Donnerstag, 22. Oktober 2015

Augenzeugenbericht: Liturgy / Sun Worship (19.10. Dresden, Beatpol)

Geredet wird am heutigen Abend reichlich wenig. Ein knappes Dankeswort und die Ankündigung des letzten Songs sind alles, was Hunter Hunt-Hendrix zu sagen hat. Liturgy live hat mit Transzendenz-Theorie und Ego-Ansprüchen wenig zu tun. Eher mit einer Metal-Show im klassischsten Sinne. Bereits am Eingang begrüßt ein aufgeschlossen wirkender Bernard Gann die ersten Gäste und erörtert mit ihnen die beschwerliche Anreise durch die Dresdner Innenstadt. Eines der Crewmitglieder erklärt dem New Yorker daraufhin, was Pegida ist. Ob der am selben Tag stattfindende einjährige Geburtstag der rechten Bewegung auch der Grund ist, warum heute nur wenige Zuschauer den weg in den Beatpol finden, ist eine andere Frage. Das Publikum teilt sich ungefähr gleichmäßig in urbane Bohemians, Intellektuelle und "normale" Metalheads auf, unter die sich alsbald auch die Bandmitglieder mischen. Im echten Leben sieht Hunter Hunt-Hendrix nicht ganz so angsteinflößend wie im Internet aus, was man von Drummer Greg Fox schon eher behaupten kann. Im fancy Vogelscheuchen-Outfit und mit strengem Blick geistert er durch den Club und beäugt argwöhnisch die Anwesenden und die erste Band. Diese beginnt pünktlich um neun mit ihrem Konzert, das definitiv mehr als nur eine Erwähnung wert ist. Sun Worship aus Berlin spielen eine Mischung aus Noiserock, Doom- und Black-Metal, der nicht nur durch seine immense Lautstärke beeindruckt, sondern auch durch kompositorische Finesse und einen bestialischen Sound. Außerdem wird hier eine für Vorband-Verhältnisse ziemlich imposante Lichtshow geboten. Wie ein Support wirkt dieser Gig nicht, man hat eher das Gefühl, heute zwei Headliner zu sehen. Tatsächlich zweifelt man fast, ob Liturgy ihren Warm-Up-Act überhaupt toppen können. Denn mit dem Opener High Gold legen die vier erstmal einen eher holprigen Start hin. Der neuen Bühnenfassung fehlt leider ein wenig der Pep und dass Hendrix den Track jetzt singt, ist auch nicht seine beste Idee. Die anfängliche Unruhe ist mit den ersten Takten den anschließenden Follow jedoch wie weggeblasen und die nächste halbe Stunde, in der die New Yorker die komplette erste Hälfte von the Ark Work durchspielen, wird zum echten Erlebnis. Besonders die Performance von Quetzalcoatl ist ein echter Brecher. Das beste heute ist jedoch, dass es nicht Hendrix oder Greg Fox sind, die das Geschehen dominieren, sondern alle vier Musiker. Die komplizierten Arrangements der neuen Platte wurden für die klassische Besetzung umstrukturiert und nur die geloopten Vocals und eine Drum-Machine deuten darauf hin, dass dies nicht die originale Fassung ist. Und Experimente in der Umsetzung zahlen sich in diesem Fall aus. So wird beispielsweise der A-Capella-Song True Will hier mal eben zum Instrumentalstück und Glockenschläge zu Gitarrenakkorden. Beeindruckend ist das schon. Trotzdem platzt der Knoten bei großen Teilen des Publikums erst, als Liturgy als vorletzte Nummer den Riff-Banger Generation anstimmen. Und das nicht etwa, weil es sich hierbei um den bekanntesten Track der Band handelt, sondern weil sich hier auch endlich die Anspannung und der Perfektionsdrang der Akteure ein wenig löst. Nur ist danach das Konzert schon fast zu Ende. Der mir unbekannte Closer wirkt ein wenig verloren, Returner oder Reign Array wird heute nicht gespielt, ganz zu schweigen von einer Zugabe. Am Ende hat man trotzdem nicht das Gefühl, auf einem schlechten Konzert gewesen zu sein. Liturgy live ist ein großartig durchdachtes Spektakel, in dem weder billig die Studioversion eines Songs kopiert noch auf sichere Kisten gebaut wurde. Wie immer fordern die Amerikaner ihr Publikum heraus und wenn statt einer Moshpit sakrale Andacht im Beatpol Einzug hält, ist das vielleicht auch genau das, was diese Musik hervorrufen soll. Dafür stehen Liturgy schließlich mit ihrem Namen.

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