Freitag, 21. Juli 2017

Keiner macht was und alle machen mit

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Calvin Harris am Ende so eine musikalische Wundertüte ist. Lange war der schottische DJ und Produzent in meinen Augen eines der schlimmsten Symptome des modernen Mainstream-EDM, der nur mit den furchtbarsten aller Songs in den Charts war und sich an die beklopptesten Trends ranschmiss. Doch seitdem er im letzten Jahr ein paar ziemlich gute Tracks mit Rihanna veröffentlichte und auch im Hintergrund an coolen Sachen beteiligt war, habe ich auf jeden Fall an Respekt für ihn gewonnen. Und was die Veröffentlichung dieses neuen Albums betraf, gab es sowieso jede Menge Gründe gespannt zu sein. Zwar wurde das Release an sich schon in den letzten Monaten vom Künstler selbst durch gefühlte fünf Millionen Vorab-Singles gespoilert, doch passierte das immerhin auf die coolste Art und Weise überhaupt: Auf jedem einzelnen Track schaffte es der Produzent, ein komplett anderes Ensemble an großartigen Popstars zu versammeln, deren Paarungen zum Teil ziemlich mutig waren. Ganz nebenbei schuf auch Harris selber dabei eine starke künstlerische Feder, die gar nicht mehr so blöd klang wie noch vor ein paar Jahren. Eine bessere Werbung für Funk Wav Bounces Vol. 1 konnte es nicht geben. Und personell gesehen ist dieses Album auch zum jetzigen Zeitpunkt noch eine echte Bombe. Auf den zehn Tracks finden sich so gut wie ausschließlich A-List-Promis, darunter Frank Ocean, Migos, Schoolboy Q, D.R.A.M., Young Thug, Ariana Grande, Pharell Williams, Future, Travis Scott, Snoop Dogg, Nicki Minaj, Katy Parry, Big Sean und Lil Yachty, um wirklich nur die hochkarätigsten zu nennen. Ein solches Aufgebot schafft außer ihm wahrscheinlich nur noch DJ Khaled. Und es sorgt auf jeden Fall dafür, dass Funk Wav Bounces ein abwechslungsreiches Album mit vielen unterschiedlichen Aspekten ist. Doch wenn man hinter die Starpower der Platte blickt, sieht man trotzdem, dass Calvin Harris selbst nur das Gerüst dafür stellt. Seine Instrumentals sind sehr anpassungsfähig und probieren auch unterschiedliche Richtungen aus, doch passiert das immer auf die vorsichtigste Art und Weise, die bloß kein zu großes musikalisches Risiko eingeht. So hat Skrt On Me einen Anflug von karibischer Folkmusik an sich, der sich mit Tropical House-Beat und Santana-Gitarre jedoch auf abgedroschene Klischees stürzt, die dann nicht mal wirklich gut ausgeführt sind. Auf Holiday passiert mehr oder weniger das gleiche mit Anspielungen auf G-Funk, nur dass hier mit Snoop Dogg jemand gefeatured ist, der sich damit eben auskennt und mit einem seiner besten Parts seit Jahren (!) den Song noch hinbiegt. Und so oder so ähnlich funktioniert im Prinzip das ganze Ding: Calvin Harris liefert einen billigen Schmalspur-Beat und lässt die Gäste den Mist dann retten. Im Opener Slide ist ein überambitionierter Frank Ocean zur Stelle, in Prayers Up mit A-Trak ein helfender Producer und in Feels, obwohl in meinen Augen eines der schlimmsten Instrumentals hier, leistet Big Sean ganze Arbeit. Das sind wohlgemerkt nur die Songs, in denen diese Rettung funktionert. Wenn aber auch die Featured Artists versagen, wird es doch ziemlich schnell peinlich. Pharell Williams' Beitrag zu Feels gehört ganz sicher zu seinen schlimmsten überhaupt, in Faking It musizieren Lil Yachty und Kehlani vollkommen aneinander vorbei und mit Cash Out ist ausgerechnet der Track mit dem vielleicht stärksten Personal hier (Schoolboy Q, D.R.A.M. und Partynextdoor) ein Totalausfall. Wenn man sich also das große Ganze ansieht, ist Funk Wav Bounces am Ende ein Album mit großem Potenzial, das aber dennoch nie so richtig auf die beine kommt. Ich finde auf der gesamten LP keinen einzelnen Song wirklich genial und viel zu viele entweder dämlich oder uninteressant. Weder Harris noch irgendeinem Gast gelingt es hier, sich künstlerisch irgendwie auf eine Weise auszudrücken, die nachhaltig spannend wäre oder wenigstens einen guten Hit zur Folge hat. Sie ist im Prinzip nicht mehr als eine große Blase. Als solche ist sie zwar gar nicht mal schlecht, aber gemessen an dem Wind, der im Vorfeld gemacht wurde, haben wir es hier mit nichts weiter als einem Rohrkrepierer zu tun. Calvin Harris wird zwar dadurch meinen Respekt nicht verlieren, denn allein das Vorhaben einer solchen Mega-LP hat diesen verdient, doch ich würde jetzt gerne wieder ein Projekt hören, wo man auch von ihm mal was hört. Am besten ganz ohne Features.





Beste Songs: Slide / Prayers Up / Holiday / Hard to Love

Nicht mein Fall: Cash Out / Rollin / Feels

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