Donnerstag, 13. Juli 2017

The '95 Sound

Ich hatte lange ernsthaft überlegt, ob ich über die neue Ride-Platte überhaupt schreiben will. Ich habe mich für die Musik der Briten eigentlich nie in dem Maße interessiert wie für die ihrer Kollegen von Slowdive oder My Bloody Valentine und ich muss zu meinem Unbehagen auch zugeben, dass ich mit ihrer Diskografie bisher eher unzureichend vertraut bin. Obgleich zumindest ihr Debüt Nowhere zum kleinen Einmaleins des Shoegaze gehört. Es wäre also nicht unbedingt in meinem Interesse gewesen, über Musik zu schreiben, mit der ich mich selbst nicht so wirklich auskenne. Andererseits stehen die Sterne gerade ziemlich günstig für einen Longplayer mit den Voraussetzungen. Zum einen ist Weather Diaries das erste richtige Album der Gruppe seit 2003, also ein Comeback und damit automatisch etwas besonderes. Und irgendwie motivierte mich auch das überraschenderweise total geniale neue LP von Slowdive in diesem Frühjahr, mich hiermit zu beschäftigen. Was auch definitiv keine schlechte Entscheidung war. Denn obwohl die elf neuen Songs alles andere als weltbewegend sind, gelingt es ihnen auf ähnliche Weise wie Slowdive, den äußerst angenehmen Vibe des Neunziger-Shoegaze 25 Jahre später perfekt einzufangen. Ride sind dabei zwar ein ganzes Stück Pop-fixierter und substanzieller unterwegs, doch macht ihre Musik deshalb kein Stück weniger Spaß. Gerade der Faktor, dass die Band hier nicht nur wabernden Äther produziert, sondern richtige Hits schreibt, trägt viel zur Qualität von Weather Diaries bei. Gerade Songs wie All I Want oder Charm Assault haben durchaus Eigenschaften guter Radiosongs, zumindest wenn diese vor 20 Jahren gelaufen wären. Und natürlich geben die in Reverb getränkten Gitarren und das watteweich produzierte Schlagzeug nochmal einen besonderen Chill-Faktor mit rein, der nicht zu unterschätzen ist. Daneben gibt es aber auch noch sehr spannende, eher experimentelle Tracks wie das extrem gediegene Integration Tape, das nicht weniger atmosphärische Home is A Feeling, das rockige Lateral Alice oder Rocket Silver Symphony, das sogar Einflüsse von Madchester und TripHop einbindet (und damit herrlich nach den tiefsten Neunzigern klingt). Alles in Allem ist Weather Diaries damit immer wieder für Überraschungen gut und erstaunlich kreativ geworden. Was die reine musikalische und klangliche Ausarbeitung angeht, habe ich hier nichts zu beanstanden. Lediglich wenn es um den Inhalt geht, gibt es in einigen Momenten doch erstaunlich platte Lyrics ("a face of reason equals treason / a treason against all reason"), auf die bei bei solchen Songs aber sowieso keiner so richtig hören wird. Und es ist einfach ziemlich schade, dass Weather Diaries ganz offensichtlich zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Wäre das Album vor 20 Jahren erschienen, hätte es gute Chancen gehabt, sehr erfolgreich zu werden, heute vielleicht sogar ein All Time Favourite nostalgischer Shoegaze-Nerds zu sein. 2017 jedoch ist es eigentlich nicht mehr als ein in den Heydays hängengebliebenes Comeback, das in der aktuellen Musiklandschaft eher wenig Anschlusspunkte findet. Man sollte sich durch diesen Umstand jedoch nicht täuschen lassen, denn was Ride hier machen, ist definitiv sehr gut. Nur wäre es 1997 irgendwie besser gewesen.





Persönliche Highlights: Charm Assault / All I Want / Home is A Feeling / Weather Diaries / Rocket Silver Symphony / Lateral Alice / Cali

Nicht mein Fall: White Sands

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