Dienstag, 31. August 2021

Abgeliefert

CHVRCHES - Screen ViolenceCHVRCHES
Screen Violence
Vertigo
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ eingängig | synthetisch | hymnisch ]
 
Ich werde auf diesem Format nicht müde festzustellen, was für eine unfassbar gute Band Chvrches in der letzten Dekade gewesen sind und anhand der Dinge, die ich über sie geschrieben habe, lässt sich das inzwischen auch ziemlich lückenlos nachweisen. Mit drei Alben seit 2013, die mindestens alle ziemlich gelungen - in der Regel sogar ganz schön fantastisch - ausfielen, sind sie in der Zeit, in der ich mich aktiv mit Musik beschäftige, einer der konsistentesten Acts überhaupt. Und das nicht nur mit monumentalen Hits wie the Mother We Share, Leave A Trace oder Graffiti, sondern auch mit kohärenten Gesamtwerken auf LP-Format, die alle durch die Bank Banger sind. Man könnte ihnen dabei sicher irgendwie vorwerfen, dass sie sich als Band stilistisch nicht groß entwickelt haben und nunmehr seit gut einer Dekade im gleichen Rezept steckenbleiben, doch sprechen die Ergebnisse in meinen Augen eine andere Sprache. Wobei ich ganz eindeutig auch Screen Violence, ihre vierte und neueste Platte, mit einbeziehe, über die mit diesen wenigen Parametern eigentlich auch schon das wichtigste gesagt ist: Noch immer machen Chvrches hier jene Art von hymnischen Synthpop, der schon ihr Debüt so cool machte und noch immer machen sie ihn fantastisch. Iain Cooks und Martin Dohertys instrumentales Backing schneidet, ballert und blendet mit der gleichen Kraft wie 2013 und dass Lauren Mayberry zu meinen absoluten Lieblings-Vokalist*innen gehört, kann ich nicht oft genug betonen. Wenn es etwas besonderes und anderes an Screen Violence gibt, dann ist das allerhöchstens der prominente Gastauftritt des erlauchten Robert Smith in How Not to Drown (der gut ist, aber nicht so gut wie alles von Mayberry) und die etwas rockigeren letzten beiden Tracks, ansonsten ist das hier Chvrches nach Reißbrett. Und das ist an dieser Stelle wie gesagt alles andere als eine Kritik. Denn solange das Schema F der SchottInnen so funktioniert wie es hier nach wie vor funktioniert, werde ich mich definitiv nicht beschweren. Klar kann man vielleicht ganz dezent anmerken, dass das Energielevel hier um wenige Prozentpunkte im Vergleich zum Vorgänger sinkt und es erstmal keinen ultimativen Megahit als Opener gibt, aber sind das wirklich mikroskopische Haare in einer formvollendeten Drei-Sterne-Suppe, die Chvrches inzwischen mit einer bemerkenswerten Routine zubereiten. Und viel mehr bleibt über Screen Violence deshalb auch nicht zu sagen. Es ist für jemanden wie mich, der immer auch ein bisschen von der Erklärung eines Tonträgers zehrt, sicher ungewöhnlich, trotz eines so gelungenen Longplayers nicht viel erklären zu können, da man das alles schon zig mal vorher gemacht hat. Ein Problem ist das aber auch von meiner Seite aus überhaupt nicht. Die Platte ist gut und ich kann bei einer kurzen Besprechung früher Feierabend machen. Win-Win also, wenn ihr mich fragt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
Asking for A Friend | He Said She Said | California | Violent Delights | How Not to Drown | Final Girl | Good Girls | Lullabies

Nicht mein Fall
-


Hat was von
the Naked & Famous
Recover

M83
Hurry Up, We're Dreaming


Montag, 30. August 2021

Mit Verschmachtung

Drangsal - Exit StrategyDRANGSAL
Exit Strategy
Caroline
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ eingängig | zweifeld | weich ]

In Interviews zu seiner neuesten LP redet Max Gruber gerade sehr viel darüber, wie bewusst die Hinwendung zur Seichtigkeit auf Exit Strategy passiert ist. Wie sehr es ihm hier darum ging, von der Düsternis und Kunstigkeit seiner zwei ersten Alben zumindest musikalisch Abstand zu nehmen und Songs zu schreiben, die auch mal leicht zu verdauen sein können. Sieht man sich die Entwicklung seiner Klangästhetik in den letzten fünf Jahren an, ergibt das auch durchaus Sinn. Schon immer war der Berliner nicht ausschließlich der entrückte Postpunk-Vampirfürst, als der er 2016 seinen Durchbruch hatte, sondern in meinen Augen sehr vorbildhaft darin, Geschmacksgrenzen auszuloten und dämlichen Indie-Snobismus zu zerstreuen. Was sich nicht zuletzt auch in seiner eigenen Musik wiederspiegelte, die bereits mit seinem zweiten Album Zores wesentlich zarter ausfiel und sich gerade textlich immer wieder auf unsicheres, mitunter kitschiges Territorium bewegte. Exit Strategy fühlt sich drei Jahre später wie die konsequente Vollendung dieser Evolution an, auf der Drangsal sich als durchaus softes und gefälliges, nie jedoch beliebiges Projekt wiederfinden. Dass es hier dick gezuckerte Hooks wie die von Urlaub von mir, schlagerige Streicherparts, Songtitel wie Schnuckel und relativ wenige oberflächlich grantige Momente gibt, ist in meinen Augen mit das größte Wagnis dieser LP. Und es ist ein Fakt, dass Gruber sich mit so gut wie allem, was er hier tut, weit auf dünnes Eis begibt. Musikalisch vor allem dadurch, wie großzügig er an vielen Stellen den Schmalz aufträgt, textlich dadurch, wie er diesen anschließend wieder konterkariert. Denn nimmt man mal die lyrische Seite dieser Platte für sich, ist es schnell vorbei mit Kitsch und Schalala. Exit Strategy ist Drangsals erstes komplett in deutsch geschriebenes Album, auf dem sich der Berliner sehr tiefgreifend mit eigenen Ängsten und Zweifeln auseinandersetzt. Eine Gemengelage, die an vielen Stellen dann auch sehr dreckig werden kann. Da geht es in Liedrian um toxische Beziehungsverhältnisse, in Schnuckel (vermutlich) um einen Stalker und in Urlaub von mir um die eigene Selbstentfremdung. Große Zerreißprobe ist für mich dabei erneut Grubers Sprache, die all diese Dinge auf der einen Seite sehr poetisch rahmt, auf der anderen aber auch immer an der Grenze des Cringe balanciert. Ähnlich wie bei seiner Komposition ist der Berliner auch in seinen Lyrics stetig dabei, mit Erwartungen zu brechen und seinen eigenen Schreibstil experimentell zu pushen. Für mich macht ihn das schon seit seiner letzten LP zu jemandem, der in den besten Momenten zu den besten deutschen Pop-Texter*innen gehört, der großartig mit Vokabular jongliert und Begrifflichkeiten poetisiert, die für andere meist zu sperrig sind. Nicht immer gelingt ihm das aber optimal, und gerade wenn in Schnuckel sehr billige Haus-Maus-Reime eingesetzt werden (die garantiert absichtlich so platt formuliert sind) oder an manchen Stellen eine sehr willkürliche Grammatik angewandt wird, sträuben sich mir schon mal die Nackenhaare. Dass Drangsal diese Grenzen textlich wie kompositorisch ausreizt, finde ich theoretisch klasse, doch führt es letztlich auch dazu, dass ich so gut wie keinen Song hier durchweg stilsicher finde. Es gibt hier durchaus viele gute Momente und gerade was Botschaften angeht, würde ich vieles hier gerne mehr mögen. Mädchen sind die schönsten Jungs ist im Sinne einer nonbinären Empowerment-Hymne in meinen Augen einer der wichtigsten Tracks des Jahres und viele einzelne Zeilen treffen einen Punkt in mir, den wohl wenige andere Songwriter*innen so präzise finden würden. Dennoch ist das Gesamtergebnis hier mal wieder äußerst durchwachsen und in bestimmten Punkten leider etwas zu bewusst unberechenbar, um noch die Qualität des Songs im Blick zu haben. Was Max Gruber für mich ein weiteres Mal zu einem Musiker macht, der im Sinne der Progressivität deutscher Popmusik wichtige Arbeit tut, der aber nach wie vor kein eigenes gutes Album schreiben kann. Und nichts würde ich mir inzwischen mehr von ihm wünschen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠⚫⚫⚫⚫ 06/11

Persönliche Höhepunkte
Escape Fantasy | Mädchen sind die schönsten Jungs | Rot | Urlaub von mir | Karussell

Nicht mein Fall
Liedrian | Ich bin nicht so schön wie du | Schnuckel


Hat was von
All diese Gewalt
Andere

White Lies
Ritual


Samstag, 28. August 2021

Stark vereinfacht

LEONIDEN
Complex Happenings Reduced to A Simple Design
Irrsinn Tonträger
2021

 
 
 
 
 
 
 
[ ambitioniert | simplifiziert | eingängig ]

Es wäre untertrieben zu sagen, dass Leoniden in den letzten Jahren eine Band gewesen wären, die ich nicht besonders mochte. Als Teil des leider doch sehr omnipräsenten letzten Wurmfortsatzes deutscher Zwotausender-Indierockbands, zu denen auch andere persönliche, ähem... Lieblinge wie Giant Rooks, Von wegen Lisbeth oder Milky Chance gehören, waren sie viel eher gesagt lange eine Band, die mich wie wenige andere kolossal ankotzte. Ihr reibungsarmer, gefällig-schlaffrockiger Ansatz an die Indiepop-Variante, die dereinst Gruppen wie die Kooks, die Wombats oder Alt-J schon komplett ausreizten, war in meinen Augen maximal langweilig und bot keinerlei künstlerischen Mehrwert. Und gerade die Tatsache, dass sie damit so viel Bohei um sich machten, ließ sie mich oft noch ein bisschen leidenschaftlicher verachten. Weshalb ein Album wie dieses hier, auf dem die Kieler scheinbar zur kompletten strukturellen Überhöhung ihrer belanglosen Ästhetik ansetzen, auf mich wie eine ziemliche Tabuzone wirkte. 21 Tracks haben sie hier geschrieben, insgesamt fast eine Stunde Spielzeit damit gefüllt und dem ganzen auch noch diesen unfassbar pretenziösen Titel gegeben, der wahrscheinlich wirken soll wie die deutsche Exportversion von the 1975. Und ja, ganz unpassend sitzt dieser Vergleich hier definitiv nicht. Auch wenn es für das Quintett aus Schleswig-Holstein noch einiges braucht, um an die monumentale Selbstgeilheit eines Matty Healy heranzukommen, sehe ich durchaus den Einfluss, den er hier hatte. Auch Leoniden schmücken sich auf vielen Songs hier mit exotischen Einflüssen und versuchen sehr oft, experimentell zu sein, allerdings nie unter Aufopferung einer elementaren Eingängigkeit. Wobei wir an dem Punkt wären, an dem Complex Happenings Reduced to A Simple Design mich dann doch ziemlich positiv überrascht hat. Denn gerade in dem Versuch, vielleicht ein bisschen weniger eine Popgruppe zu sein, werden sie hier eine ziemlich gute Popgruppe, die in Sachen Songwriting, Sound und Liebe zum Detail einen Riesenschritt nach vorne macht. Unter den fast zwei Dutzend Stücken auf diesem Album sind fast alle unglaubliche Hits, die durch eine funkigen, mitunter fast tanzbaren Vibe auffallen, großartige Hooks aufbauen können und dabei auch technisch beeindruckend sind. Zum ersten Mal höre ich hier begeistert dem Einsatz einzelner Instrumente zu, bin immer wieder erstaunt, was diese Band mit Synthesizern anstellt und wie gut Jakob Amr hier plötzlich als Sänger geworden ist. Mit den fünf verbrückenden Interludes und Gastbeiträgen von Drangsal, Pabst und Ilgen-Nur bringt die Platte außerdem ein paar echt witzige linke Haken ein, die erstaunlich gut über die Bühne gehen. Mit etwas Fantasie und Interpretationsgabe kann man hinter vielen dieser Tracks sogar eine Art übergreifende Grundidee entdecken, die ich jetzt einfach mal wild konspiriere. So habe ich ganz im Sinne des Titels den Eindruck, dass Leoniden hier tatsächlich versuchen, eine Reihe schicker und relativ simpler Popsongs über Themen zu schreiben, die für solche Strukturen eigentlich nicht gemacht sind. Da geht es in New 68 um soziale Umbrüche der vergangenen Jahre, in Dice um das Wagnis des Ausprobierens neuer Dinge, in Funeral um Zusammenhalt in Krisenzeiten und in Boring Ideas in einer nicht unspannenden Metaebene um den künstlerischen Prozess. Man muss dabei auf jeden Fall sagen, dass all diese Themen alle ziemlich verkürzt behandelt werden und rein lyrisch merkt man Amr auf jeden Fall an, dass englisch eben nicht seine Muttersprache ist, doch scheint genau das hier auch die Absicht gewesen zu sein: Eine vereinfachende, simple Form dieser Sachverhalte darzustellen, die nicht als theoretische Abhandlung, sondern als Playlist-Material funktioniert. Besser macht das die etwas schwierigen Momente dieser Platte am Ende zwar auch nicht, als Idee finde ich es aber zumindest interessant. Zumal die musikalische Ausarbeitung an vielen Stellen eben so viel besser ist als auf allen Vorgängern der Band. Leider noch immer nicht so, dass ich plötzlich völlig von den Socken wäre und die furchtbaren ersten zwei Alben der Kieler gleich vergessen würde, aber immerhin so, dass ich hier eine ganze Menge meiner generellen Verachtung gegen sie ernsthaft überdenken muss. Was bei einem Ausgangspunkt wie dem meinen schon eine ganze Menge ist. Glaubt mir.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Intro (Stuck On Repeat) | Paranoid | New 68 | Complex Happenings (Pt. 1) | Home | Where Are You | Boring Ideas | Complex Happenings (Pt. 3) | Deny | Complex Happenings (Pt. 5) | Broken Pieces | Dissapointing Life

Nicht mein Fall
-


Hat was von
the 1975
A Brief Inquiry Into Online Relationships

Portugal. the Man
Woodstock


Donnerstag, 26. August 2021

Ungeliebte Verehrung

Wolves in the Throne Room - Primordial Arcana WOLVES IN THE THRONE ROOM
Primordial Arcana
Relapse
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ traditionell | finster | verspielt ]

Als ich vor etwa zehn Jahren das erste Mal ernsthaft damit anfing, mich für die härteren Gangarten von Metal - insbesondere Black Metal - zu interessieren, eilte einer Band wie Wolves in the Throne Room in der gängigen Folklore der Szene ein Ruf als geniale Umbruchsgeister und Visionäre voraus. Im gerade aufkeimenden Hype um junge US-amerikanische Gruppen wie Deafheaven, Liturgy oder Krallice kam dem Brüderduo aus den Wäldern des pazifischen Nordwestens gemeinsam mit Acts wie Lantlôs und Agalloch die Rolle von kreativen Pionieren zu, die erstmals seit den Urvätern des Genres in den Achtzigern so etwas wie eine eigene, amerikanisch Exklusive Klangästhetik von Black Metal formulierten, die sich von den Vorbildern aus Norwegen ziemlich radikal abgrenzte. Ihre Version dieser Musik war atmosphärisch und warm, nahm Elemente aus Postrock, Shoegaze und hippiesker Mystik in sich auf und verzichtete auf stachelbesetzte Unterarme und Leichenschminke. Und während der ersten Hälfte der Zwotausendzehner waren Wolves in the Throne Room definitiv eine Band, die diesem Ruf weiterhin gerecht wurde (Mindestens 2014 mit Celestite, auf dem die beiden ziemlich spontan einen Exkurs in die Welt des ambienten Synth-Drone wagten). Erst als 2017 ihr bis dato letztes Album Thrice Woven erschien, spürte man davon plötzlich nicht mehr viel. Nach Jahren der plakativen Abgrenzung zum üblichen Szene-Traditionalismus schrieben sie ein klein wenig eine ausführliche Liebeserklärung an den eisigen Schredder-Sound aus Skandinavien und klangen dabei zwar weiterhin klasse, aber eben nicht mehr wirklich fortschrittlich. Und würde ich mit ihrer neuen LP Primordial Arcana kurzen Prozess machen wollen, könnte ich an dieser Stelle eigentlich genau das gleiche Schreiben. Denn in einer einigermaßen ausführlicheren Version und mit etwas mehr Anlauf im Songwriting reproduzieren die Weaver-Brüder hier ein weiteres Mal das, was sie schon auf ihrem Vorgänger erfolgreich reproduziert hatten. Aber wo das strukturell durchaus eine Kritik wäre und ich natürlich gerne sehen würde, wie sich diese Band kreativ weiterbewegt, bin ich insgesamt doch alles andere als unzufrieden mit dieser LP. Zum einen, da sie mir am Ende ja trotzdem mehr von dem toll gemachten Metal-Sound gibt, den ich schon das letzte Mal so mochte, zum anderen weil diesmal auch die Technik stimmt. Wenn es eine Sache gibt, die mich an den großen Wolves-Klassikern wie Diadem of 12 Stars oder Two Hunters immer besonders genervt hat (ich bin auch generell nicht der größte Fan dieser Platten, aber das sei mal dahingestellt), dann ihr etwas matschiger und billiger Gesamtklang, den das Duo inzwischen um einiges besser beherrscht. Indem sie sich hier ein paar klarer Bezüge aus dem klassischen Black-, sowie aus Heavy- und Pagan Metal bedienen, machen sie ihre Ästhetik zudem um einiges vielfältiger und actionreicher. Zwar mögen einige der dungeonsynthigen Keyboard-Passagen wie in Underworld Aurora oder Masters of Rain and Storm für Fans von früher vielleicht kitschig und albern wirken, für mich runden sie aber in vielen Momenten den gespenstischen Vibe dieser Songs ab. Gleichsam mag man vielleicht ernüchtert von den sehr unatmosphärisch-ruppigen Riffs sein, die es in Primal Chasm oder Spirit of Lightning gibt, doch finde ich gerade diese Elemente teilweise das beste an diesen Songs. Und wenn im Closer Eostre nochmal das new-agige Ambient-Instrumentarium rausgeholt wird, ist das fast schon wieder ein bisschen wie damals bei Celestite. Will man also knackig formulieren, was der wesentlicht Charakter von Primordial Arcana ist, könnte man behaupten, dass es vor allem denjenigen Black Metal-Fans gefallen wird, die eine Band wie Wolves in the Throne Room bisher eigentlich nicht mochten und denen diese Musik oft zu indirekt, zu schwurbelig und zu krampfhaft DIY war. Mit diesem Album gehen die Brüder Weaver - mehr noch als mit Thrice Woven - den Weg der Klassiker und zeigen, dass sie auch diese Spielart ihrer Zunft sehr gut beherrschen. Und nicht unbedingt innovativ sein müssen, um klanglich richtig abzusahnen. Wofür sie ja nun, da atmosphärischer Black Metal einmal in die Charts und zurück gewandert ist, auch wirklich niemand mehr braucht.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
Mountain Magick | Spirit of Lightning | Through Eternal Fields | Primal Chasm (Gift of Fire) | Underworld Aurora | Masters of Rain and Storm | Eostre

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Tempel
the Moon Lit Our Path

Behemoth
the Satanist

Dienstag, 24. August 2021

Hyper Hyper

TRIPPIE REDD
Trip at Knight
1400 Entertainment Inc. | TenThousand Projects
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ hedonistisch | farbenfroh | exzentrisch | schrill ]

Dass ich Trippie Redd im Laufe der letzten ein bis zwei Jahre als einen der stärksten und konsistentesten Protagonisten aus den Nachwehen des Soundcloud-Rap schätzen gelernt habe, ist zu diesem Zeitpunkt hinreichend auf diesem Format dokumentiert. Und wie wenige andere Rapper*innen basiert sein gutes Standing bei mir fast ausschließlich auf der Art und Weise, wie er mit seinen Platten jene vibigen Streamrolling-Cloud-R'n'B-gerne-auch-Emo-LP-Ästhetiken realisierte, die ich durch ihn erst so richtig mögen lernte. Im Sinne seines Sounds bedeutete das aber auch, dass einer seiner größten Selling Points sein Gespür für smoothe Beats, relaxte Flows und generelle Abgedröhntheit war, die Platten wie Pegasus, ! oder A Love Letter to You 4 so stimmig machten. Was seinen fünften Longplayer Trip at Knight zunächst zu einem Projekt machte, dem ich ein wenig skeptisch gegenüber stand. Ganz einfach deshalb, weil es zum ersten Mal in der Karriere des Kaliforniers diese Rezeptur ändert. Und das ziemlich radikal. Mindestens was die instrumentale Seite dieses Albums angeht, dreht es das fluffig-wolkige Vibe-Konzept Trippies bisheriger Alben komplett auf 180 und setzt auf eine musikalische Untermalung, die eher im Elektropop, Future Bass und Hyperpop zuhause ist. Was im Klartext heißt: Das komplette Backing dieser LP klingt wie eine ziemlich schrille Mischung aus den Sachen, die Timbaland Ende der Zwotausender machte, der denkbar bratzigsten Version von Atzen-EDM (die zeitlich ja etwa in der gleichen Phase einzuordnen ist), übersteuerten Trap-Beats, wie man sie von Playboi Carti kennt und dem Mastering der letzten Platten von 100 Gecs und Dorian Electra. An sich ist das ja eine klangliche Mixtur, die ich schon irgendwie geil finde und die auf jedem Fall am Puls der Zeit ist. Nur hatte ich anfangs leichte Sorgen, ob sie die richtige für jemanden wie Trippie Redd wäre, den ich ja eigentlich eher als sanften, schmusigen Autotune-Crooner schätzte. Doch waren diese Bedenken wie sich herausstellt mehr als unbegründet, da Trip at Knight in meinen Augen vielleicht die beste Platte des Kaliforniers bis hierhin geworden ist. Und das tatsächlich aus dem simplen Grund, weil sie in ihren etwas mehr als 45 Minuten eine unwahrscheinlich schrillbunte, ultrahedonistische Poprap-Party abfackelt, die extrem viel Spaß macht. Highlight sind dabei natürlich die übelst trashigen Instrumentals, die irgendwo zwischen Nostalgie, Futurismus und surrealem Fiebertraum pendeln und an manchen Stellen auch so herrlich plump produziert sind, dass sie in jenes noisig-experimentalpoppige Territorium übergehen, das von der zeitgenössischen Hyperpop-Szene okkupiert wird. Trippie selbst häutet seine Performance dabei ebenfalls gehörig und ist in vielen Songs hier so krachig und actiongeladen wie noch nie zuvor in seiner Karriere. Sicher gibt es auch noch einige Tracks, in denen er sein typisch murmeliges Gecroone abfährt, aber wirkt selbst dieses hier um einiges präsenter und schärfer als auf den meisten seiner Vorgänger. Nicht, dass ich diese nachträglich diskreditieren will, ich mag sie immer noch genauso gerne wie vorher. Nur bin ich ganz einfach überrascht, wie souverän dieser Künstler hier noch einmal etwas völlig anderes macht und dabei von Null auf Hundert so rasiert. Bei allem Respekt, den ich für Trippie Redd schon bisher hatte, wirkte er auf mich doch nie wie ein ästhetisches Chamäleon oder ein visionärer Crossover-Spezialist. Genau das ist er hier aber in seinen besten Momenten und selbst in denen, die "nur" gut gemachter Poprap sind, fährt er seinen besten Grind seit Jahren. Wenn ich etwas an Trip at Knight auszusetzen habe, sind es hauptsächlich strukturelle und theoretische Dinge wie der angedeutete, aber offen gelassene Rückbezug zum Debütalbum Life's A Trip oder die Tatsache, dass hier ein weiteres Album sehr intensiv auf Gastparts verstorbener Rapper zurückgreift (in diesem Fall XXXtentacion und JuiceWRLD), obwohl die eigentlichen Features eigentlich echt gut sind. Rein musikalisch muss ich aber sagen, dass mich diese LP nicht nur durchweg überzeugt, sondern Trippie Redd in meiner Gunst sogar nochmal ein Level höher schiebt. Wo er vorher verhältnismäßig guten Cloudrap produzierte, der wenigstens für sein unmittelbares Umfeld beispielhaft war, macht er spätestens hier eines der womöglich besten Rap-Alben der gesamten Saison. Und das nicht unbedingt auf die Art wie ich erwartet hatte, aber definitiv mit Wirkung.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
MP5 | Finish Line | Holy Smokes | Super Cell | Miss the Rage | Demon Time | Matt Hardy 999 | New Money | Space Time | Baki | Rich MF

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Playboi Carti
Whole Lotta Red

100 Gecs
1000 Gecs

Montag, 23. August 2021

Good Feeling

Lorde - Solar PowerLORDE
Solar Power
Universal
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ optimistisch | hippiesk | organisch | erfrischend ]

Es wäre ja die eine Sache, wenn die Albumzyklen von Lorde nur deshalb eine solche Sensation wären, weil sie als internationaler Superstar die Weisheit besitzt, sich Zeit mit ihren Platten zu nehmen. Vier Jahre vergingen seit ihrem Debüt jeweils bis zur Fertigstellung von deren Nachfolgern und dass sie sich gerade in der Periode zwischen Melodrama und dieser neuen LP auch sehr bedeckt hielt, finde ich persönlich eine sehr sympathische Eigenart ihrer Karriere. Doch ist die eigentliche Großartigkeit an ihr in meinen Augen die, dass sie es im Zuge dieser langen Arbeitsphasen auch tatsächlich schafft, sich mit ihren fertigen Produkten völlig neu zu definieren und künstlerische Statements zu setzen. Schon ihre erste LP von 2013 hatte - wenngleich eher zufällig - eine starke Aussagekraft und was dessen Nachfolger von 2017 angeht, empfinde ich es gar nicht erst als nötig, noch einmal über dessen universelle Beliebtheit und seinen nachhaltigen Status als grandioses Pop-Meisterwerk zu fachsimpeln. Und natürlich würde ich mich einer solchen Einleitung nicht bedienen, wenn ich der Meinung wäre, dass Solar Power diesem Trend Abbruch tut. Im Gegenteil: Diese LP schafft es erneut sehr erfolgreich, sich klanglich, kompositorisch und inhaltlich von der restlichen Diskografie von Lorde abzusetzen. Zwar bedeutet das in meinem Fall mal wieder, dass sie um einiges daran scheitert, wirklich großartig zu sein, doch schafft sie nichtsdestotrotz eine ganze Reihe von Momenten, die ich absolut offenbarend finde. Angefangen beim klanglichen Aufbau über die großartige technische Ausarbeitung bis zu den lyrischen Thematiken ist diese Platte erneut ein sehr kunstvoll gestaltetes Gesamtkonzept, von dem ich sowohl übergreifend als auch in den Details beeindruckt bin. Wobei die auffälligste Veränderung zu Lordes Vorgänger sicherlich die Tatsache ist, dass die Künstlerin sich größtenteils akustischer und teilweise fast schon folkloristischer Instrumentierung bedient, die in krassem Kontrast zu den dicken Synth-Flächen auf Melodrama stehen. Im Internet bezeichneten einige Solar Power zuletzt als ein Singer-SongwriterInnen-Album, was ich vielleicht doch ein bisschen zu weit gefasst finde. Für mich steht es eher in der Tradition der letzten Sachen von Haim oder den Fleet Foxes, die sehr organisch und überschaubar, aber trotzdem nicht minimalistisch waren. Wobei ich an einzelnen Stellen auch viel Abba, Billie Eilish, St. Vincent oder Kate Bush (an die mich Lorde sowieso immer mehr erinnert) heraushöre. Was man auf jeden Fall sagen kann ist, dass diese neue klangliche Ausrichtung hier für viele echt coole kompositorische Entscheidungen verantwortlich ist, in denen sich Lorde erneut als äußerst talentiere Songschreiberin offenbart. Ebenfalls erwähnenswert ist dabei auch mal wieder die Produktionsarbeit von Cheftüftler Jack Antonoff, der die Ideen der Künstlerin wunderbar in Szene setzt und in jedem Moment das Optimum aus allen Instrumenten herausholt. Über Lordes Leistung als Texterin bin ich nach dem recht überzeugenden Melodrama hier zwar wieder gespaltener Meinung, muss ihr aber durchaus zugestehen, dass sie hier ein starkes Narrativ zu erzeugen versteht. Viele Songs auf dieser LP setzen sich mit der Flucht der Künstlerin aus dem toxischen Umfeld des Popstar-Lebens und dem erneut gefundenen Frieden bei Freund*innen und Familie auseinander, wobei man definitiv die Leichtigkeit spürt, die Solar Power auch lyrisch zu vermitteln sucht. Songs wie Mood Ring oder der Titeltrack, die als Singles vor allem sommerliche Feelgood-Hits waren, werden im Kontext des Albums zu starken Moodsettern, die jede Menge positive Energie ausstrahlen. An anderen Stellen wie Stoned at the Nail Salon, Fallen Fruit oder Leader of A New Regime wird die Platte zwar auch sehr nachdenklich, allerdings niemals so unmittelbar pessimistisch oder deprimiert wie viele vergleichbare Pop-Platten aus den letzten Jahren. Und am Ende des Tages sind es für mich die peppigen, optimistischen Momente, die den Charakter dieses Albums primär ausmachen, was ich allein schon der Abwechslung wegen super finde. Die Dinge, die mich letztlich daran hindern, Solar Power mehr zu mögen, sind nicht mehr als Details, doch häufen sich diese stellenweise doch ziemlich: Tracks wie the Man With the Axe oder Big Star, die einfach etwas eigenschaftslos sind, einige doch sehr cringige Textpassagen, das ziemlich pretenziöse Outro von Secrets From A Girl oder wie wenig Oceanic Feeling aus seinen sechseinhalb Minuten Spielzeit macht. Solche Dinge sind schade, denn vom Spirit her ist Solar Power - genauso wie sein Vorgänger - ein absolutes Meisterwerk und zeigt so viel vom unglaublichen Talent dieser Künstlerin, doch steht die Umsetzung dem erneut etwas im Weg. Und obwohl Lorde mit ihren 24 Jahren ja noch sehr viel Zeit hat, als Songwriterin zu wachsen, ist es doch extrem schade, dass mit letztlich der Zugang hierzu fehlt. Denn dass sie sich gerade in einer wahnsinnig spannenden Phase ihrer Karriere befindet, ist eine objektive Erkenntnis und diese wird sich eben nicht einfach wiederholen. Zumal man sich sicher sein kann, dass sie in der Zeit die ihr nächster Longplayer dauern wird, schon wieder eine ganz andere sein wird. Und wie wir inzwischen wissen, kann das Warten bis dahin lang werden.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡08/11

Persönliche Höhepunkte
the Path | Solar Power | Stoned at the Nail Salon | Mood Ring

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Billie Eilish
Happier Than Ever

Haim
Women in Music Pt. III


Sonntag, 22. August 2021

Du musst gar nichts

Deafheaven - Infinite GraniteDEAFHEAVEN
Infinite Granite
Sargent House
2021

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ gediegen | verträumt | leicht ]

Lange während ihrer inzwischen über zehnjährigen Karriere haben sich Deafheaven von den selbsternannten Verteidiger*innen der Black Metal-Szene den Vorwurf anhören müssen, dass sie ja eigentlich gar keine richtige Metalband seien. Dass ihre Songs viel soft wären, sie ihren Sound über zu weite Strecken verwässerten und überhaupt und allgemein viel zu viele Fremdeinflüsse zuließen, um ihr Produkt noch zweifelsfrei das selbstempfundene Genre-Gütesiegel zu verpassen. Und obwohl derlei in den Äther gesprochene Reinheitsgebote natürlich kompletter Blödsinn sind und Deafheaven in meinen Augen sogar eine der besten Metalbands der vergangenen Dekade waren, zeigt ihr neues Album auf eine verquere Weise schon irgendwie, dass die Purist*innen recht hatten. Denn wenn diese Band will, muss sie eben auch keine Metalband sein und kann beliebig viele andere Sachen spielen. Wobei Infinite Granite erstmals in ihrer Karriere die Entscheidung ist, genau das zu tun. Abgesehen von zwei oder drei Songs, in denen George Clarke im großen Finale nochmal den dämonischen Keifgesang auspackt und die Gitarren mächtig schreddern, ist das hier eine LP, die sich vollends den Stilen widmet, die auf früheren Alben der Kalifornier immer noch etwas die zweite Geige spielten: Shoegaze, Postrock, Emorock und vielleicht ein bisschen Indie- und Dreampop zum Abschmecken. Wobei Infinite Granite an manchen Stellen durchaus einen klaren Schnitt setzt, in vielen Punkten aber auch Ideen der letzten Platten einfach fortführt. Schon Ordinary Corrupt Human Love, ihre letzte LP von 2018, brachte Dinge wie cleane Gesangspassagen, flachere Dynamiken und stärkere Emo-Einflüsse in den Sound der Band ein und dass Anteile von Metal-Einflüssen zu Nicht-Metal-Einflüssen relativ gleich verteilt sind, ist eine Eigenschaft von Deafheaven seit ihrem ersten Demotape. Nur machten die lauten und brachialen Passagen auf mich immer viel mehr Eindruck, weshalb es jetzt ziemlich cool ist, die andere Seite mal so exponiert zu hören. Und sicher, auch ich hatte anfangs ein bisschen die Sorge, dass Infinite Granite dadurch ein entscheidendes Element fehlen würde. Schließlich lebte die Ästhetik der Kalifornier bis dato von ihren starken Dynamiken, die es hier in dieser Form nicht gibt. Doch gelingt es der Band einerseits, diese auch im kleineren Rahmen zu erzeugen und erleben Deafheaven hier andererseits einen Höhepunkt als gelassene und gerne auch mal poppige Band. Wobei auch das kein Wunder sein sollte, denn Emo und Shoegaze konnten sie vorher schon genauso super. In die ersten beiden Songs muss man sich zugegebenermaßen noch eine ganze Weile eingrooven, spätestens ab Great Mass of Color lösen sich hier aber viele Knoten und das Album wird kontinuierlich stärker. Vieles hier erinnert mich dabei sehr positiv an die klassische Diskografie von Ride oder Slowdive, an einigen Stellen auch mal an Mogwai oder die Cocteau Twins und George Clarke als Sänger hat sowohl lyrisch als auch gesanglich etwas eigenartig Morissey-haftes, das sich wunderbar mit den Gitarrenpassagen von Kerry McCoy ergänzt. Ein weiteres Mal muss ich an dieser Stelle auch meine Begeisterung für Drummer Dan Tracy aussprechen, der hier mehr denn je zum Rückgrat der Gruppe wird und in vielen Momenten dafür sorgt, dass die Spannung nicht abfällt. Und schlussendlich gibt es eben auch Sachen wie das synthpoppige Neptune Raining Diamonds, die auf dem Papier völlig absonderlich scheinen, wider Erwarten aber fantastisch in das klangliche Konzept der Platte passen. Dass Deafheaven dabei ein weiteres sehr solides Album machen, hat aber nichts damit zu tun, dass sie mich trotz des Fehlens von Drum-Kaskaden und monumentalen Screamo-Berserkergängen hier irgendwie bei Laune halten, es ist die Natürlichkeit dieses Moves, der mich überzeugt. In aller Theorie mag Infinite Granite ein Stilbruch sein, in meinen Augen fühlt er sich aber nicht wie einer an. Deafheaven machen hier einfach souverän weiter das, was sie seit über zehn Jahren erarbeiten, und motten einen Teil ihres Sounds auch mal ein, um damit weiterzukommen. Ob vorrübergehend oder dauerhaft, wird dabei erst die Zukunft zeigen, doch habe ich an diesem Punkt nicht das Bedürfnis, dass diese Band sich langfristig entscheidet, ob sie nun eine Metalband sein will oder nicht. Diese lästige Stilfrage haben sie schließlich nicht umsonst vor Jahren abgeschüttelt. Jetzt zeigt sich, wie sie damit freigeistig und geschmackvoll umgehen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡08/11

Persönliche Höhepunkte
Big Mass of Color | Neptune Raining Diamonds | Villain | the Gnashing | Other Language | Mombasa

Nicht mein Fall
Shellstar


Hat was von
Slowdive
Slowdive

Kraus
Path


Samstag, 21. August 2021

Benny From the Block

Benny the Butcher - Pyrex PicassoBENNY THE BUTCHER
Pyrex Picasso
Rare Scrilla | BSF
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ großkotzig | fett | feierlich ]

Normalerweile ist der Release-Katalog, den allein die offiziellen Solo-LPs der drei wichtigsten MCs von Griselda Records in einem Jahr zusammenbringen, ja schon umfangreich genug, dass es mir schwer fällt, diesen hier zu allen Zeiten Besprechungs-technisch abzudecken. Und es war in der Vergangenheit bereits öfter der Fall, dass ich selbst das nicht hinreichend schaffte. Dass ich im vorliegenden Artikel nun über eine eher unscheinbare EP aus ebendiesem Katalog schreibe, mag angesichts dessen erstmal verwirrend wirken und ich möchte an dieser Stelle auch unmissverständlich klarstellen, dass es diesbezüglich bei einer Ausnahme bleiben soll. Denn eigentlich ist es tatsächlich so, dass ich für sowas lieber keinen ausführlichen Post bemühe. Nur ist Pyrex Picasso, das inzwischen bereits dritte Release von Benny the Butcher in diesem Jahr, nicht weniger als das gelungenste Griselda-Projekt der bisherigen Saison sowie vielleicht das beste in der gesamten Diskografie des New Yorkers. Und da auch seine sonstigen Longplayer meist keine 35 Minuten überschreiten und er nach aktuellem Stand auch irgendwie mein persönlicher Liebling unter den drei Hauptakteuren des Labels ist, wollte ich das hier einfach noch etwas ausführlicher empfehlen als in einem bloßen Senf-Artikel oder einen Nebensatz beim nächsten Artikel über ihn. Was Pyrex Picasso dabei mal wieder so besonders macht, ist die Art, wie er sich hier zum dritten Mal in dieser Saison musikalisch häutet und sich in einem völlig neuen klanglichen Gewand präsentiert. Nach dem glamourösen Poprap-Sound auf the Plugs I Met 2 und dem düster-souligen linken Haken auf Trust the Sopranos (das ich inzwischen ein bisschen weniger mag als ursprünglich, aber trotzdem immer noch ziemlich stabil finde) ist diese EP dabei so etwas wie seine großkotzige Paraderunde, mit der er nochmal richtig die dicken Eier raushängen lässt. Als Soundkulisse wählt er dafür die dick aufgetragenen Gangsterrap-Motive der frühen Zwotausender, die sehr an die klassischen Phasen von Jay-Z, Nas, Cypress Hill oder die frühen Soloplatten von Ghostface Killah erinnern und für die diesmal hauptsächlich Producer Chop La Rok verantwortlich ist. Der Opener Flood the Block ist direkt ab der ersten Sekunde einer der größten Banger der gesamten Griselda-Historie und fühlt sich endgültig nicht mehr an wie schummriger Drogendealer-Rap, sondern nach großer Bühne und Rockstar-Ansprüchen. Und obwohl die EP mit den fünf folgenden Songs wieder etwas mehr im üblichen Wheelhouse des Labels ankommt, hört man hier trotzdem in jedem Moment die fetteste und bombastischste mögliche Version davon. Als eloquente Dauergäste geben sich dabei Conway the Machine, Elcamino und Rick Hyde die Klinke in die Hand, die einer wie der andere fantastisch abliefern und das hier an vielen Stellen noch klassischer und cooler wirken lassen. Meine beiden Lieblingssongs, the Iron Curtain und das schon besagte Flood the Block, sind aber am Ende trotzdem die, die Benny und sein Beatmaster allein bestreiten. Und nachdem es gerade er war, der sich noch im vergangenen Winter sichtlich schwer damit tat, den Übergang zu einem massentauglicheren Pop-Sound zu finden, hat er diesen spätestens hier schon fast perfektioniert. Der große Unterschied zu Platten wie Plugs 2 oder Burden of Proof ist dabei, dass er hierfür keinen Teil seiner rotzigen Badass-Attitüde kompromitieren muss und trotzdem maximal eingängig klingt. Eben genauso, wie es Jay-Z einst gemacht hat. Fehlt nur noch, dass er das jetzt auch noch auf einem richtigen Longplayer durchziehen kann. Wenn er nicht in drei Monaten schon wieder auf einem komplett anderen Dampfer sitzt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
Flood the Block | PWRDRL | 73 | the Iron Curtain

Nicht mein Fall
-
 
 
Hat was von
Jay-Z
the Blueprint
 
Cypress Hill
Till Death Do Us Part
 
 

Donnerstag, 19. August 2021

Aus dem Ärmel

$uicideboy$ - Long Term Effects of Suffering$UICIDEBOY$
Long Term Effects of Suffering
G59 Records
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ sadistisch | selbstzerstörerisch | finster ]

Ich war zugegebenermaßen ein bisschen late to the party, als ich letztes Jahr mit Stop Staring at the Shadows zum ersten Mal ein Projekt der $uicideboy$ besprach, das zu diesem Zeitpunkt lediglich das letzte Kapitel einer regelrechten Flut an EPs, Kleinformaten und Mixtapes darstellte, die seit mindestens 2014 von ihnen erschienen waren. Dass ich von denen bis heute noch immer nur einen winzigen Bruchteil gehört habe, hält mich aber nicht davon ab, seitdem trotzdem vieles zu feiern, was die Jungs aus New Orleans so veranstaltet haben. Zwar war es in der Zeit nach Stop Staring at the Shadows erstmal auch wieder relativ ruhig um die Band geworden (was nach der Reizüberflutung davor auch ziemlich nötig war), doch landete das besagte Mixtape zum Ende der Saison immerhin unter meinen zehn liebsten Platten und machte mich sehr neugierig auf mehr. Mit Long Term Effects of Suffering kommt dieses jetzt sogar in größerer Kapazität als erwartet, nämlich in Form ihres zweiten offizellen Longplayers nach I Want to Die in New Orleans von 2018. Zwar ist so eine Unterscheidung im Falle dieser Band größtenteils eine nominelle, da auch dieses Projekt gerade mal etwas über 30 Minuten lang ist und sich auch sonst wenige Extravaganzen gönnt. Egal ist das aber insofern, dass auch diese LP wieder mal richtig klasse geworden ist und die üblichen ästhetischen Parameter hier ein weiteres Mal zum besten funktionieren. Im allgemeinen Verhältnis des Katalogs der $uicideboy$ dürfte das hier zu den ruhigeren Sachen gehören, was aber keinesfalls heißt, dass hier nicht ordentlich die Post abgeht. Von den oldschooligen Memphis-Beats über den kratzbürstigen Maschinengewehr-Flow von Ruby da Cherry bis zu den edgy-nihilistischen Texten und Songtiteln (persönlicher Favorit: If Self-Destruction Was an Olympic Event, I'd Be Tonya Harding) sind hier alle meine liebsten Attribute des Duos reichlich vorhanden und so gut wie jeder Song macht unglaublich Spaß. Sicher kann ein Teil meiner ungetrübten Freude über dieses Album damit zu tun haben, dass ich von den $uicideboy$ bisher noch nicht allzu viel Zeug gehört habe und daher nicht einer Übersättigung anheim Falle, die viele Fans der ersten Stunde vielleicht mittlerweile haben, doch sehe ich das wenn überhaupt als einen Vorteil und bin andererseits der Meinung, dass diese Band trotz allem sehr beeindruckend ist. Wenn diese beiden Jungs es schaffen, einen dermaßen tighten Output-Kalender zu halten (selbst mit "nur" einer Platte im Jahr ist die Quantität ihrer Releases noch ziemlich ordentlich) und dabei nicht an Ideen für gute Songs zu verlieren, zeigt das in meinen Augen ein krasses Talent für ihre Materie. Und ich denke, dass ich niemandem hier von den tausend anderen Rapper*innen da draußen erzählen muss, die mit wesentlich weniger Musik an ihre kreativen Grenzen gekommen sind. Insofern ist diese Besprechung also vor allem eine weitere Verneigung vor der Konsistenz dieses Duos, ganz zu schweigen von der Verkündigung eines weiteren Traprap-Favoriten der Saison von ihnen. Und das kann von mir aus gerne zur Gewohnheit werden.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
Degeneration in the Key of A Minor | If Self-Destruction Was an Olympic Event, I'd Be Tonya Harding | 5 Grand at 8 to 1 | Lighting the Flames of My Own Personal Hell | New Profile Pic | Bleach | Avalon | Ugliest | the Number You Have Dialed is Not in Service

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Princess Nokia
Everything Sucks

Ghostemane
Anti-Icon
 
 

Mittwoch, 18. August 2021

Dark Ambient

Ka - A Martyr's RewardKA
A Martyr's Reward
Die-Ai-Wei
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ biografisch | melancholisch | düster ] 

Es ist als Künstler*in im allgemeinen und nicht nur im musikalischen Bereich immer eine ziemlich gute Sache, wenn man sich mit dem, was man kreativ erschafft, über eine gewisse Zeit etwas erarbeitet, das man als eigene schöpferische Persönlichkeit und Handschrift bezeichnen kann. Etwas, das das eigene Schaffen von dem anderer unterscheidet und im Optimalfall auch noch eine Sache ist, die man besonders gut kann und die über lange Zeit immer wieder neue Möglichkeiten bietet, unterschiedlich angewendet zu werden. Und wenn man mich persönlich fragt, haben wenige Künstler*innen - besonders im Bereich Hiphop - in der vergangenen Dekade diese Entwicklung so lehrbuchhaft vollzogen wie der New Yorker Rapper Kaseem Ryan alias Ka. Auf insgesamt vier Platten (drei davon solo, eine als Teil des Duos Hermit & the Recluse), die über jeweils sehr unterschiedliche Metaphern und Parallel-Narrative die Realität des Gangster-, beziehungsweise Hiphop-Lifestyles schilderten, schuf er zwischen 2013 und 2020 einen lyrischen Stil, der ziemlich unverwechselbar und intelligent war und in meinen Augen für mindestens eines der besten Rap-Alben des gesamten Jahrzehnts sorgte. Der Nachteil daran war spätestens auf der letzten LP dieser Serie aber auch, dass diese Art des Schreibens für ihn ein bisschen zu sehr zur Masche wurde und immer neue Analogien auf die gleichen Grundkonflikte anwendete, die irgendwann doch sehr monoton wurden. Weshalb ich mir für den weiteren Verlauf seiner Karriere zuletzt vor allem wünschte, dass Ka diese Struktur ein wenig aufbrechen würde. Wobei ich keine Zweifel hatte, dass er grundsätzlich das Zeug dazu hatte. Sowohl als Beatmaster als auch als Lyriker war er ja auch ohne die besagten Konzepte talentiert genug, um diverse andere Themen zu illustrieren und spannende Stories zu erzählen. Und wie zum Beweis ist seine neue LP A Martyr's Reward nun das auch Werkstück, das genau das zeigt. Mit der nicht uninteressanten Einsicht, dass sie dafür nicht mal viel an der Grundidee der letzten Alben ändern musste. Inhaltlich gesehen ist das hier eine weitere Platte, die tief verwurzelt im New Yorker Gangster-Milleu spielt und dabei vor allem dadurch besticht, wie lebensecht und düster sie dieses beschreibt. Noch immer hat Kas Erzählweise dabei etwas sehr schummrig-Film Noir-mäßiges und noch immer ist er als Storyteller ziemlich unschlagbar. Indem er auf diesen Songs aber vor allem wieder Episoden aus seinem eigenen Leben erzählt und dabei vor allem auf seine Jugend eingeht, zieht er die ganze Thematik auf eine persönliche Ebene, die in vielen Punkten nochmal eindrücklicher ist als die abstrakte Philosophie eines Honor Killed the Samurai oder Knight's Gambit. Wobei Martyr's Reward am Ende auch nicht nur ein Album ist, das mich lyrisch beeindruckt, sondern auch durch seine Musik positiv auffällt. Eine Sache, die bei Ka bisher eher im Hintergrund stattfand und nicht mehr war als der Backdrop für das aufwendige Storytelling. Obwohl auch diese Platte eigentlich eher unauffällig produziert ist und auf eine sehr ruhige und zurückhaltende Ästhetik setzt, bin ich gerade davon hier unglaublich beeindruckt. Im Unterschied zu den letzten Alben, die einfach nicht besonders auffällig sein wollten und viel Platz für die Lyrics ließen, finde ich in diesen Beats eine sehr bewusste Ruhe, die sich wahnsinnig gut in die Narrative einfügt. Denn mit Ruhe ist hier nicht etwa gemeint, dass die Songs entspannt oder gar chillig wären, viel eher sind sie durch ihre minimalistische Art mitunter ein wenig bedrohlich und tragen sehr gut die emotionale Schwere dieser Platte. Eine Schwere, die nicht zuletzt durch Kas unaufgeregt-klaren Flow nochmal wunderbar ergänzt wird. Song-technisch gibt es dabei durchaus vereinzelte Highlights, nur finde ich - wie schon bei seinen besten Alben aus der Vergangenheit - besonders die Art cool, wie der Rapper alle Tracks in einen kohärenten Gesamtflow zusammenkocht, bei dem auch gerne mal mehrere klangliche Motive pro Stück ineinander greifen. Mit dem Resultat, dass A Martyr's Reward am Ende vor allem eins ist: 40 Minuten großartig aufbereitetes Storytelling von einem der eingespieltesten Hiphop-Künstler der letzten zehn Jahre, der hier einen seiner besten Longplayer überhaupt macht. So on point wie hier war Ka seit dem grandiosen Honor Killed the Samurai von 2016 nicht mehr, wobei ich sogar noch vorsichtig ergänzen würde, dass diese Platte in vielen Punkten nochmal wie eine Weiterentwicklung der dort stattfindenden Ideen und Sounds ist. Soll heißen: So gut wie hier war der New Yorker vielleicht noch nie. Was allermindestens zeigt, dass es manchmal richtig viel bringt, aus der eigenen Komfortzone auszubrechen. Selbst wenn diese schon richtig super war.
 
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
Everybody Up | Sad to Say | I Notice | Like Me | Subtle | With All My Heart | Enough Praise / Recovering | Be Grateful | Having Nothin'

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Conway the Machine
From King to A God

Billy Woods
Terror Management