Freitag, 9. Oktober 2015

Digital ist besser

DIE NERVEN
Out

Glitterhouse
2015
















Ruhig sind die geworden, die Nerven aus Stuttgart. Und ein bisschen zahm auch. Das kann doch eigentlich nicht mit rechten Dingen zugehen. Ich erinnere mich noch, als die Band 2012 mit ihrem ersten großen Demo Asoziale Medien auf der Bildfläche aufschlug und meine Auffassung von deutschem Punkrock mit dem Metermaß umkrempelte. Damals setzten die Schwaben bei ihrer Musik auf klare Symbole (Facebook-Logo, zum Kreuz verfremdet) und klare Ansagen (ich verweise nochmals auf den Titel der Platte), die man zwar akustisch kaum verstehen konnte, doch die neugierig auf mehr machten. Und dieses mehr haben wir in den letzten Jahren bekommen. Vor allem mit dem 2014 veröffentlichten Fun wuchsen die Nerven zu stattlicher Größe heran und wurden mehr als nur die Pöbel-Band, die sich durch die AJZs der Republik den Hintern abtourt und nur auf DIY macht, weil es nicht anders geht. Nach ihrem letzten Album standen dem Trio goldene Zeiten bevor. Warum zum Teufel wünsche ich mir beim Hören von Out also die Ästhetik ihres Debüts zurück? Was macht ein zusammengerüpeltes Keller-Tape besser als den bisher vielleicht aufwendigsten Nerven-Longplayer? Zuerst mal finden sich viele Parallelen zwischen Asoziale Medien und Out. Auf beiden Platten geht es textlich vor allem um die Schattenseiten der digitalen Vernetzung, um den kollektiven Hass auf Apple-Produkte und um die Überwachung selbiger. Doch wo die Band vor drei Jahren mit viel Frust, Galle und hintergründigem Humor gegen alles wetterte, was einen Touchscreen hatte, fehlen den neuen Stücken irgendwie die Aussagen. Riegers abstrakte Texte waren großartig auf einem introvertierten Werk wie Fun, doch bei so konkreten Themen wie hier sind Sätze wie "Du trägst eine Wüste in dir" nicht wirklich der angemessene Ton. Dazu kommt hier die musikalische Auskleidung, die ebenfalls wenig mit Radikalität zu tun hat. Aus dem zähnefletschenden Postpunk der Stuttgarter ist spätestens hier lauwarmer Postrock geworden, der die Inhalte der Tracks nicht mehr akzentuiert, sondern nur noch untermalt. In Wüste traut die Band sich sogar ein halbgares Desert-Rock-Riff zu, das auch noch die letzte Glaubwürdigkeit mit Füßen tritt. Dass die Nerven damit als politische Musiker zum Scheitern verurteilt sind, kann ich so nicht sagen. Trotzdem hätte ich hier lieber noch ein kränkelndes Psycho-Poeten-Machwerk gehört wie Fun oder gleich einen Blutzucker-Pusher wie Fluidum. Mit dem Ergebnis hier bin ich zumindest überhaupt nicht zufrieden. Out ist mit Sicherheit das bisher schlechteste Nerven-Album und lässt mich sorgenvoll in die Zukunft der Band blicken. Der Blick in ihre Vergangenheit hingegen wird immer verlockender...
5/11

Bester Song: Gerade deswegen

Nicht mein Fall: Wüste

Weiterlesen:
Review zu Fun (die Nerven):
zum Review

Review zu Viet Cong (Viet Cong):
zum Review

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