Mittwoch, 21. Oktober 2015

Simply Clever

JOANNA NEWSOM
Divers

Drag City
2015
















Eigentlich ist Joanna Newsom keine wirklich experimentelle Musikerin. Im Gegenteil: Ihre Songs stehen zumeist in einer sehr klassischen Folk-Tradition und sind zutiefst einer inneren Schönheit verpflichtet. Ebenso wie große Künstler der Pop-Geschichte, beispielsweise Nico, Bob Dylan oder Simon & Garfunkel, präsentiert die Kalifornierin Tracks, die gute Geschichten erzählen und nette Melodieverläufe haben, die mitunter sogar ins Klassische avancieren. Newsom spielt Harfe, eines der meiner Meinung nach edelsten Instrumente der Welt und ihre Stimme ist, da kann mir sicherlich auch jeder Hater beipfilchten, einzigartig. Dass das reicht, um sich in das musikalische Gedankengut kulturbeflissener Hörer tief einzugraben, haben ihre letzten Platten gezeigt. Und die Tatsache, dass fünf Jahre ohne neues Material daran nichts verändern können. Im Gegenteil: Das Ansehen der Künstlerin ist seit dem Longplayer-Triple Have One On Me von 2010 sogar noch gewachsen. 2015 spricht man den Namen Joanna Newsom mit großer Ehrerbietung aus und es gilt das ungeschriebene Gesetz, dass wer sie hört, einfach Ahnung von Musik haben muss. Ein neues Album hat es in einer solchen Situation nicht immer leicht. Doch eben jene zeitlose Simplizität, die dieser Frau eigen ist, schafft es auf Divers wieder, mich auf ihre Seite zu ziehen. Zwischen Country-Folk und sinfonischer Motette bekommt man hier ein durchaus anspruchsvolles, aber dennoch leicht dosiertes Gesamtwerk vorgesetzt. Newsom erzählt dabei ausführlich die wüstesten Stories und überrascht uns mit einer Vielzahl an exotischen Instrumenten. Der Opener Anecdotes eröffnet maximal episch mit Streichern, Sapokanikan überzeugt mit einem Flötensolo und in Waltz of the 101st Lightborne koloriert ein Akkordeon die liebliche Melodie. Das klingt imposant und das ist es auch. Doch wenn man bedenkt, dass jeder einzelne Track auf dieser Platte im Grunde eigentlich nur für Klavier komponiert ist und der Rest lediglich als Schmuckwerk existiert, ist das vor allem clever. Vor allem, weil wir hier von Songs reden, die in den meisten Fällen über fünf Minuten lang sind und bei denen kompositorisch mit einem Motiv nicht viel getan ist. Dass man Divers am Ende doch aufgrund der Blenderei so toll findet, ist natürlich klar. Doch man sollte wissen, dass dahinter echtes Handwerk steckt. Und dass Joanna Newsom keine klangliche Grenzerfahrung braucht, um so gut zu sein. Aber eigentlich braucht man das 2015 niemandem mehr erzählen. Die Frau steht eh kurz vor ihrer Heiligsprechung.
10/11

Beste Songs: Anecdotes / Sapokanikan / Divers

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu Have You in My Wilderness (Julia Holter):
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Review zu Michigan (Sufjan Stevens):
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