Mittwoch, 2. Juni 2021

Treffen sich vier Pakistanis, ein Brite und ein Pole

Jaubi - Nafs at PeaceJAUBI
Nafs at Peace
Astigmatic Records
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ klassisch | improvisiert | harmonisch ] 

Ich habe mich in den letzten Jahren auf diesem Format viel mit amerikanischen Jazzplatten der Sechziger beschäftigt, die für mich in mancherlei Hinsicht der Ausdruck eines letzten goldenen Zeitalters für das Genre gewesen sind. Eine Zeit, in der die ganz großen Köpfe der Bewegung wie John Coltrane, Miles Davis, Wayne Shorter oder Charles Mingus regelmäßig die Köpfe zusammensteckten und geniale Alben in mittlerweile legendären Sessions am Fließband produzierten. Wobei ein wesentlicher Unterschied dieser Periode zu vorangegangenen im Jazz sicherlich ist, wie freigeistig die besagten Musiker*innen damals unterwegs waren. Improvisatorische Methoden waren so angesagt wie nie, alle waren auf irgendwelchen Drogen unterwegs und nicht selten entstanden dabei auch Werke wie A Love Supreme von Coltrane oder Karma von Pharaoh Sanders, die einen sehr spirituellen Überbau ins Spiel brachten. Wobei die Befreiung des eigenen Geistes und das meditative Spiel ohne Zerdenkung der Prozesse immer öfter im Mittelpunkt stand. Und dass diese Art von Auseinandersetzung auch 55 Jahre später noch eine Strategie mit Potenzial ist, zeigt jünst das Debütalbum von Jaubi aus Lahore. Was diese Band auf ihrer Bandcamp-Seite über die Entstehung von Nafs at Peace schreibt, erinnert an vielen Punkten sehr an die Ideale, die seinerzeit jene Jazz-Legenden voranbrachten und auch hier geht es im wesentlichen um die Entdeckung und Vertonung einer relativ unkonkreten Spiritualität, die ruhig auch explizit religiös sein darf. Ähnlich wie die großen Helden in den Sechzigern ist auch das hier ein Werk, das aus einer spontanen Inspiration im Kollektiv entstanden ist. Die vorliegende LP setzt sich aus den Highlights zweier relativ unverbindlicher Sessions mit dem Londoner Multiinstrumentalisten Ed “Tenderlonious” Cawthorne und dem polnischen Pianisten Marek “Latarnik” Pędziwiatr zusammen, die 2019 in Lahore stattfanden und die anscheinend so gut waren, dass Jaubi gleich mal ihr offizielles Erstlingswerk daraus zusammengeschnitten haben. Dass Nafs at Peace so entstanden ist, hört man den sieben Stücken dabei definitiv an. Der allgemeine Klang ist keineswegs minderwertig, aber hat eben Session-Qualität und auch kompositorisch können die Songs schon sehr nudelig werden. Zudem sind es eben immer wieder die gleichen Instrumente, die hier in den Vordergrund treten und vor allem Ed Cawthornes Querflöte beansprucht oft große Aufmerksamkeit. Zusätzliche Aufnahmen gibt es lediglich im ersten und im letzten Track, für die wurde dafür auch gleich ein ganzer Chor gebucht. Und besagte zwei Titel sind als Deckel der Platte auch irgendwie die sinfonischsten und sakralsten von allen, die fast schon in eine Neoklassik-Richtung abdriften. Alles zwischen diesen Songs ist ebenfalls sehr atmosphärisch und stimmungsvoll, hat aber durchaus auch mal eine potente Hiphop-Schlagseite und vor allem sehr viele asiatische Einwüchse. Nicht selten erinnern mich Jaubi dabei an eine gefälligere Variante von Oiseaux-Tempête oder einen etwas bescheideneren Kamasi Washington. Und auch wenn ihr Sound insgesamt eher gefällig als visionär oder virtuos ist, macht er auf diesem Album doch ziemlich viel Spaß. Vor allem, wenn man bedenkt, dass das hier Musik ist, die mehr oder weniger aus dem Moment heraus entstanden ist. Sollten Jaubi also mal wieder richtig ins Studio gehen, könnte man durchaus großes erwarten.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡⚫⚫ 08/11

Persönliche Höhepunkte
Seek Refuge | Raga Gujri Todi | Straight Path | Nafs at Peace

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Kamasi Washington
the Epic

Oiseaux-Tempête
Ütopiya


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