Dienstag, 1. Juni 2021

Neues aus der Mühle

BLACK MIDI
Cavalcade
Rough Trade
2021














[ kunstig | fokussiert | geschichtet ]

Was populäre neue Bewegungen in der Unterwelt der Rockmusik angeht, steht die erste Hälfte von 2021 definitiv im Zeichen des Londoner Windmill-Kollektivs und der kleinen Szene-Sensation, die sie inzwischen schon seit Jahren heraufbeschwören. Spätestens seitdem im Februar dieser Saison das lang ersehnte Debütalbum von Black Country, New Road erschien und die Musiknerds dieser Welt (außer mich) kollektiv um den Verstand brachte, lässt sich eine Reihe von Bands aus dem kleinen Brixtoner Windmill-Club (und deren stilistischer Periphärie um Gruppen wie Shame und Squid) als Pat*innen eines sehr eigenwilligen Postpunk-Fusions-Sounds ausmachen, der gerade das heiße Thema der Indiekids auf RYM und anderswo ist. Und obwohl ich dabei durchaus einsehe, was das faszinierende aus diesem seltsamen Monogenre-Gebilde und vor allem der lokalen Bubble in besagter Location ist, war ich von den Alben, die die Bewegung absonderte, doch bisher eher mäßig beeindruckt. Sicher, es war in meinen Augen auch keines wirklich schlecht, doch wenn man sich mal die Jubelarien ansieht, die im Netz viele Andere über diese Bands loslassen, dürfte ich insgesamt doch zu den Skeptiker*innen zählen, was das ganze angeht. Wobei vor allem Black Midi, die ästhetischen Pioniere der ganzen Misere, mir nach wie vor ein besonders großes Rätsel sind. Als sie 2019 mit ihrem Debüt Schlagenheim den ersten Fuß aus dem Club-Kosmos in die Weltöffentlichkeit setzten, avancierte dieses schlagartig zu einem der beliebtesten Untergrund-Alben der Saison und die Londoner zu einer der Bands, über die plötzlich alle redeten. Was mich etwas nervte, denn in meinen Augen waren die Londoner vor allem eine Formation, die viel Bohei um ihre kunstigen Einflüsse und ihre entrückten Songtitel machte, dahinter aber verhältnismäßig wenig Substanz hatte. Gut zwei Jahre nach Schlagenheim weiß ich noch immer nicht so recht, was ich von dieser Platte eigentlich halten soll, habe sie aber auch alles andere als mögen gelernt. Ihrer zweiten LP Cavalcade fieberte ich dennoch mit einer gewissen Spannung entgegen, da ich vor allem wissen wollte, wie Black Midi als Posterboys des Windmill-Sounds hier auf das Wachstum ihrer Bubble reagierten. Mit dem überraschenden Resultat, dass sie es eigentlich gar nicht tun. Album Nummer Zwei der Londoner will weder ein neu gefundenes Publikum ansprechen, noch subversieren oder künstlerisch den nächsten Schritt gehen. Stattdessen konzentiert sich die Band hier auf die Details ihres Songwritings und bessert das musikalische Konzept an den Stellen aus, an denen Schlagenheim noch etwas ungehobelt und richtungslos klang. Ein besseres Ergebnis als das Debüt finde ich Cavalcade somit in dem Sinne, dass es die Kanten der Ästhetik von Black Midi schärft und eine Linie findet, an der sich kompositorisch entlang gehangelt wird. Wenn ich sage, dass diese LP aufgeräumt klingt, meine ich damit nicht, dass sie keine wilden Avant-Jam-Noise-Momente mehr hätte, sondern nur, dass diese jetzt an den richtigen Stellen kommen, an denen sie eine bessere Wirkung entfalten. Wobei im Sinne von charismatischer Kompositorik und starken Einzelmomenten noch immer nicht viel vorangekommen ist. Nicht dass ich mir wünschte, Black Midi würden eine Popgruppe werden, die Hooks und Strophen schreibt, doch klingen mir einfach noch immer viele Motive zu identisch und unausgereift, um echte Dynamik zu schaffen. Dabei ist mangelnde Variabilität ja eigentlich das kleinste Problem dieser Band. Ein bisschen vermute ich die Verirrung von Cavalcade darin, dass die Platte zu oft Ideen schichtet, statt sie zu reihen, wodurch zu oft Tracks wie Dethroned oder Chrondomalacia Patella entstehen, die gleichzeitig kakophonisch und langweilig sein können. Wirklich Identität entwickelt das Album dann eher in seinen stillen Momenten wie Marlene Dietrich oder Ascending Forth, die für sich allein aber auch keine Standkraft haben. Einziger wirklich starker Song ist in meinen Augen letztendlich Diamond Stuff, der ein bisschen Postrock-Glitter über die Kunstwolkenbrüche streut und damit wenigstens einmal echte Atmosphäre schafft. Ansonsten muss ich leider sagen, dass ich erneut recht enttäuscht von dem bin, was diese Briten hier abliefern. Und wo das auf dem Vorgänger noch irgendwie mit der Frage einherging, ob ich die Musik von Black Midi vielleicht missverstehe, bin ich mittlerweile auch durch die Alben ihrer Kolleg*innen gefestigter und kann sagen, dass ich sie einfach nicht mag. Ich will den Genuss dieser Band niemandem absprechen, denn spannende Musik machen sie ja schon irgendwie. Nur eben nicht die Art von spannender Musik, die ich auch ästhetisch cool finden kann. Tut mir Leid liebe Nerds!

🔴🔴🔴🟠🟠🟠⚫⚫⚫⚫ 06/11

Persönliche Höhepunkte
Diamond Stuff

Nicht mein Fall
John L | Dethroned


Hat was von
Black Country, New Road
For the First Time

Squid
Bright Green Field


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen