Samstag, 16. Mai 2015

Teil 2: Helden am Klavier

KAMASI WASHINGTON
the Epic
Brainfeeder
2015















Als wir vor zwei Tagen den ersten Teil von Kamasi Washingtons Epic-Saga verließen, war ich zunächst sehr skeptisch. Auf dem vordersten Drittel seines dreistündigen Debüt-Meisterwerkes hatte sich der Saxofonist zwar als äußerst talentierter Instrumentalist sowie Kompositeur herausgestellt, hatte jedoch auch einige unschöne Momente passieren lassen, die das makellose Bild dieses großen Projektes beachtlich trübten. Der Mittelteil selbigen Albums sollte nun Klarheit darüber bringen, ob es sich dabei lediglich um Ausrutscher handelte oder um Kalkül. Um meine Hoffnungen wieder zu wecken, beginnt Teil zwei mit dem meiner Meinung nach bisher besten Song der Platte, Miss Understanding. Washington bekommt es hier das erste Mal auf die Reihe, die pompösen Orchestral-Kunstwerke und die natürliche Leichtigkeit von Jazz-Kompositionen auf einen Nenner zu bringen und diese eindrucksvoll verschmelzen zu lassen. Wichtiges Kontaktmedium ist dabei wieder einmal das Klavier, welches sich langsam zum heimlichen Helden hier entwickelt. Mit einer Länge von neun Minuten ist der Quasi-Opener hier auch keine zu große Herausforderung. Auch der zweite Track Leroy and Lanisha überfordert den Hörer kaum, ist sehr poppig gehalten und überzeugt schon wieder vor allem durch den cleveren Einsatz des Pianos. Gerade zum Ende hin wird der Song dadurch sehr flink und verspielt, was einen saftigen Bruch zu seinem Nachfolger darstellt. Re Run beginnt mit seinem orchestralen Intro und den schwerelosen Chor-Versatzstücken sehr erhaben, wechselt jedoch auch schnell genug zum geschmeidigen Jazz-Rhythmus, wo Saxofon, Schlagzeug, eine schnippische Orgel und das Klavier sich die Klinke in die Hand geben. Aus diesem Schlagabtausch entstehen hier die vielleicht vielseitigsten Momente des gesamten Albums. Und wiederum ist man überrascht, wenn im nächsten Song Seven Prayers das ruder erneut herumgerissen wird. Eine Gruppe aus Piano, leichtem Schlagzeug und zum ersten Mal auch akustischer Gitarre zaubert hier ein fast impressionistisch anmutendes Stück auf Platte, das auch die melancholische Seite dieses Albums erstmals ausführlich betont. Knapp acht Minuten hält der Track diese Stimmung durch und lässt den Hörer zum ersten Mal an etwas anderes als technische Perfektion und Spielgefühl denken. Zwar ist das alles auch hier gegeben, doch Seven Prayers ist das erste Stück, das sich als Fluchtmöglichkeit daraus versteht und damit auf jeden Fall zu meinen Favoriten auf diesem Projekt gehört. Eine Stimmung, die mit dem nachfolgenden Henrietta Our Hero fortgesetzt wird und ein weiteres Mal durch Vocals ergänzt wird. Auch die funktionieren hier ein ganzes Stück besser als auf dem ersten Drittel und Solistin und Chor ergänzen sich stimmig. Der Song ist von der Ästhetik her eine Mischung aus würdevoller Musical-Nummer und Bond-Titeltrack, letztlich jedoch vor allem passend zum Gesamtkontext und kein Spannungsabfall wie the Rhythm Changes. Das gilt genau so für den Quasi-Closer the Magnificent Seven, dem längsten Track auf diesem Drittel des Albums. Eingeleitet wird der Song durch einen ziemlich funkigen Bass, der die ganze Zeit über nicht wirklich verschwindet und windet sich über fast dreizehn Minuten zu einem herrlich lockeren Jazz-Stück, das vor allem durch das wahnsinnig intensive Saxofon-Solo des Hauptkünstlers in ein besonderes Licht gerückt wird. Über mehrere Minuten jammt und gniedelt Washington hier herum als gäbe es kein Morgen und weist sich damit erneut als Ausnahme-Instrumentalist aus. Schöner ist nur noch, wie sich der Track am Ende wieder herunterkocht und der Bass, der alles angefangen hat, auch die letzten Töne von sich geben darf. Damit endet Part Zwei von the Epic äußerst würdevoll und, was noch viel wichtiger ist, ohne sich auch einen einzigen Schnitzer geleistet zu haben. Die zweite Platte ist im Gegensatz zur etwas unharmonischen ersten von vorne bis hinten stimmig und setzt an vielen Stellen noch besondere Highlights oben drauf. Wo mich Teil Eins enttäuschte, werde ich hier umso öfter begeistert und sehe, dass der Rhythmus hier gefunden ist. Wie ein dritter Aufzug das noch verändern kann, werden wir in ein paar Tagen sehen.

Beste Songs: Miss Understanding / Seven Prayers

Nicht mein Fall: Henrietta Our Hero

Weiterlesen:
Review zum ersten Epic-Teil:
zum Review

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