für Cro oder seine unzähligen Beattapes, nichts mochte ich so richtig. Und eigentlich ist das auch noch immer so, zumindest was die frühen Sachen angeht. Seit einiger Zeit jedoch bin ich mit jedem Mal, bei dem ich neues Material von Dexter höre, ein bisschen mehr davon überzeugt, dass der Junge doch was kann. Das liegt sicherlich auch daran, dass in der Zwischenzeit Cloudrap passiert ist und mittlerweile auch in den deutschen HipHop eine neue Ästhetik eingezogen ist, doch es liegt definitiv auch daran, dass der Künstler selbst besser geworden ist. Vor allem als Rapper hat er sich zuletzt mächtig aufgewertet. Ob im riesigen New-School-Posse Cut I Bims das von 2016 oder auf dem neuen Mixtape von Fatoni, Dexter war fast immer ein echtes Highlight dieser Tracks. Und als dann auch noch die ersten Singles von Haare Nice, Socken Fly ziemlich cool waren, war ich definitiv ziemlich interessiert an ihm. Ganz zu schweigen davon, dass ich auch ausdrücklich darum gebeten wurde, über diese LP zu schreiben. Dass ich es jetzt mache, ist eine gute Sache, denn was man hier erlebt, ist zu großen Teilen nicht weniger als die komplette Neudefinition der Marke Dexy, wie wir sie bisher kennen. Wo man vorher einen talentierten Boom-Bap-Beatmaster erlebte, der nebenbei ein bisschen für sich selbst rappte, existiert hier auf einmal ein zur Perfektion ausgefeilter lyrischer Charakter, den man der gesamten deutschen Sprechgesangs-Landschaft schon als ziemlich einzigartig beschreiben kann. Irgendwo zwischen dem Chill-Faktor der G-Funk-Generation, dem Swag des New School-Trap und einer völlig abgespaceten, organischen Kunstsprache schafft er hier eine sprachliche Ästhetik, die perfekt zu dem passt, was er musikalisch vor hat. Der doch sehr jazzige Sound der letzten LP geht hier in eine wesentlich elektronischere Richtung, die man vielleicht auf seinem Mixtape Raw Random Files bereits erahnen konnte. Und das ist mindestens genauso clever wie die Sache mit den Texten. Mit dem neuen Sound entziehen sich die Tracks nicht nur der leider noch immer genötigten (und sehr lästigen) Entscheidung zwischen Boom Bap und und Trap, sondern mischen außerdem einen sehr modernen Vibe mit der Gemütlichkeit, die man eben nur bei gesampletem Material hat. Dass die meisten Stücke dabei eher experimentell ausfallen, ist da nur konsequent. Hits braucht Dexy mit dieser Herangehensweise eigentlich nicht mehr. Ich finde sogar, dass er hier inzwischen so ein bisschen sich selbst genügt und garnicht mehr darauf angewiesen ist, haufenweise Künstler zu featuren. Viele der Gastauftritte, von denen es in so gut wie jedem Song einen gibt, wirken dann auch irgendwie deplatziert, sind mitunter ein bisschen awkward und tragen in den meisten Fällen nichts zum Gesamtergebnis bei. Wo man den Parts von Retrogott in Am Flughafen und Maniac in Nüsse noch einen Aha-Faktor zusprechen muss, sind die von Ahzumjot, Fatoni oder Jaq eher ziemlich unspektakulär und was LGoony mit Palmenblätter anrichtet, ist sogar eine ziemliche Katastrophe. Außerdem unterbrechen sie die schöne Leitlinie, die Dexy in seinen eigenen Strophen aufbaut. Somit ist Haare Nice, Socken Fly am Ende doch ein ziemlich fehlerbehaftetes Projekt, das zwar mit einer guten Idee startet, diese dann aber konsequent selbst ruiniert. Und obwohl das extrem schade ist, sehe ich diese LP trotzdem vor allem positiv. Immerhin hätte ich bis vor kurzem nicht im Traum gedacht, dass Dexter mal so einen eigenständigen und perfektionierten Stil aufbaut, der sogar so gut ist, dass seine Fähigkeit als Teamplayer darunter leidet. Wenn er in Zukunft hier weitermacht, könnte er eine der wenigen echt originellen Figuren in der deutschsprachigen HipHop-Landschaft werden. Und das hätte bis jetzt nun wirklich keiner geahnt.





Persönliche Highlights: Dexy, wo bist du? / Keinen Tag tauschen / Am Flughafen / 20 in den Whip (Fahrtwind Pt. 2) / Vino / Wind weht durch das Haar

Nicht mein Fall: Nüsse / Palmblätter

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Freitag, 21. Juli 2017

Keiner macht was und alle machen mit

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Calvin Harris am Ende so eine musikalische Wundertüte ist. Lange war der schottische DJ und Produzent in meinen Augen eines der schlimmsten Symptome des modernen Mainstream-EDM, der nur mit den furchtbarsten aller Songs in den Charts war und sich an die beklopptesten Trends ranschmiss. Doch seitdem er im letzten Jahr ein paar ziemlich gute Tracks mit Rihanna veröffentlichte und auch im Hintergrund an coolen Sachen beteiligt war, habe ich auf jeden Fall an Respekt für ihn gewonnen. Und was die Veröffentlichung dieses neuen Albums betraf, gab es sowieso jede Menge Gründe gespannt zu sein. Zwar wurde das Release an sich schon in den letzten Monaten vom Künstler selbst durch gefühlte fünf Millionen Vorab-Singles gespoilert, doch passierte das immerhin auf die coolste Art und Weise überhaupt: Auf jedem einzelnen Track schaffte es der Produzent, ein komplett anderes Ensemble an großartigen Popstars zu versammeln, deren Paarungen zum Teil ziemlich mutig waren. Ganz nebenbei schuf auch Harris selber dabei eine starke künstlerische Feder, die gar nicht mehr so blöd klang wie noch vor ein paar Jahren. Eine bessere Werbung für Funk Wav Bounces Vol. 1 konnte es nicht geben. Und personell gesehen ist dieses Album auch zum jetzigen Zeitpunkt noch eine echte Bombe. Auf den zehn Tracks finden sich so gut wie ausschließlich A-List-Promis, darunter Frank Ocean, Migos, Schoolboy Q, D.R.A.M., Young Thug, Ariana Grande, Pharell Williams, Future, Travis Scott, Snoop Dogg, Nicki Minaj, Katy Parry, Big Sean und Lil Yachty, um wirklich nur die hochkarätigsten zu nennen. Ein solches Aufgebot schafft außer ihm wahrscheinlich nur noch DJ Khaled. Und es sorgt auf jeden Fall dafür, dass Funk Wav Bounces ein abwechslungsreiches Album mit vielen unterschiedlichen Aspekten ist. Doch wenn man hinter die Starpower der Platte blickt, sieht man trotzdem, dass Calvin Harris selbst nur das Gerüst dafür stellt. Seine Instrumentals sind sehr anpassungsfähig und probieren auch unterschiedliche Richtungen aus, doch passiert das immer auf die vorsichtigste Art und Weise, die bloß kein zu großes musikalisches Risiko eingeht. So hat Skrt On Me einen Anflug von karibischer Folkmusik an sich, der sich mit Tropical House-Beat und Santana-Gitarre jedoch auf abgedroschene Klischees stürzt, die dann nicht mal wirklich gut ausgeführt sind. Auf Holiday passiert mehr oder weniger das gleiche mit Anspielungen auf G-Funk, nur dass hier mit Snoop Dogg jemand gefeatured ist, der sich damit eben auskennt und mit einem seiner besten Parts seit Jahren (!) den Song noch hinbiegt. Und so oder so ähnlich funktioniert im Prinzip das ganze Ding: Calvin Harris liefert einen billigen Schmalspur-Beat und lässt die Gäste den Mist dann retten. Im Opener Slide ist ein überambitionierter Frank Ocean zur Stelle, in Prayers Up mit A-Trak ein helfender Producer und in Feels, obwohl in meinen Augen eines der schlimmsten Instrumentals hier, leistet Big Sean ganze Arbeit. Das sind wohlgemerkt nur die Songs, in denen diese Rettung funktionert. Wenn aber auch die Featured Artists versagen, wird es doch ziemlich schnell peinlich. Pharell Williams' Beitrag zu Feels gehört ganz sicher zu seinen schlimmsten überhaupt, in Faking It musizieren Lil Yachty und Kehlani vollkommen aneinander vorbei und mit Cash Out ist ausgerechnet der Track mit dem vielleicht stärksten Personal hier (Schoolboy Q, D.R.A.M. und Partynextdoor) ein Totalausfall. Wenn man sich also das große Ganze ansieht, ist Funk Wav Bounces am Ende ein Album mit großem Potenzial, das aber dennoch nie so richtig auf die beine kommt. Ich finde auf der gesamten LP keinen einzelnen Song wirklich genial und viel zu viele entweder dämlich oder uninteressant. Weder Harris noch irgendeinem Gast gelingt es hier, sich künstlerisch irgendwie auf eine Weise auszudrücken, die nachhaltig spannend wäre oder wenigstens einen guten Hit zur Folge hat. Sie ist im Prinzip nicht mehr als eine große Blase. Als solche ist sie zwar gar nicht mal schlecht, aber gemessen an dem Wind, der im Vorfeld gemacht wurde, haben wir es hier mit nichts weiter als einem Rohrkrepierer zu tun. Calvin Harris wird zwar dadurch meinen Respekt nicht verlieren, denn allein das Vorhaben einer solchen Mega-LP hat diesen verdient, doch ich würde jetzt gerne wieder ein Projekt hören, wo man auch von ihm mal was hört. Am besten ganz ohne Features.





Beste Songs: Slide / Prayers Up / Holiday / Hard to Love

Nicht mein Fall: Cash Out / Rollin / Feels

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Donnerstag, 20. Juli 2017

Forever Chill

Es ist schon ein kleines Phänomen, dass ich im Moment gerade hier sitze und eine LP von Washed Out bespreche. Noch bis vor wenigen Wochen hätte man die meisten Menschen sicherlich daran erinnern müssen, dass diese Sache überhaupt jemals existiert hat. Objektiv gesehen gilt das Projekt des US-Amerikanischen Produzenten Ernest Greene als eine der lachhaftesten Mini-Hype-Eintagsfliegen des aktuellen Jahrzehnts und das, obwohl diesem Typen nachgesagt wird, dass er Chillwave überhaupt erst groß gemacht hat. Wer vor ungefähr sechs Jahren ein aufmerksamer Musiknerd war, wird damals an seinem Debütalbum Within & Without nicht vorbeigekommen sein, das äußerst seriöse Szene-Experten doch tatsächlich als die Zukunft der elektronischen Musik auswiesen. Wie wir inzwischen wissen, ist Chillwave letztendlich so ziemlich das Gegenteil geworden und Washed Out war in Sachen Output seitdem eher passiv. 2013 gab es von ihm zwar noch einmal ein Album, das versuchte, den Hype wieder anzukurbeln, da hatten aber schon alle mitgekriegt, wie sterbenslangweilig die ganze Chose eigentlich war. Und bisher schloss sich an dieser Stelle immer der Vorhang. Doch wer die frühen Sachen des Musikers aus Georgia kennt weiß, dass dieser Kerl eigentlich zu mehr fähig ist als zu einem vergessenen Diamanten eines ewig geschmähten Subgenres. Zumindest wissen wir es jetzt, denn mit Mister Mellow ist Ernest Greene doch tatsächlich ein ziemlich ansprechendes Comeback gelungen. Schon die ersten Vorab-Singles wie Get Lost oder Hard to Say Goodbye überraschten alte Zweifler mit bombig erfrischenden House-Beats, angenehmer Chillout-Attitüde und einer Prise Funk und Disco zum abrunden. Mit dem entscheidenden Schritt hin zur Tanzbarkeit zog sich Washed Out sozusagen am eigenen Zopf aus der Affäre und machte Hoffnungen, dass ein solides Album folgen würde. Und obwohl Mister Mellow in seiner Gänze doch wieder sehr gemächlich ausfällt, kann man ihm doch auf keinen Fall seine musikalische Hochwertigkeit absprechen. Stilistisch geht Greene hier sehr kosmopolit an seine Arbeit heran und mischt zahlreiche Attitüden, die mal sehr elektronisch, mal eher Sample-lastig und bisweilen sogar ziemlich psychedelisch ausfallen. An vielen Stellen fühlt man sich an die frühen Sachen von Air oder Caribou (also Manitoba) erinnert, aber auch Assoziationen mit Tame Impala oder Mac DeMarco sind nicht selten. Der Closer Million Miles Away hat sogar alle Qualitäten einer Shoegaze-Ballade. Und einen richtig schlechten Song gibt es hier eigentlich nicht, wenn man mal von den wenigen etwas sinnlosen Interludes absieht. Ein stimmiger, schicker Track folgt hier den nächsten. Das ist schon unterhaltsam und cool so, aber es wird auch niemandem wirklich den Horizont erweitern. Mister Mellow ist Easy Listening mit eiserner Disziplin, was eben bedeutet, dass einen die Musik zu keinem Zeitpunkt so wirklich herausfordert. Bei jemandem wie Washed Out hätte das wahrscheinlich zwar eh niemand erwartet, aber für mich sorgt dieser Konsens-Sound eben doch ein bisschen dafür, dass ein letzter Rest von der Ödnis der vergangenen Platten hier überspringt. Das ändert aber nichts daran, dass wir hier mit Sicherheit die bis dato beste LP von Ernest Greene erleben. Wenn wir also damit zufrieden sind, dass er nie mehr machen wird als stimmungsvolle Chiller-Ambiance, dann können wir mit seinem Output inzwischen sehr glücklich sein. Ob ich das tun werde ist fraglich, aber es wird mich nicht davon abhalten, dieses Album definitiv noch ein paarmal zu hören.





Persönliche Highlights: Title Card / Floating By / I've Been Daydreaming My Entire Life / Hard to Say Goodbye / Get Lost

Nicht mein Fall: Down and Out

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Dienstag, 18. Juli 2017

Zero Chill

Eigentlich war die Karriere von Stuart Howard bisher ein Anachronismus. Während die kleine große Ära der Schlafzimmerproduzenten nach 2013 langsam aber sicher zu Ende ging, fing die des Briten da erst richtig an. Nachdem er unter dem Pseudonym Lapalux bereits diverse mäßig erfolgreiche Mixtapes veröffentlicht hatte und 2011 beim Labelriesen Brainfeeder unterschrieb, wurde sein Debüt Nostalchic 2014 zum Szene-Geheimtipp. Darauf legte er einen ambienten, sehr anorganischen Stil vor, der schon damals auf mehr hoffen ließ. Vor allem sein Gespür für die Zusammenarbeit mit diversen Gastkünstler*innen war auffällig und bisweilen sein größter Trumpf. Auf dem ein Jahr später veröffentlichten Nachfolger Lustmore wollte diese Tendenz jedoch nicht so richtig aufgehen. Das lag vor allem daran, dass Howard hier einen kleinen stilistischen U-Turn hin zu Chillwave und Jazz-Samples wagte. Der war ganz allgemein nicht übel und zeigte ganz neue Qualitäten an ihm, doch war er an vielen Stellen doch eher konservativ und machte nicht unbedingt viel Lust, noch mehr davon zu hören. Man fragte sich schon ein bisschen, was Lapalux denn nun eigentlich von sich selbst wollte. Und sein neues Album Ruinism könnte darauf eine gute Antwort sein. Auffällig hier ist zunächst, dass der Sound des neuen Materials dem des Debüts wieder wesentlich ähnlicher ist. Dominant sind vor allem kalte, mechanische Klangflächen, verzerrte Samples, geisterhafte Vocals und viele experimentelle Ansätze. Die Gemütlichkeit von Lustmore scheint bis auf wenige Momente vollkommen von der Bildfläche getilgt und selbst wenn ab und an noch Live-Instrumentation zu hören ist, bleibt diese genauso unterkühlt und statisch wie der Rest der Platte. Vergleichbare Ansatzpunkte sind hier nicht mehr Flying Lotus oder Porches, sondern eher Holly Herndon, Jenny Hval, Lone oder James Ferraro. Und man kann auch definitiv sagen, dass Howard hier seine bisher experimentellste Platte macht. Wo sich vorher auf Einsteiger-Level an Chillwave und Minimal Eclectro versucht wurde, werden hier die harten Sachen angepackt: UK Garage, Dark Ambient, IDM, House und sogar Dub müssen auf Ruinism dran glauben, was gleich in doppelter Hinsicht ziemlich cool ist. Einerseits streift Lapalux dadurch die Gefälligkeit des Vorgängers mit Nachdruck ab, gleichzeitig gelingt ihm hier aber auch seine bisher vielseitigste und damit eingängigste Platte. Songs wie Reverence, Rotted Arp oder 4EVA als Hits zu bezeichnen, ist kein bisschen übertrieben. Zumindest für den Künstler selbst sind sie das definitiv. Und einen richtig schlechten Track gibt es hier sowieso nicht. Darüber hinaus wirkt alles auch im Gesamtkontext so stimmig und abgeschmeckt, dass die 48 Minuten Spielzeit schon nach einer guten Viertelstunde vorbei sind. Wenn es etwas gibt, das ich dennoch kritisieren muss, dann dass Ruinism auch die Lapalux-Platte mit den langweiligsten Gästen geworden ist. Zwar ist keine*r der Featured Artists (Namen werden überflüssig, die kennt eh wieder keiner) wirklich mies, doch das besondere Händchen, dass Howard in der Vergangenheit für Kollaborationen hatte, tritt hier nur sehr selten zu Tage. Dafür kann man aber sagen, dass es umso mehr seine LP geworden ist. Seine beste, wie ich behaupte. Das Projekt Lapalux findet hier endlich die stilistische Mitte, die mir auf den beiden Vorgängern immer noch ein bisschen gefehlt hat und klingt nunmehr so professionell, wie man das von einem Brainfeeder-Künstler auch irgendwie erwartet. Und das, obwohl er nicht der neue Flying Lotus geworden ist. Den hätte nämlich auch niemand gebraucht.





Persönliche Highlights: Reverence / Data Demon / Rotted Arp / Displacer / 4EVA / Essex is Burning / Flickering / Running to Evaporate / Phase Violet / Tessellate

Nicht mein Fall: -

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Montag, 17. Juli 2017

Fünf Sterne Deluxe

Ich muss mittlerweile wahrscheinlich niemandem mehr sagen, wie sehr ich Milo liebe. Seit seinem kommerziellen Debüt A Toothpaste Suburb von ist mir der MC aus Connecticut zu einem absoluten Lieblingsrapper geworden, den ich nicht mehr aus meiner musikalischen Erfahrung wegdenken will. Und obwohl ich zu diesem Schluss vor allem seiner unglaublich nerdigen Texte wegen komme, die sich am liebsten um Zeichentrickserien, Arthur Schopenhauer und Asia Food drehen, ist es nicht zuletzt auch sein musikalischer Vibe, der mich anspricht. Sein lethargischer Flow ist bezeichnend für die Inhalte, die er in seinen Songs formuliert und seine Vorliebe für weirde Cooljazz-Samples habe ich auf seinem letzten Mixtape So the Flies Don't Come mit elf von elf Punkten gekrönt. Gerade deshalb ist es also schön, dass der Rapper eben dieser Vorliebe mit Scallops Hotel seit einigen Jahren ein eigenes Projekt widmet. Und so sinnlos, wie dieses am Anfang vielleicht erscheint, ist es tatsächlich gar nicht. Gerade auf den letzten Platten unter dem Milo-Namen wurde scheinbar in jede einzelne Zeile unglaublich viel Sorgfalt gelegt und man hatte den Eindruck, dass sich hier größere Zusammenhänge erschließen. Weshalb experimentellere Ansätze, die auf früheren Tapes noch da waren, scheinbar auf der Strecke blieben. Diese auf ein Nebenprojekt zu verklappen, ist zwar einerseits eine Minderung ihrer Bedeutung, gleichzeitig wird ihnen durch Scallops Hotel aber auch viel mehr Platz eingeräumt. Und spätestens auf Over the Carnage Rose A Voice Prophetic rentiert sich das auch. Als ich im letzten Sommer das letzte Mixtape Too Much of Life is Mood hörte, empfand ich dieses zwar als toll und spannend, man merkte hier gleichzeitig aber auch sehr, dass es sich eben nicht um Milos Hauptprojekt handelte. Zu wenig wurde hier gerappt, zu viel nur herumgespielt und insgesamt hatte die Platte einen ziemlich zerschossenen Eindruck. Wäre ich kein Riesenfan dieses Typen, wäre mit das ganze wahrscheinlich bis heute sehr egal. Und im Grunde genommen ist das auf Over the Carnage... wenig anders. Gerade mal 25 Minuten dauert das neueste "Album" von Scallops Hotel und im Grunde genommen ist es bestenfalls zu 50 Prozent ein HipHop-Produkt. Zwar gibt es hier die gleichen, nachdenklich geflowten Strophen, wie man sie vom Hauptprojekt kennt, doch werden diese immer wieder auch technisch manipuliert oder enden bereits nach wenigen Zeilen. Viel auffälliger sind da schon die eigenartig verzerrten Hooks und Bridges, die Milo immer wieder einstreut und die garantiert der Experimentalmusik zuzuornen sind. Teilweise bestehen diese nur aus einem Wort, irgendwelchen Lautmalereien oder Gelächter. Außerdem wiederholt er auf fast jedem Song ein ziemlich festes Set an Lines, das jedes Mal die Nennung des Projektnamens und des Albumtitels beinhaltet und arbeitet größzügig mit diversen Vokal-Samples. Man kann also mit Sicherheit sagen, dass der Fokus hier nicht auf Milo als Rapper liegt. Doch was diese Platte im Vergleich zu ihrem Vorgänger irgendwie ernsthafter macht, ist der unglaublich coole Gesamtkontext, in dem sich die Tracks hier bewegen. Und er ist etwas, was definitiv nur dieser Künstler hinbekommt. Wer wie ich die meditative Beatmix-Atmosphäre von So the Flies Don't Come liebte, wird sich auf Over the Carnage... definitiv wiederfinden und durch das Fehlen krasser lyrischer Gedankensprünge seitens des Akteurs wird diese hier sogar noch verstärkt. Natürlich hat das ganze eine deutlich seltsamere Ästhetik als dein durchschnittliches LoFi-HipHop-Set auf YouTube, aber genau darin liegt auch der Reiz des ganzen. Scallops Hotel machen hier avantgardistisch angehauchte Kunstmusik auf dem hörer*innenfreundlichsten Level, das überhaupt möglich ist. Und zumindest ich bin der Meinung, dass das nur sehr sehr gute Musiker*innen schaffen. Dass Milo ein solcher ist, davon bin ich überzeugt, aber mit diesem Mixtape beweist er, dass er das auch außerhalb seiner Fähigkeit als Rapper ist. Wobei es ihm wieder mal gelingt, genau dort zu verblüffen, wo man es am wenigsten erwartet. In meinen Augen ist seit Over the Carnage... der Output von Scallops Hotel endgültig gleichwertig mit dem des Hauptprojekts. Denn hier passiert die Arbeit, die auf den Milo-Platten schon vorher gemacht wurde.





Persönliche Highlights: Trumpet Sound / Prospero Muted Magic (Jack Gilbert at the Scallops Hotel) / Ain't No Hustle Where I Live (Zappa at the Scallops Hotel) / Tennessee Stud Cover / Origami Paperfold / In the Holodeck / What Am I (the Antipop Consortium Take A Trip to the Scallops Hotel) / A Priori Priority

Nicht mein Fall: -

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Sonntag, 16. Juli 2017

Im Ton vergriffen

Live in Europa. Eigentlich ein sehr simpler Titel für eine Live-LP, doch im Falle der Nerven auch einer, der Bände spricht. "Live in Stuttgart" oder "Live in Berlin" hätte es vor zwei bis drei Jahren vielleicht noch gehießen, aber mittlerweile hat das Postpunk-Trio aus Baden-Württemberg endgültig die nächstgrößere Bühne betreten. Spätestens seit ihrem Deal mit Glitterhouse und dem letzten Album Out sind sie so etwas die internationalen Posterboys der Stuttgarter Zelle geworden, vielleicht sogar der gesamten deutschsprachigen Punkrock-Szene Stand 2017. Und demzufolge gäbe es auch keinen besseren Moment, um ein Live-Album zu veröffentlichen. Zum einen, weil man ja nie so richtig weiß, wie lange dieser Zustand anhält und zum anderen, weil die Nerven spielerisch gerade in einer äußerst spannenden Phase sind. Als vor eineinhalb Jahren Out rauskam, kannte man die Band als Kompositions-Minimalisten, die ihre kurzen Tracks möglichst roh formulierten und dabei die Aussage deutlich in der Vordergrund rückten. Jene LP verschob den Fokus jedoch mehr und mehr auf die musikalische Ebene und man erkannte hier ein plötzliches Faible für langwierige Jams und psychedelische Repetition, die fast nach Stonerrock anmuteten. Und in den auf Live in Europa festgehaltenen Performances findet sich diese Leidenschaft erneut wieder. Dass Stücke auf der Bühne gerne etwas länger sind und neu ausformuliert werden können, ist auch im Punkrock inzwischen nichts neues mehr, doch auf diesen 70 Minuten erkennt man den Punk-Bezug der Band eigentlich schon gar nicht mehr. Bis zu achteinhalb Minuten werden Songs hier teilweise ausgenudelt und in vielen Fällen besteht genau darin auch der größte Mehrwert dieser Aufnahmen. Denn abgesehen davon ist vieles hier eher überraschungsarm. Die Nerven spielen vor allem ihre letzten beiden Alben sehr ausführlich, wobei die von Out hier in deutlicher Überzahl sind, darüber hinaus gibt es den Fluidum-Klassiker Der letzte Tanzende auf sieben Minuten zurechtgeschwiegen und ein Joy Division-Cover. Die meisten Sachen sind dabei schon ziemlich gut performt und so, aber was fehlt ist die eigentliche Essenz einer Live-Platte: Man bekommt auf Live in Europa nicht den Eindruck, hier an einem besonderen Moment teilzuhaben. Durch die Nebengeräusche und die Musik an sich wird zwar klar, dass bei den Shows wohl eine ziemlich atemberaubende Atmosphäre geherrscht haben muss, doch diese überträgt sich kein bisschen auf die Aufnahmen. Der Sound der Platte ist eine Katastrophe (keine Ahnung, ob das nun an der Abmischung des Konzerts oder an der miesen Qualität des Mitschnitts liegt) und auch die Interaktion der Musiker lässt an vielen Stellen zu wünschen übrig. Wenn man direkt im Club steht und diese Songs tatsächlich in Farbe erlebt, mag das alles kein Problem sein, aber die Veröffentlichung auf Platte ist in dieser Hinsicht eher kontraproduktiv. Als DLC-Bootleg-Bonus für die nächste Studio-LP wäre das okay gewesen, aber eine 180 Gramm-Doppelvinyl für 30 Euro ist bei diesem Ergebnis definitiv ein bisschen übertrieben. Wenn es um sowas geht, sind die Nerven 2017 definitiv sehr wenig rammelige Kellerpunk-Truppe, sondern schon ganz schöne Rockstars. Trotz allem könnte ich mir aber immer noch ins Bein schießen, dass ich sie selbst noch nicht live gesehen habe.





Persönliche Highlights: Hörst du mir zu / Gerade deswegen / Blaue Flecken / No Love Lost / Jugend ohne Geld / Den Tag vergessen / Die Bösen

Nicht mein Fall: Die Unschuld in Person / Der letzte Tanzende / Angst

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Donnerstag, 13. Juli 2017

The '95 Sound

Ich hatte lange ernsthaft überlegt, ob ich über die neue Ride-Platte überhaupt schreiben will. Ich habe mich für die Musik der Briten eigentlich nie in dem Maße interessiert wie für die ihrer Kollegen von Slowdive oder My Bloody Valentine und ich muss zu meinem Unbehagen auch zugeben, dass ich mit ihrer Diskografie bisher eher unzureichend vertraut bin. Obgleich zumindest ihr Debüt Nowhere zum kleinen Einmaleins des Shoegaze gehört. Es wäre also nicht unbedingt in meinem Interesse gewesen, über Musik zu schreiben, mit der ich mich selbst nicht so wirklich auskenne. Andererseits stehen die Sterne gerade ziemlich günstig für einen Longplayer mit den Voraussetzungen. Zum einen ist Weather Diaries das erste richtige Album der Gruppe seit 2003, also ein Comeback und damit automatisch etwas besonderes. Und irgendwie motivierte mich auch das überraschenderweise total geniale neue LP von Slowdive in diesem Frühjahr, mich hiermit zu beschäftigen. Was auch definitiv keine schlechte Entscheidung war. Denn obwohl die elf neuen Songs alles andere als weltbewegend sind, gelingt es ihnen auf ähnliche Weise wie Slowdive, den äußerst angenehmen Vibe des Neunziger-Shoegaze 25 Jahre später perfekt einzufangen. Ride sind dabei zwar ein ganzes Stück Pop-fixierter und substanzieller unterwegs, doch macht ihre Musik deshalb kein Stück weniger Spaß. Gerade der Faktor, dass die Band hier nicht nur wabernden Äther produziert, sondern richtige Hits schreibt, trägt viel zur Qualität von Weather Diaries bei. Gerade Songs wie All I Want oder Charm Assault haben durchaus Eigenschaften guter Radiosongs, zumindest wenn diese vor 20 Jahren gelaufen wären. Und natürlich geben die in Reverb getränkten Gitarren und das watteweich produzierte Schlagzeug nochmal einen besonderen Chill-Faktor mit rein, der nicht zu unterschätzen ist. Daneben gibt es aber auch noch sehr spannende, eher experimentelle Tracks wie das extrem gediegene Integration Tape, das nicht weniger atmosphärische Home is A Feeling, das rockige Lateral Alice oder Rocket Silver Symphony, das sogar Einflüsse von Madchester und TripHop einbindet (und damit herrlich nach den tiefsten Neunzigern klingt). Alles in Allem ist Weather Diaries damit immer wieder für Überraschungen gut und erstaunlich kreativ geworden. Was die reine musikalische und klangliche Ausarbeitung angeht, habe ich hier nichts zu beanstanden. Lediglich wenn es um den Inhalt geht, gibt es in einigen Momenten doch erstaunlich platte Lyrics ("a face of reason equals treason / a treason against all reason"), auf die bei bei solchen Songs aber sowieso keiner so richtig hören wird. Und es ist einfach ziemlich schade, dass Weather Diaries ganz offensichtlich zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Wäre das Album vor 20 Jahren erschienen, hätte es gute Chancen gehabt, sehr erfolgreich zu werden, heute vielleicht sogar ein All Time Favourite nostalgischer Shoegaze-Nerds zu sein. 2017 jedoch ist es eigentlich nicht mehr als ein in den Heydays hängengebliebenes Comeback, das in der aktuellen Musiklandschaft eher wenig Anschlusspunkte findet. Man sollte sich durch diesen Umstand jedoch nicht täuschen lassen, denn was Ride hier machen, ist definitiv sehr gut. Nur wäre es 1997 irgendwie besser gewesen.





Persönliche Highlights: Charm Assault / All I Want / Home is A Feeling / Weather Diaries / Rocket Silver Symphony / Lateral Alice / Cali

Nicht mein Fall: White Sands

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Dienstag, 11. Juli 2017

Realsatire

Was hat man sich nicht die Hände gerieben in der deutsche HipHop-Szene in Erwartung auf dieses Album. Seit mittlerweile einem halben Jahr warten so gut wie alle, ob nun Gangster-Rapper, Twitter-Atzen, Journalisten oder Oldschool-Rucksacker, auf Epic. Die Platte, die mehr oder weniger die Karriere von Fler 2017 bedeutet. Nachdem der Berliner im letzten Jahr mit Vibe das kleine Wunder vollbrachte, mit einer guten LP das Image wieder aufzuputzen, dass er in den Jahren davor mit diversen dämlichen Interviews und sinnlosen Beefs ruiniert hatte, wird es hier ganz besonders spannend. Schafft es Frank White, an den Erfolg des Vorgängers anzuschließen und wieder langfristig musikalisch zu überzeugen oder war Vibe einfach nur mehr Glück als Verstand? In jedem Fall würde der Unterhaltungswert von Epic extrem hoch sein und die ganze langwierige und leidige Promophase hätte sich gelohnt. Und wer die vorab veröffentlichten Singles der Platte kennt, der weiß, dass es wirklich leidig war. Bis zuletzt hatte die ganze Angelegenheit etwas von Schrödingers Katze, die niemand aus dem Sack lassen wollte. Es gab ziemlich coole Nummern wie Makellos, bei denen man echt dachte, dass es mit der Erfolgssträhne weitergehen würde, die aber kurz danach durch Totalausfälle wie Slowmotion wieder vernichtet wurden. Man wusste also nie wirklich was abgeht. Und als sich letzten Freitag die ganze Spannung entlud, war die Ernüchterung bei mir entsprechend groß. Von allen möglichen Varianten, wie die Geschichte hätte ausgehen können, ist in meinen Augen vielleicht die schlimmste passiert. Fler und Jalil machen hier das Album, das mit allem Mitteln versucht, Vibe zu sein, dieses Unternehmen aber mit Karacho gegen die Wand fährt. Im Versuch, die trappige Ästhetik und den minimalistischen Ansatz der letzten LP noch weiter zu treiben, entsteht hier eine Platte, die zwar richtig gut produziert ist und mit hochwertigen Beats punktet, inhaltlich aber vollkommen flachfällt. Und im Gegensatz zur Aussage des Künstlers, dass dieser Sound mit dem der ach so innovativen Ami-Rapper gleichzieht, ist er wohl eher eine miese Karikatur der Trap-Szene der letzten Jahre. Schon die Art und Weise, wie beide MCs hier versuchen, den Flow von Leuten wie OG Maco und Gucci Mane zu imitieren, ist absolut lächerlich und wer hier die Vocal-Takes aufgenommen hat, muss sehr verzweifelt gewesen sein. Dass Flizzy einen, ähem...eigenen Stil hat, wissen die, die ihn vorher gehört haben, schon lange und man kann das irgendwie noch als Realness verkaufen. Doch was Jalil angeht, so muss ich einfach sagen, dass der Typ kein Talent hat. So oft wie er hier Silben vernuschelt oder die einfachsten Lines nicht hinbekommt, trägt er zu dieser Platte kaum etwas bei. Sogar die beiden Feature-Gäste Remoe und Mortel leisten in meinen Augen mehr als er. Und da haben wir mit den komplett depperten Lyrics noch gar nicht mal angefangen. Mit Mumble-Rap hat das ganze übrigens nichts zu tun, dafür sind sich die beiden ja zu real. Wer den Anspruch hat, zu wissen, wovon er redet (und Fler weiß, wovon er redet!), kann sich eben nicht auf die gemütliche ironische Distanz berufen, die jemand wie LGoony oder Juicy Gay hat. Und sobald es ernst gemeint ist, werden das ewige Aufzählen von teuren Automarken, das gequatsche von Bitches und Hustensaft und tausendfach wiederholte Bars eben schon schnell langweilig. Besonders wenn scheinbar keinerlei Kreativität in diese Songs geflossen ist. Unterm Strich bleibt dann also die hübsche klangliche Ästhetik, die aber ohne den entsprechenden Content nicht viel bringt. Das Wunder von Vibe konnte Fler hier definitiv nicht noch einmal wiederholen. Viel eher hat er sich in eine neue Dimension der Peinlichkeit manövriert, die in meinen Augen sogar noch ein bisschen Fremdscham-intensiver ist als alles vorher. Bewiesen hat er mit dieser LP letztendlich nur sich selbst etwas. Aber das hätte er mit jedem anderen Blödsinn auch geschafft.





Persönliche Highlights: Hype / Zenit / Alles VVS / Flex'n / Coogi / Makellos / Regen / Paradies

Nicht mein Fall: Standing / Slowmotion / Mir gehört die Nacht / On-Off-Beziehung / Rudel

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Sonntag, 9. Juli 2017

Dungeons & Dragons

Man kann sich sicherlich darauf einigen, dass King Gizzard & the Lizard Wizard eine der sicherlich ulkigsten Rockbands sind, die momentan aktiv sind. Ihre wahnwitzigen Albumkonzepte, ihre fantastisch verpeilten Videos und das sogenannte Gizz-Verse, das die musikalischen Brückschläge zwischen ihren verschiedenen Projekten bezeichnet, sind unter ihren Anhänger*innen mittlerweile schon einigermaßen legendär. Und bisher konnte man auch mit Sicherheit sagen, dass die Australier aus dieser Schrägheit ihre größte Attraktivität bezogen. Für den Kosmos von King Gizzard erschien keine Idee zu krass, kein Kozept zu abgefahren und keine Blödelei zu dämlich. Surfrock mit Mundharmonika, Science Fiction-Epen, eine LP in Endlosschleife und mikrotonale Musik: alles kein Problem. Und die Quittung dafür bekommen wir jetzt mit Murder of the Universe. Das zehnte Album der Psychrocker ist vielleicht das erste, bei dem man ob der Seltsamkeit des Vorhabens Kopfschmerzen bekam. Schon die ersten Singles lieferten mit ihrem sperrigen Experimental-Sound, den unübersichtlichen Story-Kapiteln und vor allem den vielen eigenartigen Spoken-Word-Passagen eine ziemlich Breitseite, selbst für hartgesottene Fans. Und wer dort noch dachte, der ganze Humbug würde auf der fertigen LP irgendwie Sinn ergeben, der hat sich hier mächtig geschnitten. Murder of the Universe ist in seiner Gesamtheit noch tausendmal verklausulierter, zäher und unzugänglicher als alle seine Vorboten. Hier also erstmal die Fakten: Strukturiert ist die Platte in drei größerer Unterkapitel, die wieder irgendeine wüste SciFi-Zote bilden. Dabei liegt der Fokus ganz klar auf einer erzählerischen Linie, die größtenteils über gesprochene Erzähltexte funktioniert. Sänger Stu Mackenzie trägt dazu lediglich eine Art Hook bei, die in den meisten Fällen aus der unendlichen Wiederholung einer Zeile besteht. Das erste Drittel besteht dabei aus der abwechselnden Vorführung der beiden Altered Beast und Alter Me genannten Motive, die alle beide nicht wirklich zu den Sternstunden des gizzard'schen Songwritings gehören. Insofern man kein absoluter Supernerd ist und auf derart horrenden Blödsinn steht, hält sich der musikalische Mehrwert dieses ersten Teils doch sehr in Grenzen. Doch wenn man den erstmal durch hat, wird es mit Part zwei doch deutlich interessanter. Zwar beginnt dieser mit dem fies ironisch betitelten Instrumental-Intro Some Context, dem vielleicht sinnlosesten Track der ganzen Platte, doch dafür gibt es danach sogar mal den einen oder anderen halbwegs vernünftig geschrieben Song zu hören. The Lord of Lightning überzeugt mit einer dieser genialen Hooks, für die man diese Band so liebt (Nonagooon, nonagooon, nonagooon infinityyyyyyy!!) und auch das darauf folgende Balrog turnt eigentlich ganz vernünftig. Zwar hat das auch alles nicht das Niveau einiger früherer Sachen, doch man ist ganz froh, überhaupt mal etwas zu hören, das über drei Minuten lang und halbwegs konsistent ist. Davon wird man auch später nicht mehr so viel bekommen. Als Finale Furioso ist Teil Drei des Albums das ultimative WTF-Erlebnis. Nicht nur kommt mit dem existenzialistischen Computerprogramm Han-Tyumi (oder so?) noch ein weiterer Charakter als Erzählerfigur hinzu, auch die Stücke werden hier maximal schräg. Der letzte Part besteht zwar aus sechs Einzeltracks, doch ist er quasi so etwas wie ein großer Songbrocken, der zum Abschluss noch einmal alles gibt. King Gizzard reißen hier in Rekordtempo haufenweise Ideen an, die an sich auch gar nicht schlecht sind. Nur ist es gerade deshalb so schade, dass man ihnen nur ein bis zwei Minuten gibt, um sich irgendwie zu enfalten. Es ist fast beruhigend, mit dem Titelsong ganz zum Schluss noch mal ein Stück zu bekommen, das wenigstens vier Minuten lang geht. Wirklich schlauer ist man danach aber auch nicht. Vielleicht gibt es hinter diesem Album irgendwo ein riesengroßes Universum, das nur wahren Gizzard-Fans zugänglich ist und irgendwie ist das ganze auch ziemlich faszinierend, aber es lenkt auch vom wesentlichen ab: Musikalisch hat die Band hier nichts geleistet. Kompositorisch ist Murder of the Universe bisweilen eine totale Katastrophe und man weiß eigentlich, dass diese Leute das besser können. Das schlimmste aber ist, dass ein Epos wie dieses hier mit aller Gewalt in eine Spielzeit von gerade mal 47 Minuten gepresst wird. Ich bin überzeugt davon, dass diese Platte um ein vielfaches besser geworden wäre, hätten sich King Gizzard hier für eine angemessenere Länge entschieden. Das Konzept selbst hätte locker über anderthalb Stunden oder mehr getragen und vielleicht wären dabei auch mehr richtige Songs dabei rausgekommen statt nur haufenweise halbgare Noise-Skizzen. Sicherlich wäre es dann nicht gelungen, diese Release-Frequenz beizubehalten, mit der die Australier dieses Jahr noch zwei Platten raushauen wollen. Aber für das wesentlich bessere Gesamtergebnis wäre es das in meinen Augen wert gewesen. Stattdessen ist Murder of the Universe eine der bisher schwächsten Performances der Band geworden, die zeigt, dass selbst eine Gruppe wie King Gizzard es mit der Weirdness übertreiben kann. Dass sie damit aufhören sollen, bedeutet das aber keinesfalls. Gerade nach diesem Album ist das, was sie machen, für mich noch einmal um ein Vielfaches spannender geworden. Wo werden hier gemachte Ansätze vielleicht wieder verwendet? Wie entfaltet sich die Story eventuell weiter? Gibt es tatsächlich ein King-Gizzard-Universum, in dem all die Ideen der Band irgendwann zusammenfinden? Es wäre sensationell, das zu erfahren. Und ich gehe aus dieser Erfahrung vielleicht neugieriger heraus, als ich sie begonnen habe...





Persönliche Highlights: A New World / Alter Me III / Life & Death / the Reticent Raconteur / the Lord of Lightning / the Floating Fire / Digital Black / Vomit Coffin

Nicht mein Fall: Altered Beast I / Alter Me I / Some Context

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Freitag, 7. Juli 2017

Das geht auch leiser

Es ist immer eine schwierige Sache, wenn ein Act nur deshalb so gut ist, weil er viel Lärm macht. Lärmige Musiker*innen werden meist auf den frühen, ganz besonders lärmigen Veröffentlichungen von vielen gefeiert, strapazieren diese Lärmigkeit deshalb bis zum Limit und müssen sich dann irgendwann doch etwas anderes überlegen. Und genau an diesem Punkt wird es schwierig. Denn so etwas einnehmendes wie laute, intensiven Krach zu ersetzen, das zum Markenzeichen eines Sounds geworden ist, ist eine sehr harte Aufgabe. Und viele Lösungsansätze machen weder die Fans noch die Künstler*innen selber so richtig glücklich. Die Bostoner Band Bent Knee beispielsweise war 2014 auf ihrem Debüt Shiny Eyed Babies vor allem deshalb so grandios, weil sie es mit ihrer Musik vermochte, tiefe Furchen in die Oberfläche ihres theatralischen Artrock zu ziehen und weil sie mit Coutney Swain eine Sängerin haben, die mit ihrer Stimme kleinere Erdbeben verursachen kann. Und auf den frühen Songs des Sextetts funktionierte ihre Musik nur über diese beiden Eindrücke tatsächlich sehr gut. Doch weil Bent Knee eine Gruppe sind, die kreativ beweglich sein will und die sich auf diese Effekte allein nicht verlassen wollte, verzichteten sie für ihren Nachfolger Say So kurzerhand genau auf diesen wichtigen Selling Point. Rein künstlerisch empfinde ich dies als mutigen Schritt, doch ich muss auch zugeben, dass ich die meisten Tracks der Platte bis heute eher langweilig finde. Wenn es um die größten Enttäuschungen geht, die ich musikalisch 2016 erlebte, dann gehört Say So definitiv dazu. Wobei ich mir auch sicher war, dass die Band daraus ebenso lernen würde wie aus ihrem Debüt. Was sie auf ihrem nunmehr dritten Longplayer auch definitiv getan haben. Land Animal ist nach dem sehr poppigen Vorgänger wieder ein deutlich progressiveres Werk, das an vielen Stellen mit Rhythmuswechseln, krassen Soli und epochalem Klang spielt. Technisch wird hier erneut das komplette Arsenal an Streichern, Synths, Gitarren und nicht zuletzt Coutney Swain aufgefahren, die teilweise ganz schön beeindruckende Orchestral-Performances ableisten. Auch hat man wohl festgestellt, dass Bent Knee ganz ohne harte Breaks und ohne ein Mindestmaß an Dramatik nicht funktioniert. In diesem Sinne ist Land Animal vielleicht ein bisschen ein Schritt zurück. Aber nichtsdestotrotz geht die Platte in vielen Belangen auch weiter nach vorne. Im Vergleich zum Vorgänger ist der Sound hier wesentlich Synth-lastiger und definiert sich stärker durch seinen spielerischen Anspruch. Zwischendurch lockern zwar Pop-Momente wie in Time Deer auf, doch einen Überhit wie Hands Up gibt es diesmal nicht. Damit erleben wir hier das bis dato sicherlich am wenigsten eingängige Album der Bostoner, doch das ist erstmal nichts schlechtes. Denn dafür ist vieles hier auch wesentlich spannender als beim letzten Mal. An die bombastische Qualität des Debüts reicht es zwar auch nicht heran, doch diese LP ist eh für ein ganz anderes Publikum gedacht. Land Animal wird vielleicht Menschen gefallen, die die letzten Sachen von the Dear Hunter mochten oder sehnsüchtig auf neues Material der Red Paintings warten. Ich persönlich kann diesen Leuten sehr empfehlen, sich das hier anzuhören, doch ich persönlich finde es nur ganz nett. Wer Technik braucht, um zu begeistern, den kann ich leider nicht ganz ernst nehmen. Doch Bent Knee machen das ja eigentlich nur, weil sie alles andere schon durch haben.





Persönliche Highlights: Hole / Insides In / These Hands / Time Deer / Belly Side Up / the Well / Boxes

Nicht mein Fall: Land Animal

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Donnerstag, 6. Juli 2017

Butter bei die Fische

2017 ist Vince Staples wahrscheinlich der meiste Rapper der Welt. Der junge Musiker aus Long Beach taucht inzwischen fast auf jedem zweiten Album von irgendjemandem im HipHop-Kosmos auf, muss ständig seinen Kommentar zu irgendwas abgeben und hatte zuletzt sogar seine eigene Video-Kolumne bei GQ. Doch obwohl auch ich diesen Typen an sich super sympahtisch finde und sein Debüt Summer '06 von 2015 eigentlich sehr gerne mochte, frage ich mich ständig, was an dem Kerl eigentlich das besondere sein soll.Vince Staples ist weder technisch atemberaubend, noch hat er einen besonders eigenwilligen Stil noch fünf Tonnen Swag, mit denen er das Fehlen der anderen Attribute wettmacht. Er ist einfach nur ein irgendwie guter Rapper. Und der Vorgänger hatte wenigstens noch den Vorteil, dass er eine totale Überraschung für all jene war, die Staples noch von Odd Future kannten. Doch für seinen zweiten Longplayer brauchte er definitiv ein anderes Ass im Ärmel. Dass er gleich so viele haben würde, damit hatte wieder mal keiner gerechnet. Denn Big Fish Theory ist das Album, mit dem der New Yorker endgültig zeigt, dass er nicht nur irgendjemand ist. Nach dem sehr soliden, aber dennoch ziemlich konventionellen Summer '06 geht Staples hier auf volles Risiko und macht hier etwas, das man durchaus als experimentellen HipHop bezeichnen kann. Eine Art lyrisches Konzept, das sich im weitesten Sinne um Meeresbewohner dreht (???), teilweise arg weirde Textpassagen, komische Field Recordings und Interludes und einen Sound, der stellenweise doch ein wenig verwirrt. Die sehr elektronischen und krassen Beats, die unter anderem von Justin Vernon und Flume produziert wurden, verbreiten einen Vibe, den auch heute noch sehr wenige HipHop-Platten haben und der an eine ulkige Mischung aus Travis Scott, Massive Attack und den Warp-Samplern der frühen Neunziger erinnern. Das mag seltsam klingen, doch die eigenwilligen Instrumentals sind in meinen Augen tatsächlich das größte Highlight der Platte. Und alles, was Vince Staples hier macht, passt irgendwie dazu: Gäste wie Damon Albarn oder Kilo Kish (keine Sorge, Kendrick Lamar und A$ap Rocky sind auch dabei), sein abgedrehter aber doch lyrischer Flow sowie die ganzen Sachen, die hier zwischen den Zeilen gesagt werden. Man merkt, dass Vince in seinem Element ist. Das bedeutet unterm Strich nicht nur jede Menge gute Musik (die Banger-Dichte hier ist unglaublich hoch!), sondern auch, dass ich endlich weiß, was an diesem Künstler so cool ist. Staples versteht es wie wenige Rapper, auch als geschmacklich sicherer Kurator seiner Platten aufzutreten und eine geniale Ästhetik aufzubauen. Er besitzt nicht den nervigen Geltungsdrang eines Kanye West, ihm ist sein musikalischer Output aber auch nicht so egal wie leider den meisten MCs dieser Erde. Und das macht ihn wirklich zu einem heißen Kandidaten, ganz besonders für jemanden wie mich, der wahnsinnig auf gute Konzepte und kontextuellen Sound steht. Big Fish Theory ist definitiv ein Paradebeispiel dafür und der Mann dahinter hat dafür auf jeden Fall jede Anerkennung verdient. Jetzt endlich auch die von mir.





Persönliche Highlights: Crabs in A Bucket / Big Fish / Alyssa Interlude / Yeah Right / Homage / SAMO / Party People / BigBak

Nicht mein Fall: 745 / Rain Come Down

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