Montag, 31. Mai 2021

Satire seine Mutter

K.I.Z - Rap über HassK.I.Z
Rap über Hass
Vertigo Berlin
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ vulgär | asozial | hässlich | großartig ]
 
Es ist im Mai 2021 keine Neuigkeit mehr, dass K.I.Z eine Band ist, die musikalisch gerne mal über die Strenge schlägt. Seit mittlerweile über 20 Jahren sind sie in der ganzen Bundesrepublik für ihre vulgären und asozialen Texte berühmt und berüchtigt, von denen explizite Gewalt, schlechte Manieren und grausame Bildsprache quasi der hauptsächliche Selling Point sind. Und es ist auch nichts neues, dass Leuten das ab und zu übel aufstößt, wie man hier gleich im Intro des titelgebenden Openers hört. Was mir im Zuge dieses neuen Albums jedoch das erste Mal aufgefallen ist, ist dass Kritik an ihnen inzwischen auch zunehmend aus dem Spektrum kommt, aus dem sie selbst stammen. Insbesondere junge Linke wettern im Internet aktuell gegen die Berliner und Rap über Hass, was mich ehrlich gesagt ein bisschen verwundert. Erstens deshalb, weil diese Inhalte ja absolut nichts neues sind und zweitens deshalb, weil ich dachte, dass solche Nörgeleien der konservativen Mutti-Fraktion dieser Welt vorbehalten sind. Sicher sind die Jokes und Lyrics von K.I.Z nicht für jedes Gemüt was und ich kann durchaus verstehen, dass man vieles davon vielleicht geschmacklos findet, ihnen ernsthaften Problematismus zu unterstellen, passt in meinen Augen allerdings nicht ganz. Es ist absolut offensichtlich, dass die Musik auf Rap über Hass, genauso wie die Musik dieser Band früher - ein ekelhaftes Zerrbild von Rap- und Horrorcore-Klischees ist und primär dazu dienen kann, Sachen wie Misogynie, Gewaltherrlichkeit und Hassrede in der Szene zu begegnen, die Andere Künstler*innen wesentlich ernster meinen. Und zu sagen, K.I.Z wären deshalb problematisch, hat für mich etwas von dem Argument aus den Neunzigern, dass Killerspiele und Marylin Manson verantwortlich für Amokläufe seien. Sicher gibt es einige, die Musik wie diese in den falschen Hals bekommen, doch sehe ich das zu kritisierende Element dabei nicht in der Band dahinter, sondern in den besagten Hörer*innen. Ich sage das, weil ich das Gefühl habe, hier einen sehr positiven Eindruck verteidigen zu müssen, den anscheinend wenige dieser LP entnehmen. Was ich auch irgendwie verständlich finde, denn nach einer ganzen Weile des provokativen Rückzugs ist Rap über Hass eine Platte, die ganz bewusst an diese Grenze geht. Und von der ich finde, dass sie K.I.Z als Gruppe wieder sehr viel interessanter macht. Nachdem die letzten beiden Alben der Berliner ja verhältnismäßig zaghaft waren und mit Hurra die Welt geht unter sogar einen ziemlich unkontroversen Konsens-Hit produzierten, dachte ich, man wäre aus der pubertären Troll-Phase heraus und würde jetzt doch endlich die Pop-Lorbeeren abgreifen. Zumal im letzten Dezember mit Und das Geheimnis der unbeglichenen Bordellrechnung ja die asoziale Pöbel-Seite von K.I.Z schon auf einem Mixtape von der Leine gelassen wurde und die Vermutung nahelegte, dass solche Inhalte auf dem richtigen Album eher die zweite Reihe einnehmen würden. Stattdessen ist die fertige LP aber nicht weniger als ein Meisterwerk des überzogenen Psychopathen-Rap geworden, den ich bei ihnen so lange vermisst habe. So gut wie jeder Song hier holt aus dem Konzept der zugekoksten, gewaltbereiten Hartkanten-Ästhetik das absolute Maximum raus und liefert dabei geniale Punchlines ohne Ende. Der Unterschied zum eher skizzenhaften Bordellrechung-Tape ist dabei, das auch noch fast alle Songs riesige Banger sind. Mit Tracks wie Ich ficke euch (alle), Unterfickt und geistig behindert (dessen Hook richtig gut bei den Beastie Boys geklaut ist), Mehr als nur ein Fan und dem fast hymnischen Kinderkram kriegen es K.I.Z ein weiteres Mal hin, Texte an den Außengrenzen des schlechten Geschmacks mit einer fast schon verbotenen Eingängigkeit zu vereinen, die sicherlich auch in entsprechenden Chartplatzierungen resultiert. Wobei auch die Stücke in der zweiten Reihe definitiv alles andere als Deep Cuts sind und selbst halbe Interludes wie Ja oder 2 Nicos gehörig ballern. Zum ersten Mal muss ich bei dieser Band außerdem sagen, wie cool ich die musikalische Ausarbeitung und die Produktion hier finde. K.I.Z waren für mich früher immer eine Band, die Beats, Hooks und gutes Mastering irgendwie als schmückendes Beiwerk betrachteten, was selbst ihre besten Texte oft ein bisschen dürftig präsentierte. Auf Rap über Hass allerdings nimmt das Thema Instrumentals erstmals eine zentralere Rolle ein und wird auch direkt richtig gut gemacht. Sicher ist die Musik dann nicht gleich auf Kanye West-Niveau (klangästhetisch eher auf dem der letzten Orsons-Sachen), doch klingt sie weder so öde noch so altbacken und tumb wie auf vielen alten Platten. Nimmt man letztlich also alles zusammen, was dieses Album ausmacht, so muss ich ehrlich gestehen, wie sehr mich seine Qualität doch überrascht. Eigentlich alles, was an diesen Songs gemacht wurde, wurde richtig gut gemacht und auch als konzeptuelles Gesamtwerk haut das hier vorne und hinten hin. Es fühlt sich zwar in diesem Moment noch ein bisschen komisch an, das hier als eines meiner bisherigen Highlights von ganz 2021 zu bezeichnen, zumal ja schon die Bordellrechnung bei mir richtig abräumte, praktisch ist es das aber ganz einfach. Und kontrovers finde ich das für mich persönlich eigentlich kein bisschen. Zumindest solange mich dieses Album nicht zum Töten von Menschen motiviert.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡🟢10/11

Persönliche Höhepunkte
Rap über Hass | Ich ficke euch (alle) | VIP in der Psychatrie | Unterfickt und geistig behindert | Bitte sag's nicht meiner Freundin | 2 Nicos | Definition von Glück | Ja | Mehr als nur ein Fan | Filmriss | Was ist los | Kinderkram

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Zugezogen Maskulin
Kauft nicht bei Zugezogenen

Die Orsons
TourLife4Life


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