Dienstag, 18. Juli 2017

Zero Chill

Eigentlich war die Karriere von Stuart Howard bisher ein Anachronismus. Während die kleine große Ära der Schlafzimmerproduzenten nach 2013 langsam aber sicher zu Ende ging, fing die des Briten da erst richtig an. Nachdem er unter dem Pseudonym Lapalux bereits diverse mäßig erfolgreiche Mixtapes veröffentlicht hatte und 2011 beim Labelriesen Brainfeeder unterschrieb, wurde sein Debüt Nostalchic 2014 zum Szene-Geheimtipp. Darauf legte er einen ambienten, sehr anorganischen Stil vor, der schon damals auf mehr hoffen ließ. Vor allem sein Gespür für die Zusammenarbeit mit diversen Gastkünstler*innen war auffällig und bisweilen sein größter Trumpf. Auf dem ein Jahr später veröffentlichten Nachfolger Lustmore wollte diese Tendenz jedoch nicht so richtig aufgehen. Das lag vor allem daran, dass Howard hier einen kleinen stilistischen U-Turn hin zu Chillwave und Jazz-Samples wagte. Der war ganz allgemein nicht übel und zeigte ganz neue Qualitäten an ihm, doch war er an vielen Stellen doch eher konservativ und machte nicht unbedingt viel Lust, noch mehr davon zu hören. Man fragte sich schon ein bisschen, was Lapalux denn nun eigentlich von sich selbst wollte. Und sein neues Album Ruinism könnte darauf eine gute Antwort sein. Auffällig hier ist zunächst, dass der Sound des neuen Materials dem des Debüts wieder wesentlich ähnlicher ist. Dominant sind vor allem kalte, mechanische Klangflächen, verzerrte Samples, geisterhafte Vocals und viele experimentelle Ansätze. Die Gemütlichkeit von Lustmore scheint bis auf wenige Momente vollkommen von der Bildfläche getilgt und selbst wenn ab und an noch Live-Instrumentation zu hören ist, bleibt diese genauso unterkühlt und statisch wie der Rest der Platte. Vergleichbare Ansatzpunkte sind hier nicht mehr Flying Lotus oder Porches, sondern eher Holly Herndon, Jenny Hval, Lone oder James Ferraro. Und man kann auch definitiv sagen, dass Howard hier seine bisher experimentellste Platte macht. Wo sich vorher auf Einsteiger-Level an Chillwave und Minimal Eclectro versucht wurde, werden hier die harten Sachen angepackt: UK Garage, Dark Ambient, IDM, House und sogar Dub müssen auf Ruinism dran glauben, was gleich in doppelter Hinsicht ziemlich cool ist. Einerseits streift Lapalux dadurch die Gefälligkeit des Vorgängers mit Nachdruck ab, gleichzeitig gelingt ihm hier aber auch seine bisher vielseitigste und damit eingängigste Platte. Songs wie Reverence, Rotted Arp oder 4EVA als Hits zu bezeichnen, ist kein bisschen übertrieben. Zumindest für den Künstler selbst sind sie das definitiv. Und einen richtig schlechten Track gibt es hier sowieso nicht. Darüber hinaus wirkt alles auch im Gesamtkontext so stimmig und abgeschmeckt, dass die 48 Minuten Spielzeit schon nach einer guten Viertelstunde vorbei sind. Wenn es etwas gibt, das ich dennoch kritisieren muss, dann dass Ruinism auch die Lapalux-Platte mit den langweiligsten Gästen geworden ist. Zwar ist keine*r der Featured Artists (Namen werden überflüssig, die kennt eh wieder keiner) wirklich mies, doch das besondere Händchen, dass Howard in der Vergangenheit für Kollaborationen hatte, tritt hier nur sehr selten zu Tage. Dafür kann man aber sagen, dass es umso mehr seine LP geworden ist. Seine beste, wie ich behaupte. Das Projekt Lapalux findet hier endlich die stilistische Mitte, die mir auf den beiden Vorgängern immer noch ein bisschen gefehlt hat und klingt nunmehr so professionell, wie man das von einem Brainfeeder-Künstler auch irgendwie erwartet. Und das, obwohl er nicht der neue Flying Lotus geworden ist. Den hätte nämlich auch niemand gebraucht.





Persönliche Highlights: Reverence / Data Demon / Rotted Arp / Displacer / 4EVA / Essex is Burning / Flickering / Running to Evaporate / Phase Violet / Tessellate

Nicht mein Fall: -

CWTE auf Facebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen