Montag, 17. Juli 2017

Fünf Sterne Deluxe

Ich muss mittlerweile wahrscheinlich niemandem mehr sagen, wie sehr ich Milo liebe. Seit seinem kommerziellen Debüt A Toothpaste Suburb von ist mir der MC aus Connecticut zu einem absoluten Lieblingsrapper geworden, den ich nicht mehr aus meiner musikalischen Erfahrung wegdenken will. Und obwohl ich zu diesem Schluss vor allem seiner unglaublich nerdigen Texte wegen komme, die sich am liebsten um Zeichentrickserien, Arthur Schopenhauer und Asia Food drehen, ist es nicht zuletzt auch sein musikalischer Vibe, der mich anspricht. Sein lethargischer Flow ist bezeichnend für die Inhalte, die er in seinen Songs formuliert und seine Vorliebe für weirde Cooljazz-Samples habe ich auf seinem letzten Mixtape So the Flies Don't Come mit elf von elf Punkten gekrönt. Gerade deshalb ist es also schön, dass der Rapper eben dieser Vorliebe mit Scallops Hotel seit einigen Jahren ein eigenes Projekt widmet. Und so sinnlos, wie dieses am Anfang vielleicht erscheint, ist es tatsächlich gar nicht. Gerade auf den letzten Platten unter dem Milo-Namen wurde scheinbar in jede einzelne Zeile unglaublich viel Sorgfalt gelegt und man hatte den Eindruck, dass sich hier größere Zusammenhänge erschließen. Weshalb experimentellere Ansätze, die auf früheren Tapes noch da waren, scheinbar auf der Strecke blieben. Diese auf ein Nebenprojekt zu verklappen, ist zwar einerseits eine Minderung ihrer Bedeutung, gleichzeitig wird ihnen durch Scallops Hotel aber auch viel mehr Platz eingeräumt. Und spätestens auf Over the Carnage Rose A Voice Prophetic rentiert sich das auch. Als ich im letzten Sommer das letzte Mixtape Too Much of Life is Mood hörte, empfand ich dieses zwar als toll und spannend, man merkte hier gleichzeitig aber auch sehr, dass es sich eben nicht um Milos Hauptprojekt handelte. Zu wenig wurde hier gerappt, zu viel nur herumgespielt und insgesamt hatte die Platte einen ziemlich zerschossenen Eindruck. Wäre ich kein Riesenfan dieses Typen, wäre mit das ganze wahrscheinlich bis heute sehr egal. Und im Grunde genommen ist das auf Over the Carnage... wenig anders. Gerade mal 25 Minuten dauert das neueste "Album" von Scallops Hotel und im Grunde genommen ist es bestenfalls zu 50 Prozent ein HipHop-Produkt. Zwar gibt es hier die gleichen, nachdenklich geflowten Strophen, wie man sie vom Hauptprojekt kennt, doch werden diese immer wieder auch technisch manipuliert oder enden bereits nach wenigen Zeilen. Viel auffälliger sind da schon die eigenartig verzerrten Hooks und Bridges, die Milo immer wieder einstreut und die garantiert der Experimentalmusik zuzuornen sind. Teilweise bestehen diese nur aus einem Wort, irgendwelchen Lautmalereien oder Gelächter. Außerdem wiederholt er auf fast jedem Song ein ziemlich festes Set an Lines, das jedes Mal die Nennung des Projektnamens und des Albumtitels beinhaltet und arbeitet größzügig mit diversen Vokal-Samples. Man kann also mit Sicherheit sagen, dass der Fokus hier nicht auf Milo als Rapper liegt. Doch was diese Platte im Vergleich zu ihrem Vorgänger irgendwie ernsthafter macht, ist der unglaublich coole Gesamtkontext, in dem sich die Tracks hier bewegen. Und er ist etwas, was definitiv nur dieser Künstler hinbekommt. Wer wie ich die meditative Beatmix-Atmosphäre von So the Flies Don't Come liebte, wird sich auf Over the Carnage... definitiv wiederfinden und durch das Fehlen krasser lyrischer Gedankensprünge seitens des Akteurs wird diese hier sogar noch verstärkt. Natürlich hat das ganze eine deutlich seltsamere Ästhetik als dein durchschnittliches LoFi-HipHop-Set auf YouTube, aber genau darin liegt auch der Reiz des ganzen. Scallops Hotel machen hier avantgardistisch angehauchte Kunstmusik auf dem hörer*innenfreundlichsten Level, das überhaupt möglich ist. Und zumindest ich bin der Meinung, dass das nur sehr sehr gute Musiker*innen schaffen. Dass Milo ein solcher ist, davon bin ich überzeugt, aber mit diesem Mixtape beweist er, dass er das auch außerhalb seiner Fähigkeit als Rapper ist. Wobei es ihm wieder mal gelingt, genau dort zu verblüffen, wo man es am wenigsten erwartet. In meinen Augen ist seit Over the Carnage... der Output von Scallops Hotel endgültig gleichwertig mit dem des Hauptprojekts. Denn hier passiert die Arbeit, die auf den Milo-Platten schon vorher gemacht wurde.





Persönliche Highlights: Trumpet Sound / Prospero Muted Magic (Jack Gilbert at the Scallops Hotel) / Ain't No Hustle Where I Live (Zappa at the Scallops Hotel) / Tennessee Stud Cover / Origami Paperfold / In the Holodeck / What Am I (the Antipop Consortium Take A Trip to the Scallops Hotel) / A Priori Priority

Nicht mein Fall: -

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