Samstag, 19. Juni 2021

Komplexe weibliche Charaktere

 
SLEATER-KINNEY
Path of Wellness
Mom + Pop
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ garagig | politisch | aufgekratzt ] 

Es fühlt sich für mich immer furchtbar an, wenn ich in Artikeln wie diesem darüber schreiben muss, wie sehr ich die Musik von Sleater-Kinney in Wirklichkeit verachte. Denn schaut man man ganz unemotional und unabhängig vom persönlichen Geschmack auf diese Band, gibt es eigentlich immens viele Gründe dafür, sie ungluablich toll zu finden. Vordergründig den, dass sie über 30 Jahre hinweg nicht nur als komplett weiblich besetzte Gruppe, sondern auch als explizit queerfemistische LGBTQI+-Formation im Untergrund extrem erfolgreich waren und konsequent einen eigenen Sound geprägt haben, den man heutzutage bei Acts wie Mourn oder Deerhoof wiederfindet. Modelle wie sie, die über so lange Zeit so großen Einfluss auf die Szene hatten, gibt es leider nach wie vor sehr wenige, wofür ich sie unglaublich gerne mehr feiern würde. Leider finde ich aber bis heute keine Platte von ihnen mehr als nur mittelprächtig. Sowohl in ihrer ersten Phase in den Neunzigern und Zwotausendern als auch nach ihrem Comeback 2013 haben sie mich nur sehr wenig überzeugen können und mein "Lieblingsalbum" aus ihrem Katalog ist das eher zahme No Cities to Love von 2015, das ich zumindest ganz okay fand. Und was ihre neueste LP Path of Wellness angeht, muss ich leider auch sagen, dass sich das nicht wirklich ändert. Wenn ich ganz ehrlich bin, bin ich sogar der Meinung, dass sie mit Abstand das schwächste Stück Musik seit der Rückkehr ist. Zwar fand ich auf den letzten beiden Alben zumindest die Tendenz ganz positiv, dass Sleater-Kinney nicht mehr ganz so aufgekratzt und klumpig klangen wie in den Neunzigern und auch mal gescheite Melodieverläufe bauten, für gute Songs reichte das aber doch eher selten. Und auch hier kann man diesen Trend weiterhin erkennen. Tracks wie Method, Worry With You oder High in the Grass verfügen durchaus über gute Ideen, wirken aber sehr skizzenhaft und skelettal. Was leider auch dadurch nicht besser gemacht wird, dass hier wieder sehr die Texte im Mittelpunkt stehen. Wie schon so oft auf früheren Platten supporte ich in den meisten Fällen die Gedanken, die den Stücken zugrunde liegen, die Band stellt sich aber unglaublich blöd dabei an, sie lyrisch umzusetzen. Besonders der Titelsong und Complex Female Characters geben mir durchweg das Gefühl, hier eher einem theoretischen Konzept zuzuhören als einem Musikstück. Und wenn alles hier so halbfertig und unausgegoren klingt, fällt es eben auch schwer, irgendeine Art von Flow oder Gesamtästhetik aufzubauen. Das alles ist natürlich absolut subjektiv und gerade was diese Band angeht, habe ich mittlerweile festgestellt, dass es mit ihnen und mir wohl einfach nichts mehr wird. Wenn ihr aber Fan der Gruppe seid und insbesondere die letzten beiden Platten mochtet, dann wird euch das hier wahrscheinlich auch gefallen. Wieso, ist mit nach wie vor völlig schleierhaft und es interessiert mich inzwischen auch nicht mehr. Aber more power to you, wenn ihr daran Spaß habt. Denn eine coole Sache sind Sleater-Kinney ja auch abseits von Musik.

🔴🔴🔴🟠🟠⚫⚫⚫⚫⚫⚫ 05/11

Persönliche Höhepunkte
Method | Tomorrow's Grave | Down the Line

Nicht mein Fall
Path of Wellness | Shadow Town | No Knives | Complex Female Characters


Hat was von
Fiona Apple
Fetch the Bolt Cutters

Mourn
Sorpresa Familia


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