Montag, 26. Oktober 2015

Von Montreal nach Tokio

ESMERINE
Lost Voices

Constellation
2015
















Godspeed You! Black Emperor gut zu finden, ist eine Sache, doch die in den letzten Jahren ungemein ansteigenede Zahl von Nebenprojekten der Kanadier birgt ebenfalls den ein oder anderen Schatz. Nicht nur mit Thee Silver Mt. Zion und Hrsta haben die Postrocker künstlerisch wertvolle Spin-Offs produziert, auch Soloprojekte von Efrim Menuck und Sarah Neufeld sind es wert, verfolgt zu werden. Ein schon länger existierender Zuwachs sind Esmerine, eine Kollaboration von Constellation-Mitgliedern, die die Liebe zur volkstümlichen Musik des Orients, insbesondere der Türkei, verbindet. Ihr Debüt If Only A Sweet Surrender to the Nights to Come Be True veröffentlichte die Band bereits 2003, doch erst das zehn Jahre später erschienene Dalmak brachte das Projekt in größeren öffentlichen Fokus, als es den Juno-Award für das beste Instrumental-Album abräumte. Ich persönlich hatte mit dieser Platte einige Vorbehalte, doch fand darin viele interessante Ansätze. Genügend, um mich mit Lost Voices genauer zu beschäftigen. Und tatsächlich gibt es hier einige signifikante Änderungen. Ihr Faible für orientale Musik haben die Kanadier nun auch nach Mittel- und Ostasien ausgeweitet und bedienen sich nun an einem Kulturgut, das von Istanbul bis Tokyo reicht. Dazu gibt es auch immer noch die typischen Constellation-Harmonien, die man bei Godspeed You! Black Emperor im Vorschulkurs lernt. Was deren Hang zu epochelen Song-Konstrukten und Überlänge angeht, sind Esmerine eher zurückhaltend. Kompositorisch bewegt sich hier alles in einem angemessenen Rahmen und über acht Minuten passiert auf diesem Album gar nichts. Bei diesem Songwriting ist das aber auch nicht weiter schlimm. Mit einer enormen Vielfalt an exotischem Instrumentarium beeindruckt die Band hier auch, wenn sie keinen Lärm macht. In den besten Momenten muss man dabei an Bilder aus Naturdokumentationen über die Mongolei oder Memories of A Geisha denken. Überhaupt sind diese 45 Minuten wie geschaffen für einen Soundtrack, was man von vielen Constellation-Releases sonst nicht wirklich sagen kann. Blöd wird es nur manchmal dann, wenn Esmerine doch die E-Gitarren rausholen und in bester Godspeed-Manier apokalyptisch losmetern müssen. In 19/14 geht es nochmal glimpflich aus, doch A River Runs Through This City zerstört einen Großteil der Atmosphäre, die die Platte bis dahin so mühevoll aufgebaut hatte. Das sind natürlich grobe Schnitzer, auf die diese Musiker sonst eigentlich besser achten. Von Postrock ist auf diesem Album indes wenig zu hören, Esmerine lassen sich hier noch mehr als auf den Vorgängern von den Klängen der Ferne treiben. Von der offensichtlichen Connection sollte man sich also nicht in die Irre führen lassen. Das hier ist, wenn man so will, Folkrock (Ich vermeide bewusst den vollkommen dämlichen Begriff "Weltmusik"). Wer das jetzt Cultural Appropriation nennen will, bitte. Ich finde, dass Esmerine noch nie so gut waren wie hier. Und dass sie mit Lost Voices zum großen Player im Pool der Godspeed-Nebenprojekte werden. Hoffentlich nicht nur für mich.
9/11

Beste Songs: the Neighbourhoods Rise / 19/14 / Funambule (Deus Pas de Serein)

Nicht mein Fall: A River Runs Through This City

Weiterlesen:
Review zu Ütopiya? (Oiseaux-Tempête):
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Review zu Never Were the Way She Was (Colin Stetson & Sarah Neufeld):
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Sonntag, 25. Oktober 2015

Retro-Review: Too Much is Never Enough

LED ZEPPELIN
Physical Graffiti

Swan Song
1975
















Denkt man an das Jahr 1975, denkt man nicht zwingend sofort an Led Zeppelin. Viel zu viel anderes trübt den Blick auf Physical Graffiti: Punkrock buddelte sich damals langsam den Weg in den Mainstream durch, Pink Floyd waren auf dem Höhepunkt ihres Schaffens, Bob Dylan tauchte mit Blood On the Tracks wieder ganz oben auf. Und auch beim hören des Albums fällt auf, dass die Hardrock-Helden sechs Jahre nach ihrem Debüt ihr Zenit bereits überschritten hatten. Zwar führten sie ein Rockstarleben sondersgleichen und auch kommerziell lief es nicht wirklich schlecht, doch künstlerisch ist Physical Graffiti ein erster leichter Knick in der makellosen Oberfläche des Mythos Led Zeppelin. Zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung gab es als coolere Sachen, als diese Band zu hören. Und dabei sprechen wir hier von vielleicht ambitioniertesten Werk, das die Briten jemals veröffentlichten. Ein Doppelalbum, gut eineinhalb Stunden lang und mit Songwriting-Spitzen, die überraschend progressiv anmuten. Im Gegensatz zum groovenden Sound der Frühphase und zum esoterischen Houses of the Holy klingt diese Scheibe sehr amerikanisch, spielt großzügig mit Country- und Blues-Elementen, die dank Bruce Springsteen und Creedence Clearwater Revival Mitte der Siebziger gerade schwer angesagt sind. An sich ist das nicht übel und am Ende ist auch kein Song hier ernsthaft bedenklich, doch Led Zeppelin sind nicht mehr so heftig wie noch vor wenigen Jahren und die kurz danach einsetzende Durststrecke kündigt sich hier immerhin durch ein leichtes Schwächeln an. Von Hits kann man bei den vielen fünf- bis elfminütigen Tracks kaum sprechen, einzig das epochale Kashmir strahlt über das ganze Album und wird in die Annalen der Rock-Historie eingehen. Daneben gibt es versteckte Sternstunden wie the Rover oder das stille, soulige Ten Years Gone, aber auch Grenzwertigkeiten wie den Creedence-Verschnitt Houses of the Holy oder das Chuck-Berry-Gedächnis-Piece Boogie With Stu. Und was bei einem so umfangreichen Hörerlebnis vor allem fehlt, ist die Überschaubarkeit. Wie vielen Künstlern nach ihnen hätte es auch Led Zeppelin besser getan, sich an eine LP zu halten. Im einheitlichen Mischmasch von Physical Graffiti gehen selbst Songs, die eigentlich richtig gut sind, bedauernswerterweise unter. Ein Mega-Riff jagt das nächste und die Band nudelt nach Leibeskräften, nur der Hörer kommt nicht mit. Eine Verschwendung an Talent kann man das schon nennen. Doch trotz aller kleinen Nörgeleien, die ich tätigen muss, befinde ich Physical Graffiti jedoch als das letzte wirklich große Ding der Briten. Dieses Album ist noch einmal ein Wetterleuchten an kreativen Geist, Rock-Pathos und Energie, bevor Led Zeppelin die Ideen ausgingen. Die Ironie, dass sie hier so viel gutes Pulver verschießen und ein Jahr später mit dem von der Geschichte als mittelmäßig eingestuften Presence dastehen, ist bitter. Doch ich sehe 1975 für diese Band nicht als den Anfang vom Ende, sondern das letzte großartige Aufbäumen der Dekadenz. Und ohne das wäre Rockmusik ja auch langweilig. Keiner weiß das so gut wie diese vier Herren.

Beste Songs: the Rover / In My Time of Dying / Ten Years Gone / the Wanton Song

Nicht mein Fall: Boogie With Stu

Weiterlesen:
Lieblingslieder-Review zu Good Times Bad Times (Led Zeppelin):
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Review zu Wish You Were Here (Pink Floyd):
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Samstag, 24. Oktober 2015

Weltschmerz für Fortgeschrittene

PROTOMARTYR
the Agent Intellect

Sub Pop
2015
















Immer dann, wenn einem der prätentiöse Postpunk-Vintage der letzten Jahre auf den Nerv geht, sollte man Protomartyr hören. Die vierköpfige Band aus Detroit spielt zwar eine sehr ähnliche Form dieses Stils, doch ist dieser im wesentlichen besser temperiert. Nicht zu abründig, nicht zu krachig, nicht zu poppig, nicht zu langatmig, nicht zu retro. Und The Agent Intellect ist für diese Spielart vielleicht die bisher beste Werkschau. Schon der Opener the Devil in His Youth ist genau die Form eines merkwürdigen Hits, die diese Amerikaner seit ein paar Jahren sehr erfolgreich kultivieren und vielleicht ihr bester Song bis dato. Das hibbelige Gitarrenriff steht im Kontrast zu Joe Caseys verkracht-sonoren Vocals und eröffnet den zweiten Longplayer von Protomartyr perfekt. Und auch alles, was danach kommt, kann sich durchaus an diesem tollen Einstieg messen. Clandestine Time ist die obligatorische Weltschmerz-Ballade, Cowards Starve erinnert an the Clash, aber nicht zu sehr, in I Forgive You tut Casey so, als käme er aus Birmingham. Eine Tradition und diverse Lektionen bei den Schulmeistern des Genres sind also erkennbar. Eine Postpunk-Gruppe, die nicht nach Joy Division klingt, wäre ja auch ein Unding. Doch nur in den seltensten Fällen klingt the Agent Intellect tatsächlich so nachgemacht wie viele andere Bands. Das liegt zum einen an ihrem Sänger, der eher wie der einer unschuldigen Topshelf-Skater-Indieband agiert, zum anderen daran, dass Protomartyr auch die musikalischen Gewächse ihrer eigenen Heimat sind. Wer in den Songs genau hinhört, kann Einflüsse der Michiganer Hardcore-Szene heraushören. Und damit distanziert sich das Quartett musikalisch schon mal ein Stück von den vielen, vielen Trittbrettfahrern der neuen Postpunk-Bewegung. Das ist nicht revolutionär, aber immerhin erfrischend. Und daran gemessen, dass sich die Platte in ihrer Art und Weise nie verzettelt, sind Protomartyr ein echt heißer Tipp, was dieses Genre angeht. Das war schon auf ihrem Debüt so, doch mit the Agent Intellect quadriert sich das alles noch einmal. Ganz einfach, weil sich die Band hier in Sachen Struktur und Komposition noch ein Stück versierter zeigt. Auch wenn ich mir für die Zukunft wünschen würde, dass sie sich noch ein bisschen weiter aus dem stilistischen Korsett der Postpunk-Kultur befreien. Sie sind eine der wenigen Formationen, denen ich nach dieser Performance hier wirklich größeres zutraue. Und mit the Devil in His Youth haben sie immerhin schon mal einen großartigen Hit als Faustpfand. Bei denen geht definitiv noch was.
9/11

Beste Songs: the Devil in His Youth / Boyce or Boice / Clandestine Time

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu Viet Cong (Viet Cong):
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Review zu the World is Not Enough (Marching Church):
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Freitag, 23. Oktober 2015

Mit Links

COHEED & CAMBRIA
the Color Before the Sun

300 Entertainment
2015
















Ich hatte kurz überlegt, ob ich mir ein Review zur neuen Coheed & Cambria schenke. Schließlich waren die vier Kalifornier noch nie wirklich die Coolsten der Coolen im Prog-Zirkus und in die Jahre gekommen sind sie außerdem. Andererseits habe ich ihre Musik in den letzten Jahren aus unerfindlichen Gründen ziemlich gefeiert und muss mir das wohl aus Guilty Pleasure ankreiden lassen. The Color Before the Sun ist zudem die erste Platte, die mit dem ausgeklügelten SciFi-Konzept ihrer bisherigen Karriere bricht und einfach nur zehn unabhängige Songs präsentiert. Wie sich das auf die Entwicklung der Band auswirkt, fand ich durchaus spannend. Was am Ende dabei rausgekommen ist, ist das, was man von Coheed & Cambria vielleicht schon immer einmal hören wollte und sei es nur aus Interesse: Ein ganz normales Album. Ohne übergreifende Handlung sind die Kompositionen von Claudio Sanchez und Genossen selbstverständlich keinen Deut schlechter und bleiben die pathetische Emo-Progressive-Grütze, die ich an ihnen so sehr mag. Gespannt war ich indes, ob die Band die D'n'B- und Ska-Einflüsse, die sie auf den beiden letzten Aftermath-Alben einstreute, beibehalten würde und bin etwas enttäuscht, sie hier nicht vorzufinden. Doch mit gutem Songwriting und stimmigen Strikturen können mich die New Yorker weiterhin überzeugen. Auch wenn diese jetzt auf epische Aufbauten verzichten, sind sie weiterhin sehr variabel und detailreich. Selbst das lediglich dreiminütige, stark zurückgenommene Ghost passt hier überaus gut. Der größte Teil vom ganzen Rest sind Tracks, wie sie auf jedem anderen Progresive-Album hätten landen können und auch diese neu gewonnene Normalität ist erfrischend. Coheed & Cambria entdecken hier nach langer Zeit wieder ihre rockige Seite und leben diese voll aus. Sie versuchen gar nicht erst, hier eine 180-Grad-Drehung zu vollziehen, sondern schreiben ihre Stücke einfach frei Schnauze und ohne eigene Vorgaben. Eingefleischte Fans könnten das etwas langweilig und durchschnittlich finden doch so blöd das auch klingt, gerade darin liegt die Qualität von the Color Before the Sun. Nach all den spektakulären Eskapaden auf den Vorgängern, bei denen die band gelernt hat, außergewöhnliches zu vollbringen, gelingt ihnen das Gewönliche nun mit spielender Leichtigkeit zu einer Perfektion, die andere erst suchen müssten. Wenn das für euch noch immer nicht logisch klingt, rate ich, das Album einmal selbstständig zu inspizieren. Obwohl die meisten es sowieso hassen werden. Aber ich schäme mich nicht dafür, es zu mögen. Dazu muss man als Musikfan stehen
8/11

Beste Songs: Ghost / Young Love / You Got Spirit, Kid

Nicht mein Fall: -

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Review zu Act IV: Reprise in Rebirth (the Dear Hunter):
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Review zu Coma Ecliptic (Between the Buried and Me):
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Donnerstag, 22. Oktober 2015

Augenzeugenbericht: Liturgy / Sun Worship (19.10. Dresden, Beatpol)

Geredet wird am heutigen Abend reichlich wenig. Ein knappes Dankeswort und die Ankündigung des letzten Songs sind alles, was Hunter Hunt-Hendrix zu sagen hat. Liturgy live hat mit Transzendenz-Theorie und Ego-Ansprüchen wenig zu tun. Eher mit einer Metal-Show im klassischsten Sinne. Bereits am Eingang begrüßt ein aufgeschlossen wirkender Bernard Gann die ersten Gäste und erörtert mit ihnen die beschwerliche Anreise durch die Dresdner Innenstadt. Eines der Crewmitglieder erklärt dem New Yorker daraufhin, was Pegida ist. Ob der am selben Tag stattfindende einjährige Geburtstag der rechten Bewegung auch der Grund ist, warum heute nur wenige Zuschauer den weg in den Beatpol finden, ist eine andere Frage. Das Publikum teilt sich ungefähr gleichmäßig in urbane Bohemians, Intellektuelle und "normale" Metalheads auf, unter die sich alsbald auch die Bandmitglieder mischen. Im echten Leben sieht Hunter Hunt-Hendrix nicht ganz so angsteinflößend wie im Internet aus, was man von Drummer Greg Fox schon eher behaupten kann. Im fancy Vogelscheuchen-Outfit und mit strengem Blick geistert er durch den Club und beäugt argwöhnisch die Anwesenden und die erste Band. Diese beginnt pünktlich um neun mit ihrem Konzert, das definitiv mehr als nur eine Erwähnung wert ist. Sun Worship aus Berlin spielen eine Mischung aus Noiserock, Doom- und Black-Metal, der nicht nur durch seine immense Lautstärke beeindruckt, sondern auch durch kompositorische Finesse und einen bestialischen Sound. Außerdem wird hier eine für Vorband-Verhältnisse ziemlich imposante Lichtshow geboten. Wie ein Support wirkt dieser Gig nicht, man hat eher das Gefühl, heute zwei Headliner zu sehen. Tatsächlich zweifelt man fast, ob Liturgy ihren Warm-Up-Act überhaupt toppen können. Denn mit dem Opener High Gold legen die vier erstmal einen eher holprigen Start hin. Der neuen Bühnenfassung fehlt leider ein wenig der Pep und dass Hendrix den Track jetzt singt, ist auch nicht seine beste Idee. Die anfängliche Unruhe ist mit den ersten Takten den anschließenden Follow jedoch wie weggeblasen und die nächste halbe Stunde, in der die New Yorker die komplette erste Hälfte von the Ark Work durchspielen, wird zum echten Erlebnis. Besonders die Performance von Quetzalcoatl ist ein echter Brecher. Das beste heute ist jedoch, dass es nicht Hendrix oder Greg Fox sind, die das Geschehen dominieren, sondern alle vier Musiker. Die komplizierten Arrangements der neuen Platte wurden für die klassische Besetzung umstrukturiert und nur die geloopten Vocals und eine Drum-Machine deuten darauf hin, dass dies nicht die originale Fassung ist. Und Experimente in der Umsetzung zahlen sich in diesem Fall aus. So wird beispielsweise der A-Capella-Song True Will hier mal eben zum Instrumentalstück und Glockenschläge zu Gitarrenakkorden. Beeindruckend ist das schon. Trotzdem platzt der Knoten bei großen Teilen des Publikums erst, als Liturgy als vorletzte Nummer den Riff-Banger Generation anstimmen. Und das nicht etwa, weil es sich hierbei um den bekanntesten Track der Band handelt, sondern weil sich hier auch endlich die Anspannung und der Perfektionsdrang der Akteure ein wenig löst. Nur ist danach das Konzert schon fast zu Ende. Der mir unbekannte Closer wirkt ein wenig verloren, Returner oder Reign Array wird heute nicht gespielt, ganz zu schweigen von einer Zugabe. Am Ende hat man trotzdem nicht das Gefühl, auf einem schlechten Konzert gewesen zu sein. Liturgy live ist ein großartig durchdachtes Spektakel, in dem weder billig die Studioversion eines Songs kopiert noch auf sichere Kisten gebaut wurde. Wie immer fordern die Amerikaner ihr Publikum heraus und wenn statt einer Moshpit sakrale Andacht im Beatpol Einzug hält, ist das vielleicht auch genau das, was diese Musik hervorrufen soll. Dafür stehen Liturgy schließlich mit ihrem Namen.

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Mittwoch, 21. Oktober 2015

Simply Clever

JOANNA NEWSOM
Divers

Drag City
2015
















Eigentlich ist Joanna Newsom keine wirklich experimentelle Musikerin. Im Gegenteil: Ihre Songs stehen zumeist in einer sehr klassischen Folk-Tradition und sind zutiefst einer inneren Schönheit verpflichtet. Ebenso wie große Künstler der Pop-Geschichte, beispielsweise Nico, Bob Dylan oder Simon & Garfunkel, präsentiert die Kalifornierin Tracks, die gute Geschichten erzählen und nette Melodieverläufe haben, die mitunter sogar ins Klassische avancieren. Newsom spielt Harfe, eines der meiner Meinung nach edelsten Instrumente der Welt und ihre Stimme ist, da kann mir sicherlich auch jeder Hater beipfilchten, einzigartig. Dass das reicht, um sich in das musikalische Gedankengut kulturbeflissener Hörer tief einzugraben, haben ihre letzten Platten gezeigt. Und die Tatsache, dass fünf Jahre ohne neues Material daran nichts verändern können. Im Gegenteil: Das Ansehen der Künstlerin ist seit dem Longplayer-Triple Have One On Me von 2010 sogar noch gewachsen. 2015 spricht man den Namen Joanna Newsom mit großer Ehrerbietung aus und es gilt das ungeschriebene Gesetz, dass wer sie hört, einfach Ahnung von Musik haben muss. Ein neues Album hat es in einer solchen Situation nicht immer leicht. Doch eben jene zeitlose Simplizität, die dieser Frau eigen ist, schafft es auf Divers wieder, mich auf ihre Seite zu ziehen. Zwischen Country-Folk und sinfonischer Motette bekommt man hier ein durchaus anspruchsvolles, aber dennoch leicht dosiertes Gesamtwerk vorgesetzt. Newsom erzählt dabei ausführlich die wüstesten Stories und überrascht uns mit einer Vielzahl an exotischen Instrumenten. Der Opener Anecdotes eröffnet maximal episch mit Streichern, Sapokanikan überzeugt mit einem Flötensolo und in Waltz of the 101st Lightborne koloriert ein Akkordeon die liebliche Melodie. Das klingt imposant und das ist es auch. Doch wenn man bedenkt, dass jeder einzelne Track auf dieser Platte im Grunde eigentlich nur für Klavier komponiert ist und der Rest lediglich als Schmuckwerk existiert, ist das vor allem clever. Vor allem, weil wir hier von Songs reden, die in den meisten Fällen über fünf Minuten lang sind und bei denen kompositorisch mit einem Motiv nicht viel getan ist. Dass man Divers am Ende doch aufgrund der Blenderei so toll findet, ist natürlich klar. Doch man sollte wissen, dass dahinter echtes Handwerk steckt. Und dass Joanna Newsom keine klangliche Grenzerfahrung braucht, um so gut zu sein. Aber eigentlich braucht man das 2015 niemandem mehr erzählen. Die Frau steht eh kurz vor ihrer Heiligsprechung.
10/11

Beste Songs: Anecdotes / Sapokanikan / Divers

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu Have You in My Wilderness (Julia Holter):
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Review zu Michigan (Sufjan Stevens):
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Sonntag, 18. Oktober 2015

Oktober in Indigo

RAURY
All We Need

Love Renaissance
2015
















Die Sache mit dem philosophisch beflissenen US-HipHop läuft ja gerade ganz gut. Erst kam Anfang des Monats die bisher beste LP von Milo, dann der Ritterschlag der Underachievers und mit Album Nummer zwei von Raury, dem Bob Dylan des Conscious Rap, ist es jetzt offiziell: Urban Beats und Spiritismus sind alles andere als unversöhnlich. Und wo sich diese Einstellung vor ein paar Jahren noch auf Kosten der Credibility auswirkte, scheinen gerade jetzt die Platten rauszukommen, die zeigen, dass das nicht so sein muss. Die Indigoism-Bewegung (das betrachte ich jetzt mal als journalistische Wortschöpfung) befindet sich im Herbst 2015 auf ihrem bisherigen kreativen Höhepunkt. Und da schadet es auch nicht, dass Raury mit All We Need ein weiteres sehr abenteuerliches Album macht, das sich textlich wie klanglich in viele Richtungen bewegt und dabei die Regeln des Genres lediglich als grobe Richtlinien sieht. Es ist erstaunlich, wie oft der Mann aus Stone Mountain, Georgia auf diesem Album singt, den Beat weglässt und Dinge wie Akustikgitarren einarbeitet. Gerade Songs wie Devil's Whisper oder Revolution klingen eher wie Folk-Nummern als nach Rap. Dass Raury ein bisschen aussieht wie Andre 3000 ist also kein Zufall. Ebensowenig wie das Feature von Rage Against the Machine-Gitarrist Tom Morello oder die drei kleinen Symbole, die sich links unten auf dem Cover finden: Ein bisschen aktivistischer Hippie-Spirit umweht hier alle 14 Songs. Und warum auch nicht, sie stellen hier in fast jedem Fall eine Bereicherung des üblichen Rezeptes dar. Selbst dann, wenn sie manchmal ein bisschen klingen wie die letzte putzige Indie-Folk-Single von Hozier. Was dabei aber leider ein wenig zu kurz kommt, sind die eigentlichen Rap-Parts, die ja eigentlich Raurys Hauptgeschäft sind. Bei einem Album voller Interludes, Lagerfeuer-Stimmung und Joan-Baez-Hooks bleibt am Ende wenig Platz für die Gedanken des MCs selbst. Das ist schade, denn dort wo sie sich einmal voll entfalten können, beeindrucken sie mich tief. Love und Peace werden hier endlich mal wieder zu einem Thema, das nicht nur nostalgisch verklärt debattiert wird und das ernsthafte Denkanstöße gibt, Stichwort Mike Brown. Kitschig wird es deshalb nur dann, wenn Raury versucht, einen Lovesong zu schreiben. An Geschichten wie Love is Not A Four Letter Word oder Her sollte er deshalb noch arbeiten. Davon abgesehen finde ich All We Need aber vor allem deshalb gut, weil es die Fähigkeit hat, mich mit jedem Track aufs neue zu überraschen. Und das tun die wenigsten HipHop-Platten so gut wie dieses. Die Frage ist am Ende nur, ob man das hier überhaupt noch als reines HipHop-Release sehen soll. Denn eigentlich kann es so viel mehr als das. Im Moment ist Raury damit noch am Anfand, doch wenn er weiter so macht, könnte er ein echter Hoffnungsträger des Indigoism werden. Zumindest so lange, wie diese Art von Rap noch cool ist.
9/11

Beste Songs: Forbidden Knowledge / Woodcrest Manor II / Devil's Whisper / Trap Tears

Nicht mein Fall: Revolution

Weiterlesen:
Review zu So the Flies Don't Come (Milo):
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Review zu 2014 Forest Hills Drive (J. Cole):
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Samstag, 17. Oktober 2015

Spielt den selben Song nochmal!

BEACH HOUSE
Thank Your Lucky Stars

Bella Union
2015
















Hatten die nicht gerade erst...? Wie kommt denn das jetzt? Ja, Leute, es ist so: der letzte offizielle Longplayer von Beach House ist tatsächlich keine zwei Monate alt und Thank You Lucky Stars nicht irgendwie ein B-Seiten- oder Remix-Projekt, sondern ein komplettes, vollwertiges Album. Vor ziemlich genau einer Woche wurde bekannt, dass die zwei Kalifornier dieses Jahr wohl noch nicht genug haben und den zweiten Gang nicht lange kalt werden lassen. Aber warum sollte man auch nicht noch eine weitere Platte rausbringen, wenn eh jeder Song gleich klingt? Gut, ein bisschen fies ist das schon, doch ein besonderer Geniestreich war Depression Cherry nun wirklich nicht. Es hatte bessere Momente als seine Vorgänger aber es änderte nichts am Konzept Beach House. Und warum sollte ausgerechnet die LP mit den Tracks zweiter Wahl das ändern? Wie erwartet ist Thank Your Lucky Stars nichts weiter als der kleine Bruder des August-Albums geworden und damit auch nicht mehr als ganz schön okay. Gut finde ich zwar, dass sich hier einige gitarrenlastigere Stücke wie One Thing eingeschlichen haben, doch dafür kann diese Platte in Sachen Spannung nicht so viel wie die letzte. Da wir hier von Beach House reden, sind diese Unterschiede jedoch ohnehin so unerheblich, dass man sie sich auch gleich sparen kann. Ich rede hier keinesfalls von schlechten Songs und finde das hier sogar noch ein bisschen besser als den Vorgänger, nur war eben eine Platte wie diese ziemlich vorhersehbar. Und für so etwas hätte es auch den ganzen Promo-Quatsch nicht gebraucht. Die Schlag-auf-Schlag-Releases der beiden Alben werden eine Randnotiz in der Diskografie der Kalifornier bleiben, ein Effekt wie bei John Frusciante, Death Grips oder Ty Segall wäre eben auch nur dann möglich, wenn der Inhalt passen würde. Angenommen, Beach House hätten nach dem eher elektronischen Depression Cherry eine LP voller Drei-Akkord-Blockbuster veröffentlicht, ich wäre begeistert gewesen. Doch so ist Thank Your Lucky Stars einfach nur eine Platte. Womit wir wieder einmal festgestellt hätten, dass die beste PR nichts bringt, wenn keine spannenden Songs geschrieben werden. Bei Beach House ist das jetzt schon seit ein paar Jahren nicht mehr wirklich der Fall gewesen. Da machen zwei Monate mehr oder weniger auch keinen Unterschied.
8/11

Beste Songs: One Thing / the Traveller / Elegy to the Void

Nicht mein Fall: Common Girl

Weiterlesen:
Review zu Depression Cherry (Beach House):
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Review zu Another One (Mac DeMarco):
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Freitag, 16. Oktober 2015

Don't Believe Me? Just Watch.

NEON INDIAN
Vega Intl. Night School

Transgressive
2015
















Als erste Feststellung: Es ist erstaunlich, wie viele Leute noch immer an der Musik von Alan Palomo interessiert sind. Erstens, weil der New Yorker zu dieser Art von 2009er-Generation gehört, die seit einer Weile alle versuchen, um jeden Preis zu vergessen (was nebenbei bemerkt eine Schande ist) und zweitens, weil es mittlerweile seit einem halben Jahrzehnt kein neues Neon-Indian-Material mehr gab. Es ist zwar auch klar, dass seine Musik dadurch bisher nicht die Möglichkeit hatte, doof zu werden, doch die Halbwertszeit für fluffigen Elektropop ist normalerweise schon nach wenigen Monaten überschritten. Dass Songs wie Deadbeat Summer oder Polish Girl immer noch relativ hoch im Kurs der Kids von heute stehen, spricht wahrscheinlich nur für deren Qualität. Ich selbst komme ja auch nicht davon los. Trotzdem war ein neues Album nicht unbedingt das, was ich von Palomo jetzt wollte. Vor allem nicht mit diesem Artwork. Vor allem nicht mit einer Single wie Slumlord. Doch wie immer wird auch bei Vega Intl. Night School nicht alles so heiß gegessen wie es gekocht wird und Neon Indian klingen 2015 nicht mehr nach den Achtzigern als Daft Punk, Mark Ronson oder Kevin Parker. Sicher sind die Syntheziser hier ein wenig cooler und viele Songs verlieren sich in einer ziemlich hippen VHS-Ästhetik, doch im Kern hat Alan Palomo ein Disco-Album gemacht. Hinter den Aerobic-Videos und Pool-Plansch-Soundtracks verbergen sich überall Handclap-Beats und groovige Falsett-Refrains, die auch bei Soul Train nicht verkehrt wären. Und das mit dem butterweichen LoFi-Klang und dem perfekt eingesetzten Reverb muss man diesem Typen eh nicht mehr erklären. Warum also zetern? Am Ende schafft es Neon Indian sogar wieder, trotz konsequenter Retro-Götzenanbeterei auf der Höhe der Zeit zu sein und hier die bessere Version von Random Access Memories zu machen. Dass es dem ganzen dabei noch immer ein wenig an echtem Anspruch mangelt, ist auch nur halb so wild. Bei Palomo setzt zumindest in meinem Fall die Ed Banger-Regel ein, dass es nicht schlau sein muss, wenn man dazu tanzen kann. Und ich bin mir sicher, dass ein Justice-Album in diesem Jahr ziemlich genau so klingen würde. Aber darüber reden wir ein andermal. Denn mit Vega Intl. Night School hat Neon Indian nach vier Jahren Stille mal eben seine beste Platte gemacht. Und das als jemand, der nach 2011 eigentlich stilistisch hätte tot sein müssen. Kinder, so klingt es, wenn ein kurzlebiger Trend nur opportunistisch genug ist, um auch noch die nächsten fünf Jahre in euren Ohren zu kleben. Ich für meinen Teil freue mich schon darauf.
9/11

Beste Songs: Smut! / Dear Skorpio Magazine / Baby's Eyes

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu Currents (Tame Impala):
zum Review

Review zu What For? (Toro Y Moi)
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Mittwoch, 14. Oktober 2015

Nachhilfe vom Klassenbesten

CHRISTIAN SCOTT
Stretch Music

Ropeadope
2015
















Dass man auf seinem Blog viel zu wenige Jazz-Platten bespricht, merkt man immer erst, wenn man dann mal eine bespricht. Zum Beispiel die (nicht mehr ganz so) neue des Trompeters und Bandleaders Christian Scott, Stretch Music. Und da ich zu dem Herren ja bisher offenkundig recht wenig geschrieben habe, hier eine kleine Einführung: Scott ist mit seiner seiner Heimat New Orleans sozusagen im Sud der internationalen Jazz-Kultur aufgewachsen und war zudem noch eines dieser Wunderkinder, die die beste Musikhochschule des Landes in der Hälfte der eigentlichen Zeit bestehen. Demzufolge hat der Tausendsassa schon in einem relativ zarten Alter eine eigene Band, arbeitete unter anderem mit Prince und Mos Def zusammen und erhielt bereits für sein Debüt einen Grammy. Dass so jemand dabei immer die Nähe zur Popmusik suchte, ist eigentlich erstaunlich. Für Otto Normalpopmusikkonsument ist es doch vielleicht die einfachste Form, sich einem doch recht schwierigen Genre wie diesem zu nähern. Gerade Stretch Music ist dafür ziemlich gut geeignet. In gut verdaulichen 50 Minuten serviert der 32-jährige elf angenehm lange Variationen von Smooth-, Bar- und Lounge-Jazz. Dass dabei nicht nur auf das übliche Instrumentarium zurückgegriffen wird (Scott spielt hier erstaunlich selten die Trompete), sondern auch auf Synthesizer und Gitarren, macht die Platte noch ein bisschen gefälliger. Ein gestriegeltes und gezähmtes Mainstream-Machwerk muss man dennoch nicht befürchten. In den richtigen Momenten, wie beispielsweise in West of the West, erlaubt man sich schon mal ein paar größere Sperenzchen, die auch dem fortgeschrittenen Jazz-Fan zusagen dürften. Was für jede Art von Hörer sicherlich interessant ist, ist die Vielschichtigkeit der Songs hier. Die wirken teilweise gejammt, teilweise geschrieben, sind man grob, dann wieder filigran, entspannend und gleichzeitig aufrühererisch. Das Ergebnis ist am Ende eine kunterbunte Collage an Instrumenten, Stimmungen, Techniken und Einflüssen. Ebenfalls ein Highlight des Longplayers, den Christian Scott auch gleich dessen Untertitel aufgreift, ist die Performance der Flötistin Elena Pinderhughes, die als Gast in zwei Tracks auftritt und mit ihrem virtuosen Spiel jedes Mal die Aufmerksamkeit auf ihre Seite zieht. Sie dürfte eine der auffälligsten Newcomerinnen der Jazz-Szene sein und ich danke diesem Album, dass ich das jetzt weiß. Dass Scott am Ende der bessere Talentscout als Musiker ist, will ich damit natürlich nicht sagen. Er hat seine Platte nach wie vor in der Hand und liefert ein von vorne bis hinten gelungenes Gesamtwerk ab. Stretch Music ist eine LP, über die ich gerne schreibe, ganz unabhängig vom Genre. Obwohl ich Jazzmusik wirklich einen größeren Fokus einräumen sollte. Knoten ins Taschentuch.
9/11

Beste Songs: Perspectives / West of the West / Liberation Over Gangsterism / the Corner

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu the Epic (Kamasi Washington):
zum Review

Ausführungen über aktuelle Jazzmusik (DWZS):
zum DWZS

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Dienstag, 13. Oktober 2015

Retro-Review: Auf allen Festen

TOM WAITS
Rain Dogs

Island Records
1985
















Die Diskografie von Tom Waits ist in 40 Jahren künstlerischer Aktivität alles andere als überschaubar und ich befinde mich eigentlich nicht in der Position, darüber zu urteilen, welches seiner zahllosen Alben nun das beste sein soll. Trotzdem empfinde ich Rain Dogs zumindest als einen würdigen Kandidaten für, sagen wir, die Top Five der besten Waits-Platten. Und dabei ist es für mich nicht der Sound seiner Übergangsphase von der Kneipenmusik zum experimentellen Songwriter-Zirkus und kein übergreifendes Gesamtkonzept, das ausgerechnet diesen Longplayer für mich so interessant macht, sondern etwas viel simpleres: Rain Dogs ist zum Bersten voll mit verdammt guten Songs. Tatsächlich gibt es hier in 53 Minuten ganze 19 Stück davon und nicht ein einziger ist auch nur im entferntesten mittelmäßig. Neben ein paar ewigen Waits-Klassikern wie Jockey Full of Bourbon oder Anywhere I Lay My Head beeindruckt der Songwriter hier vor Allem durch seine Vielfalt. Man hört hier klassischen Blues (Gun Street Girl), berstigen Rock'n'Roll (Union Square), schrulligen Jazz (Tango Till They're Sore) und das alles serviert mit dem rauhbeinigen, kaputten Charme, den nur ein Tom Waits so hinbekommt. Jeder Track erzählt dabei seine eigene Geschichte und fast immer möchte man diese nicht selbst erlebt haben. Die Lieder von Verlust, unerwiderter Liebe, Tod und Schmerz sind die des Typen, als den man sich den Kalifornier gerne vorstellt: Als einen an der Bar sitzenden Verrückten, der den Mann am Tresen bis in die frühen Morgenstunden hinein mit den kummervollen Tiraden über seine heimtückische, schwarze Seele nervt. Dass Tom Waits dieser Typ nie gewesen ist, muss man hoffentlich niemandem mehr sagen. Auch wenn das natürlich nach wie vor an seiner Legende nagt. Doch auch als den Vollblutkünstler, der er tatsächlich war, kann man ihn hier erleben. Auf einem schier unendlichen Arsenal an Instrumenten bläst, schlägt, streicht und zupft sich der Tausendsassa hier um sein Leben, was auch klanglich keinen Song dem anderen gleichen lässt. Auf anderen Platten wäre mir das vielleicht etwas zu zerpflückt, doch als roter Faden ist Waits als Sänger vollkommen ausreichend. Es fühlt sich ein bisschen an, als würde er in kürzesten Abständen auf einer Hochzeit, in einem Nachtclub, auf einer Beerdigung und in einer geschlossenen Psychatrie spielen. Und überall spielt er aus vollstem Herzen. Die spürbare Leidenschaft für seinen Job ist es vielleicht auch, die am Ende das große Geheimnis des Künstlers Tom Waits ist. Und diese Platte ist so proppevoll davon, dass es manchmal fast ein bisschen viel ist. Aber sie ist deshalb auch eine seiner besten. Wenn nicht gar die allerbeste.

Beste Songs: Jockey Full of Bourbon / Time / Rain Dogs / Gun Street Girl

Nicht mein Fall: Big Black Mariah

Weiterlesen:
Review zu Universal Themes (Sun Kil Moon):
zum Review

Review zu Bringing it All Back Home (Bob Dylan):
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Montag, 12. Oktober 2015

Zärtlichkeiten ohne Freunde

A MOTE OF DUST
A Mote of Dust

Babi Yaga
2015
















Ich empfinde es immer als einen Glückstreffer, eine Platte mit wirklich guter Klaviermusik zu finden. Das Piano im Pop ist ein schwieriges Unterfangen und nur wer Ahnung von der Materie hat, kann ohne peinliche Fehltritte durch die komplette Länge eines Albums dieses Instrument spielen. Von vorne bis hinten überzeugende Projekte wie in den letzten Jahren die von Moonface oder Elskavon sind daher selten. Craig B aka A Mote of Dust hat in dieser Hinsicht insofern schon mal einen Vorteil, dass er bereits in seinen bisherigen Bands Aereogramme und the Unwinding Hours viel mit dem Tastenwerk zu tun hatte. Und während sein Kumpel Iain Cook mit Chvrches in die Pop-Charts schippert, macht er lieber ein introvertiertes Akustik-Album, das vor allem den Klängen des Klaviers viel Platz einräumt. Dass B vom Postrock kommt, merkt man dabei ganz deutlich. Das selbstbetitelte erste Album des Schotten ist sehr stark von den Stilen seiner Genre-Kollegen Nick Talbot (Gravenhurst) und Kjartan Sveinsson (Sigur Rós) beeinflusst. Allerdings sind es am Ende doch eher melancholische Popsongs, die er hier schreibt. Wie auch Cook beweist er dabei ein außergewöhnliches Händchen für Melodie, was ihn zu einem guten Kandidaten für eine Platte mit Klavierballaden macht. Denn obgleich alle neun Songs instrumental ziemlich karg gehalten sind - Klavier oder Keyboard mit spärlicher Gitarrenbegleitung und B selbst als Sänger - klingt doch kein Track wie der andere. Da gibt es das eher melodisch-anschmiegsame Eve, den sehr isländischen Opener und Titeltrack, das für meine Begriffe etwas zu rockige Work of Our Hands und nicht zuletzt den elektronisch angehauchten Industrial-Stampfer Pull Me Back In, der als fetziges Kontrastprogramm für den Rest der Platte reicht. Craig Bs Nine-Inch-Nails-Ambitionen in allen Ehren, doch was er hier am besten beherrscht, sind tatsächlich nach wie vor die leisen Töne. Viel zu gut spielt er hier den bärtigen schottischen Eigenbrötler, als dass man ihm diese künstlerische Ader übel nehmen könnte. Die Euphorie und die Bösartigkeit funktionieren zwar auch, doch die Melancholie funktioniert am besten. Und am allerbesten funktioniert sie sowieso am Piano, das Craig B so zärtlich zu streicheln vermag wie nur Wenige. Dafür hat er auf diesem Album meinen großen Respekt, das am Ende sogar ein Stück besser ist als alles, was er bei zusammen mit Iain Cook je gemacht hat. Ein bisschen künstlerische Distanz tut vielleicht beiden auch längerfristig ganz gut. Und wenn es im Fall von A Mote of Dust Einsamkeit bedeutet, ist es das auch wert.
8/11

Beste Songs: A Mote of Dust / Eve / Pull Me Back In / Wolves in the Valley

Nicht mein Fall: Work of Our Hands

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Review zu Brothers and Sisters of the Eternal Sun (Damien Jurado):
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Review zu Ghost Stories (Coldplay):
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Sonntag, 11. Oktober 2015

N.Ö.W.

WANDA
Bussi
Vertigo
2015

















Die Musiklandschaft Österreichs war lange nicht mehr so aktiv wie in den letzen paar Jahren. Nach Katastrophen wie Money Boy, die unser verehrtes Nachbarland bei uns künstlerisch ziemlich in Verruf brachten, muss die deutsche Pop-Industrie seit einiger Zeit befürchten, von den vielen coolen Ösi-Bands über den Haufen gefahren zu werden. Gerade der Wiener Untergrund boomt und besinnt sich zusätzlich wieder auf die eigene Identität. Nach Falco klingen ist wieder hip, mit Dialekt singen ist wieder hip und ein bisschen royale Arroganz macht die richtige Würze aus. Nachdem Ende letzten Jahres vor allem Bilderbuch mit diesem Rezept für Aufmerksamkeit sorgten, heißt die Band der Stunde seit einigen Monaten Wanda. Mit ihrem Debüt Amore hatten die bereits 2014 die Ohren der Kritik für ihren eigenartigen Sound geöffnet und mit Bussi dürfte jetzt ihr Opus Magnum in den Regalen stehen. Denn so wie die Journalisten sich auf diese Platte stürzen, konnte auch ich die Wiener nicht länger ignorieren. Und eines muss man ihnen lassen: Mutig sind sie. Die zwölf Tracks hier schämen sich nicht, plakativ den schlonzig-pathetischen Westernhagen-Sound in ein Sven-Regener-Korsett zu packen und diesen dann auch noch im dicken Hauptstadt-Schmäh zu präsentieren. Jedermanns Sache ist das nicht. Vor allem die liebe Indiepolizei wird mit dem großzügig aufgetragenen Kneipenrock von Wanda so ihre Probleme haben, doch gerade sie sollten sich vor so etwas nicht verschließen. Denn Bussi hat eigentlich alles, was ein gutes Album braucht: Catchy Songwriting, kreative Instrumentation, intelligente Texte und vor allem: Es sucht die Herausforderung. Zu singen wie Marco Michael Wanda ist so ziemlich dasselbe, wie polyrhythmische Schlagzeug-Beats zu schreiben. Wer mit sowas erfolgreich sein will, der muss es gut verpacken. Und bei diesen Jungs funktioniert es auch nur, weil ihre Musik ansonsten überhaupt kein bisschen provinziell wirkt. Und weil man hinter all dem amerikanischen Stadion-Pomp trotzdem noch erkennt, dass man es hier nicht mit einer Stadion-Band zu tun hat. Das Ergebnis des ganzen ist, dass Wanda tatsächlich ein musikalisches Phänomen sind. Seit bestimmt zwanzig Jahren hat niemand sich getraut, eine Platte wie Bussi zu machen. Nur deshalb ist eben diese Platte jetzt so eine große Sache. Und es ist genau das, was dem deutschsprachigen Pop gerade gefehlt hat. Diese Souveränität, dieser Mut, dieser Druck von innen. Wenn es um sowas geht, sollte man vielleicht öfter mal an die Österreicher halten. Für den Moment kann man zumindest nicht genug von ihnen bekommen.
9/11

Beste Songs: Gib mir alles / Nimm sie wenn du's brauchst / Mona Lisa aus der Lobau / Sterne

Nicht mein Fall: Das wär schön

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Review zu Schick Schock (Bilderbuch):
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Review zu Tocotronic (Tocotronic):
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Instant Karma

THE UNDERACHIEVERS
Evermore - the Art of Duality

Underachievers
2015
















Issa Gold und AK machen sich viele Gedanken um Gott und die Welt. Schon seit ihrem Debüt-Mixtape Indigoism von 2012 geht es in ihren Texten sehr oft um Dinge wie Philosophie, Spiritualität und Religion. Das sogenannte "dritte Auge" ist eines ihrer All-Time-Lieblingsthemen und allemal ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen MCs. Nur hatte man bei ihnen bisher das Gefühl, dass diese Themenkomplexe auch nur als solches dienen und nicht wirklich so tiefsinnig waren wie sie schienen. Denn dass daneben auch immer noch jede Menge HipHop-Stereotypen Platz auf ihren Alben hatten, verwässerte die angeblich so reingeistige Message der Underachievers konsequent, was auch eines meiner größten Mängel an ihrem letzten Longplayer Cellar Door: Terminus Ut Exordium war. Doch für alle mit dem gleichen Problem gibt es jetzt eine gute Nachricht: Die neue Platte der New Yorker. Wie es scheint, wurde sich für Evermore erstmals im Vorfeld des Songwritings hingesetzt und tatsächlich eine Art Konzept ausgesponnen, in dem sich die Tracks hier bewegen sollen. Dies resultierte nicht nur darin, dass die neue LP aus zwei Teilen besteht, quasi einer Yin- und einer Yang-Seite, sondern vor allem auch, dass für die spirituellen Ideen der Underachievers endlich Bezüge hergestellt werden. Das dritte Auge der Akteure existiert hier nicht mehr nur um seiner selbst willen und um bestenfalls ein paar Groupies ins Bett zu kriegen, sondern ist Teil der Realität. Statt um Drogen, Fame und Sex geht es hier eher um Politik, Gesellschaft, den eigenen Lebensweg und universelle Weisheit. Und so doof wie das jetzt erstmal klingt, stellen sich Issa und AK eigentlich gar nicht an. Durch den Verzicht auf Featured Artists und das zweigeteilte Konzept schaffen sie einen roten Faden und textlich zeigen sich die beiden hier einfach so viel disziplinierter. Teilweise machen sie mit ihren existenzialistischen Gedankenströmen sogar einem Kendrick Lamar Konkurrenz. Und wo sie ihn definitiv übertreffen, sind die Instrumentals auf diesem Album. Wo die erste Hälfte durch erstklassig verlesene Jazz-Samples besticht, kontert Teil zwei mit finsteren Trap-Bangern (und mit finster meine ich finster). Mein einziges Manko an diesem Projekt ist eigentlich, dass zwischen den beiden MCs hier immer noch ein Gefälle besteht. Dieses hat sich zwar seit Cellar Door schon erheblich verkleinert, doch AK flowt immer noch ein nicht unerhebliches Stück besser als Issa. Am Ende steht Evermore dennoch deutlich im Zeichen der Verbesserung und im Vergleich zum Vorgänger haben die beiden hier wirklich großes geleistet. Ein solches Album habe ich mir von ihnen seit Jahren gewünscht und ich hatte eigentlich nicht geglaubt, es tatsächlich zu bekommen. Dass es nun doch da ist, bringt mich in eine Position, in der ich absolut nicht darüber jammern will. Im Moment kann ich nur einen Wunsch äußern, den ich habe: Bitte in Zukunft noch ganz viel davon!
9/11

Beste Songs: the Dualist / Illusions / Reincarnation

Nicht mein Fall: Take Your Place

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Review zu Cellar Door: Terminus Ut Exordium (the Underachievers):
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Review zu B4.DA.$$ (Joey Bada$$):
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Freitag, 9. Oktober 2015

Digital ist besser

DIE NERVEN
Out

Glitterhouse
2015
















Ruhig sind die geworden, die Nerven aus Stuttgart. Und ein bisschen zahm auch. Das kann doch eigentlich nicht mit rechten Dingen zugehen. Ich erinnere mich noch, als die Band 2012 mit ihrem ersten großen Demo Asoziale Medien auf der Bildfläche aufschlug und meine Auffassung von deutschem Punkrock mit dem Metermaß umkrempelte. Damals setzten die Schwaben bei ihrer Musik auf klare Symbole (Facebook-Logo, zum Kreuz verfremdet) und klare Ansagen (ich verweise nochmals auf den Titel der Platte), die man zwar akustisch kaum verstehen konnte, doch die neugierig auf mehr machten. Und dieses mehr haben wir in den letzten Jahren bekommen. Vor allem mit dem 2014 veröffentlichten Fun wuchsen die Nerven zu stattlicher Größe heran und wurden mehr als nur die Pöbel-Band, die sich durch die AJZs der Republik den Hintern abtourt und nur auf DIY macht, weil es nicht anders geht. Nach ihrem letzten Album standen dem Trio goldene Zeiten bevor. Warum zum Teufel wünsche ich mir beim Hören von Out also die Ästhetik ihres Debüts zurück? Was macht ein zusammengerüpeltes Keller-Tape besser als den bisher vielleicht aufwendigsten Nerven-Longplayer? Zuerst mal finden sich viele Parallelen zwischen Asoziale Medien und Out. Auf beiden Platten geht es textlich vor allem um die Schattenseiten der digitalen Vernetzung, um den kollektiven Hass auf Apple-Produkte und um die Überwachung selbiger. Doch wo die Band vor drei Jahren mit viel Frust, Galle und hintergründigem Humor gegen alles wetterte, was einen Touchscreen hatte, fehlen den neuen Stücken irgendwie die Aussagen. Riegers abstrakte Texte waren großartig auf einem introvertierten Werk wie Fun, doch bei so konkreten Themen wie hier sind Sätze wie "Du trägst eine Wüste in dir" nicht wirklich der angemessene Ton. Dazu kommt hier die musikalische Auskleidung, die ebenfalls wenig mit Radikalität zu tun hat. Aus dem zähnefletschenden Postpunk der Stuttgarter ist spätestens hier lauwarmer Postrock geworden, der die Inhalte der Tracks nicht mehr akzentuiert, sondern nur noch untermalt. In Wüste traut die Band sich sogar ein halbgares Desert-Rock-Riff zu, das auch noch die letzte Glaubwürdigkeit mit Füßen tritt. Dass die Nerven damit als politische Musiker zum Scheitern verurteilt sind, kann ich so nicht sagen. Trotzdem hätte ich hier lieber noch ein kränkelndes Psycho-Poeten-Machwerk gehört wie Fun oder gleich einen Blutzucker-Pusher wie Fluidum. Mit dem Ergebnis hier bin ich zumindest überhaupt nicht zufrieden. Out ist mit Sicherheit das bisher schlechteste Nerven-Album und lässt mich sorgenvoll in die Zukunft der Band blicken. Der Blick in ihre Vergangenheit hingegen wird immer verlockender...
5/11

Bester Song: Gerade deswegen

Nicht mein Fall: Wüste

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Review zu Fun (die Nerven):
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Review zu Viet Cong (Viet Cong):
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Donnerstag, 8. Oktober 2015

Outside the Stadium Doors

EDITORS
In Dream

Play It Again Sam
2015
















Nach ihrem letzten Album hätten die Editors eigentlich alles machen können. The Weight of Your Love war die kompromisslose Rockplatte nach der kompromisslosen New Wave-Platte, hatte R'n'B-Momente und ließ auch noch genug vom pompösen Indie-Sound der Anfangstage übrig. Und In Dream ist jetzt das geworden, was am naheliegendsten ist, wenn man schon alles gemacht hat: Intelligente Popmusik. Auf dem Cover präsentiert sich ganz souverän ein entrückt blickender Tom Smith in Lotus Flower-Gedächnis-Gestik und Songtitel wie Our Love und No Harm lassen auf eine Öffnung der Band gegenüber dem größeren Publikum schließen, das sie mit ihren letzten beiden Longplayern abgeholt haben. Mit ihm im Rücken greifen Editors hier nach den Sternen. Sie wollen klingen wie all die Künstler, von denen sie schon immer geschwärmt haben: Radiohead, U2, Springsteen, Depeche Mode. Und es ist eigentlich nicht so, dass ich ihnen das nicht zutrauen würde. Das mit den großen Gefühlen haben die Briten schon mehrmals hingekriegt und sich damit langsam den Weg zum qualitativ hochwertigen Stadionrock geebnet. Allerdings ist In Dream das erste Editors-Album, das genau in diesen Punkten total versagt. Viele der Songs hier sind halbherzig ausgeführt, wenig eingängig und ein bisschen öde. An allen Ecken und Enden fehlen die präzisen Melodien, die ihnen bisher immer nur so aus den Ärmeln fielen. Da hilft es auch nichts, dass Smiths Gesangsleistung hier so gut ist wie selten zuvor, die Platte von vorne bis hinten erstklassig produziert ist und von Gitarren über Synthesizer bis zu Streichern alles auffährt, was für noch mehr Pomp sorgen könnte. Denn was dabei zu kurz kommt sind die Basics, ohne die auch die großartigen Editors keine Hits machen. Natürlich gibt es Lichtblicke, wie das elektronisch pluckernde Monster Life is A Fear oder den wirklich großen Refrain von Salvation. Doch diese Band hat das auch alles schon mal besser gemacht. Kein Papillon, kein A Ton of Love, kein Smokers Outside the Hospital Doors gibt es hier, weshalb ich hier leider vom bisher schwächsten Editors-Album sprechen muss. Ausgerechnet beim endgültigen Sprung in den großen Teich sind die Briten um Jahre zurückgefallen und haben sich ziemlich verzettelt. Wie sie in dieser wichtigen Phase ihrer Karriere mit so einem Rückschlag umgehen, werden wir noch sehen. Doch ich hoffe und glaube, diese Band kann das wegstecken. Schließlich haben sie uns noch immer irgendwie überrascht. Dieses Mal wird nicht das letzte Mal sein.
6/11

Beste Songs: Life is A Fear / the Law

Nicht mein Fall: Forgiveness

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Mehr zu Editors:
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Review zu Wilder Mind (Mumford & Sons):
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Willkommen in der Schablone

LOMA PRIETA
Self Portrait

Deathwish Inc.
2015
















Wer 2012 mit dem Namen Loma Prieta vertraut war, der kannte die Mitglieder der Band entweder persönlich oder war einer der coolsten Musikhörer zu dieser Zeit. Mit ihrem Debüt IV hatte die Formation aus San Fransisco damals die Insider auf ihrer Seite, die sie als große Hardcore-Hoffnung an die ahnungslosen Zweitverwerter weiter gaben, die dafür sorgten, dass spätestens Anfang 2013 jeder von Loma Prieta wusste. Zwei Jahre später sieht die Lage so aus, dass das Trio beim coolsten Label für Hardcore und Metal unter Vertrag steht, aber seit besagtem Erstlingswerk so gut wie keinen Finger gerührt hat. Als im Sommer diesen Jahres endlich Self Portrait angekündigt wurde, stand die internationale Presse sofort Schlange und katapultierte die bescheidenen Indiekids in den siebten Himmel der Blogosphere. Nun ist die Platte da und die Ernüchterung wird nicht lange auf sich warten lassen. Denn aus der großen Hoffnung der vergangenen Saison ist hier eine Band geworden, die nur noch in einer popkulturellen Schablone arbeitet. Ihren vorwärtsgewandten Hardcore vom Debüt haben die Kalifornier gegen euphorischen LoFi-Indiepop mit Screamo-Texten ausgetauscht, was jetzt mal schonend formuliert nicht unbedingt total originell ist. Das Rezept der zehn Songs hier kennen wir zur Genüge bereits aus der letzten Welle des Posthardcore, die ja nun wirklich ein klein wenig überholt ist. Das wäre überhaupt nicht schlimm, wenn diese Platte wenigstens irgendwie abwechslungsreich oder kreativ wäre, aber mehr als halbgare Klang-Kopien werden hier nicht zustande gebracht. Noch dazu da Loma Prieta diesen Sound nicht dazu nutzen, Kontraste herauszuarbeiten, sondern hier lediglich verwaschenen Traumzauber-Core fabrizieren, der mindestens so 2011 ist wie die Credibility von Lana del Rey. Es gibt Momente wie in Nostalgia oder More Perfect, in denen sich die Band auch mal von ihrer wirklich brachialen Seite zeigt und die richtig klasse sind. Allerdings hatten wir von ihnen auch schon mal ein ganzes Album, das so klang. Hinzu kommt hier mittelmäßige Produktion und die nach drei Jahren viel zu kurze Laufzeit von 30 Minuten, die Self Portrait in meinen Augen komplett wertlos machen. Wenn Loma Prieta hier etwas geleistet haben, dann die erneute Hervorhebung ihres Debüts, das wirklich um so vieles besser war als dieser Haufen weichgespülter Posthardcore-Songs. Als selbsternanntes Meinungsmedium kann ich euch nur eins raten: Wenn ihr euch mit dieser Band befassen wollt, tut dies bitte nicht in Form dieses Albums, sondern seines Vorgängers. Denn das hier bringt nichts. Genug gesagt.
4/11

Beste Songs: More Perfect / Nostalgia

Nicht mein Fall: Love

Weiterlesen:
Review zu IV (Loma Prieta):
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Das Wort zum Sonntag über the Wave:
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Mittwoch, 7. Oktober 2015

Einmal Metal, immer Metal

BLACK BREATH
Slaves Beyond Death

Southern Lord
2015
















Wenn man sich bei Black Breath auf eines verlassen kann, dann darauf, dass man in Sachen Metal-Folklore von ihnen nie enttäuscht wird. Mit ihrem blutrünstigen Mix aus Thrash Metal, Death Metal und Rock'n'Roll hat die Band aus Seattle mich schon des öfteren überzeugt und Plattentitel wie Sentenced to Life, Heavy Breathing oder jetzt Slaves Beyond Death sprechen ebenfalls für sich. Eine sonderlich kreative Ader findet man bei ihnen indes nicht, was ihnen auf diesem Album erstmals wirklich zum Verhängnis wird. Bisher konnten Black Breath immer mit Lärm und ihrem erstklassigen Zusammenspiel kaschieren, dass sie nicht gerade die innovativsten Musiker in der Szene sind. Man staunte immer darüber, wie diese Band reinhauen kann und hinterfragte deshalb wenig, was sie da eigentlich spielten. Mit Longplayer Nummer drei wird sich nun erstmals an komplizierteren Kompositionsstrukturen, Spannungskurven und Track-Längen über fünf Minuten befasst. An sich ein ehrenwerter Schritt, der aber leider auch dafür sorgt, dass sich hier mitunter verzettelt wird. Schon auf den ersten Blick merkt man, dass Black Breath nicht die Typen für solch imposante Song-Epen sind. Die meisten der Stücke hier wirken ein wenig unzusammenhängend, wie viele kleine Tracks statt wie ein großer. Teilweise passen Elemente, die die Band hier kombiniert, überhaupt nicht zusammen oder scheinen willkürlich ineinander geschoben. Und wie dämlich ist es denn bitte, einen fast siebenminütigen Song einfach mit einem billgen Fade-Out zu beenden? Wäre ich jemand, der neben guter Komposition nicht auch guten Sound schätzen würde, fände ich Slaves Beyond Death folglich ziemlich doof. Doch weil Black Breath in Sachen Interaktion beim Spielen, Produktion und Riffing nach wie vor wissen, wo der Hammer hängt, sind die strukturellen Ausrutscher eigentlich halb so wild. Dann hat man eben einen Song, der sich anhört wie fünf Stück. Na und? Wenn er so fett und brachial klingt wie so ziemlich jede Sekunde auf diesem Album, kann zumindest ich nur bedingt jammern. Wenn Black Breath weiter auf anspruchsvolle Aufbauten setzen wollen, müssen sie eben noch ein bisschen üben. Ansonsten muss ich sie jedoch von allen Vorwürfen freisprechen. Auch Longplayer Nummer drei ist badass wie eh und je und wenn die Band das ändern will, muss sie wahrscheinlich auf Dreampop umsteigen. Zum Glück ist dieses Ereignis in näherer Zukunft eher unwahrscheinlich. Denn wie ich schon sagte: Auf Metal-Lifestyle kann man sich bei denen verlassen.
8/11

Bester Song: Reaping Flesh

Nicht mein Fall: A Place of Insane Cruelty

Weiterlesen:
Review zu Luminiferous (High On Fire):
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Review zu Repentless (Slayer):
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Montag, 5. Oktober 2015

Easy

MILO
So the Flies Don't Come

Ruby Yacht
2015
















Ort: Ein kleines aber ziemlich schickes Café im hippen Viertel der Stadt. Zeit: später Nachmittag, beginnende Dämmerung. Milo hat sich gerade einen Chai Latte geholt und beginnt zu erzählen. Über Selbstwahrnehmung, HipHop, Lieblingsbücher, seinen Bruder Robert, Schopenhauer und seine neuen Freunde beim Hellfyre Club. Eine halbe Stunde redet er dabei mit seiner angenehm beruhigenden Stimme und am Ende setzt man die Kopfhörer ab und stellt fest, dass man gerade nur sein neues Mixtape gehört hat. Rory Ferreira ist einer der Typen, den ich schon eine Weile auf der Liste der Künstler hatte, die irgendwann bestimmt mal ein riesiges Album machen würden. Dass dieses jetzt ausgerechnet So the Flies Don't Come geworden ist, war eigentlich nicht geplant. Erst letztes Jahr veröffentlichte der MC aus Wisconsin sein kommerzielles Debüt A Toothpaste Suburb beim Hellfyre Club, das mochte ich schon sehr. Doch jetzt das neue Material zu hören, lässt auch dieses nochmal deutlich verblassen, auch wenn es sich hierbei nur um ein halbstündiges, auf Kassette erschienenes Zwischendurch-Mixtape handelt, das die Karriereleiter von Milo lediglich streifen sollte. Doch die schiere Schönheit, mit der selbiger seine entschleunigend lebensechten Lines vorträgt, ist zu einnehmend, um sie einfach nur zur Fußnote verkommen zu lassen. Ferreira ist schon immer irgendwie der Zen-Meister unter den MCs dieser Welt und selbst unter seinen Kollegen von Hellfyre noch ein Exot. Mit seinem lieber locker und meditativ vorgetragenen "Flow", der teilweise eher an Spoken Word erinnert, legt er uns hier die Karten der Erleuchtung auf den Tisch, die nur er selbst nicht für echt hält. Und damit das ganze nicht in peinlichem Schweigen endet, fängt er lieber an, über seine Twitter-Feeds oder die Badezimmer-Einrichtung zu reden. Halbironisch macht er sich über die Blacktivist-Bewegung lustig und zögert jedesmal, bevor er dann doch das N-Wort an das Ende der Punchline setzt. Wenn es ihm ganz zu viel wird, helfen seine Homies mit ein paar Zeilen aus. Ein bisschen awkward ist dieser Gedankenaustausch am Ende schon, aber das gehört seit jeher zur Ästhetik von Milo und ich persönlich liebe sie. Denn schon seit geraumer Zeit ist Ferreira damit eine echte Alternative zum ganzen Rest der HipHop-Szene und jemand, der die Möglichkeiten des Genres wirklich ausnutzt. So the Flies Don't Come ist nun endlich das Album, auf dem er diesen Stil perfekt in Szene setzen kann und das beste daraus macht. In gewisser Weise habe ich auf diese Platte gewartet und dennoch überrascht mich Milo hier irgendwie. Sie ist einfach so ganz anders als das Bild, das ich mir von ihr gemacht habe. Zu nörgeln bleibt am Ende absolut nichts, sogar die etwas knappe Länge ist für den schier endlosen Gedankenstrom des Künstlers ausreichend. Rory Ferreira hat auf diese dreißig Minuten einfach das beste gepackt, was es bisher von ihm gibt. Wenn er so weitermachen kann, platzt mir spätestens beim nächsten "richtigen" Longplayer der Kopf.
11/11

Beste Songs: Rabblehouse / An Encyclopedia / Napping Under the Echo Tree

Nicht mein Fall: -

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Review zu A Toothpaste Suburb (Milo):
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Review zu Live From the Dentist Office (Injury Reserve):
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Sonntag, 4. Oktober 2015

Nichts überstürzen

GRAVEYARD
Innocence & Decadence

Nuclear Blast
2015
















Als ich anfing, diesen Blog zu schreiben, gab es gerade nichts cooleres in der europäischen Musikwelt als die Proto-Metal-Exporte aus dem Norden. Bands wie Vidunder, Horisont oder bedingt auch Kadavar, die einen Sound drauf hatten, der den der Siebziger-Pioniere wie Black Sabbath oder Pentagram perfekt nachstellte, waren überall begehrt und fast jede Woche tauchte eine neue klangliche Sensation aus Schweden, Norwegen oder Holland auf. Die Könige dieser Bewegung waren jedoch ohne Zweifel Graveyard aus Göteborg, die mit ihrem 2011 veröffentlichten Hisingen Blues ein echtes Opus Magnum abgeliefert hatten. Unter den psychedelischen Retro-Giganten der letzten Jahre hält es sich noch immer einen sicheren Platz mit einem der breitesten Analog-Sounds seit den Originalen und einem beständigen Groove, der sie unter allen Artverwandten einzigartig macht. Kurzum eine Erfolgsstory, die aber leider nur von kurzer Dauer war. Noch im überschwänglichen Freudentaumel des überraschenden Erfolgs gefangen, veröffentlichten Graveyard wenige Monate später ihren Nachfolger Lights Out, ein komplett blutleeres und verwaschenes Album, das nicht nur mich wenig beeindruckte. Eine herbe Enttäuschung, die langfristig auch meine Motivation, mich mit Proto-Metal weiter auseinanderzusetzen, entkräftete. Und die letzten Jahre lief es nicht gerade rosig für das Genre: Viele einst beeindruckende Künstler machen mittlerweile nur noch sehr mittelmäßige Musik oder haben sich mit überstürzten Major-Deals verrannt. Und von Graveyard? Stille. Seit dreieinhalb Jahren hatte es kein neues Album der Schweden gegeben bis im Frühjahr 2015 die Bestätigung zu Innocence & Decadence kam. Die Zeit, in der sich ein großes Publikum für sie interessiert, war derweil vorbei und gewartet habe ich auf diese Platte schon lange nicht mehr. Umso überraschter war ich festzustellen, wie gut sie letztendlich geworden ist. Es sieht ganz so aus, als hätten Graveyard aus ihrer Torschlusspanik mit Lights Out gelernt und sich hier die Zeit genommen, ein hochwertiges und eben kein schnelles Album zu machen. Innocence & Decadence besticht wieder mit einem breiten, rockigen Sound und dreckig gespielten Gitarren und verfügt wieder über diese Killer-Melodien und Joakim Nilssons markerschütternden Gesang, der auf dem Vorgänger einfach fehlte. Zusätzlich beeindruckt die Band hier mit einigen schmissigen Soul-Nummern wie Too Much is Not Enough oder Exit 97, die teilweise an Otis Redding oder Aretha Franklin erinnern und die ich hier gar nicht erwartet hatte. Überhaupt ist der Ideenreichtum hier sehr erfrischend, da er nicht nur auf Classic-Rock-Elemente baut. Neben Soul ist auch uriger Blues sowie Funk- und Punk-Einflüsse zu bestaunen. 2015 beweisen sich Graveyard damit als Künstler, die ich so kreativ, energisch und zeitgemäß gar nicht eingeschätzt hätte. Nach Jahren, in denen die Schweden für mich mehr oder weniger erledigt waren, bin ich jetzt wieder gespannt, wie es mit ihnen weitergeht und ob sie sich noch mal aufrappeln. Einen besseren Startpunkt als Innocence & Decadence kann ich mir dafür nicht vorstellen. Nur bloß nicht wieder übermütig werden.
8/11

Beste Songs: Exit 97 / Too Much is Not Enough / Cause & Defect / Far Too Long

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu II (Spiedergawd):
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Review zu Berlin (Kadavar):
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Hit After Hit

DISCLOSURE
Caracal

Island Records
2015
















"Diese Disclosure, die haben doch alle in drei Monaten schon wieder vergessen" dachte ich mir eines Tages im Februar 2013 und beging damit einen schweren Denkfehler. Denn kaum jemand anderes hat in der Mainstream-Elektro-Szene seitdem so viel Wind gemacht wie die Gebrüder Lawrence. Der Einzugsbereich des britischen Dance-Duos ist in den vergangenen zwei Jahren von dem einer Indieband zu dem einer internationalen Sensation gewachsen. Spätestens als sie 2014 mit Lorde bei den Brit Awards auftraten, bekam auch ich eine Ahnung vom Potenzial, das in diesen beiden Jungs steckte. Seit einiger Zeit sind Disclosure nun schon Garant für qualitativ hochwertige Chartmusik und mit Caracal. ihrem zweiten Longplayer, wollen sie uns noch viel mehr von sich geben. Es gibt nur ein Problem: Das Albumformat ist nicht wirklich das bevorzugte Terrain dieser Künstler. Schon auf Settle, ihrem Debüt, war die Situation so, dass darauf jede Menge großartiger Single-Hits versammelt waren, doch die Bindeglieder zwischen selbigen irgendwie fehlten. Letztendlich wirkte das Ganze wie eine lieblose Sammlung toller Songs mit Gaststars aller Couleur. Und dass Disclosure dieses Rezept auch für Caracal beibehalten haben, ist nicht wirklich ein Fortschritt. Auf der einen Seite bin ich begeistert, dass die Briten sich nach wie vor bemühen, bei der Wahl ihrer Featured Artists kreativ zu bleiben. Neben Schwergewichten wie Sam Smith, the Weeknd, Lorde und Miguel richtet sich die Konzentration auch deutlich auf relativ unbekannte Talente wie Gregory Porter, Lion Babe und Jordan Rakei. Der Nachteil dieser vielen, vielen Gäste auf Caracal ist allerdings, dass den eigentlichen Akteuren selbst kaum Platz eingeräumt wird. Und das Problem ist nicht, dass die Lawrence-Brüder nicht das Zeug dazu hätten. Ihre Tracks sind in jedem Moment spannend, für ihr Genre nicht zu oldschool und fantastisch produziert. Doch selbst wenn man nicht nur oberflächlich die Tracks dieses Albums hört, fallen vor allem immer diejenigen auf, die die Gesangsparts übernehmen. Und da diese von der Art her sehr verschieden sind, reißt natürlich auch wieder das komplette Gesamtkonstrukt auf. Das ist ein bisschen schade, aber ich muss auch zugeben, dass es auf Caracal nicht einen Song gibt, der wirklich mies ist. Als Kompilation toller Single-Hits haben Disclosure hier also wieder ganze Arbeit geleistet. Letztendlich zählt vor allem das bei einer Band wie dieser. Schließlich werden auch mit dieser Platte die Charts dieser Welt um etwas bereichert, was nicht nur flache R'n'B-Grütze beinhaltet. Den Rest kriegen diese Jungs schon noch hin. Denn diesmal mache ich bestimmt nicht den Fehler, sie für eine Eintagsfliege zu halten.
8/11

Beste Songs: Holding On / Hourglass

Nicht mein Fall: Willing & Able

Weiterlesen:
Review zu Pure Heroine (Lorde):
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Review zu Beauty Behind the Madness (the Weeknd):
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Samstag, 3. Oktober 2015

Frühvergreisungsblues

KURT VILE
B'lieve I'm Goin Down

Matador
2015
















Erst kam der Tod von Jay Reatard, dann wurde Mac DeMarco langsam nervig und mit dem neuen Album von The War On Drugs können wir uns ziemlich sicher sein: Die große Zeit der Garagen-Songwriter ist 2015 vorbei. Das Genre ist zwar noch lange nicht auf verlorenem Posten, ein Ty Segall beispielsweise ist noch immer unermüdlich, doch man hört definitiv nicht mehr so viele Jubelschreie, wenn sich irgendein langhaariger Typ im Batik-Shirt hinsetzt und seine speckige Akustikgitarre ans Fuzz-Pedal anschließt. Und laut meiner Prognose ist das auch gut so, denn ein bisschen albern war die ganze Hysterie um diese kalifornischen Stoner-Sunnyboys schon. Und mit Kurt Vile war das ganz besonders so. Obgleich ich sein letztes Album Wakin On A Pretty Daze vor zwei Jahren ziemlich cool fand, konnte ich mit dem Musiker dahinter nie besonders viel anfangen, den ich ohne besseres Wissen ganz sicher auf über 50 geschätzt hätte. Und sein neues Album verstärkt diesen Eindruck noch. Vile hat zwar Lunte gerochen und sich von der garagigen Slacker-Mucke seiner Vorgänger auf B'lieve I'm Goin Down ein wenig distanziert, doch dass er jetzt klingt wie eine bekiffte Rabauken-Version von Tom Petty macht es nicht gerade besser. Die Fuzz- hat er gegen eine Westerngitarre getauscht und singt jetzt selbstironisch über das Leben. Witzig ist das hier nur bedingt und es verleiht dem eigentlich nicht untalentierten Vile hier eine etwas ekelhafte Liedermacher-Attitüde, mit dem sein Coolnessfaktor hierzulande schon auf Minus hundert gesunken wäre. Da er aber Amerikaner ist und es in Amerika diese Art von Musikern auch in glaubwürdig gibt (Mark Kozelek ist das beste Beispiel) kommt er mit diesem Album trotzdem durch. Ich verabscheue den Typen hinter den Songs auf B'lieve I'm Goin Down jetzt vielleicht noch mehr, aber ich kann ihm die guten Phasen, die er hier hat, nicht absprechen. That's Life Tho (Alomost Hate to Say) ist gar kein total schlechter Song und als Texter hat Vile einfach mal ein Talent. Um diese Platte wirklich zu versauen, reichen die offensichtlichen Unzulänglichkeiten nicht aus und für ein überzeugendes Ergebnis ist vieles zu leidenschaftslos und schwammig. Vielleicht würde die ganze Sache mit etwas mehr Reverb und Sixties-Farbgebung schon anders aussehen, doch dann wäre es ja auch schon nicht mehr zeitgemäß. Wenn Kurt Vile also verhindern will, dass man ihn weiterhin für diesen einen von Creedence Clearwater Revival hält, sollte er sich umgucken. Oder vielleicht will er es ja auch gar nicht anders...
5/11

Bester Song: Wheelhouse

Nicht mein Fall: Pretty Pimpin' / Life Like This

Weiterlesen:
Review zu Another One (Mac DeMarco):
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Review zu Manipulator (Ty Segall):
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Was zu beweisen war

DEAFHEAVEN
New Bermuda

Anti Records
2015
















Es gibt wohl kaum ein Album, welches dieses Jahr schon vor seinem Release so vorbelastet war wie New Bermuda. Im positiven wie negativen Sinne wird über den dritten Longplayer von Deafheaven wohl im Nachhinein weniger geredet werden als im Vorfeld. Zuerst mal reden wir hier über den Nachfolger von Sunbather, dem meiner Meinung nach wichtigsten Metal-Dokument des bisherigen 21. Jahrhunderts. Diesen Sachverhalt habe ich schon im Single-Review zu Brought to the Water zur Genüge auseinandergenommen (Link siehe unten). Auf der anderen Seite ist es aber auch gerade mal eine Woche her, dass eine Handvoll homophober, alter Twitter-Posts von Gitarrist Kerry McCoy im Netz die Runde machten, auch hierzu habe ich mich bereits geäußert. Was letzteren Sachverhalt angeht, habe ich mich in den vergangenen Tagen hinter jedes Interview geklemmt, das ich von der Band finden konnte und überall nur die Aussage erhalten, dass Deafheaven sich mittlerweile von solcherlei Haltungen distanzieren. Mir reicht das fürs erste, um New Bermuda vorbehaltlos zu behandeln, etwas mulmig ist mir dabei trotzdem. Was nicht besser dadurch wird, dass mir die neue Platte schon wieder sehr zusagt. Um die lästige Frage gleich aus dem Weg zu schaffen: Das neue Sunbather haben wir hier nicht, doch zum totalen Ausgleich fehlt hier wenig. Die Kalifornier machen ihren Vorgänger hier nicht nach, doch bieten hier nach wie vor ihre wahnsinnig kreative Kombination aus Black Metal, Shoegaze, Postrock, Indierock und Screamo an, die jeder hören will. Die Verfahrensweise dabei ist sehr interessant. Statt wie auf vorigen Alben ein perfektes Amalgam aus allen Stilen zu bilden, dröseln sie diese hier Stück für Stück auf und lassen starke Kontraste die Songs bestimmen. Finstere, ziemlich traditionell anmutendes Black-Metal-Riffing wird häufig gegen seichte, melancholische Postrock-Momente, oft auch mit Piano oder Akustikgitarre, ausgespielt. Zusammen mit George Clarkes Texten, in denen er sich mit einer unlängst überwundenen Depression auseinandersetzt, kommt man sehr schnell in das "neue" Deafheaven-Gefühl rein. Besonders tolles in Sachen unbekanntes Territorium wird hier durch das übergreifend großartige Thrash-Shredding geleistet und der Wah-Wah-Teil in Baby Blue zeigt kurz die psychedelische Seite an der Band auf. Alles in allem ist New Bermuda wohl das Album, das die Metal-Szene verändert hätte, wenn Sunbather nicht existieren würde. Es ist nicht ganz so perfekt und makellos wie sein Vorgänger, doch das will es auch gar nicht sein. Das Charisma der neuen Platte ist ein ganz anderes, doch in keinem Fall ein schwächeres. Das einzige, was diesmal fehlt, ist der mediale Aha-Effekt und das rosa Artwork. Aber solche Sperenzchen braucht so eine Band im Jahr 2015 eigentlich gar nicht mehr.
10/11

Beste Songs: Brought to the WaterLuna / Baby Blue / Come Back / Gifts From the Earth

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu Brought to the Water (Deafheaven):
zum Review

Review zu M (Myrkur):
zum Review

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