Dienstag, 15. Juni 2021

Um den heißen Brei

Pauwels - Toli
PAUWELS
Toli
Araki Records
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ grob | rockig | indirekt ]

Als ich vor sechs Jahren die Musik von Pauwels das erste Mal für mich entdeckte, war mein Aufhänger beim Schreiben über sie immer, wie herrlich unvirtuos sie waren. Wie holzig und berserkernd ihre Songs im Vergleich zu denen anderer Postrock-Gruppen klangen, wie dreckig alles produziert war und wie viel näher sie musikalisch eigentlich Punk und Noise standen. Und sicher würde ich das alles noch immer als grundsätzlich zutreffend erachten, doch ist es vielleicht nicht ganz richtig, die Existenz einer gewissen Virtuosität in der Musik der Franzosen komplett zu negieren. Denn wenngleich sie stets eine eher grobe Ausführung von Instrumentalrock spielten, so war diese doch nie platt oder stumpf. Im Gegenteil: Gerade ihr Debüt Elina, auf das ich ursprünglich viele dieser Attribute bezog, ist eigentlich ein Album mit vielen cleveren Kniffen und Wendungen, das auch technisch nicht ganz ohne ist. Und auch auf dem Quasi-Nachfolger Poena Cullei von 2019 zeigte sich, dass die Franzosen spielerisch durchaus ein paar richtig gute Tricks im Ärmel haben. So richtig merkt man das alles aber erst, wenn Pauwels genau das plötzlich nicht mehr tun. Wenn sie eine LP machen, die tatsächlich ein bisschen zu geradeaus und hölzern ausfällt, um noch als rotzig-rockig durchzugehen. Eine LP, wie sie ihr neuester Streich Toli leider irgendwie geworden ist. Dabei sieht es zunächst eigentlich danach aus, als würde das hier ein weiterer spannender Exkurs für die Jungs aus Strasbourg werden. So beginnt der Opener N 48° 34’ 41,195'' - E 7° 42’ 6,896'' mit einigen sehr an die Einstürzenden Neubauten erinnernden Kunstklang-Motiven, die über die gesamte Spieldauer auch immer wieder auftauchen und vermuten lassen, dass Pauwels hier endgültig in den Bereich des Avantgarde-Noise abdriften. Eine Richtung, die für sich ja eigentlich nicht ganz unpassend wäre. Und ganz im Sinne dieser Idee gefallen mir auch die Passagen, in denen sie hier verstärkt mit synthetischen Motiven und Sampling arbeiten. Dazwischen bauen die Franzosen dann weiterhin die üblich krachigen Mathrock-Eskapaden, für die ich sie nun schon eine Weile kenne und liebe. Mit dem feinen Unterschied, dass diese diesmal nicht so richtig aus dem Quark kommen, beziehungsweise einfach nicht mehr so gut komponiert sind. Angelo ist dafür gleich als zweiter Track das sicherlich schlimmste Beispiel dafür, das in seinen knapp drei Minunten das sicherlich unkreativste Stück ist, das ich von dieser Band je gehört habe. Olga bringt kurz danach zwar einen guten Aufbau zustande, der ernsthaft aufgerecht macht, ruiniert diesen aber sehr schnell wieder durch dämliche Gesangspassagen und eine sehr viel unspektakulärere zweite Hälfte. In den beiden darauf folgenden längeren Tracks gibt es dann wiederum einige Momente, in denen Pauwels zünftig lärmen und ihre üblichen Jam-Hakenschläge vollziehen, doch muss man sich diese im Unterschied zu ihren letzten Platten eher herauspicken. Wobei das Problem ja nicht mal ist, dass sie hier ein ruhigeres Album machen. Kompositorisch hätte ich ihnen das absolut zugetraut, nur bleiben sie genau da irgendwie hinter den Erwartungen zurück. Sicher, nach zwei (drei, wenn man die 2016er-Spilt mit U.N.S. mitzählt) tollen Longplayern in den letzten fünf Jahren waren die auch hoch und viele gute Momente hat Toli ja trotzdem noch, aber auf das bezogen, was die Band eigentlich kann, ist das Ergebnis hier doch irgendwie ernüchternd. Es bringt den Qualitäts-Monolithen Pauwels für mich das erste Mal zum Wackeln, was nach einer halben Dekade großartiger Musik mehr als okay ist, aber man gibt sich ja zu gerne den Illusionen hin. Und gerade bei dieser Gruppe waren mir die irgendwie wichtig. Was im übrigen noch lange nicht heißt, dass ich nicht auch zu diesen Songs den Verstand verlieren kann, falls ich Pauwels hoffentlich sehr bald nochmal live sehe.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
N 48° 34’ 41,195'' - E 7° 42’ 6,896'' | Olga | Mahlowne | N 47° 44’ 39,552'' - E 7° 19’ 56,194''

Nicht mein Fall
Angelo


Hat was von
Raketkanon
RKTKN#2

Black Country, New Road
For the First Time


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen