Freitag, 21. Mai 2021

Ist das noch Artpop?

St. Vincent - Daddy's HomeST. VINCENT
Daddy's Home
Loma Vista Recordings
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ trashig | verwirrend | melancholisch ] 

Es gab eine Zeit vor nicht allzu vielen Jahren, da hätte Annie Clark die neue Kate Bush werden können. Ein Liebling der konservativen Musikpresse ist sie sowieso schon seit ihren ersten Platten, ab Anfang der vergangenen Dekade schien sie aber auch wirklich in diese Rolle zu wachsen. Sachen wie ihr selbstbetiteltes Album von 2014 oder Strange Mercy von 2011 hatten eine fast schon royale Aura von Artpop-Pose, die allein deshalb unbedingt respektiert gehörte, weil Clark diese unglaublich ownte. Dass sie darüber hinaus auch wirklich eine extrem kreative und spannende Künstlerin war, machte das umso einfacher. Irgendwann Mitte der Zwotausendzehner muss die New Yorkerin dann aber an einem bestimmten Punkt falsch abgebogen sein, denn Stand jetzt ist von ihrem einstigen Glanz nur noch wenig übrig. Schon auf ihrem letzten Album Masseduction von 2017, das programmatisch den großen Stilbruch übte, fühlte man eine gefährliche Tendenz zu einer gewissen Trash-Ästhetik und Woody-Allen-Comedyhaftigkeit, die zwar irgendwie romantisch war, zu einer so noblen und erhabenen Künstlerin wie St. Vincent aber überhaupt nicht zu passen schien. Die Platte selbst war am Ende halb so schlimm, trotzdem fühlte es sich irgendwie wie ein stilistischer Knick an. Und keiner in die gute Richtung. Als würde Marina Abramowicz plötzlich beim Promidinner mitmachen oder Lars von Trier romantische Komödien drehen. Und weil Annie Clark eine durchaus konsequente Musikerin ist, wird diese Ästhetik auf Daddy's Home leider auch noch weiter vertieft. Schon Titel und Artwork lassen dabei wieder dieses umschwebende Gefühl von Falschheit aufkommen, weil einfach alles wirkt wie bei einem richtig schlechten Neo-Soul-Album aus den späten Zwotausendern. Kein Territorium, in dem ich St. Vincent bisher wirklich gesehen hätte. Und wo solche Ahnungen auf dem Vorgänger zum Glück noch größtenteils fehlgeleitet waren, muss ich hier leider sagen, dass sie sich mittlerweile auch in den Songs bestätigen. Vom Sound her ist diese LP auf dem Level eines sehr billigen Jazzpop-Abklatsches, wie man sie von Norah Jones, Liz Phair oder so ziemlich jeder Songwriterin kennt, die in den Neunzigern mal einen Grammy gewonnen hat. Die Songs haben keinen Grip, sind irgendwie sanft und trotzdem nervig, die Produktion ist viel zu glatt und verwaschen, trotzdem wird auf Teufel komm raus versucht, dem Zeug irgendwie ein "Soul"-Etikett zu verpassen. Wo sich darin auf den ersten vier Tracks noch eine gewisse Attitüde bewahren kann und St. Vincent wenigstens würdevoll neues probiert, kippt Daddy's Home danach mehr oder weniger direkt in totales Wischiwaschi um. Die drei Interludes dieses Albums sind als einfach nur überflüssige Songs noch irgendwie annehmbar, in den Songs dazwischen wird es aber sehr schnell wüst: Somebody Like Me ist Midlife-krisiger Countryschlager von der ganz üblen Sorte, in Down gibt es viel zu viele unnötige Spuren, die völlig chaotisch ineinander grätschen und My Baby Wants A Baby klingt wie die schnarchigste Bowie-Remineszenz, die ich mir vorstellen kann. Es ist dabei fast bemerkenswert, wie kompositorisch und technisch alles aus dem Ruder läuft, was aus dem Ruder laufen könnte. So liegt der fülligen Instrumentierung mit Saxofonen, Slide-Gitarren und Sitar (sehr viel Sitar) zwar potenziell ein kreativer Gedanke zugrunde, der sich aber nie in tatsächlich gutem Songwriting äußert und an den meisten Stellen darüber hinaus furchtbar gemixt ist. Auch Clarks Gesang, der eigentlich immer ihre stärkste Waffe war und selbst einige schlimme Entscheidungen auf Masseduction erträglich machte, klingt hier plötzlich sehr langweilig und nölig, was auch die cringigen Texte nicht besser machen. Vor allem ist mir aber völlig schleierhaft, wieso in Gottes Namen St. Vincent so eine Platte machen wollte. Alben wie Daddy's Home sind normalerweise solche, die mittelalte Songwriter*innen dann machen, wenn sie künstlerisch ausgebrannt sind und nur noch den Weisungen ihres Labels Folge leisten. Und so sehr der Verfall bei Annie Clark auch einen Trend beschreibt, sehe ich sie künstlerisch an und für sich nicht an diesem Punkt. Dass sie sich bewusst für Stilbrüche dieser Art entscheidet, spricht ja für ein nach wie vor existentes kreatives Feuer, dass sich nur leider auf die dümmstmögliche Art und Weise zu äußern scheint. Und herausfordernder ist ihre Musik ja bei alledem auch nicht geworden. Mehr noch als nach Masseduction muss ich also mit der Feststellung schließen, dass mir diese Frau ein Rätsel geworden ist. Und nicht mehr wirklich eines, das mich neugierig macht.

🔴🔴🔴03/11

Persönliche Höhepunkte
Down and Out Downtown | Daddy's Home | Live in the Dream

Nicht mein Fall
the Melting of the Sun | Humming (Interlude 1) | Down | Somebody Like Me | At the Holiday Party | Candy Darling | Humming (Interlude 3)


Hat was von
Haim
Women in Music Pt. III

Liz Phair
Liz Phair


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