Mittwoch, 27. Mai 2015

Retro-Review: Aufhören, wenn's am schönsten ist

THE SMASHING PUMPKINS
Mellon Collie & the Infinite Sadness
Virgin
1995














Es ist eigentlich eine Schmach, wie sehr sich das Verhältnis der Musikwelt zu Mellon Collie normalisiert hat. Wo andere Platten in 20 Jahren nachträglich glorifiziert und mit Mythen aufgepumpt werden, ist das Opus Magnum der Smashing Pumpkins im öffentlichen Interesse der gleichen Zeitspanne von einer monumentalen Rock-Sensation zu einem Album unter vielen geschrumpft. Damals dachte man, hier das the Wall der Neunziger vor sich zu haben, heute erinnern sich ein paar Alt-Emos noch an Tonight Tonight und Bullet With Butterfly Wings. Wer heute den Namen dieser Band hört, denkt an einen vergnatzten Billy Corgan, an schlechten Industrial und andere schlimme Dinge. Für meine Generation ist es schwer vorstellbar, dass die gleichen Leute mal eine der größten Alternative-Acts überhaupt waren, die fantastische Epen wie dieses hier schrieben. Ich bin da vielleicht eine Ausnahme, aber auch ich empfinde Mellon Collie heute nicht mehr als Höhepunkt der Pumpkins-Diskografie. Ich bin großer Fan von Gish und Siamese Dream, die ich beide zu meinen ewigen Favoriten zähle. Dieses sperrige, dreistündige Doppelalbum kommt erst ein Stück danach. Dennoch muss auch ich gerade wegen dieser imposanten Art noch immer in Ehrfurcht erstarren, wenn ich die Platte höre. Denn hier gibt es ja nicht nur ganz schön viel Musik, sondern vor allem auch richtig durchdachte. Jeder einzelne der 28 Tracks hier ist akribisch durchdacht und spricht eine komplett andere stilistische Nische an. Da gibt es straighte Rocksongs wie Love, psychedelische Eskapaden wie Porcelina of the Vast Oceans, ganz harten Stoff wie X.Y.U. und nicht zuletzt die Singles wie Tonight Tonight, die damals zu richtigen Chartstürmern wurden. Die Smashing Pumpkins wollen alles sein, was sie sein dürfen. Querdenker, große Künstler, Punks, Popstars und Schöngeister. Somit stellt Mellon Collie in der Historie der Band gleich mehrere Wendepunkte dar. Die Hinwendung zum Mainstream nach dem Erfolg von Siamese Dream und die gleichzeitige Abwendung davon. Die Schnittstelle, an der die Grunge-Wurzeln der Gruppe den Übergang zum Emorock fanden. Die endgültige Überzeugung, dass Billy Corgan ein egozentrisches, größenwahnsinniges Genie ist. Nicht nur schrieb der Frontmann über 50 Songs für dieses Projekt im Alleingang, auch die Drama-Queen in ihm kam hier das erste Mal so richtig zum Vorschein. In Interviews bitchte der Sänger konsequent Kollegen an, feuerte Stamm-Drummer Jimmy Chamberlin und erklärte Rock für tot, obwohl er selbst gerade mit diesem Album den absoluten Gegenbeweis geliefert hat. Zumindest klang keines der Pumpkins-Projekte, die nach Mellon Collie kamen, auch nur halb so lebendig wie das hier. Aber Hauptsache, man hat sich mal ordentlich das Maul zerrissen. Die Platte an sich hinderte das auch nicht daran, richtig fett abzuräumen. Sieben Mal war die Scheibe für einen Grammy nominiert, wurde als Meilenstein in der Rockmusik der Neunziger gefeiert, Singles landeten in den Charts und der Clip zu Tonight Tonight wurde mehrmals zum besten Musikvideo des Jahrzehnts gewählt. Das war allerdings vor 20 Jahren. Wenn dieser Tage auf die besten Platten von 1995 zurückgeblickt wird, taucht Mellon Collie zwar häufig auf, doch Radiohead, Oasis, Reakwon, Ol' Dirty Bastard und Pulp sind den Leuten scheinbar eher im Gedächtnis geblieben. Und das ist sehr wenig im Vergleich dazu, was los war, als das Album damals erschien. Aber das Gras der Musikgeschichte ist schnell darüber gewachsen, was mehrere plausible Gründe haben kann. Zum einen war alternativer Rock nach dem Ende der Grunge-Ära das so ziemlich uncoolste der Welt und Mellon Collie kam damit einfach zur falschen Zeit. Und das obwohl es vielleicht das Album hätte sein können, das das Interesse der Szene für diese Art von Musik noch einmal weckt. Andererseits waren auch die Pumpkins selbst in den Köpfen schon weiter. Zwei Jahre später wandten sie sich mit Adore dem Industrial-Pop zu und läuteten damit dem Anfang vom Ende ihrer wirklich großen Phase ein. Mit Beginn des neuen Jahrtausends sollte alles noch ungleich schlimmer werden und in den letzten 15 Jahren wurden so viele grobe Fouls im Namen dieser Band verübt, dass man ihre glorreichen Tage fast vergessen hat. Die Akteure selbst tut ebenfalls nicht viel, um daran zu erinnern. Denn auch wenn die meisten Leute, die auf Pumpkins-Konzerte gehen, sehr gerne primär Songs von diesem Album hören würden, tut ihnen der gesalbte Billy Corgan eher selten den Gefallen. Das, was einem dann bleibt, ist eben dieses Album, welches den Höhepunkt der Dekadenz dieser einst so wunderbaren Band für immer konserviert. Man kann ihn hier tatsächlich hören, den künstlerischen Höhenflug und den Moment vor dem Aufprall. Und dann kann man sich entweder denken: Wie schade, dass die nicht mehr solche Musik machen. Oder man kann froh sein, dass sie es noch geschafft haben, diese Platte zu machen, bevor es zu spät war. Denn das ist das eigentliche Glück der Smashing Pumpkins.

Beste Songs: Bullet With Butterfly Wings / An Ode to No One / Love / Thru the Eyes of Ruby / X.Y.U

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Retro-Review zu Siamese Dream:
zum Review

Review zu Monuments to An Elegy:
zum Review

CWTE auf Facebook

Dienstag, 26. Mai 2015

Psychedelic-Rettungsschirm

UNKNOWN MORTAL ORCHESTRA
Multi-Love
Jagjaguwar
2015














Das Unknown Mortal Orchester und ich haben ein ziemlich gespaltenes Verhältnis. Auf der einen Seite habe ich von den Briten noch nie viel gehalten, ihr letztes Album II, welches hauptverantwortlich für die große Bekanntheit der Band ist, war für mich Ende 2012 nicht von Interesse, da Tame Impala dieses nur einen Monat vorher schon mal besser gemacht hatten. Außerdem bin ich der Meinung, dass nur deshalb so viele Leute ihre Musik hören, weil MGMT keinen Bock mehr haben, das selbst zu erledigen. Andererseits fand ich ihre Songs per se nie wirklich schlecht, nur irgendwie überflüssig. Sie müssten nur mal über ihren eigenen Schatten springen. Und als den Versuch, genau das zu tun, erkenne ich Multi-Love an. Unknown Mortal Orchestra möchten hier nicht mehr die Spacerock-Band sein, die nur so klingt wie, sie wollen endlich eine Identität entwickeln. Ordentlich verspulte Stücke schreiben sie dafür immer noch, doch die sind diesmal nicht zwangsläufig in die Psychedelic-Ecke einzuordnen, sondern kommen sogar als einigermaßen vernünftige Popsongs durch. Can't Keep Checking My Phone probiert es mit Disco-Einflüssen, Ur Life One Night geht in die Achtziger und der Closer Puzzles kann eine ambitionierte Länge von über sieben Minuten vorweisen. Das sind Maßnahmen, die eine deutliche Sprache sprechen. Doch über ihr Gelingen ist deshalb noch nichts gesagt. Zwar woolen Unknown Mortal Orchestra die ewigen Vergleiche hier abschütteln, doch wo die einen abfallen, kommen neue dazu. So ganz vom Kopismus trennen können sich die Briten nämlich nicht. Man denkt beim Hören der Songs eben nicht mehr an Tame Impala oder MGMT, sondern an Stevie Wonder, Beck oder Peter Gabriel, um nur einige zu nennen. Wenn man das ganze schön zusammenquirlt, entsteht auf den ersten Blick der Eindruck, man hätte hier etwas halbwegs originelles geschaffen, doch beim Analysieren der Elementarteilchen verliert sich das schnell. Dann sind Unknown Mortal Orchestra auch nicht besser als der böse Ariel Pink, nur eben weniger LoFi. Tatsächlich ist die Produktion eine der größeren Stärken dieser Platte. Und wenn man den Aspekt wegnimmt, dass dieses Album im Prinzip zusammengeklaut ist, kommen auch noch neun ziemlich gute Songs rum, die zumindest im Bandkontext auch eine Neuorientierung darstellen. Von den alten Verwandten haben sich die Briten also so oder so befreit. Nur den Vorwurf des Ideendiebstahls müssten sie noch irgendwann entkräften. Aber der erste Schritt ist gemacht. Überflüssig sind Unknown Mortal Orchestra damit schon mal nicht mehr.
8/11

Beste Songs: Can't Keep Checking My Phone / Nescessary Evil

Nicht mein Fall: Puzzles

Weiterlesen:
Review zu Pom Pom (Ariel Pink):
zum Review

Review zu ...And Star Power (Foxygen):
zum Review

CWTE auf Facebook

Einheitsbrei United

VIDUNDER
Oracles & Prophets
Crusher Records
2015















Es ist eigentlich müßig, sich 2015 noch mit der skandinavischen Retro-Metal-Bewegung zu beschäftigen. Die vielen vielen Bands, die sich vor drei bis vier Jahren dort scharten, klingen heute entweder alle genau so nach Mando Diao wie es Graveyard tun oder haben sich am besten gleich getrennt. Bis auf wenige wirklich gelungene Alben ist die Sache also mehr oder weniger gegessen. Dass Vidunder mal eines dieser wirklich gelungenen Alben gemacht haben, macht sie jedoch zu einer der besonderen Bands, die man sich auch 2015 noch mal zu Gemüte führen kann. Ihr im Sommer 2013 erschienenes, selbstbetiteltes Debüt hatte nochmal frischen Wind ins Konzept Vintage-Proto-Metal gebracht und dabei vor allem durch die Nutzung ihrer Muttersprache beeindruckt. Nicht viele Songs kann man auf schwedisch ernster nehmen als auf englisch, bei ihnen war es eher umgekehrt. Grund genug, mich mit Oracles & Prophets noch einmal ausführlich zu beschäftigen. Die Feststellung am Ende: Auch Vidunder sind Opfer des Elite-Sounds geworden, der schon in den Vorjahren ihre Kollegen platt gemacht hat. Für die neue Platte sollte die klangliche Palette erweitert werden, was erstmal zur Anschaffung einer Hammond-Orgel führte. An sich ist das ja kein Problem, das Tasteninstrument ist eines der wenigen Elemente hier, die die Songs wirklich bereichert. Viel eher stört mich, dass Vidunder ihren perfektionierten Ramsch-Metal-Sound für eine total billige Gitarren-Produktion verschenkt haben, die alles hier total beliebig klingen lässt. Sicher kann man unter diesen neuen Parametern auch eine Öffnung der Band gegenüber neuen Ideen sehen, doch die Schweden klingen durch diese hier weder spannender noch kreativer. Im Gegenteil, sehr viel Charakter geht durch eben diese Veränderungen verloren. Und was das ganze noch schlimmer macht: Vidunder singen auf Oracles & Prophets konsequent auf englisch. Der einzige Song mit heimatsprachlichem Titel, Kalhygge, ist ein Instrumental. Die Tendenz dieses Albums geht also mehr in mehr in Richtung des gefälligen Einheitsbreis, in dem die Artverwandten von Graveyard, Witchcraft und Radio Moscow schon seit einigen Jahren rumhängen. Unter Umständen klingen Vidunder hier sogar am langweiligsten unter all diesen Bands. Was das über die Musiker aussagt, ist klar, Was das über Skandinaviens Retro-Metaller aussagt, ist noch nicht ganz so klar. Aber es geht definitiv weiter den Bach runter. Tendenz fallend.
4/11

Beste Songs: Gone With Dawn / Kalhygge

Nicht mein Fall: the Owl

Review zu Magical Dirt (Radio Moscow):
zum Review

Review zu Blues Pills (Blues Pills):
zum Review

CWTE auf Facebook

Montag, 25. Mai 2015

Die Macht ist stark in ihm

SHAMIR
Ratchet
XL Recordings
2015















Man ist sich eigentlich einig: Alternativer R'n'B geht meistens schief, Songs über Las Vegas sind idiotisch und LCD Soundsystem sind tot. Eigentlich müsste das Thema Shamir deswegen schon an diesem Punkt wieder beendet sein. Denn der junge Künstler vereint auf seinem kommerziellen Debüt all diese Punkte ganz souverän. Er stammt aus der Entertainment-Hölle in Nevada, hat dort seit seinen frühen Mixtapes viel von James Murphy gelernt und ist jetzt das neue Sternchen, mit dem XL seinen ganz eigenen Beitrag zum neumodischen R'n'B-Zirkus beitragen will. Ein paar Hits hat der Junge auch schon in petto, die Singles On the Regular und Call it Off laufen in den Clubs gerade ganz gut und sind in der Tat gute Aufwärmer für Ratchet, das von der Szene mittlerweile heiß erwartete Album von Shamir. Und bevor ich gleich sagen werde, dass die meisten Songs hier wirklich Hits sind, habe ich das Gefühl, den Begriff "Hit" noch einmal einer Neudefinition zu unterziehen. Denn was hier gemacht wird, ist keinesfalls Radio-Material, zumindest nicht im konventionellen Sinne. Shamir als Sänger spannt seine Melodien hier über nicht mehr als Track-Gerüste, die lediglich aus ein bisschen Beat und vielleicht einem Keyboard oder einer Gitarre bestehen. Das lässt Ratchet durchgängig etwas knochig wirken, doch sorgt für eine extrem starke Rhythmik und damit Tanzbarkeit der Songs. Noch dazu sind die Vocals klanglich sehr variabel, ob mit oder ohne effektueller Verzerrung, was jedes Stück auf eigene Weise interessant macht. Man kann schon sagen, dass Shamir hier jede Menge Talent für sowas beweist. Das Niveau der beiden großartigen Singles kann er hier allerdings nicht halten. Denn wo die trotz ihrer rohen, ausgemergelten Art und Weise echte Kracher sind, sind viele andere Stücke hier im Gesamtkontext vielleicht doch etwas zu minimalistisch. Tracks wie Demon, Make A Scene oder In For the Kill kommen einfach nicht so recht aus dem Knick, weil ihnen am Ende doch der Punch fehlt. Und obwohl Shamir ziemlich gut singen kann, sind manche Melodien hier einfach zu simpel und fad. Man muss ihm allerdings auch zugute halten, dass er mit Ratchet einen wirkungsvollen Gegenentwurf zu vielen anderen modernen R'n'B-Modellen eingebracht hat, der bei entsprechender Weiterentwicklung einen guten Nährboden für richtig gute Musik darstellen könnte. Der Junge sollte also trotz einigen Patzern hier unbedingt am Ball bleiben, denn er könnte in ein paar Jahren der sein, der der Welt zeigt, wie langweilig How to Dress Well in Wirklichkeit sind. Es wäre zumindest wünschenswert.
8/11

Beste Songs: Vegas / On the Regular

Nicht mein Fall: In For the Kill

Weiterlesen:
Review zu Ghost Culture (Ghost Gulture):
zum Review

Review zu I Want to Believe (Project Pablo):
zum Review

CWTE auf Facebook

Sonntag, 24. Mai 2015

Erlebnisbericht: Querdaenker Festival 2015

Es ist Samstag um halb zwei morgens, als ein sichtlich fertiger, aber gut gelaunter Kristian Harting das AJZ in Leisnig verlässt. In schwarzem Jackett und edlen Lederschuhen wirkt der Däne im autarken Punk-Ambiente fast wie ein Exot, der sich im Wald verlaufen hat. Sein Konzert, aufgrund dessen das Querdaenker Festival in diesem Jahr überhaupt mein Interesse geweckt hat, habe ich zu meinem großen Bedauern verpasst. Dennoch waren die letzten zwei Tage ein durchaus denkwürdiges Wochenende, das musikalisch einiges zu bieten hatte. Zumindest genug, um ein wenig darüber zu schreiben.
Das vielleicht interessanteste am diesjährigen Lineup war die clevere Verknüpfung von regionalen Acts mit starken Headlinern. Dafür, dass wir es hier mit einem Do-It-Yourself-Projekt in einer sächsischen Kleinstadt mit nicht mal 7000 Einwohnern zu tun haben, lesen sich Namen wie Neonschwarz, Flyktpunkt und auch Harting ziemlich gut. Dass dabei den Lokalmatadoren genauso viel Achtung und Applaus entgegen gebracht wurde, finde ich auf gewisse Weise sehr beachtlich. Großes Lob an dieser Stelle dafür. Als man am Freitagabend pünktlich zur Primetime das Gebäude betritt, spielt gerade die lokale Hardcore-Kapelle Final Effort auf, die ihre gesamte Fanbase aus den Nachbardörfern rekrutiert hat. Schon da ist vor der Bühne eine Menge los, was um diese Uhrzeit eigentlich selten der Fall ist. Das Konzept geht also schon hier auf. Mindestens die dreifache Menge hat sich jedoch versammelt, als um kurz nach elf die Headliner Neonschwarz loslegen, die schon seit Stunden das große Gesprächsthema des Festivals sind. Gerade deshalb ist es vielleicht etwas unklug, das Konzert der Hamburger Antifa-Rapper auf die wesentlich kleinere Outdoor-Bühne zu legen, vor der nur die ersten Reihen wirklich etwas mitbekommen. Entsprechend groß ist dort auch das Gedränge, was die Band aber nicht daran hindert, ein solides Hit-Feuerwerk hinzulegen. Das Publikum ist textsicher und immer wieder wird das geplante Programm durch "Alerta! Alerta! Antifaschista!"-Schlachtrufe unterbrochen, die die Akteure nur zu gerne ins Set einbauen. Am Ende sind die vier Musiker_innen fast mehr von der Menge beeindruckt als andersherum und spielen eine gute halbe Stunde länger als geplant. Die halbe Stunde, in der ich mir eigentlich Kristian Harting angeguckt hätte. Nachdem auch der weg ist, haben sich die meisten Zuschauer verkrümelt und nur wenige bekommen noch das fette Set der Dresdner Trieblaut mit, die zu zweit so viel geschwitzt haben müssen wie fünf normale Musiker an einem Abend. Auch sie spielen gefühlte drei Stunden und beenden einen äußerst gelungenen ersten Festival-Tag. Wer noch weiter strampeln will, für den ist noch bis in die frühen morgen die DJ-Baracke geöffnet, in der ein paar hübsche Minimal-House-Filets kredenzt werden. Auch der Jamspace hat lange noch nicht Feierabend, wobei nur hartgesottene Festivalbesucher sich in die kleine Garage trauen, aus der die ganze Zeit Karaoke-Gassenhauer und dicke Rauchschwaden entweichen. Um diese Stunde ist der Großteil der Tagesgäste jedoch schon wieder abgereist und der Rest verschwindet langsam aber sicher auf den Zeltplatz.
Tag zwei auf dem Querdaenker beginnt denkbar gediegen mit ohne laute Musik und Soli-Frühstück am frühen Nachmittag, später gibt es das obligatorische Vorprogramm mit Vorträgen, Workshops und Kino. Man wirft ab und zu bedenkliche Blicke ans Firmament, doch der angekündigte Regen bleibt zum Glück den ganzen Tag aus. Ab 17 Uhr eröffnen an der winzigen Lagerfeuer-Bühne ein paar Songwriter-Typen das Live-Prozedere, einigermaßen voll wird es aber erst bei den Lokalmatadoren Toro Para Todos, die hier wieder den regionalen Bonus einfahren und eine ordentliche Menge vor dem zur Bühne umfunktionierten Teppichboden versammeln. Der irgendwo zwischen La Dispute und Captain Planet angelegte Posthardcore der Band hat aber auch für Ersthörer wie mich einiges zu bieten und die energische Show tut ihr übriges. Auf dieses erste Highlight des Abends sollen noch einige weitere folgen. Da sind zum einen Torpedo Dnipropetrowsk aus Leipzig, die mit ihrer ansteckenden Mischung aus diversen Folk-Genres sowie Surf und Reggae für mächtiges Gezappel im Publikum sorgen. Mit ihrem bunten Programm liefern sie die vielleicht beste Sause des gesamten Festivals und haben vor allem auch selbst einen Mordsspaß. Zum anderen spielen spät in der Nacht die Mathcore-Spinner von Lingua Nada, die ihre Frustration über das ungefähr fünf Mann starke Publikum an selbigem auslassen und neben einem astreinen Set vor allem durch grantige Sprüche, das Anspucken anderer Bandmitglieder, Berserkergänge vor der Bühne und eine zehnminütige Feedback-Sinfonie nach einer knappen halben Stunde Konzert auffallen. Zum Glück sind sie die letzte Band des Abends, denn nach ihrem Gig sind die Trommelfelle fürs erste durch. Erwähnenswert ist auch der Auftritt der Post- beziehungsweise Stoner-Metaller Pyrior direkt davor, dessen faszinierendstes Element die unglaubliche Ähnlichkeit des Gitarristen mit dem jungen J Mascis ist. Nach getaner Live-Arbeit verlegt sich die Hauptattraktion ein weiteres Mal in den Elektro-Bunker, wobei man heute mit einem etwas unprofessionellen DJ und bescheuerten Bruce & Bongo-Remixes vorlieb nehmen muss. Und auch wenn die Afterhour einen etwas faden Beigeschmack hinterlässt, hat der Samstag auch ohne großen Headliner mächtig Eindruck gemacht. Generell ist dieses Festival ein sehr schönes Beispiel dafür, was in einem so familiären Rahmen alles möglich ist. Das Querdaenker, welches sich offiziell ganz bescheiden als "Hoffest" titelt, hat dieses Jahr bewiesen, dass es auch richtig dick auftragen kann. Die Acts hier sind kein Pappenstiel für ein Projekt dieser Art und trotzdem fühlt man sich bei selbstgemachten Burgern, Tischkicker und vernünftigen Getränkepreisen fast wie auf einer Party bei Freunden. Insofern hat das Querdaenker vielleicht sogar einiges mehr zu bieten als manch "richtiges" Festival. Ich für meinen Teil würde mich freuen, ein weiteres solches zu erleben. Und dort vielleicht auch mehr Leute zu sehen. Ja, das ist als Schleichwerbung gemeint.

Freitag, 22. Mai 2015

Happy Go Spooky

SOLKYRI
Sad Boys Club
Bird's Robe
2015















Am Anfang waren mir Solkyri eigentlich zu happy für eine Postrock-Band. Ihre geschwungenen Dur-Melodiechen, ihre Affinität für schnelle Spielweise, ihre romantischen Streicher-Eskapaden. In einem Genre, welches seine Crescendi finster und seine Riffs in Zeitlupe mag, wollten die Australier zu Beginn nicht so richtig reinpassen. Klar, auch bei ihnen gibt es keinerlei Gesang und die mäandernden Gitarrenparts der langen Tracks haben einen sehr klaren Charakter, dennoch klingt Sad Boys Club irgendwie nach Pop. Aber muss das denn eine Schwäche sein? Als die Platte Anfang April in die Läden kam, dachte ich das zunächst. Songs wie Yes, I'm Breathing oder Beyond the Use of Men fand ich ziemlich furchtbar, weil sie dicken Zuckersirup über die schroffen Sound-Wände der Gitarren gossen und ein Tempo vorlegten, bei dem der durchschnittliche Postrock-Hörer epileptische Anfälle zu befürchten hat. Ich beschloss deshalb nicht weiter auf Solkyri einzugehen. Fürs erste. Ich danke meiner himmelschreienden Inkonsequenz dafür, dass ich jetzt doch noch dieses Review schreibe. Denn obwohl ich so meine Startschwierigkeiten mit Sad Boys Club hatte, konnte ich seitdem nicht von diesem Album lassen und erkannte Stück für Stück seine Cleverness und Vielschichtigkeit. Ihr Spiel mit dem Feuer hat die Band aus Sydney hier perfektioniert: Fast die ganzen 44 Minuten über schrammt sie klanglich zwischen Postrock und Mathrock, wobei sie ihre Fühler fast überall hin ausstreckt. Solkyri können einen Song schreiben, der am Anfang nach Chopin klingt und am Ende nach Elton John. Sie können technisch hochkomplizierte Riffs spielen und dabei trotzdem wie Punks klingen. Sie können ihre Einflüsse offenbaren und verstecken wie ein zweites Gesicht. Man muss ihnen nur zuhören. Mittlerweile ist das von mir anfänglich geschmähte Yes, I'm Breathing daduch vielleicht mein Lieblingssong hier und die Andersartigkeit dieser Platte macht gerade ihren Charme aus. Darüber hinaus ist die Spannung, die sie über die gesamte Laufzeit hält, eine Glanzleistung. Was vom sanften Gitarrenintro von Team Solar bis zur finalen Streicher-Dekadenz in Farewell, Bluebird für Höhen und Tiefen durchlaufen werden, ist erstaunlich. Und auch nur deshalb möglich, weil sich die Komposition der Stücke der klassischen Postrock-Dramaturgie entzieht. Auch dass Solkyri hier nicht auf Atmosphäre setzen ist ein gutes Zeichen. Zumindest könnte man das denken, denn die anderthalb Minuten, in denen sie das auf dem Song Kidnapped tun, sind der einzige nicht komplett gelungene Teil des Albums. Der ganze Rest jedoch überzeugt durch wahnsinnige Kreativität, großartige Dynamik und eine Produktion, die genau den Punch unterstützt, den Sad Boys Club auch kompositorisch durchsetzt. Damit hat diese Platte schon eine gewisse Einzigartigkeit im Postrock-Kosmos, wegen der ich sie ja eigentlich zuerst nicht mochte. Da muss ich wohl wieder mal meiner Inkosequenz dafür danken.
10/11

Beste Songs: Team Solar / Yes, I'm Breathing / Farewell Bluebird

Nicht mein Fall: Kidnapped

Weiterlesen:
Review zu NY64 (NY IN 64):
zum Review

Review zu Kirtland (Glacier):
zum Review

CWTE auf Facebook

Donnerstag, 21. Mai 2015

Überläufer

CEREMONY
the L-Shaped Man
Matador
2015















Hardcore ist wohl auch nicht mehr das, was es mal war. Wäre es 1983 und Ceremony hätten diese Platte gemacht, hätten sie von ihren alten Fans wahrscheinlich richtig Stunk gekriegt. Keine Band, die gerade noch den direktesten Retro-Punkrock der Welt gemacht hat, wäre damals mit so einer Breitseite gekommen. Die Postpunk-Nerds waren damals schließlich ihr erklärter Feind. Zum Glück haben wir nicht 1983. Denn was die Kalifornier hier veranstalten, ist gar nicht mal verkehrt. Man wundert sich am Anfang schon ein bisschen, dass ausgerechnet Ceremony, die noch 2012 mit Zoo eine wunderbare Interpretation des Achtziger-Westküsten-Hardcore hinlegten, jetzt die Seiten gewechselt haben, aber dann hilft einem Google mit dem, was die Akteure wohl als Erklärung rechtfertigen: The L-Shaped Man ist ein Trennungsalbum. Mit dem neuen Sound soll eine emotionalere Ebene beim Hörer angesprochen werden und Melancholie in die Songs einfließen. Klingt ja erstmal nicht unlogisch. Aber sind gebrochene Herzen, Alltagsschmerz und Einsamkeit nicht eigentlich auch großartige Themen für Hardcore-Texte? Und was bewegt eine Band, die beim letzten Mal noch mit ziemlich pornösen Lyrics die dicke Hose markierte dazu, jetzt ein Trennungsalbum zu schreiben? Das hat schon bei Robin Thicke nicht funktioniert. Die Antworten darauf finden wir sicherlich am ehesten im Innenleben sowie in der Plattensammlung der Interpreten. Fakt ist, dass der neue Sound Ceremony nicht weniger gut steht als ihr vorheriger. Es ist ja prinzipiell nichts neues, dass wir es hier mit guten Vintage-Künstlern zu tun haben, denen etwas an Authentizität liegt. Folglich klingt the L-Shaped Man nach allem von Joy Division bis Interpol, das Otto Normalverbraucher mit dem Begriff Postpunk assoziiert. Verwandte Bands wie Viet Cong oder Holograms mögen dabei vielleicht die besseren Ideen und eine kratzigere Produktion haben, doch Ceremony steht der etwas poppige, noch teilweise Hardcore-verdreckte Charme eigentlich ganz gut. In Songs wie Root of the World kommt das wunderbar zur Geltung. Man soll die Herzschmerz-Texte von Ross Farrer diesmal ja auch verstehen können und erstmals merken, wie gut die eigentlich sind. Auch erwähnenswert ist, wie verdammt stylisch das Cover schon wieder geworden ist. Ein Detail, das the L-Shaped Man als tolles Album abrundet, welches als Dokument für sich selbst steht. Am besten, man sortiert es zeitlich pedantisch ein, damit man es wieder findet. In zwei Jahren machen Ceremony bestimmt schon wieder ganz was anderes.
9/11

Beste Songs: Exit Fears / Your Life in France / Root of the World

Nicht mein Fall: the Understanding

Weiterlesen:
Review zu Antics (Interpol):
zum Review

Review zu Viet Cong (Viet Cong):
zum Review

CWTE auf Facebook

Dienstag, 19. Mai 2015

Im Whirlpool mit Pharell

HOT CHIP
Why Make Sense?
Domino
2015















Ach ja, Hot Chip. Ich hatte es schon äußerst lange vor mir her geschoben, eine Platte dieser Band zu besprechen. Über In Our Heads von 2012 habe ich damals ziemlich unelegant den Mantel des Schweigens gehüllt, da ich über die Londoner einfach nicht reden wollte. Der Grund dafür ist sicherlich, dass ich ihren gesamten Style für nicht halb so cool halte, wie es den Anschein hat. Ihre Musik ist eine Promenadenmischung aus haufenweise komischen Semi-Genres, sie sind mitverantwortlich für die Okkupation der ehrenhaften Nerd-Attitüde durch den Mainstream und ihre Konzerte gehören zu den langweiligsten, die ich je gesehen habe. Kurz gesagt sind Hot Chip in meinen Augen einfach nur ziemliche Poser. Und ihre Songs haben mich auch nie so mitgenommen wie den ganzen Rest der jubelnden Nuller-Indiekids, die in den letzten fünf Jahren zu jubelnden Yuppie-Kids geworden sind und nicht aufhören, diese Band zu hofieren. Wenn man mich fragt, klang schon In Our Heads etwas altbacken und reserviert, aber die Platte, die Hot Chip ihren Platz in der Ehrenloge der Indietronic-Szene kostet, muss erst noch kommen. Und mit Why Make Sense? kommt sie ganz bestimmt nicht. Denn auf dem neuesten Projekt der Briten unterzieht sich ihre Musik endlich der Frischekur, die seit einigen Jahren immer notwendiger geworden ist. Die Marschrichtung dafür ist definitiv Pop: Große Melodien, ambitioniertes Instrumentarium und echtes Hit-Songwriting dominieren die Platte und die Produktion von Mark Ralph ist eine der besten, die ich in diesem Jahr gehört habe. Das Ergebnis davon ist, dass Hot Chip wieder zurück am Puls der Zeit sind. Zumindest fast. Denn wenn Songs wie Started Right oder Dark Night ziemlich nach Pharell Williams klingen, folgt die Band zwar dem Trend, zum Trendsetter wird sie hier aber wahrscheinlich eher nicht. Ein paar ziemlich gute Tracks hin oder her, von Epigonen wie ihnen müsste man eigentlich mehr fordern. Ich will nicht meckern, Why Make Sense? ist für mich mindestens das beste Album des Quartetts seit Made in the Dark, aber so richtig überzeugt bin ich trotzdem nicht. Aber wenn das alles Sinn ergeben würde, hätten Hot Chip ihre Platte ja auch anders genannt. Zumindest habe ich nicht wieder nichts gesagt,,,
8/11

Beste Songs: Huarache Lights / Need You Now

Nicht mein Fall: So Much Further to Go

Weiterlesen:
Review zu Close to the Glass (the Notwist):
zum Review

Review zu Schick Schock (Bilderbuch):
zum Review

CWTE auf Facebook

Montag, 18. Mai 2015

Zunge im Fleischwolf

HOLLY HERNDON
Platform
4AD
2015















Dass Gesang schon immer das musikalische Medium ist, welches die meisten Möglichkeiten zum Experimentieren bietet, wird uns immer wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Seien es die vielen verschiedenen Variationen, mit denen Hardcore und Heavy Metal vokalistisch übermalt wird, der Exhibitionismus von Soul-Stimmen oder das magische Gadget im HipHop, das man als Flow bezeichnet. Eine, die sich die Grenzerfahrungen dieses Mediums zur Aufgabe gemacht hat, ist die junge Amerikanerin Holly Herndon. Auf ihren bisherigen Veröffentlichungen, deren Höhepunkt dieses Debüralbum ist, setzt sie sich vor allem durch elektronische Verzerrung auf eine Art mit Vocals auseinander, die bis dato noch nicht häufig zu hören waren. Auf Tracks wie Chorus oder Home zerschnippelt die Künstlerin aus Tennessee ihren Gesang bis zur Unkenntlichkeit und verhackstückt das ganze in einem Mix, der die Idee hinter dem Einsatz der Stimme vollkommen abstrahiert. Entfernt kennen wir diese Herangehensweise schon von Kollegen wie Thom Yorke, Björk oder der Vaporwave-Szene, doch Herndon ist unter ihnen definitiv die größte Streberin. Wo es bei den meisten am Ende doch noch um die Vermittlung einer Botschaft durch Worte geht, ist bei ihr der Klang das bestimmende Element, den sie zwecks dessen auch ohne jede Scham modifiziert. Von ihren Aufnahmen hört man hier größtenteils nur Schnipsel, die in dreistester Form übereinander gelegt und gepitcht sind, sodass ihre Stimme am Ende eher wie ein Instrument wirkt. Zwar gibt es hier tatsächlich auch Songs mit Lyrics, wie beispielsweise Morning Sun, doch auch hier wird Gesang nebenbei sozusagen als instrumentale Begleitung verwendet. Über das Ergebnis kann man dann viel sagen, nicht jedoch, dass Herndon ihren Job nicht beherrschen würde. Zwischen Popsongs, elektronischem Sample-Massaker, Ambient-Teilen und teilweise klassisch anmutenden Momenten ist die Sängerin zu jedem Zeitpunkt kreativ, waghalsig und in gewisser Weise sogar ästhetisch. Das Verständnis von Komposition hat sie dabei aus der avantgardistischen Vapor-Ecke, was einigen Hörern vielleicht übel aufstößt. Doch Herndon zeigt sich hier auch als wesentlich versiertere Künstlerin, die mit ihrer Musik ein Ziel verfolgt. So gut wie jeder Song hier hat eine neue Idee, die jedes Mal zufriedenstellend umgesetzt wird, so dass es hier nie langweilig wird. Am Ende werden es zwar wieder die Vapor-Leute sein, die Platform am meisten feiern, doch man sollte wissen, dass dieses Album mehr zu bieten hat als das. Ich für meinen Teil kann dafür bürgen.
9/11

Beste Songs: Chorus / Morning Sun / Locker Leak / Lonely at the Top

Nicht mein Fall: Interference

Weiterlesen:
Review zu Médulla (Björk):
zum Review

Review zu U.S.M! (DJwwww):
zum Review

CWTE auf Facebook

Wer braucht schon Nostalgie?

FAITH NO MORE
Sol Invictus
Reclamation
2015















Eigentlich gäbe es für mich keinen plausiblen Grund dafür, mich mit diesem Album zu beschäftigen, außer, dass ich es eben tun muss. Um mich auf das Comeback von Faith No More zu freuen, fehlt mir einerseits das richtige Alter, um deswegen nostalgisch zu werden und andererseits einfach das Interesse an dieser Band. Dass ich hier eine der wichtigsten Vertreter und Pioniere des Crossover vor mir habe und es ohne sie die Alternative-Revolution der frühen Neunziger vielleicht nicht gegeben hätte, ist mir bewusst und ich respektiere das durchaus. Andererseits hat mir der Stil der Kalifornier mir abgesehen von ein paar Songs nie wirklich zugesagt. Wenn es um den frühen Crossover geht, halte ich mich persönlich lieber an die Red Hot Chili Peppers oder Jane's Addiction. Und im Anbetracht dessen, dass auf Sol Invictus im Prinzip nur Musik abgespult wird, die auch vor 25 Jahren hätte gemacht werden können, wird das wohl auch so bleiben. Und das ist vielleicht die eigentliche Enttäuschung an dieser Platte. Selbst als jemand, der Faith No More nicht unbedingt zu seinen Favoriten zählt, muss ich gestehen, dass es sich bei den Künstlern hier um talentierte und kreative Songwriter handelt, die immer nach neuen stilistischen Horizonten suchen. Es wäre der Band also keine allzu große Herausforderung gewesen, nach so vielen Jahren und verschiedenen Nebenprojekten ein Album aufzunehmen, dass vielleicht nicht ganz ihrem bisherigen Standard entspricht. Sicherlich spielt auch Nostalgie eine Rolle, wenn diese Musiker nach sehr vielen Jahren wieder gemeinsam Songs schreiben, aber ihre eigene Komfortzone war eigentlich nie ein Ort, an dem Faith No More lange bleiben wollten. Warum machen sie es sich hier also so gemütlich? Ich will Sol Invictus deswegen nicht verteufeln, denn es gibt hier durchaus gute Momente. Gerade der Mittelteil mit Seperation Anxiety und Cone of Shame ist gar nicht übel, mehr bringt die Platte aber nicht zustande. Noch dazu ist die Produktion hier eher mittelmäßig, vor allem die lärmigen Passagen klingen im Mix viel zu verhalten, während man Mike Patton teilweise etwas deutlicher hört, als man eigentlich möchte. Ich habe keine Berechtigung, Faith No More hauptsächlich finanzielle Beweggründe für dieses Album vorzuwerfen, aber es wird sicherlich Leute geben, die genau das tun werden. Aus gegebenen Gründen. Ich für meinen Teil empfinde Sol Invictus einfach nur als ziemlich unspektakulär, was für ein Comeback-Werk wahrscheinlich sogar das schlimmere Urteil ist. Eine der wichtigsten Crossover-Bands der Geschichte mag wieder da sein, aber große Steine wird sie sicherlich nicht mehr ins Rollen bringen.
6/11

Bester Song: Seperation Anxiety

Nicht mein Fall: Motherfucker

Weiterlesen:
Review zu Citizen Zombie (the Pop Group):
zum Review

Review zu Nonstop Feeling (Turnstile):
zum Review

CWTE auf Facebook

Sonntag, 17. Mai 2015

Teil 3: In der Ruhe liegt die Kraft

KAMASI WASHINGTON
the Epic
Brainfeeder
2015















Beim letzten Mal hatten wir Kamasi Washingtons the Epic mit einem wesentlich überzeugenderen zweiten Teil verlassen, der den etwas schwachen ersten wieder ausgleichen konnte. Da das pompöse Debüt dieses Ausnahmemusikers aber auch nach zwei Stunden noch kein Ende sieht, steht heute das finale Review zu dieser Platte an, die das letzte Drittel des Jazz-Epos bespricht. Dieses beginnt mit Re Run Home zunächst recht unspektakulär, die erste Hälfte des insgesamt viertelstündigen Openers gehören mit ihren lockeren Klavier-Impros und dem smoothen Saxofon zu den vielleicht entspanntesten Momenten auf diesem Album und sind damit am Ende keine schlechte Entscheidung. Nachdem the Magnificent Seven zuletzt die Spannung nach unten genommen hat, lässt sich dieser Song viel Zeit, sie wieder aufzubauen und nimmt sich dabei noch mal der musikalischen Motive von Re Run aus Part Zwei der Platte an. Am Ende geht es da aber schon wieder so zackig zu, dass das chillige Intro zum zweiten Track Cherokee einen zum Staunen bringt. Und tatsächlich erleben wir hier ein weiteres Highlight des gesamten Epos, obwohl es sich hier bestenfalls um einen expandierten Popsong handelt. Mit acht Minuten relativ kurz für Washington-Verhältnisse, ist die Melodie hier so zuckersüß wie in keinem der Stücke vorher und schafft die sicherlich beste Herangehensweise an Vocals auf diesem Album. Und wieder kann seine Musik hier eher durch die Dinge überzeugen, die sie weg lässt, als durch ihren Pomp. Das gilt ebenso für den nächsten Track hier, eine Bearbeitung von Claude Debussys Claire de Lune. Schon vorher hatte der Künstler ja einige Seitenhiebe zum Impressionismus angedeutet, hier werden diese sachverständig ausgelebt. Wobei Kamasi Washington hier auch nie den Draht zum seligen Jazz verliert, der diese so vielseitige Musik schon seit zwei Stunden zusammen hält. Mit Malcolm's Theme folgt danach ein weiteres Stück mit Gesang, das bei mir allerdings eher für gemischte Gefühle sorgt. Für mich persönlich gehen die Musical-Assoziationen hier doch ein Stück zu weit, obgleich der instrumentale Teil des Songs ziemlich fantastisch ist. Mit the Message folgt zum Schluss noch der obligatorisch imposante Closer, der sich zum Glück noch ein wenig zurückhalten kann. Am Ende des dritten Teils von the Epic ist man vielleicht überrascht, hier nicht noch mal ein Donnerwetter gehört zu haben, aber eigentlich auch froh darüber. Das letzte drittel an sich geht erkennbar einige solcher Risiken ein, die es auf den vorherigen Scheiben nicht gewagt hat. Im Falle eines Popsongs wie Cherokee oder dem grandiosen Claire de Lune lohnt sich das, Malcolm's Theme beweist jedoch auch das Gegenteil. Damit findet Part drei den Mittelweg zwischen den beiden ersten und ist ein ganzes Stück besser als der Anfang, kann es aber auf Dauer auch nicht mit den Hakenschlägen des Mittelteils aufnehmen. Aus einer Punktzahl von sieben Punkten für Teil eins, neun Punkten für Teil zwei und acht Punkten für den hier besprochenen Teil kommen wir auf eine Punktzahl von acht Punkten ohne Komma. Für einige Hörer mag das ernüchternd sein, da es sich bei the Epic schon rein statistisch um ein Meisterwerk handelt. Und ich kann mir nur vage Vorstellungen machen, wie schwierig und zeitraubend es war, dieses zu schreiben und aufzunehmen, wovor ich großen Respekt habe. Allerdings ist vielleicht gerade dieser hohe Anspruch und die Wuchtigkeit eines der Probleme dieses Albums. Drei Stunden technisch und künstlerisch hochanspruchsvolle Musik sind kein Pappenstiel und können eben auch schnell mal zu viel sein. Und da habe ich mir das ganze schon aufgeteilt. Am Ende stehen acht Punkte trotzdem für ein Album, das ich zu großen Teilen genossen habe und das ich an jeden weiter empfehlen würde, der sich für solche Brocken die Zeit nimmt. Und nachdem ich nunmehr fast eine Woche mit dem Sezieren dieses Epos verbracht habe, kann ich sagen: Es lohnt sich.
8/11

Beste Songs: Re Run Home / Cherokee / Claire de Lune

Nicht mein Fall: Malcolm's Theme

Weiterlesen:
Erstes Epic-Review:
zum Review

Zweites Epic-Review:
zum Review

CWTE auf Facebook

Samstag, 16. Mai 2015

Teil 2: Helden am Klavier

KAMASI WASHINGTON
the Epic
Brainfeeder
2015















Als wir vor zwei Tagen den ersten Teil von Kamasi Washingtons Epic-Saga verließen, war ich zunächst sehr skeptisch. Auf dem vordersten Drittel seines dreistündigen Debüt-Meisterwerkes hatte sich der Saxofonist zwar als äußerst talentierter Instrumentalist sowie Kompositeur herausgestellt, hatte jedoch auch einige unschöne Momente passieren lassen, die das makellose Bild dieses großen Projektes beachtlich trübten. Der Mittelteil selbigen Albums sollte nun Klarheit darüber bringen, ob es sich dabei lediglich um Ausrutscher handelte oder um Kalkül. Um meine Hoffnungen wieder zu wecken, beginnt Teil zwei mit dem meiner Meinung nach bisher besten Song der Platte, Miss Understanding. Washington bekommt es hier das erste Mal auf die Reihe, die pompösen Orchestral-Kunstwerke und die natürliche Leichtigkeit von Jazz-Kompositionen auf einen Nenner zu bringen und diese eindrucksvoll verschmelzen zu lassen. Wichtiges Kontaktmedium ist dabei wieder einmal das Klavier, welches sich langsam zum heimlichen Helden hier entwickelt. Mit einer Länge von neun Minuten ist der Quasi-Opener hier auch keine zu große Herausforderung. Auch der zweite Track Leroy and Lanisha überfordert den Hörer kaum, ist sehr poppig gehalten und überzeugt schon wieder vor allem durch den cleveren Einsatz des Pianos. Gerade zum Ende hin wird der Song dadurch sehr flink und verspielt, was einen saftigen Bruch zu seinem Nachfolger darstellt. Re Run beginnt mit seinem orchestralen Intro und den schwerelosen Chor-Versatzstücken sehr erhaben, wechselt jedoch auch schnell genug zum geschmeidigen Jazz-Rhythmus, wo Saxofon, Schlagzeug, eine schnippische Orgel und das Klavier sich die Klinke in die Hand geben. Aus diesem Schlagabtausch entstehen hier die vielleicht vielseitigsten Momente des gesamten Albums. Und wiederum ist man überrascht, wenn im nächsten Song Seven Prayers das ruder erneut herumgerissen wird. Eine Gruppe aus Piano, leichtem Schlagzeug und zum ersten Mal auch akustischer Gitarre zaubert hier ein fast impressionistisch anmutendes Stück auf Platte, das auch die melancholische Seite dieses Albums erstmals ausführlich betont. Knapp acht Minuten hält der Track diese Stimmung durch und lässt den Hörer zum ersten Mal an etwas anderes als technische Perfektion und Spielgefühl denken. Zwar ist das alles auch hier gegeben, doch Seven Prayers ist das erste Stück, das sich als Fluchtmöglichkeit daraus versteht und damit auf jeden Fall zu meinen Favoriten auf diesem Projekt gehört. Eine Stimmung, die mit dem nachfolgenden Henrietta Our Hero fortgesetzt wird und ein weiteres Mal durch Vocals ergänzt wird. Auch die funktionieren hier ein ganzes Stück besser als auf dem ersten Drittel und Solistin und Chor ergänzen sich stimmig. Der Song ist von der Ästhetik her eine Mischung aus würdevoller Musical-Nummer und Bond-Titeltrack, letztlich jedoch vor allem passend zum Gesamtkontext und kein Spannungsabfall wie the Rhythm Changes. Das gilt genau so für den Quasi-Closer the Magnificent Seven, dem längsten Track auf diesem Drittel des Albums. Eingeleitet wird der Song durch einen ziemlich funkigen Bass, der die ganze Zeit über nicht wirklich verschwindet und windet sich über fast dreizehn Minuten zu einem herrlich lockeren Jazz-Stück, das vor allem durch das wahnsinnig intensive Saxofon-Solo des Hauptkünstlers in ein besonderes Licht gerückt wird. Über mehrere Minuten jammt und gniedelt Washington hier herum als gäbe es kein Morgen und weist sich damit erneut als Ausnahme-Instrumentalist aus. Schöner ist nur noch, wie sich der Track am Ende wieder herunterkocht und der Bass, der alles angefangen hat, auch die letzten Töne von sich geben darf. Damit endet Part Zwei von the Epic äußerst würdevoll und, was noch viel wichtiger ist, ohne sich auch einen einzigen Schnitzer geleistet zu haben. Die zweite Platte ist im Gegensatz zur etwas unharmonischen ersten von vorne bis hinten stimmig und setzt an vielen Stellen noch besondere Highlights oben drauf. Wo mich Teil Eins enttäuschte, werde ich hier umso öfter begeistert und sehe, dass der Rhythmus hier gefunden ist. Wie ein dritter Aufzug das noch verändern kann, werden wir in ein paar Tagen sehen.

Beste Songs: Miss Understanding / Seven Prayers

Nicht mein Fall: Henrietta Our Hero

Weiterlesen:
Review zum ersten Epic-Teil:
zum Review

CWTE auf Facebook

Donnerstag, 14. Mai 2015

Teil 1: Wilkommen in der Weltraum-Sauna!

KAMASI WASHINGTON
the Epic
Brainfeeder
2015















Ich habe lange überlegt, wie ich mich Review-technisch am besten an dieses Monster von einer Platte heran wage. Kamasi Wahington ist als Instrumentalist ein echtes Schwergewicht in der modernen Jazz-Szene und sein erstes Soloalbum ist allein schon deshalb nicht wie das eines Newcomers zu betrachten. Hier ist eine wahre Größe am Werk, der unter anderem Leute wie Flying Lotus, Thundercat und Kendrick Lamar blind vertrauen. Schon unter normalen Umständen wäre das also eine Riesensache. Washington hat mit the Epic aber nicht nur einfach ein Album aufgenommen, sondern den Namen hier zum Programm gemacht: Sein Erstlingswerk ist nicht weniger als ein dreistündiger (!) Jazz-Epos, der sein bisheriges Schaffen um Längen übertrumpft. Mit einem eigenen Orchester, einem Chor und zahlreichen Gast-Solisten hat der Saxofonist hier eine Platte gemacht, die nur einmal im Leben eines Musikers möglich ist. Allein diese Tatsachen sprechen dafür, hier kein normales Review zu schreiben. Was außerdem dem Umfang des Albums nur gerecht werden würde, wenn es mindestens die Länge einer Kurzgeschichte hätte. Der Praxis halber habe ich mich deshalb dazu entschlossen, meine Besprechung zu the Epic in drei Teile zu gliedern, jeder stellvertretend für eine Schallplatte dieses Albums. Diese werden über mehrere Tage erscheinen und eventuell wird es dazwischen sogar andere Posts geben. Part Eins ist dieser Text hier, der Rest folgt, wann immer ich mich dazu bereit fühle. Peter Jackson hätte es nicht anders gemacht.

Wenn es um ein dreistündiges Opus Magnum geht, ist ein würdiger Anfang keine leichte Angelegenheit. Kamasi Wahington setzt dafür gleich zu Beginn auf die volle Dröhnung. Der zwölfminütige Opener Change of the Guard trägt vor allem in den ersten Momenten sehr dick auf und macht dem Namen the Epic gleich mal alle Ehre. Schon nach wenigen Sekunden setzten Chor und Orchester ein, der Künstler selbst gniedelt sich am Saxofon zu Tode und alles baut eine Spannung auf, die gleich mal an ganz große Komponisten denken lässt. Diese baut der Rest des Tracks jedoch sukzessive ab und geht über in einen eher gemütlichen Jazz-Schlagabtausch. Hier ist Washington an seinem Instrument das bestimmende Element, während im Hintergrund das Klavier kontert. Auf den ersten Metern überzeugt the Epic damit durchaus, etwas anderes hätte man auch gar nicht erwartet. Change of the Guard ist zweifelsohne ein gutes Stück Musik. Allerdings hängt er hier mit Askim nach dem Opener gleich das nächste lange und intensive Stück dran, welches nicht sehr viel anders macht als das erste. Womit die Platte schon nach einer knappen Viertelstunde einen Punkt erreicht, an dem man sich etwas Abwechslung wünscht. Auf die komplette Länge gesehen nicht gerade sehr viel. Mit Isabelle folgt danach aber ein sehr viel zurückhaltenderes Bar-Jazz-Stück, das vor allem durch die chillige Orgel und die schicken Piano-Improvisationen punkten kann und den Hörer mit der endlosen Nerd-Orgie wieder versöhnt. Gerade dadurch ist dieser vielleicht mein liebster Teil auf der ersten Scheibe. Final Thought, der mit sieben Minuten kürzeste Track hier, mischt danach mit kniffligen rhythmischen Spielereien wieder auf und sucht dabei erfolgreich Bezugspunkte zum Funk. Die Drums hier sind eine Wonne und wieder einmal kommt die Orgel auf ihre Kosten. Mit diesem Song kommt the Epic zum ersten Mal so richtig in Fahrt, was ihm nach all der instrumentalen Schwere und dem Größenwahn gut tut. Damit zeigt Washington, dass es ihm ein leichtes ist, sämtliche Spielarten seines Genres auszufahren und eben nicht nur große Töne zu spucken. Erfrischende Momente wie Final Thought haben der Platte in der Startphase gefehlt, jetzt wirken sie wie die kalte Dusche nach dem Saunagang. Der geht mit the Next Step auch gleich in die zweite Runde, wo sich der längste Titel des gesamten Albums über eine Viertelstunde entfaltet. Was am Anfang noch etwas ungelenk klingt, wird dabei im Verlauf des Tracks zum psychedelischen Fegefeuer, mit dem Kamasi Wahington uns ins Weltall schießt und ein bisschen schweben lässt. Musikalisch erinnert das ganze dann auch schnell mal an den klassischen Impressionismus, vor allem durch das sehr träumerische Klavier. Eine Stimmung, aus der uns der Closer the Rhythm Changes leider mit ziemlicher Wucht heraus zieht, da hier ein ganz neues Element Eingang in das Album findet: Gesang. Heißt in diesem Fall nicht nur ein Chor, der gegebenenfalls ein paar Akzente in den Instrumentals von Washington setzt, sondern ein richtiger Song mit richtigem Text. Meiner Meinung nach nicht das optimale Ende für den ersten Teil der Platte, der ja auch in sich als Gesamtwerk funktionieren soll. Wenn hier am Ende gesungen wird, wirkt das ganze ein bisschen wie in einem schlechten Film, bei dem zum Schluss alle Figuren in trauter Eintracht einen Song für den Abspann geschrieben haben. Für diese plötzliche Wendung gibt es zumindest auf diesem Drittel von the Epic keinen richtigen Ausgleich. Hätte dieser existiert, wäre the Rhythm Changes so schlimm vielleicht gar nicht gewesen. So jedoch ist er der größte Schwachpunkt bis jetzt. Und mit ihm endet Part Eins des Albums und damit auch das erste Review. Bis jetzt bin ich durchaus überzeugt von Kamasi Washington als Solokünstler, in bestimmten Punkten, wie beispielsweise im gerade genannten, aber auch skeptisch. Die nächsten beiden Teile können also schon noch etwas am hier gehörten verbessern. Aber dazu kommen wir noch...

Beste Songs: Isabelle / the Final Thought

Nicht mein Fall: the Rhythm Changes

Weiterlesen:
Review zu You're Dead (Flying Lotus):
zum Review

Review zu To Pimp A Butterfly (Kendrick Lamar):
zum Review

CWTE auf Facebook

Mittwoch, 13. Mai 2015

It's Only Rock'n'Roll

SUN & SAIL CLUB
the Great White Dope
Satin Records
2015















Unter den aktuell aktiv agierenden Stoner-Bands da draußen sind Sun & Sail Club mir vielleicht eine der liebsten. Ihr Line-Up aus ehemaligen Kyuss- und Fu Manchu-Mitgliedern steht für Erfahrung im Genre und gleichzeitig sind die Kalifornier eine der Gruppen, die am offensichtlichsten nach neuen Horizonten suchen. Ihr Debütalbum Mannequin war vor zwei Jahren ein kleiner Schock in dem Sinne, dass man den Begriff Stoner-Rock hier ziemlich relativieren musste. Mit Einflussen aus Heavy Metal und vor allem Electronica sorgte die Platte für offene Münder bei all denen, die ein straightes Rock-Projekt des Quartetts erwarteten. Ich war ehrlich gesagt ziemlich überrascht, dass nur sehr wenige der als ziemlich engstirnig bekannten Genre-Fans die Band dafür verteufelten, denn gewöhnungsbedürftig ist für das, was auf Mannequin passiert, noch untertrieben. Ich für meinen Teil war begeistert und gespannt, ob es vielleicht noch so ein Abenteuer von ihnen geben würde. Und mit the Great White Dope haben wir das mehr oder weniger bekommen. Wieder in einer Art und Weise, die viele vielleicht nicht erwartet hätten. Denn diejenigen, die hier mit einem weiteren sehr elektronischen Projekt rechnen, kommen weniger auf ihre Kosten. Die auf dem Debüt so omnipräsenten Vocoder-Vocals hört man hier nur noch auf zwei Songs, und selbst da nur ganz kurz. Viel eher haben sich Sun & Sail Club für ihr neues Album bei Punk und Hardcore bedient und das ziemlich dreist. Sicherlich kann man die Energie dieser Stile als einen der Haupteinflüsse des frühen Stoner-Metal ansehen, doch was hier gemacht wird, geht weit darüber hinaus. So weit, dass man wieder relativieren muss, was für eine Musikrichtung hier eigentlich gespielt wird. Auf der einen Seite gibt es hier noch immer starke Heavy-Metal-Versatzstücke und auch ein paar klassische Stoner-Songs, doch woanders erinnern Sun & Sail Club auch schnell mal an Black Flag, Rage Against the Machine oder die Beastie Boys. Und mit zehn Songs, von denen acht nicht über zwei Minuten kommen, ist the Great White Dope eigentlich ein Punk-Album im besten Sinne. Die Einordung dieser Platte fällt also wieder mal schwer. Man könnte sich damit jetzt für den Rest des Reviews aufhalten, oder man erkennt einfach, dass es genau dieses unstete Wesen ist, das Sun & Sail Club schon wieder so faszinierend macht. Die Sprunghaftigkeit der Band bringt unendlich viel Frische in die Songs und man merkt sehr deutlich, dass sich die Musiker hier mal so richtig ausgetobt haben. Es reicht am Ende also aus, the Great White Dope als tolles Rock-Album stehen zu lassen. Eine Bewertung, mit der man nichts falsch machen kann.
9/11

Beste Songs: Krokodil Dental Plan / Baba Yaga Bastard Patrol / Cyberpunk Roulette

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu Mannequin (Sun & Sail Club):
zum Review

Review zu Wasted Years (Off!):
zum Review

CWTE auf Facebook

Dienstag, 12. Mai 2015

Playlist: T-Shirt Weather

Verdammt, ist das herrlich! Seit ein paar Wochen kann man das, was draußen vor der Tür passiert, endlich den Namen "Frühling" geben und muss nicht mit drei Lagen Pullovern und dicken Socken schimpfen, dass es Ende April schneit. Und obwohl jemand wie ich, der den ganzen Tag vorm Laptop sitzen und Musik hören muss, nicht viel von so einem Wetter hat, habe ich doch meine ganz eigene Art, in Stimmung zu kommen. Mit Musik geht das nämlich auch nicht allzu schlecht. Ich will jetzt keinen Begriff wie "Sommerhits" strapazieren, aber ich habe mir zum freudigen Anlass der beginnenden Jahreszeit ein paar hübsche Tracks herausgesucht, die im thematischen Rahmen stattfinden. Vielleicht landet ja der ein oder andere davon auf eurer nächsten Festival-Playlist.

VAMPIRE WEEKEND
Holiday (2010)
Mein persönlicher Klassiker. Jedes Jahr zum letzten Tag vor den Ferien muss irgendwann Holiday bei mir laufen. Was für andere Alice Cooper oder Hurra, die Schule brennt ist, machen bei mir Vampire Weekend. Damit ist dieser Song sozusagen der Startpunkt für jeden Sommer und damit auch der Opener dieser Playlist.




TINY ISLES
Berry-Bugs Fumble (2014)
Wenn es um die klangliche Ästhetik dieser japanischen Band geht, kann ich nur immer wieder den Blick aufs Cover empfehlen. Ihr elektronisch angehauchter Ambient-Pop in Berry-Bugs Fumble setzt sofort Glücksgefühle frei und hat irgendwie diese Schwerelosigkeit in sich, die ein Sommer-Song einfach haben sollte. Einfach ausprobieren!



THE CHEMICAL BROTHERS
Let Forever Be (1999)
Zwar kein Sommer-Song im eigentlichen Sinne, doch mit hedonistischen Lyrics und dickem Hippie-Sound ist Let Forever Be prädestiniert für diese Jahreszeit. Ursprünglich von Noel Gallager geschrieben und gesungen, verwandeln die Chemical Brothers den Track in einen elektroakustischen Traumtanz. Auch in der Nachsaison einer meiner absoluten Lieblingssongs.



NEON INDIAN
Deadbeat Summer (2010)
Chillige Vintage-Beats sind seit Jahr und Tag die Spezialität des Londoner Produzenten Neon Indian und sein erster kleiner Hit strahlt auch nach einer halben Dekade noch hell am Indietronic-Himmel. Deadbeat Summer ist, wie der Name schon sagt, ein klassischer Sommerhit, der es jedoch Wert ist, jedes Jahr aufs neue recycelt zu werden.



JOSÉ PADILLA & KRISTY KREACH
Dragonflies (2011)
Ein Beispiel für einen ziemlich stiefmütterlich behandelten, großartigen Song. Da schreibt José Padilla dieses eine, wunderbare Dreampop-Stück und bis heute dient es den meisten nur als Vorlage für grauenvolle Remixe. Dabei ist das Original nur aus Versehen in die Elektro-Ecke gerutscht, wo es eigentlich so gar nicht hingehört. Die Urversion ist für mich noch immer die schönste.



PETER FOX
Fieber (2008)
Dass ein zu heißer Sommer auch nerven kann, davon kann Pierre Baigorry aka Peter Fox ein Lied singen. Fieber ist eine Hymne über das überkochende Berlin, wie sie vielleicht noch kein anderer geschrieben hat. Wenn hier die Rede von "Unter den Palmen" ist, kann jeder den Schweiß hören, der aus jeder Pore dieses Songs tropft. Das Original haben übrigens schon 2007 K.I.Z. versaut, da höre ich lieber die um einiges bessere Albumversion.


THE BEATLES
Here Comes the Sun (1969)
Das sonnige Gemüt von George Harrison, der diesen Song geschrieben hat, ist das größte Kapital von Here Comes the Sun. Mit akustischer Gitarre, dezenter Orgel, Ring Starrs extravagantem Schalgzeugspiel und großartigen Streichern wird hier jedem Hörer ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert. Man muss John Lennon das "it's alright" einfach abnehmen und hat von diesem Moment an einen besseren Tag. Versprochen.


SOUNDGARDEN
Black Hole Sun (1994)
Nicht nur Lana del Rey hat keinen Bock auf den Sommer, vor allem die Grunge-Generation ist großartig darin, einem die Urlaubstage so richtig schlecht zu singen. Black Hole Sun ist ein wahnsinnig finsteres Beispiel dafür und hat die berühmte "summertime sadness" vielleicht sogar erfunden.




CLIPPING FEAT. KING T
Summertime (2014)
Auch Clipping können den Sommer nicht so richtig genießen, denn die Gangs von nebenan haben auch keinen Urlaub. "Motherfuckers still die in the summertime" ist das Slogan dieses Songs und vielleicht eines der seltenen Beispiele für einen saisonalen Beitrag der Gangsta-Rap-Fraktion. Und trotz der ernüchternden Message ein großartiger Track, der eben auch zur heißen Jahreszeit gehört.



METRONOMY
the Bay
Als das Wetter im Frühjahr 2011 zum ersten Mal richtig schön wurde, lief dieser Song bei mir rauf und runter. Metronomys glühender Popsong über reiche Touristen in Brighton inklusive dem fantastischen Video ist für mich noch immer das größte Highlight auf dem an sich schon großartigen Album the English Riviera und ein Dauerbrenner in jeder Playlist. Da machen vier Jahre Unterschied jetzt nicht viel.


DEAFHEAVEN
Sunbather (2013)
Seitdem es Deafheaven gibt, ist ein Black-Metal-Sommerhit kein Ding der Unmöglichkeit mehr. Der Titeltrack ihres zweiten Albums ist vielleicht der heißeste Kandidat dafür, den Name sagt ja schon einiges. Und textlich bekommt man ein Stück Philosophie und ein detailliertes Gesellschaftsporträt gleich mit dazu. Man kann aber auch  einfach zehn Minuten im sonnigen Klang des Stücks baden gehen.


THE DRUMS
Let's Go Surfing (2009)
Der kausale Zusammenhang von Songs über den Sommer und Songs übers Surfen ist offensichtlich und mindestens einer musste unbedingt in diese Playlist, da ich selbst auch großer Surfer-Fan bin. Und die Drums schafften es mit Let's Go Surfing 2009 sogar bis ins Formatradio, bevor sie komplett in Vergessenheit gerieten. In Anbetracht dessen ist das hier also ein One-Hit-Wonder.



MOGWAI
The Sun Smells Too Loud (2008)
Mogwai haben hier noch mehr zu bieten als den meiner Meinung nach besten Songtitel aller Zeiten. The Sun Smells Too Loud ist der erste Track der Schotten, in dem großspurig gesamplet wird, nämlich eine sonnige, naive Klaviermelodie. Die macht den Song zu einem der optimistischsten Postrock-Momente überhaupt, den man auch gut zum Caipi mit Schirmchen genießen kann.



CONNY OCHS
Burn Burn Burn (2010)
Dass der Sommer eine Zeit für Romantik ist, weiß jemand wie Conny Ochs am besten und singt hier deswegen über Lagerfeuer, Sternenzelte und lange Autofahrten. Und um das alles zum Leben zu erwecken, braucht er nicht mehr als seine Gitarre und eine eindringliche, sonore Stimme. Da ist es auch okay, dass ein bisschen Kitsch hier mitspielt.



OKTA LOGUE
Bright Lights (2012)
Zum Abschluss noch ein Dauerbrenner: Okta Logues großer Psychedelic-Zauber auf Bright Lights ist vielleicht noch immer das beste, was die Band aus Darmstadt je fabriziert hat. Video zum Song anschalten, Probleme ausschalten. Noch schöner wird das nur, wenn man diesen Moment mal live erleben durfte und sich so richtig verliert. Legend!




Sonntag, 10. Mai 2015

Das Wort zum Sonntag: Classic!?

Der Anlass für den heutigen Post ist ein Ereignis, welches seine Spuren eigentlich schon das ganze Jahr über durch die Musikszene zieht und das wahrscheinlich auch kein so schnelles Ende finden wird. Spätestens wenn im Dezember die Resümees für 2015 gezogen werden, wird die Frage danach wieder auftauchen: Ist Kendrick Lamars To Pimp A Butterfly bereits jetzt ein Klassiker? Ich würde so etwas nicht ansprechen, wenn nicht schon viele namhafte Kenner und Kollegen diese These aufgestellt haben und sie seit einigen Monaten unaufhaltsam durch die Blogosphere geistert. Was dabei aber sehr wichtig ist, ist eindeutig die Spreu vom Weizen zu trennen. Es gibt durchaus einen Unterschied zwischen den Aussagen "To Pimp A Butterfly ist das beste HipHop-Album unserer Generation." und "To Pimp A Butterfly ist ein Klassiker." Denn bei ersterem reden wir von Meinungen von Einzelnen, qualitativen Einschätzungen und einer Aussage, die wesentlich weniger bedeutingsschwanger ist. Dieser Behauptung kann ich widersprechen und trotzdem besteht darüber noch die Möglichkeit zur Diskussion. Das Wort "Klassiker" dagegen ist ein echtes Schwergewicht, bei dem eigentlich hundertprozentige Akzeptanz aller Beteiligten vorausgesetzt ist. Es ist vielleicht einfacher, das an einem anderen Beispiel zu erklären. Wenn man über Nirvanas Nevermind redet, wird es sicherlich eine Person X geben, die dieses Album nur ganz okay oder gar furchtbar findet. Das ist dann ihre Meinung und die muss man akzeptieren. Würde diese Person aber abstreiten, dass Nevermind ein Klassiker ist, hätte er ganz einfach Unrecht. Diese Platte hat die Rockmusik nachhaltig geprägt und ist aus der Musikgeschichte heute nicht mehr wegzudenken. Es gibt Zahlen, Zeitzeugen und Fakten, die das belegen. Im Falle dieses Longplayers ist die Zuordnung zugegebenermaßen ziemlich einfach. Jedem, der schon mal Smells Like Teen Spirit gehört hat, ist der historische Status von Nirvana bekannt und damit völlig indiskutabel. Nimmt man allerdings eine Platte wie Radioheads Kid A, kann man schon wieder viel debattieren. Und so ist es mit den meisten bekannteren und größeren Alben aus den letzten 60 Jahren. Es gibt welche, die darin einen wahren Klassiker sehen und welche, die genau das anzweifeln. Und demnach ist es auch völlig okay, wenn man bestimmte als "classic album" gebrandmarkte Werke nicht mag. Ich beispielsweise konnte mich noch nie mit den Ramones anfreunden, habe meine Probleme mit den Beatles und finde den Status, den AC/DC bei vielen ernsthaften Musikhörern genießen, äußerst bedenklich. Aber dass all diese Künstler Musikgeschichte geschrieben haben, muss ich wohl oder übel hinnehmen. Während ich vielleicht nebenbei ein paar persönliche Klassiker habe, die nur in meinem Leben einen wichtigen Einfluss hatten, wie Hop Along oder Zombie Joe.
Aber zurück zu Kendrick Lamar. Die Frage, ob eine bestimmte Platte als würdig für diese Art von Status gilt, hängt sicherlich ein bisschen von der Zahl und Art von Befürwortern ab. Allerdings ist ein ganz anderer Faktor bei solch einem Prozess meiner Meinung nach der entscheidende: Zeit. Nur wenn ein Werk eine gewisse Langzeitwirkung hat, man über Jahre davon redet, es andere Künstler beeinflusst und nach einer langen Phase der Reifung vielleicht sogar so etwas wie Nostalgie hervorruft, kann es sich mit Fug und Recht Klassiker nennen. Und bei einem gerade mal zwei Monate alten Album ist eine gewisse Skepsis nur gesund. Sicherlich sehen viele To Pimp A Butterfly als vielleicht besten HipHop-Longplayer dieses Jahrzehnts. Doch wer weiß, ob nicht in ein paar Monaten ein noch größeres Meisterwerk erscheint und Lamars Kunststück wiederum in den Schatten stellt. Auch hier hilft wieder das Beispiel von Nevermind als Verdeutlichung. Anfang der Neunziger dachten viele Experten, dass Soundgarden der große Wurf für den Grunge gelingen würde. Chris Cornell und Kollegen waren eine der ältesten Bands der Szene in Seattle und die ersten mit einem Major-Deal. Eigentlich rechnete niemand mit den jungen Provinz-Possen Nirvana, die dann jedoch die große Explosion des alternativen Rock vollbrachten und Badmotorfinger trotz eines Achtungserfolgs auf lange Sicht weit hinter sich zurück ließen. Der Faktor Zeit kann also vieles verändern. Das vielleicht klassischste Album der Pop-Geschichte, Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band von den Beatles, erntete bei seiner ursprünglichen Veröffentlichung eher durchwachsene Resonanz und wurde sogar als kolossale Albernheit verspottet. Heute wissen wir, was dieser Geniestreich für die Musik der kommenden Jahrzehnte getan hat. Natürlich gibt es auch Beispiele für Platten, die direkt zu Klassikern wurden wie Dark Side of the Moon von Pink Floyd oder OK Computer von Radiohead. Allerdings hat die Zeit hier auch das bestätigt, was damals prognostiziert wurde. Als Gegenthese kann ich hier nur all die Leute anführen, die um 2010 behaupteten, dass James Ferraro die Zukunft der Popmusik sei, und über die wir schon fünf Jahre später herzlich lachen. Und Kendrick Lamar ist wieder so ein Fall. Er wird von allen geliebt, hat ein Album gemacht, dessen Qualitäten sogar ich als Skeptiker nicht leugnen kann und das ein starkes politisches sowie gesellschaftliches Statement abgibt. Berechtigte Zweifel hege ich trotzdem: Klanglich wird auf To Pimp A Butterfly vor allem Jazz als Bindemittel genutzt. Nicht unbedingt eine Musikrichtung, die besonders Zukunftsweisend ist. Außerdem sind Lamars Texte sehr komplex und haben teilweise einen schwer verständlichen geschichtlichen oder gar religiösen Überbau. Faktoren, die für mich kein so schnelles Urteil rechtfertigen. Solche Äußerungen sollte man meiner Meinung nach frühestens in fünf bis zehn Jahren tätigen. Allerdings will ich ebenfalls nicht altklug tun und behaupten, ich hätte nicht auch meine Prognosen. In den letzten Jahren sind durchaus einige Platten erschienen, die ich in näherer Zukunft als Klassiker sehe. Sunbather von Deafheaven oder so gut wie alles, was Death Grips seit 2011 machen sind solche Kandidaten. In diesen Veröffentlichungen habe ich auch schon das erkannt, was viele momentan in To Pimp A Butterfly sehen. In die Zukunft kann ich aber genau so wenig schauen wie diese Leute und bin daher vorerst mal ganz ruhig. An der Erfahrung, dass es durchschnittlich zwanzig Jahre dauert, bis man über so etwas urteilen kann, ist ja auch was dran. Das, was gerade mit Künstlern wie Aphex Twin, Oasis oder Green Day passiert, kann man sich für die Musik von heute noch gar nicht ausmalen. Weswegen meine Antwort auf die Frage, ob To Pimp A Butterfly schon jetzt ein Klassiker ist, ein eindeutiges Nein ist. Es obliegt nicht unserer Generation, das zu entscheiden. Wir können später nur mal erzählen, wie es war, dabei zu sein.

Weiterlesen:
Review zu To Pimp A Butterfly (Kendrick Lamar):
zum Review

CWTE auf Facebook