Montag, 24. Juli 2017

Du bist Punkrock

Wenn ein paar jugendliche Punks in zwanzig oder dreißig Jahren in irgendeinem AJZ im niedersächsischen Hinterland sitzen, könnte es gut sein, dass sie irgendwann darüber zu reden anfangen, wie gut deutschsprachiger Punkrock Mitte der 2010er gewesen ist. Damals gab es in der Szene großflächigen künstlerischen Aktionismus gegen Rechts, ziemlich intelligente Bands wie Captain Planet, die Nerven oder Love A, einen riesigen HipHop-Ableger, der Zeckenrap-Größen wie Neonschwarz, Antilopen Gang oder im weitesten Sinne auch Kraftklub hervorgebracht hat und zu guter letzt solche Legenden wie Feine Sahne Fischfilet, die einen Spirit nicht nur kommuniziert, sondern gelebt haben und damit sogar Arenen füllten. Kurzum: heutzutage muss man selbst als großer Zyniker zugeben, dass es gerade eine ziemlich gute Zeit ist, um Punker zu sein. Und dann kommt trotzdem eine Band wie die Shitlers und behauptet ganz stur: "nur wegen Shitlers ist Punk wieder interessant". Ja nun. Das ist eigentlich maximal bescheuert, gehört die Bochumer Gruppe doch rein musikalisch zu der Sorte von Szene-Band, die man mittlerweile zum Glück überwunden hat. Das Trio verkörpert noch immer die ekelhafte Neunziger-Inkarnation von Deutschpunk, die spaßige, mit Dosenbier spritzende Generation, die noch immer Platten wie Opel Gang feiert und das politische Bewusstsein eines Dorffußballclubs besitzt. Eigentlich kann man froh sein, dass es sowas nicht mehr gibt, zumindest im großen öffentlichen Bewusstsein. Aber trotzdem braucht die Szene genau jetzt diese Jungs. Genau aus dem Grund nämlich, weil sie ihre Sache nicht so ernst nehmen und sich deshalb Dinge trauen, für die sich andere oft zu cool sind. Welche Punkband würde bitte sonst einen Track über Fler schreiben, in ihren Refrains Autotune benutzen oder über schlechte elitäre Indie-DJs herziehen? This is Bochum Not L.A. ist blödelnder Comedy-Mist, aber wenigstens welcher für 2017. Hier erlebt man nichts von der anbiedernden Neunziger-Nostalgie, in der Altpunks schwelgen, weil sie sich damals um die dreißig Pfennig für das Dosenbier noch richtig kümmern mussten, höchstens vielleicht in total postironisch. Die Themen, die die Shitlers hier darstellen sind die des Punkrock-affinien Millenials, der mit Gafa eingewickelt übers Deichbrand torkelt oder mit seiner Systemkritik bei studentischen Linken anstößig wird. Dieser Mensch stellt eine Zielgruppe dar, die die Szene bisher völlig verfehlt hat und über deren Existenz ich mir auch erst mit der Veröffentlichung dieses Albums bewusst wurde. Diese armen Menschen, die bis jetzt dazu gezwungen wurden, noch immer die Kassierer, oder noch schlimmer, die Ärzte zu hören, hat mit den Shitlers endlich einen Strohhalm, an dem er sich festhalten kann. Und der das Bewusstsein wieder schafft, dass Punk sein vielleicht auch bedeutet, einfach mal drauf zu scheißen. Sei es nur deshalb, weil es sonst keiner macht.





Persönliche Highlights: Wir sind die Shitlers+1 / Dr. Helmut Kohl / Bochum Hamme / Liebeslied / Bierbong / Uwe / Poltische Musik

Nicht mein Fall: Fat Wreck / Epitaph

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