Mittwoch, 27. Mai 2015

Retro-Review: Aufhören, wenn's am schönsten ist

THE SMASHING PUMPKINS
Mellon Collie & the Infinite Sadness
Virgin
1995














Es ist eigentlich eine Schmach, wie sehr sich das Verhältnis der Musikwelt zu Mellon Collie normalisiert hat. Wo andere Platten in 20 Jahren nachträglich glorifiziert und mit Mythen aufgepumpt werden, ist das Opus Magnum der Smashing Pumpkins im öffentlichen Interesse der gleichen Zeitspanne von einer monumentalen Rock-Sensation zu einem Album unter vielen geschrumpft. Damals dachte man, hier das the Wall der Neunziger vor sich zu haben, heute erinnern sich ein paar Alt-Emos noch an Tonight Tonight und Bullet With Butterfly Wings. Wer heute den Namen dieser Band hört, denkt an einen vergnatzten Billy Corgan, an schlechten Industrial und andere schlimme Dinge. Für meine Generation ist es schwer vorstellbar, dass die gleichen Leute mal eine der größten Alternative-Acts überhaupt waren, die fantastische Epen wie dieses hier schrieben. Ich bin da vielleicht eine Ausnahme, aber auch ich empfinde Mellon Collie heute nicht mehr als Höhepunkt der Pumpkins-Diskografie. Ich bin großer Fan von Gish und Siamese Dream, die ich beide zu meinen ewigen Favoriten zähle. Dieses sperrige, dreistündige Doppelalbum kommt erst ein Stück danach. Dennoch muss auch ich gerade wegen dieser imposanten Art noch immer in Ehrfurcht erstarren, wenn ich die Platte höre. Denn hier gibt es ja nicht nur ganz schön viel Musik, sondern vor allem auch richtig durchdachte. Jeder einzelne der 28 Tracks hier ist akribisch durchdacht und spricht eine komplett andere stilistische Nische an. Da gibt es straighte Rocksongs wie Love, psychedelische Eskapaden wie Porcelina of the Vast Oceans, ganz harten Stoff wie X.Y.U. und nicht zuletzt die Singles wie Tonight Tonight, die damals zu richtigen Chartstürmern wurden. Die Smashing Pumpkins wollen alles sein, was sie sein dürfen. Querdenker, große Künstler, Punks, Popstars und Schöngeister. Somit stellt Mellon Collie in der Historie der Band gleich mehrere Wendepunkte dar. Die Hinwendung zum Mainstream nach dem Erfolg von Siamese Dream und die gleichzeitige Abwendung davon. Die Schnittstelle, an der die Grunge-Wurzeln der Gruppe den Übergang zum Emorock fanden. Die endgültige Überzeugung, dass Billy Corgan ein egozentrisches, größenwahnsinniges Genie ist. Nicht nur schrieb der Frontmann über 50 Songs für dieses Projekt im Alleingang, auch die Drama-Queen in ihm kam hier das erste Mal so richtig zum Vorschein. In Interviews bitchte der Sänger konsequent Kollegen an, feuerte Stamm-Drummer Jimmy Chamberlin und erklärte Rock für tot, obwohl er selbst gerade mit diesem Album den absoluten Gegenbeweis geliefert hat. Zumindest klang keines der Pumpkins-Projekte, die nach Mellon Collie kamen, auch nur halb so lebendig wie das hier. Aber Hauptsache, man hat sich mal ordentlich das Maul zerrissen. Die Platte an sich hinderte das auch nicht daran, richtig fett abzuräumen. Sieben Mal war die Scheibe für einen Grammy nominiert, wurde als Meilenstein in der Rockmusik der Neunziger gefeiert, Singles landeten in den Charts und der Clip zu Tonight Tonight wurde mehrmals zum besten Musikvideo des Jahrzehnts gewählt. Das war allerdings vor 20 Jahren. Wenn dieser Tage auf die besten Platten von 1995 zurückgeblickt wird, taucht Mellon Collie zwar häufig auf, doch Radiohead, Oasis, Reakwon, Ol' Dirty Bastard und Pulp sind den Leuten scheinbar eher im Gedächtnis geblieben. Und das ist sehr wenig im Vergleich dazu, was los war, als das Album damals erschien. Aber das Gras der Musikgeschichte ist schnell darüber gewachsen, was mehrere plausible Gründe haben kann. Zum einen war alternativer Rock nach dem Ende der Grunge-Ära das so ziemlich uncoolste der Welt und Mellon Collie kam damit einfach zur falschen Zeit. Und das obwohl es vielleicht das Album hätte sein können, das das Interesse der Szene für diese Art von Musik noch einmal weckt. Andererseits waren auch die Pumpkins selbst in den Köpfen schon weiter. Zwei Jahre später wandten sie sich mit Adore dem Industrial-Pop zu und läuteten damit dem Anfang vom Ende ihrer wirklich großen Phase ein. Mit Beginn des neuen Jahrtausends sollte alles noch ungleich schlimmer werden und in den letzten 15 Jahren wurden so viele grobe Fouls im Namen dieser Band verübt, dass man ihre glorreichen Tage fast vergessen hat. Die Akteure selbst tut ebenfalls nicht viel, um daran zu erinnern. Denn auch wenn die meisten Leute, die auf Pumpkins-Konzerte gehen, sehr gerne primär Songs von diesem Album hören würden, tut ihnen der gesalbte Billy Corgan eher selten den Gefallen. Das, was einem dann bleibt, ist eben dieses Album, welches den Höhepunkt der Dekadenz dieser einst so wunderbaren Band für immer konserviert. Man kann ihn hier tatsächlich hören, den künstlerischen Höhenflug und den Moment vor dem Aufprall. Und dann kann man sich entweder denken: Wie schade, dass die nicht mehr solche Musik machen. Oder man kann froh sein, dass sie es noch geschafft haben, diese Platte zu machen, bevor es zu spät war. Denn das ist das eigentliche Glück der Smashing Pumpkins.

Beste Songs: Bullet With Butterfly Wings / An Ode to No One / Love / Thru the Eyes of Ruby / X.Y.U

Nicht mein Fall: -

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