Dienstag, 13. Oktober 2015

Retro-Review: Auf allen Festen

TOM WAITS
Rain Dogs

Island Records
1985
















Die Diskografie von Tom Waits ist in 40 Jahren künstlerischer Aktivität alles andere als überschaubar und ich befinde mich eigentlich nicht in der Position, darüber zu urteilen, welches seiner zahllosen Alben nun das beste sein soll. Trotzdem empfinde ich Rain Dogs zumindest als einen würdigen Kandidaten für, sagen wir, die Top Five der besten Waits-Platten. Und dabei ist es für mich nicht der Sound seiner Übergangsphase von der Kneipenmusik zum experimentellen Songwriter-Zirkus und kein übergreifendes Gesamtkonzept, das ausgerechnet diesen Longplayer für mich so interessant macht, sondern etwas viel simpleres: Rain Dogs ist zum Bersten voll mit verdammt guten Songs. Tatsächlich gibt es hier in 53 Minuten ganze 19 Stück davon und nicht ein einziger ist auch nur im entferntesten mittelmäßig. Neben ein paar ewigen Waits-Klassikern wie Jockey Full of Bourbon oder Anywhere I Lay My Head beeindruckt der Songwriter hier vor Allem durch seine Vielfalt. Man hört hier klassischen Blues (Gun Street Girl), berstigen Rock'n'Roll (Union Square), schrulligen Jazz (Tango Till They're Sore) und das alles serviert mit dem rauhbeinigen, kaputten Charme, den nur ein Tom Waits so hinbekommt. Jeder Track erzählt dabei seine eigene Geschichte und fast immer möchte man diese nicht selbst erlebt haben. Die Lieder von Verlust, unerwiderter Liebe, Tod und Schmerz sind die des Typen, als den man sich den Kalifornier gerne vorstellt: Als einen an der Bar sitzenden Verrückten, der den Mann am Tresen bis in die frühen Morgenstunden hinein mit den kummervollen Tiraden über seine heimtückische, schwarze Seele nervt. Dass Tom Waits dieser Typ nie gewesen ist, muss man hoffentlich niemandem mehr sagen. Auch wenn das natürlich nach wie vor an seiner Legende nagt. Doch auch als den Vollblutkünstler, der er tatsächlich war, kann man ihn hier erleben. Auf einem schier unendlichen Arsenal an Instrumenten bläst, schlägt, streicht und zupft sich der Tausendsassa hier um sein Leben, was auch klanglich keinen Song dem anderen gleichen lässt. Auf anderen Platten wäre mir das vielleicht etwas zu zerpflückt, doch als roter Faden ist Waits als Sänger vollkommen ausreichend. Es fühlt sich ein bisschen an, als würde er in kürzesten Abständen auf einer Hochzeit, in einem Nachtclub, auf einer Beerdigung und in einer geschlossenen Psychatrie spielen. Und überall spielt er aus vollstem Herzen. Die spürbare Leidenschaft für seinen Job ist es vielleicht auch, die am Ende das große Geheimnis des Künstlers Tom Waits ist. Und diese Platte ist so proppevoll davon, dass es manchmal fast ein bisschen viel ist. Aber sie ist deshalb auch eine seiner besten. Wenn nicht gar die allerbeste.

Beste Songs: Jockey Full of Bourbon / Time / Rain Dogs / Gun Street Girl

Nicht mein Fall: Big Black Mariah

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