Freitag, 30. November 2018

10 Songs im November 2018 (Slipknot, Grimes, Carly Rae Jepsen und und und)


























1. POPPY feat. GRIMES
Play Destroy
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Schon allein die Tatsache, dass mit Poppy und Grimes hier zwei der wichtigsten Charaktere der Post-Internet-Bewegung zusammenkommen, ist ein denkwürdiger Umstand und selbst wenn beide auf Play Destroy lediglich die an sie gesetzten Erwartungen eingehalten hätten, wäre das hier wahrscheinlich ein ziemlich guter Track. Das Ergebnis hier ist aber statt durchgestyltem Elektropop ein Mischmasch aus Disney-Musical, K-Pop-Einschlägen und Groove-Metal-Riffs, ganz im Stil von Gruppen wie Babymetal. Und das beste daran: Auch nachdem der erste Überraschungseffekt verklungen ist, bleibt die Single eine richtig gute Nummer und fällt dabei lange nicht so albern aus wie bedauerlicherweise der Rest des neuen Poppy-Albums.

2. CARLY RAE JEPSEN
Party for One
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Bisher war ich eher nicht so ganz Teil des ganzen Carly Rae-Hypetrains, der in den letzten Jahren vor allem die Indiekids dieser Welt heimgesucht hat, aber es gibt auch keinen guten Grund, weshalb sich das nicht ändern könnte. Dass die Kanadierin an sich ziemlich gute Popsongs schreiben kann, weiß ich schon lange und mit Party for One gibt es nun endlich auch den Track, der dafür Pate steht. Er hat alle Qualitäten einer grandiosen Mainstream-Single, verfügt über eine extrem eingängige Hook und findet Optimismus im Narrativ eines Trennungs-Texts. Um zur neuen Bridget-Jones-und-Eiskrem-Hymne zu werden, fehlen im jetzt also nur noch die nötigen Radioeinsätze.

3. SLIPKNOT
All Out Life

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Als Slipknot vor vier Jahren ihr Comeback-Album .5: the Grey Chapter veröffentlichten, wollte kein Mensch noch was von den ehemaligen Epigonen des Schock-Crossover der Nullerjahre wissen. 2018 hingegen sind sie wieder so cool, dass Princess Nokia sich für ein Albumcover mit einem ihrer Shirts ablichten lässt und sie bei Leuten wie Scarlxrd oder ZillaKami als wesentliche Einflüsse zu erkennen sind. Folglich ist inzwischen auch ihr Sound rehabilitiert, den sich auf ihrer neuen Single noch einmal runderneuern. All Out Life ist eine tierisch aggressive und energische, aber vor allem auch sehr kreative Nummer, die in wesentlichen Teilen an den späten Output von System of A Down oder an Pantera erinnert. Ich weiß nicht genau, wann sie das letzte Mal so überzeugend klangen, aber es ist auf jeden Fall ein Weilchen her. Und für dieses, nun formvollendete Comeback hätte es keinen besseren Zeitpunkt geben können.

4. SMINO
L.M.F.

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Erst hatte ich diesen Typen namens Smino als ein weiteres der jüngst immer wieder aufkommenden Kendrick Lamar-Doubles gehandelt, aber ganz so einfach ist es bei ihm nicht. Nur weil ein Rapper die Kunst beherrscht, zwischen vielen abgefahrenen Flows hin und her zu switchen und Neo-Jazz-Samples cool findet, heißt das noch lange nicht, dass er deshalb ein Plagiat hat. Und gerade ein Song wie L.M.F. zeigt, dass er nicht mit KDot zu verwechseln ist. Seine Performance hat nicht dessen Aggression und Schwermütigkeit, sondern ist absolut tiefenentspannt und locker wie Keksteig. Man könnte sagen, dass er hier eine Naivität mitbringt, für die Lamar inzwischen zu alt, zu reich und zu stilistisch relevant ist. Und in diesem Fall ist das für ihn ausnahmsweise mal ein Vorteil.

5. BALTHAZAR
Fever
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Ich kann einfach nur hoffen, dass dieser Song im nächsten Jahr noch richtig groß rauskommt, wenn die Leute den Stress ihres Winterblues abstreifen und wieder gute neue Musik hören wollen. Genau dann sollte dieser Track in irgendeiner Werbung oder Fernsehserie laufen und bitteschön das nächste Jungle Drum oder I Follow Rivers werden. Balthazar hätten es nämlich so unglaublich verdient. Fever, das Titelstück ihrer kommenden Platte ist eine klassisch-elegante Indie-Hymne mit jeder Menge Ohrwurmpotenzial, großartigen klanglichen Schleifen und einem unbeschreiblich geilen Groove, der auch in den gesamten sechs Minuten des Songs kein bisschen langweilig wird. Für mich deshalb trotz allem schon einer der heimlichen Hits dieses Jahres.

6. FONTAINES D.C.
the Cuckoo is A-Callin'
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Fontaines D.C. sind zu Ende des Jahres noch einmal die Newcomer-Empfehlung auf die sich viele Indiekids gerade einigen können, wobei ich meinen Zugang dazu bis jetzt noch vermisst habe. Mit dem knackigen Garagenrock-Kracher the Cuckoo is A-Callin' jedoch haben mich die Iren jetzt ebenfalls auf ihrer Seite. Der gerade Mal zweiminütige Track ist herrlich rotzig, besticht mit einer herrlich billigen, schmierigen Slide-Gitarre und einer guten Potion Regionaldialekt von Sänger Grian Chatten. Ob das reicht, um mir doch noch eine Besprechung zu ihrem neuen Album Too Real abzuringen, ist fraglich, aber das hier kann ich auf jeden Fall schon mal empfehlen.

7. RUSTIN MAN
Vanishing Heart
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Zuerst wusste ich nicht, dass Rustin Man eines der Pseudonyme von Ex-Talk Talk-Bassist Paul Webb ist, doch mit diesem Wissen macht ein Song wie Vanishing Heart wesentlich mehr Sinn. Den ausgedehnten, sehr geduldigen kompositorischen Ansatz, den klagenden Unterton und den rustikalen Gitarrensound kannte man ja schon von irgendwo her. Dennoch kann man hier auch ziemlich diverse andere Einflüsse raushören: Neil Young und David Bowie genauso wie Ray Manzarek, Tango oder Bar Jazz. Unter seinem balladigen Äußeren ist dieser Track wahnsinnig vielseitig und in so vielen Facetten faszinierend, wie ein vierminütiges Stück nur sein kann. Nicht nur deshalb bin ich gespannt, wie das erste eigene Album von Rustin Man im Februar aussehen wird.

8. MERCURY REV feat. MARGO PRICE
Sermon
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Sermon ist tatsächlich der erste Song überhaupt, den ich jemals von Mercury Rev gehört habe und langsam beschleicht mich das Gefühl, dass ich bei dieser Band wohl einiges nachzuholen habe. Was in diesen vier Minuten passiert, ist nämlich genau die Art Später-Neunziger-Triphop-Jazz, von dem ich meinte, ich hätte sein Angebot ausgereizt. 2018 ein Stück zu hören, in dem so viel von großartigen Acts wie Morcheeba, Zero 7, Hope Sandoval, Air und Massive Attack anklingt, wirkt gleichermaßen seltsam wie faszinierend, weil ich eigentlich dachte, dass diese kurze stilistische Periode des Pop kollektiv aus dessen Geschichtsschreibung getilgt wurde. Aber diese Gruppe scheint mir der Gegenbeweis zu sein. Womit ich jetzt nur noch vor der Aufgabe stehe, mit den letzten 30 Jahren ihrer Karriere ein bisschen warm zu werden.

9. COMETHAZINE
Highriser
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Ich mache mir inzwischen nicht mehr die Mühe, mit den vielen Namen der coolen, heißen Rap-Newcomer auf dem neuesten Stand zu bleiben. Die, die wirklich gut sind, setzen sich am Ende ja eh langfristig durch. Lediglich wenn ich mal so ein Brett wie den neuen Comethazine-Track aufschnappe, werde ich neugierig. Der MC aus Chicago ist scheinbar niemand, den man kennen muss, aber dafür ausnahmsweise mal einer, der wirklich heraussticht. Seine Songs sind extrem DIY, exzentrisch und aggro, fast ein bisschen wie die frühen Sachen von Jpegmafia, nur mit weniger Inhalt, sondern mit mehr Swag. Ob er damit eher in die Soundcloud-Szene gehört oder schon einer der experimentelleren Kandidaten ist, wird sich in Zukunft zeigen. An seinem Output dranzubleiben, lohnt sich aber in jedem Fall.

10. SABA feat. MICK JENKINS & XAVIER OMÄR
Stay Right Here
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In den Gefilden des Deutschrap sorgt die Erwähnung des Begriffs "Afro-Trap" seit Jahren schon für spontane Harakiri-Wellen und das hat in meinen Augen auch seinen triftigen Grund. Dass mit Saba hier aber nun ein Ami auftaucht, dessen Musik diesem Begriff endlich mal gerecht wird, ist da fast schon absurd. Sicher, Stay Right Here nimmt auch Einflüsse aus Soul, Jazzrap, karibischer Musik und Gospel mit in die Formel und mit Xavier Omär und Mick Jenkins sind hier echt kredibile Features am Start, aber hier zeigt sich mal, wie cool diese Art von Hiphop eigentlich sein kann, wenn man mit ein bisschen Distanz und ohne die in der Bundesrepublik obligatorische Franzosenrap-Brille an die Sache rangeht. Eat This, 187 Straßenbande!



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Donnerstag, 29. November 2018

Voll Laser!





















Wer in den letzten fünf bis acht Jahren ein klein wenig die Trend-Bewegungen cooler musikalischer Strömungen verfolgt hat weiß, dass über die nostalgische Aufarbeitung oldschooliger Synth-Soundtracks aus den frühen Achtzigern mittlerweile eine eigenes kleines Mikrogenre entstanden ist, das auch seit langem schon kein ausschließliches Indie-Phänomen mehr ist. Angefangen mit der fast wissenschaftlichen Arbeit, die Daft Punk 2011 am Score des Sequels von Tron leisteten über weitere vordergründig cineastische Projekte für Kassenschlager wie Drive und Stranger Things bishin zum symbiotischen Indiepop eines Twin Shadow hat jene Musik, die ursprünglich von Leuten wie Vangelis, Giorgio Moroder und John Carpenter als futuristische Alternative für orchestrale Filmmusik entwickelt wurde, mehr oder weniger die komplette Retro-Welle durchgenudelt. Zeit also, dass sich nun auch die kommerziellen Endverbrauchenden auf die Reste des Trends stürzen. Und es macht Sinn, dass ausgerechnet Muse sich 2018 als deren Personifizierung herausstellen. Die Briten hatten prinzipiell schon immer eine Schwäche für große Kino-Atmosphäre, haben in den letzten Jahren immer wieder einen Zugang zu Einflüssen aus der elektronischen Musik gesucht und die Anfang der Achtziger häufig propagierte Cyberpunk-Attitüde passt sehr gut in die simple Idee von Gesellschaftskritik, die Alben wie the Resistance und Drones propagierten. Dabei muss man aber ganz klar sagen, dass auf Simulation Theory auch ihr Ansatz wesentlich grober gefasst ist. Man braucht nur einen Blick auf das Covermotiv der Platte werfen, um zu wissen, dass Muse nicht die großen Pop-Archäologen sind, die sich für so eine LP mit haufenweise Vintage-Hardware eindecken und sich die originalen Protagonisten von Anno Dazumal ins Studio holen. Sie wollen nur noch das Klischee, das es ermöglicht, ein Gefühl zu verkaufen: Die Neon-Schriftzüge, die Arcade-Sounds, den George Orwell-Dystopismus. Weshalb es auch nicht verwunderlich ist, dass sie bei der klanglichen Umsetzung des ganzen eher oberflächlich bleiben. Zwar gibt es hier dick produzierte Blubber-Keyboards uns Songtitel wie Algorithm oder Something Human, doch am Ende geht es darum, welche dieser Elemente in die klangliche Welt von Muse passen. Und an dieser Stelle muss man sagen, dass Simulation Theory am Ende dann doch eher wieder ein zeitgenössisches Poprock-Album geworden ist. Was entgegen meiner anfänglichen Befürchtungen aber so ziemlich seine beste Eigenschaft ist. Denn anders als der Vorgänger Drones, der unglaublich krampfhaft versuchte, möglichst rockig und progressiv zu sein und dabei furchtbar bieder und formelhaft wirkte, hat diese Platte kein Problem damit, in gewisser Weise auch mal kitschig zu sein. Das Ergebnis ist am Ende vielleicht das beste Muse-Projekt seit Black Holes & Revelations. Nicht zuletzt, weil es hier auch ziemlich große Ähnlichkeiten dazu gibt. Dinge wie die pseudo-rebellischen Lyrics von Matthew Bellamy, die für mich oft ein großer Abturn waren, finden hier im richtigen Setting statt, dass für sich eh total übersättig und pathetisch daherkommt und deshalb zumindest stringent ist. Statt zu versuchen, ernsthafte Messages loszuwerden, kleiden die Briten ihre Attitüde wieder in den Mantel der Selbstparodie, die früher mal so tolle Stücke wie Knights of Cydonia möglich machte. Das ist unterhaltsam und es gibt auf der anderen Seite wiederum die Grundlage für musikalische Eskapaden, die unter allen sonstigen Umständen total peinlich geworden wären. Mein mit Abstand liebster Track auf dieser LP ist Get Up And Fight, eine unglaublich schmierige Emo-Ballade, die nicht von ungefähr an die SciFi-Explosion the True Lives of the Fabulous Killjoys von My Chemical Romance erinnert. Sie ist nur deshalb so genial, weil sie in einem Umfeld stattfindet, das ebenfalls stilistisch überquillt und alle Register des Pop-Bombast zieht. Ein Umfeld, in dem Muse ihre gesamte Größe am besten ausspielen können. Funk-Breaks, Dubstep-Geschwurbel, Gospel-Anspielungen und Matthew Bellamys operettenhafte Oktavsprünge funktionieren eben nur, wenn man die Ernsthaftigkeit von vornherein außen vor lässt. Und zum Glück tut die Band hier endlich mal wieder genau das. Ich hatte Simulation Theory als einen erneuten Versuch befürchtet, ein bierernstes Polit-Album mit verkürzten Floskeln als "Narrativ" aufzunehmen, stattdessen ist es ein unglaublich kreativer, unterhaltsamer und theatralischer Pop-Zirkus geworden, der nicht weniger als die Platte ist, die diese Formation schon seit etlichen Jahren brauchen. Sie ist in keinster Weise cool, aber dass man die ganze Zeit dachte, Muse müssten cool sein, war der eigentliche Fehler. Denn in Wahrheit waren sie schon immer die Babymetal des Progrock. Es hat nur gedauert, bis ich das kapiert habe.






Persönliche Highlights: Algorithm / Pressure / Propaganda / Break It to Me / Something Human / Get Up And Fight / Blockades / Dig Down / the Void

Nicht mein Fall: the Dark Side

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Mittwoch, 28. November 2018

Mascis & Chill





















Wenn man mich fragt, dann ist J Mascis schon seit langem eine der am besten gealterten Personen des modernen Rock'n'Roll-Zirkus. Mit 52 Jahren ist er der heimliche Gottvater unter den Indierock-Pionieren, ein Idol vieler zeitgenössischer Gitarrist*innen und neben den nun schon seit einer Dekade wieder aktiven Dinosaur Jr. noch immer Mitglied in diversen ziemlich coolen Bands. Gleichzeitig möchte man ihn irgendwie auch gerne als Patenonkel haben oder zumindest als Nachbarn, mit dem man ab und zu ein Radler trinkt. Seine ganze Art ist schon seit langer Zeit einfach nur grundsympathisch und zumindest wenn es nach mir geht, wird er jedes Jahr ein bisschen cooler. Auch musikalisch. Wo ich an den ursprünglichen Achtziger-Output von Dinosaur Jr. bedauerlicherweise nie so wirklich ran kam, ist vieles von dem Material, das seitdem von ihnen erschienen ist, schon eher nach meinem Geschmack. Und wenn es um seine Solo-Geschichten geht, bin ich erst recht Fan. Mit seinem zweiten eigenen Album Several Shades of Why von 2011 (Das erste namens Martin + Me wurde schon 1996 veröffentlicht) hatte ich noch leichte Berührungsängste, doch spätestens mit Tied to A Star holte er mich drei Jahre später vollends ab. Ihn als größtenteils akustischen Singer-Songwriter-Typen zu erleben, gab seiner natürlichen Entspanntheit noch einmal eine völlig neue Dimension und wirkte teilweise sogar ziemlich niedlich. Und genau an dieser Stelle war ich bei seinem neuesten Werk Elastic Days zunächst etwas skeptisch. Denn genau diese minimalistische, simple Ästhetik findet hier nicht mehr statt. Mit einem vollständig ausgebauten Bandsound inklusive zusätzlicher Begleitinstrumentation ist das Ganze sogar ziemlich nah dran an den Sachen, die er mit Dinosaur Jr. in den letzten Jahren gemacht hat. Was wäre also das besondere an diesem Album? Eine Frage, die ich so richtig leider immer noch nicht so richtig beantworten kann. Sicher, es fehlen vielleicht ein paar aufgedrehte Fuzz-Gitarren und und fransige Indierock-Grooves von Lou Barlow, doch rein kompositorisch ist der Unterschied marginal. Die gute Nachricht ist, dass Elastic Days damit trotzdem noch ein bisschen besser ist als die Sachen der Band und man das typische Mascis-Songwriting trotz breiterer Untermalung kein bisschen vermissen muss. Unter den 12 Songs sind jede Menge starke Tracks dabei, denen die zusätzliche Instrumentation tatsächlich auch sehr gut tut und von denen keiner komplett scheiße ist. Sie sind zwar auch ein ganzes Stück weniger kreativ und stimmungsvoll wie die Sachen auf Tied to A Star, aber auch weit entfernt von der befürchteten Blamage. J Mascis geht hier keine großen Risiken ein, was er in meinen Augen auch gar nicht muss. Sein Solo-Output besteht seit jeher aus Stücken, die eher über ihre Leichtigkeit und Simplizität funktionieren als über große experimentelle Hakenschläge. Die sortiert er entweder ins Dinosaur Jr.-Repertoire ein oder gründet gegebenenfalls gleich eine komplett neue Band. Elastic Days ist das unspektakuläre, gemütliche Gelegenheits-Album eines alternden Indie-Stars, der es nicht mehr nötig hat, die Gitarrenmusik nach über 30 Jahren Karriere noch mal zu revolutioneren und ich finde, das sollte man auch akzeptieren. Er ist keiner dieser Thurston Moores und Morriseys, die es immer noch unbedingt wissen müssen, sondern macht einfach, worauf er Lust hat. Und zumindest Spaß scheint er an seiner Musik nach wie vor zu haben. Was am Ende ja die Hauptsache ist.






Persönliche Highlights: Web So Dense / Sky Is All We Had / Give It Off / Cut Stranger / Sometimes

Nicht mein Fall: -

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Dienstag, 27. November 2018

Encantadora



Bereits gute zwei Jahre ist es her, da erschien eine junge katalonische Flamenco-Sängerin namens Rosalía Vila Tobella auf der musikalischen Bildfläche des spanischen Neo-Folk, einer Nische europäischer Popmusik, die eigentlich von Beginn an keine besonders erfolgsversprechende war. Selbst in der spanischen Heimat der Songwriterin hat dieses Genre den äußerst schlechten Ruf einer altbackenen und innovationsresistenten Volksmusik, den man hierzulande vielleicht mit der des volkstümlichen Schlagers vergleichen kann. Als junge Musikerin stolperte sie also direkt in ein reichlich verstaubtes musikalisches Umfeld. Und als im Februar 2017 ihr unscheinbares Debüt mit dem Namen Los Ángeles erschien, nahm zunächt erstmal niemand davon Notiz. Spult man jedoch vor zum September 2018 ist Rosalía ein Shooting-Star der internationalen Indie-Presse geworden, über die so ziemlich jede Plattform schreibt, die irgendetwas mit Musik zu tun hat und ihr aktuelles Album El Mal Querer wird ausschließlich in den höchsten Tönen gelobt. Was die Sängerin also in weniger als 24 Monaten geschafft hat, ist einigermaßen beachtlich. Mit einem frischen, leidenschaftlichen und durch moderne Pop-Elemente angefütterten Sound schuf sie aus dem Stand eine zeitgenössische Blaupause traditioneller spanischer Flamenco-Songs, die nicht nur erfrischend und sexy daher kam, sondern vor allem auch inhaltlich aufgeladen war und sich lyrisch nicht mit Lapalien aufhielt. Los Ángeles drehte sich als grobes Konzept um das Thema Sterblichkeit und hatte die klangliche Kraft einer sehr anmutigen Dampfwalze, was nicht zuletzt Rosalías unglaublichem Stimmvolumen geschuldet war. Die junge Spanierin war kurzum eine wahnsinnig talentierte Visionärin, die man als ehrlicher Musikfan einfach lieben musste. Und genau an diesem Punkt hänge ich bis heute hinterher: So toll, wie ich sie theoretisch sein sollte, ist ihre Musik in meinen Augen ganz einfach nicht. Dabei habe ich es wirklich versucht. Auch ich bekam letztes Jahr Wind von diesem angeblich so tollen Debüt mit den ach so emotionalen Songs, die mich allerdings bis auf wenige Ausnahmen komplett kalt ließen und obwohl ich ihren musikalischen Ansatz schätze, war die ganze Sache für mich bisher meistens einfach zu kraftmeierisch und pressig, als dass ich es wirklich hätte genießen können. Und nun, da El Mal Querer die Musikschreiber*innen dieser Welt ein weiteres Mal in manische Anhimmelei versetzt, muss auch ich mal meinen Senf dazu geben. Ich kann verstehen, warum man Rosalía super findet und sie verdient absolut jedes bisschen positive Resonanz, aber selbst bin ich bei ihrer Musik nach wie vor äußerst skeptisch. Wobei diese neue LP durchaus schon Mal ein Fortschritt ist. Insofern, dass wir hier erstmals ein echtes Crossover-Potenzial erleben. Wo Los Ángeles meiner Aufassung nach einfach nur ein stinknormales Flamenco-Album war, das zufällig von einer 24-jährigen gesungen wurde, ist El Mal Querer tatsächlich eine neue kreative Herausforderung. Die traditionellen Einflüsse gesellen sich hier zu großen Portionen Elektro-Pop, Trap-Beats, Autotune und R'n'B-Elementen, die jede Menge frischen Wind in die Songs bringen und nicht zuletzt eine ganz neue Haltung aufbauen: Rosalía ist jetzt nicht mehr die reine Folk-Sängerin, die ein paar olle Flamenco-Klassiker ein bisschen aufhübscht, sondern sie schickt sich ein, auch ein Popstar zu sein. Und an diesem Punkt wird es in meinen Augen interessant. Misslungene Versuche, Volksmusik und Mainstream zusammenzubringen, kennen sicherlich viele von uns zu Hauf. Moderner Latin Pop von Luis Fonsi, zeitgenössischer Country bishin zu Hick-Hop oder um mal die Kirche im Dorf zu lassen, auch einfach Andreas Gabalier. Und in diese Kategorie gehört das, was man hier hört, glücklicherweise überhaupt nicht. Im Gegenteil: El Mal Querer ist eine extrem elegante und clevere Fusion zweier Welten, die großen Vorbildcharakter haben könnte. Schon Vorab-Singles wie Malamente oder Di Mi Nombre ließen erahnen, wohin dieses Experiment geht, und in seiner ganzen Ausprägung beeindruckt es durchaus. War Rosalía vorher gefühlt eher die schüchtere Folk-Songwriterin, fügen die Anklänge aus R'n'B und Hiphop ihr jede Menge Coolness und Charakter hinzu, die ich fast ein bisschen bratzig finde. Gleichzeitig verhindert der nach wie vor starke Bezug zum Flamenco, dass diese LP eines dieser gesichtslosen Neo-Soul-Geschichten ohne jegliche Energie wird. Zackig gespielte Akustikgitarren, Handclap-Beats und die nach wie vor extrem präsente Stimme der Sängerin halten das Drama der Songs aufrecht. Und die Momente, in denen beide Welten zusammenfließen, sind tatsächlich kleine kompositorische Schätze. Trotz aller Begeisterung muss ich aber auch diesmal sagen, dass es eher die Idee ist, die mich entzückt, als deren tatsächliche Umsetzung. Sicher, es gibt tolle Dinge hier und im Vergleich zum Debüt hat sich hier immens viel verändert. Dennoch ist nicht jeder Song so catchy wie ein Malamente und nicht überall klappt die stilistische Verschmelzung so toll wie in Pienso En Tu Mirá. Einige Tracks hier sind eher wieder ein bisschen awkward, manche brachiale Soul-Eskapaden zuviel gewollt und es gibt klangliche Entscheidungen wie die Motorrad-Geräusche in De Aquí No Sales, die eher fragwürdig sind. Und an dieser Stelle kommt wieder die Skepsis in mir hoch: Klar ist das, was diese junge Frau macht, vom Konzept her faszinierend. Klar ist es spannend, Flamenco mal im Kontext des modernen Mainstream-Pop zu hören und klar haben wir es hier mit einer grandiosen Sängerin zu tun. Aber in meinen Augen ist an vielen Stellen eben immer noch Luft nach oben. Man kann jetzt beeindruckt sein, weil man diese Musik exotisch und neuartig findet oder man kann abwarten, bis Rosalía diese Ansätze auch wirklich in einen eigenen Sound und eine feste Ästhetik umgesetzt hat. Und bei ihrem Talent verspreche ich, dass das in nicht langer Zeit noch passieren wird.

Persönliche Highlight: Malamente / Pienso En Tu Mirá / Preso / Di Mi Nombre / A Ningún Hombre

Nicht mein Fall: De Aquí No Sales / Bagdad

Montag, 26. November 2018

Kurze: Vince Staples, Kristian Stojanov, Freddie Gibbs, Alchemist

Da 2018 nach wie vor das Jahr ist, in dem die Grenze zwischen klassischen Tonträgerformaten endgültig zu zerbrechen droht und man sich manchmal nicht ganz sicher sein kann, was an einer bestimmten Stelle nun LP, EP oder Mini-Album ist. Das hat zuletzt zunehmend dazu geführt, dass ich über 20-minütige Platten teilweise sehr lange Artikel geschrieben habe, was irgendwann auch mal aufhören muss. Deshalb hier ein kurzer Blick in die Zwischenwelt, in der ich über einige Projekte schreiben will, die mir persönlich zu kurz für eine volle Besprechung sind.

CURREN$Y, FREDDIE GIBBS & ALCHEMIST
Fetti
File Under: Mini-Album (23 Min.)

Es ist schade, dass sich die außerordentliche Kollaboration dieses ungleichen Triples auf gerade mal 23 Minuten Spielzeit beschränkt, denn was Curren$y, Freddie Gibbs und Alchemist hier anschneiden, hat das Zeug dazu, eines der besten Hiphop-Projekte der ganzen Saison zu sein. Klassische, geschmackvolle Beats, veredelt mit rauhbeinigem Rustikal-Rap und jeder Menge Charakter machen das hier zu einer extrem stimmigen Sache, deren einziger Makel es ist, dass sie ein bisschen zu kurz ausfällt. 9/11



KRISTIAN STOJANOV & THE SYNDICATE
Like A Wolf Through the Night
File Under: EP (13 Min.)

Kristian Stojanov kennt man in meiner Heimat als Sänger der berühmt-berüchtigten Stoner-Gruppe Hammada, neben der er mit seiner ersten (Quasi-)Solo-EP nun auch für sich selbst ein solides künstlerisches Fundament gelegt hat. Die drei Stücke auf Like A Wolf Through the Night tendieren eher in Richtung Bluesrock der Marke Eric Clapton und J.J. Cale und sind abgesehen von ihrem ziemlich polierten Sound durchaus nicht uninteressant und auch eine ganze Ecke persönlicher als die Sachen von Hammada. Auf jeden Fall also ein souveränes Statement für ihn. 7/11


VINCE STAPLES
FM!

File Under: Mixtape im Kleinformat (22 Min.)

Neben seinen großen Platten wie Big Fish Theory oder Summertimme '06 sind es bei Vince Staples auch immer wieder die kurzen Mixtape-Projekte, die durchaus bemerkenswert sind. Und nach dem sehr intelligenten Album vom letzten Jahr ist FM! nun vor allem für eines gut: Zu zeigen, dass seine Musik noch immer Spaß machen kann. Die 22 Minuten hier sind voller fantastischer Trap-Banger, die die Diskografie von Staples wesentlich auflockern und ihm ein bisschen das bierernste Kunstrapper-Image nehmen, das ihm zuletzt vielleicht ein bisschen im Weg stand. 9/11




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Sonntag, 25. November 2018

For Whom the Bells Toll





















Für eine ganze Weile lang hatte ich gedacht, dass Spencer Krug nun langsam zur Ruhe gekommen wäre. Als er Anfang der 2010er-Jahre bei Wolf Parade aufhörte, nach Finnland zog und sein Soloprojekt Moonface ins Leben rief, passierte das mit Ansage. "Set fire to my music / it wasn't much good anyway" besang er diesen Bruch in November 2011 und dass er nebenbei auch seine zig anderen Bands an den Nagel hing, war ebenfalls stringent. Und allein die Tatsache, dass er die darauf folgenden sieben Jahren auschließlich als Moonface veröffentlichte (ergänzt höchstens noch durch seine Begleitgruppe Siinai), zeigte mir, dass er sich wohl irgendwie gefunden haben musste. Trotzdem sollte es dabei nicht bleiben: 2017 veröffentlichten Wolf Parade ein Comeback-Album, kurze Zeit später kündigt Krug das Ende seiner Solo-Ausflüge an. Anscheinend geht es also wieder zurück in die ehemalige Hauptband. Und wo das für viele Zwotausender-Indiefans sicher eine großartige Nachricht ist, bin ich als großer Anhänger seiner Moonface-Arbeiten schon etwas geknickt. Spätestens seit dem fantastischen Julia With Blue Jeans On von 2013 bedeutete dieser Name für mich wesentlich mehr als nur ein weiteres Projekt eines guten Musikers. Spencer Krugs Material war im höchsten Maße analytisch, befasste sich auf penible Weise mit den Ausdrucksweisen einzelner, teils sehr nerdiger Instrumente und präsentierte tolles Songwriting dabei fast schon als Abfallprodukt. Nicht jede seiner Platten war dabei so genial wie Julia, aber spannend waren sie ausnahmslos. Und jetzt den Schwanengesang eines Acts zu hören, der wie wenige andere in den letzten Jahren für Leidenschaft beim Songschreiben steht, ist schon ein Verlust. Dass Krug uns mit This One's for the Dancer & This One's for the Dancer's Bouquet nochmal ein richtig fettes Album-Paket zusammengeschnürt hat, ist da nur ein kleiner Trost. Denn schon in der Promophase der Platte merkte man, dass wir es hier möglicherweise eher mit der Resterampe der letzten acht Jahre zu tun haben. In Interviews riet der Musiker selbst davon ab, die gut anderthalb Stunden der LP als geschlossenes Werk zu betrachten und sogar davon, sich überhaupt das ganze Ding anzuhören. Jemand, der wirklich Herzblut in dieses Album investiert hätte, würde sowas wohl eher nicht empfehlen. Zudem findet sich hier beispielsweise ein Track mit dem Namen Heartbreaking Bravery II, der in der Logik des Moonface-Kosmos eigentlich auf einem Siinai-Projekt hätte landen müssen. Das mit der großen Leidenschaft ist hier also erstmals nicht so wirklich der Fall. Was allerdings noch lange nicht heißt, dass This One's for the Dancer... eine miese LP ist. Denn auch wenn das Ergebnis eher eine Compilation geworden ist, im Prozess ist Spencer Krug dabei nicht minder kreativ gewesen. Und tatsächlich ist zumindest in den meisten Songs ein klanglicher roter Faden auszumachen. Wie meistens bei Spencer Krug schlängelt der sich sehr dicht an der Wahl des Instrumentariums entlang: Nachdem bereits die letzte Siinai-Platte the Nightclub Artiste sich in die Gefilde von allerlei Klimperkram hineinwagte, ist dieses Album nun endgültig zum Projekt der rhythmischen Orff-Sounds: Steel Drums, Marimbas, Glockenspiele, Xylophone und Vibraphone stellen die bestimmende Hardware von This One's For the Dancer... und werden hier vom Status des Begleitinstruments ins große Rampenlicht geschoben. Ich bin mir nicht sicher, aber es könnte auch sein, dass man auf dem gesamten Album nicht ein einziges richtiges Schlagzeug hört, sondern stets nur ein Sammelsorium aus komischen Percussion-Teilen, was die LP auf analytischer Seite mal wieder zu einem dieser typischen Moonface-Projekte macht. Vor allem, weil Krug trotz dieser Arbeitsweise hier nicht automatisch ein Latin-Jazz-Album macht. Stilistisch hört man hier den gleichen rotweinschweren New Wave-Indiepop wie auf bisher allen seinen Soloplatten. Und in diese Ästhetik passen dann genauso gut Saxofonsoli, Vocoder-Strophen und Autotune. Dass This One's for the Dancer... ideenlos, unkreativ oder gar langweilig werde, kann man also getrost vergessen. Wenn man mich fragt, ist es zu gewissen Teilen sogar sein bestes Projekt seit Julia With Blue Jeans On. Und dass es so umfangreich ist, ermöglicht es, viele songwriterische Ecken von Krugs Repertoire noch einmal auszuleuchten. Gerade darin liegt aber auch seine größte Schwäche: Was fehlt, ist ganz einfach gesagt der Tiefgang. Die 16 Songs schneiden vieles an, präsentieren unterschiedliche Ansätze und führen diese mitunter auch bis zu acht Minuten lang aus, doch bei keinem von ihnen verharrt man wirklich und fühlt sich zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit seinen Inhalten eingeladen. Klar, man bestaunt für einen Moment, wie cool die Marimbas hier Klangflächen erzeugen können und sinniert über das verkannte Goth-Potenzial von Bongos, aber es gibt keine großen Stücke, die als ganzheitliche Instanz beeindrucken. Nichts, was einen emotional beschäftigt. Keine geschlossenen Song-Systeme, die begeistern. Und dabei war das eigentlich immer ein sehr großer Trumpf von Spencer Krug. Wenn man mich fragt, hat dieser Typ in den letzten Jahren so einige meiner Lieblingssongs verfasst, vordergründig die sakralen Hymnen auf Julia With Blue Jeans On wie Barbarian oder November 2011. Songs, die vor allem anderen durch ihre Emotionalität bestechen. Auch das vielleicht ein bisschen unterschätzte the Nightclub Artiste von 2016 hatte diese Qualitäten. Die neue Platte hingegen ist in ihrer Komposition fast schon wieder ein bisschen wissenschaftlich. Was auch total okay ist und diese Musik von anderen Sachen abhebt, aber niemals so beeindruckend sein wird. Und was mich vielleicht am meisten daran stört ist, dass ausgerechnet das nun das letzte Moonface-Projekt sein soll. Ausgerechnet das mit den wenigsten Emotionen. Ausgerechnet das, was einem vielleicht ein bisschen egal ist. Sicher, man jammert dabei auf hohem Niveau und Spencer Krugs Solo-Arbeiten waren nie ein ähnliches Phänomen wie Wolf Parade, aber einen etwas klangvolleren Abgang hätte das Ganze schon verdient. Mein Unbehagen mit This One's for the Dancer... ist also weniger musikalischer als viel mehr sentimentaler Natur. Wie sehr gute Freunde, die sich zum Abschied die Hand schütteln. Es ist nicht Nichts und man weiß es eigentlich besser, aber eine kleine Enttäuschung bleibt trotzdem. Wobei Spencer Krug ja noch lange nicht aus der Welt ist. Im Gegenteil: Das Ende von Moonface bedeutet viel mehr, dass er vielleicht wieder etwas umtriebiger wird. Was wiederum heißt, dass wir in Zukunft vielleicht sogar noch häufiger über ihn sprechen....






Persönliche Highlights: Minotaur Forgiving Pasiphae / Heartbreaking Bravery II / Minotaur Forgiving Minos / Aidan's Ear / Minotaur Forgiving Theseus / Okay to Do This / Dreamsong / Minotaur Forgiving the White Bull

Nicht mein Fall: Minotaur Forgiving Knossos 

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Freitag, 23. November 2018

In einem Land vor unserer Zeit





















Würde man alle Rockbands dieser Welt danach sortieren, wie groß der Nerd-Faktor ihrer musikalischen Arbeit ist, the Ocean würden in diesem Raking sicherlich einen der vordersten Plätze einnehmen. Bereits seit ihrer Gründung vor knapp zwei Jahrzehnten sind die Schweizer Sludge-Progger in ihrer gesamten kreativen Vorgehensweise wesentlich ambitionierter als viele andere Künstler*innen ihres Genres und spätestens seit ihrem definierenden Album Precambrian vor etwa zehn Jahren, auf dem sie das erdgeschichtliche Zeitalter des Präkambriums zu vertonen versuchten, ist ihr Output in Fachkreisen gern ein bisschen als "Geolog*innen-Metal" verschrien. Mehr als Spott hat ihnen die Auseinandersetzung mit vordergründig wissenschaftlichen Themengebieten aber Bewunderung in der Szene eingebracht. Vermutlich hauptsächlich deshalb, weil sie, was progressive LP-Konzepte angeht inzwischen zum absoluten Endgegner geworden sind. Und vielleicht auch deshalb, weil sie im Progmetal damit einer der wenigen Acts sind, die man wirklich noch einigermaßen ernst nehmen kann. Ihre klanglichen Expeditionen in die Sachgebiete der Naturwissenschaften sind keineswegs hohle inhaltliche Hülsen, die als Ersatz für künstlerische Ideen dienen. Es klingt komisch, aber the Oceans Alben klingen in dem meisten Fällen tatsächlich nach den Dingen, die sie vertonen sollen. Das sicherlich beste Beispiel dafür war 2013 ihr letztes Album Pelagial, das sich mit Lebensformen der Tiefsee beschäftigte, und dabei tatsächlich eine Atmosphäre schuf, die einen beim Hören Stück für Stück weiter in Richtung Meeresgrund zog. Es zeigte die Idee dieser Band in Perfektion und machte Hoffnung darauf, dass auch ein eventueller Nachfolger diese Qualitäten wieder mit sich bringen würde. Was noch wahrscheinlicher wurde, als sich abzeichnete, dass die Schweizer diese Saison den Nachfolger ihres bisher vielleicht beliebtesten Albums vorstellen würden. Die Geolog*innen unter euch wissen es schon: Nach dem Präkambrium folgt in der wissenschaftlichen Zeitskala das Äon des Phanerozoikum, innerhalb dessen die Ära des Paläozoikums nun Thema dieser LP geworden ist. In vielerlei Hinsicht kann das hier also als eines von mehreren möglichen Sequels von Precambrian bezeichnet werden. Wäre ich studierter Erdkundler oder leidenschaftlicher Fan von the Ocean, hätte diese Nachricht vor einigen Monaten bei mir wahrscheinlich Begeisterungsstürme ausgelöst. Aber auch so ist das Ergebnis hier am Ende gar nicht übel geworden. Denn auch abgesehen von ihren Konzepten sind diese Jungs nach wie vor keine schlechte Band. Als geschworener Gegner sinnloser Gniedelei finde ich es erfrischend, dass sie auch auf Palaeozoic nicht den Fehler begehen, technisch versiertes Rumgepimmel mit gutem Songwriting zu verwechseln und sich wirklich Gedanken machen, wie Strukturen auf dieser LP aussehen könnten. Die Kompositionen hier haben den nötigen Zug, es gibt eine ansprechende Dynamik und peinliche Emorock-Momente oder blöde Vokal-Effekte spart die Band größtenteils aus. Ebenfalls cool finde ich, dass dieses Album produktionstechnisch nicht den Weg des geringsten Widerstands geht. Jede andere Gruppe, die solche Musik spielt, hätte die klanglichen Schwerpunkte auf das fette Riffing, die Basslines und die Drums gelegt, um den Gesamt-Sound möglichst aufgepumpt und derbe wirken zu lassen. The Ocean tun dies in Ansätzen, aber drehen dabei niemals alle Öfen gleichzeitig auf und setzen den Fokus eher auf die melodischen Anteile ihrer Musik. Dadurch empfindet man das hier oft eher als modernen Progrock als Metal, womit die Schweizer eine klangliche Formel umgehen, die man seit 20 Jahren bei jeder Deathcore-Band gleich hört. Dann noch ein paar instrumentale Schmankerl wie die Bläser in Silurian oder die Streicher in Permian, und fertig ist ein durchaus ziemlich ansprechendes neues Projekt. Ziemlich, weil am Ende eben doch mehr hätte gehen können. Bei allen kleinen Schrauben, die the Ocean hier drehen, ist der Hauptteil der Platte am Ende doch nur mäßig kreativ. Das Songwriting ist definitiv da, aber es geht über die gesamte Spieldauer nur sehr berechenbare Risiken ein. Gemessen an den Klischees, die hier schon aufgebrochen werden, ist da ganz klar noch Luft nach oben. Mit etwas mehr Arsch in der Hose hätten die Schweizer hier die Art von Progmetal schaffen können, wie sie Bands wie Baroness oder Cult of Luna vorleben. Stattdessen ist Palaeozoic eine LP, die zwar spannende Elemente beinhaltet, für die man aber auch sehr genau hinhören muss. Oberflächlich bleibt es eine gute LP, aber auch keine wirklich besondere. Was sie im Bereich des Progmetal trotzdem zu einer der besten Platten macht, die ich seit langem besprochen habe. Zu einer der nerdigsten sowieso






Persönliche Highlights: the Cambrian Explosion / Silurian: Age of Sea Scorpions / Permian: the Great Dying

Nicht mein Fall: -

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Donnerstag, 22. November 2018

Lachen mit Mark





















Eine Sache, die ich bei Black Flag-Sänger Henry Rollins immer sehr bewundert habe ist, dass er als Performer sozusagen zwei Leben führt: Eines als der rabiate, rotzige Frontmann einer Hardcore-Band und ein weiteres als besonnener Spoken Word-Künstler, der in sehr angenehmer und geruhsamer Manier Geschichten aus seinem Leben erzählt. Die eine öffentliche Persona ist dabei vollkommen unvereinbar mit der anderen und dass es diese klare Trennung gibt, ist bei ihm wichtig und gut. Allerdings gilt das deshalb nicht gleich auch für alle anderen Leute. Bestes Beispiel dafür ist seit einigen Jahren sicherlich Mark Kozelek, der mit seinem musikalischen Output mittlerweile in einer kreativen Handlungsschleife gefangen scheint. Er betourt mit seiner Band Sun Kil Moon die gesamte Welt und spielt Konzerte, nur um dann auf einer Platte über seine Erfahrungen bei diesen Reisen zu schreiben und damit dann wiederum auf Tour zu gehen. Einige seiner besten Songs wie Bergen to Trondheim, Philadelphia Cop oder das legendäre the War On Drugs: Such My Cock sind derartige Berichte, die wie bei ihm üblich, auch gerne Mal sehr willkürlich und unspezifisch sein können. Und wenn man mich fragt, ist Kozelek in dieser Kunstform mittlerweile ein bewundernswerter Meister geworden: Jedes Jahr gibt es im Durchschnitt drei neue Platten von ihm, jede von ihnen über eine Stunde lang, die alle völlig formfreie Lyrik präsentieren, auf denen Musik nur noch als unterhaltende Nebensache stattfindet und die mehr oder weniger alle gleich klingen, aber dennoch eine unglaubliche Faszination ausstrahlen. Denn mehr als alles andere hat sich der Songwriter inzwischen als Geschichtenerzähler profiliert, der eigentlich gar keine musikalische Begleitung mehr braucht, um zu überzeugen. Wie der Spoken Word-Henry Rollins könnte er sich 2018 auf eine Bühne stellen, einfach so aus seinem Leben erzählen und die Leute (mich eingeschlossen) würden sicherlich dafür bezahlen und eine gute Zeit haben. Aber er macht immer noch Musik. Und dafür bin ich fast noch ein bisschen dankbarer. Denn indem er seine Geschichten nach wie vor in Songs verarbeitet, bricht er regelmäßig die Grenzen dieses Mediums auf. Wobei seine neueste LP This is My Dinner mal wieder eine völlig neue Facette davon zeigt. Nachdem Benji vor vier Jahren sein trauriges Sterblichkeits-Album war, Universal Themes als Tagebuch-Platte funktionierte und sein selbstbetiteltes Projekt von diesem Sommer viel Motivation und gute Laune versprühte, hat das hier erstmals ein Versuch, so etwas wie Comedy in seine Musik einzubringen. Was natürlich zunächst nach einer ziemlich heiklen Sache klingt. Eigentlich ist aber nichts in der Welt logischer: In seinen Stücken hat Kozelek schon lange das Charisma eines versierten Standup-Poeten, er kann gut aus seinem Leben erzählen und wer mal einen der vielen Konzertmitschnitte, die es von ihm online gibt, gesehen hat, weiß, dass er auch live mitunter zum schreien ist. Und gerade diese ulkige Energie, die er auf der Bühne hat, ist in vielerlei Hinsicht der Motor dieses neuen Albums, nicht selten bis zur Selbstparodie. So gibt es beispielsweise in Copenhagen eine Passage, in der Kozelek ziemlich detailliert über seine altersbedingten Erektionsprobleme redet, gefolgt von der fast schon geschrienen Zeile "is this too much information?!". Im Opener This is Not Possible findet ein seltsam unterkühlter, jazziger Gang-Shout des Titels als Call-Response-Variante statt, wobei verschiedene Situationen beschrieben werden, die alle Kozeleks Umgang mit Service-Fachkräften darstellen (der Hauptteil der Handlung findet dabei in einem Hotel in Frankfurt am Main statt, was nicht zuletzt für viele lustig ausgesprochene deutsche Wörter sorgt). In Candles spricht er darüber, dass schwedisches Essen und die viele Dunkelheit die Leute hypnotisieren würden und nachdem er im Song David Cassidy über seine Verehrung für den namensgebenden Sänger und Schauspieler gesprochen hat, covert er als nächsten Track dessen Komposition Come On Get Happy. Ich könnte haufenweise solche Passagen aufzählen und alle von ihnen sind großartig. Es gibt jedoch noch eine, die wirklich heraussticht und bei der ich beim ersten Hören tatsächlich laut lachen musste: Ziemlich zu Anfang des Songs Linda Blair singt er eine kurze Zeile über eine Passantin, die einen schlimmen Husten hat. Schon allein die Tatsache, dass er danach eine Weile lang dieses Husten nachzuahmen versucht, ist ziemlich witzig. Dass er das Geräusch jedoch eine Strophe später wiederholt, nachdem er gerade eine Reihe ziemlich brutal klingender Metalband-Namen aufgezählt hat, ist absolutes Comedy-Gold. Vor allem zeigt es aber, dass Mark Kozelek spätestens hier etwas vollkommen anderes ist als nur ein Songwriter. Bisher war er das zu gleichen Teilen wie ein Erzähler und er hat schon seit langem seine sehr eigene, unvergleichliche Herangehensweise, auf This is My Dinner dreht er allerdings völlig am Rad. Das hier ist mehr ein anderthalbstündiges Unterhaltungsprogramm als ein Musikalbum, aber als solches nicht weniger genial. Es ist wie fast jede Platte von diesem Typen eine neue Dimension, aber diesmal stößt er dabei auch wirklich Türen auf. Weg von der Musik, hin zur begleiteten Standup-Comedy oder Tagebuchlesung, je nachdem wie man das beurteilt. Dass er trotzdem kein Henry Rollins wird, macht ihn dabei einzigartig. Nicht etwa unter den Musikern, unter denen ist er sowieso schon ein Original. Es macht ihn einziartig unter den Spoken Word-Poet*innen






Persönliche Highlights: This is Not Possible / Linda Blair / Copenhagen / Candles / David Cassidy / Come On Get Happy / Rock'n'Roll Singer / Soap for Joyful Hands

Nicht mein Fall: -

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Dienstag, 20. November 2018

Diene der Party





















Seit inzwischen beinahe 30 Jahren sind the Prodigy aus Braintree, Essex als gemeinsame Schöpfer des englischen Big Beat und Breakcore eine absolut unfickbare Institution, soviel sollte inzwischen endgültig klar sein. Wohl kein anderes Kollektiv hatte einen so großen Einfluss auf die Fusion aus Techno, Punkrock und Hiphop in den Neunzigern wie sie und als definitive Vertreter des Crossover kommt man an ihnen nicht vorbei. Was ich an ihrer Karriere jedoch fast noch mehr bewundere ist, wie sie es geschafft haben, seit ihrer Gründung im Jahr 1990 (!) nicht einen Augenblick lang wirklich uncool geworden zu sein. Zumindest wenn man mich persönlich fragt. In meinen Augen gibt es in drei Dekaden keine einzige Platte von ihnen, die nicht ihre wichtigste Kernkompetenz in sich trägt, hemmungslos nach Party, Schweiß, drei Pullen Monster Energy und dem großzügigen Verlust von Gehirnzellen zu klingen. Das gilt für Klassiker wie the Fat of the Land und Expierience genauso wie für eher geschmähte Projekte wie Invaders Must Die oder Always Outnumbered, Never Outgunned. Und der Grund dafür ist ebenfalls ganz einfach: the Prodigy hatten nie den Anspruch, irgendwie intelligente oder vielfältige Musik zu machen. Sie klangen 1990 ebenso nach dem Ende der Neunziger wie 2015, eine stilistische Entwicklung hat bei ihnen niemals stattgefunden. Musste sie auch nicht, denn bei ihnen empfiehlt es sich nach wie vor, beim Musikhören das Gehirn ruhig mal beiseite zu legen. Und No Tourists, ihr siebtes Studioalbum, ist da absolut keine Ausnahme. In 37 Minuten veranstalten die Londoner Rambazamba-Profis hier wie alle Jahre wieder ihre übliche Adrenalin- und Steroiden-Show, und wie alle Jahre wieder ist das ganze von vorn bis hinten ein Brett. Es hilft dabei vielleicht ein bisschen, dass polternde Jungle-Percussion, Acid House und die Crossover-Ästhetik der späten Neunziger gerade wieder ein ziemliches Revival erleben, aber prinzipiell wären the Prodigy die letzten, denen ich in dieser Hinsicht Ausverkauf vorwerfen würde. Sie haben genau diesen Sound auch zu Zeiten weiter gelebt, als Leute UK Garage und Post-Dubstep geil fanden und kein Hahn nach bratzigem Testosteron-Techno krähte. Und nun, da die Zeit gekommen ist, belohnen sie sich hier mit einem ihrer besten Alben seit Jahren. In der Hinsicht, dass sie sich am Rand der großen Party auch einige wirklich kreative Momente genehmigen. So spinnt sich in Boom Boom Tap der gesamte Song kompositorisch um einen einzigen Spoken Word-Loop, Light Up the Sky hat das beste Intro eines Prodigy-Songs seit Warriors Dance von 2009 und nachdem auf dem Vorgänger schon Sleaford Mods als Gäste für eine Überraschung sorgten, ist es hier nun die amerikanische Hardcore-Band Ho99o9. Das alles sind Kleinigkeiten, die man beim ganzen Headbangen und Solo-Moshen sicher gar nicht mitbekommt, und sie sind letztendlich eigentlich auch ziemlich egal. Denn bei dieser Band zählt der Gesamteindruck, und der ist hier nach wie vor absolut formidabel. Weshalb ich mich auch nicht scheue, bei aller Simplizität und Formelhaftigkeit dieser Band neun Punkte hier unten hin zu schreiben. Denn mit dieser LP zeigen sie einmal mehr, dass sie für Konsistenz und Sicherheit stehen. Qualitativ überzeugend seit 1990.






Persönliche Highlights: Light Up the Sky / We Live Forever / No Tourists / Fight Fire With Fire / Timebomb Zone / Champions of London / Give Me A Signal

Nicht mein Fall: Need Some 1

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Montag, 19. November 2018

We're All Mad Here





















Auch wenn er schon immer einer der etwas extravaganteren Vertreter seiner Gattung war, hatte man bisher nicht unbedingt Unrecht, wenn man Rockstah als Deutschrapper bezeichnete. Er machte immer durchaus intelligente Hiphop-Musik, die textlich versiert war, gerne eine etwas indierockige Note annahm und sich auch vor großen Pop-Melodien nicht scheute. Was ihm mit Platten wie Nerdrevolution oder Pubertät sogar eine eigene, kleine Nische im heimischen Game einbrachte. Das war beachtlich, aber am Ende auch nicht überzeugender oder spezieller als das, was Alligatoah, die Antilopen Gang oder Kraftklub machten. Weshalb ich bis jetzt auch nie die Motivation verspürte, über eines seiner Alben zu sprechen. Er war nur ein Gesicht in einer Masse von künstlerischen Individuen, und darunter eben nicht der interessanteste. Zumindest, bevor es Cobblepot gab. Denn mit seinem ersten Longplayer seit vier Jahren erschafft der Aschaffenburger nicht nur einen radikalen Bruch seiner bisherigen Stilistik, sondern auch eines der ungewöhnlichsten deutschsprachigen Pop-Projekte dieses Jahres. Dabei sah es zunächst lange nicht danach aus, als ob Rockstah überhaupt noch Musik machen würde. Seit 2014 hatte er sich eine mehr oder weniger erfolgreiche Radiokarriere aufgebaut und führte unter anderem den Podcast Radio Nukular sowie eine eigene Sendung bei Funk. Sich in das unsichere Musikbusiness zurück zu wagen, noch dazu mit einem derart riskanten Album, hätte er also nicht nötig gehabt. Dass er es dennoch getan hat, ist allerdings eine echte Bereicherung für die deutsche Poplandschaft. Denn diesmal geht die Fantasie mit dem Jungen komplett durch. Es ist einigermaßen schwer, das Phänomen Cobblepot kurz zu umschreiben, ist es doch eher eine Mixtur aus sehr vielen verschiedenen bewussten und unbewussten Einflüssen: Die Batman-Filme von Tim Burton, Blade Runner, Neue Deutsche Welle, Citizen Kane, Brechts Dreigroschenoper, Aaron Maine, Bilderbuch, Drangsal und Fritz Lang. Und das gilt nicht nur für die Lyrics dieser Platte, sondern auch für ihren gesamten Sound. Im Gegensatz zu den vorherigen Platten von Rockstah, die man doch eindeutig als primär Rap-orientiert identifizieren konnte, ist das hier nicht so klar festzusetzen. Mindestens die Hälfte der Zeit wird gesungen, die Instrumentals sind eher Melodien als Beats und die von Max Richard Leßmann (von Vierkanttretlager) gesprochenen Intro-Texte haben fast schon hörbuchartigen Charakter. Man muss dabei nicht zusätzlich betonen, dass so ein umfassender Stilbruch ein hohes künstlerisches Risiko ist. Nicht nur, weil man so etwas von Rockstah nie vermutet hätte, sondern vor allem auch, weil er hier generell viele heiße Eisen ins Feuer legt. Nostalgische New-Wave-Anklänge, epochale Spoken Word-Interludes, Tim Burton-Referenzen und Tracks mit SciFi-Storykonzepten sind Dinge, um die alle, die nicht in einer Symphonic Metal-Band spielen, eigentlich lieber einen großen Bogen machen. Und es gibt definitiv Momente, in denen auch Cobblepot ein bisschen cringy wird. Mond und Der Pinguin sind mitunter etwas gewollt düster, der Refrain von VHS dreht die Kitsch-Schraube einen Tick zu weit, das Intro wirkt etwas deplatziert und die Tatsache, dass das in 2049 angefangene Narrativ nicht wirklich weitergeführt wird, macht den Song für sich ein bisschen sinnlos. An den meisten Stellen jedoch bin ich fasziniert davon, wie mutig Rockstah hier in einen Dschungel aus billigem Kitsch, Konsens-Nostalgie und surrealen Geschichten eindringt, für den sich die Meisten immer noch zu cool sind. Und gerade dadurch, dass er das alles so selbstbewusst rüberbringt und sich nicht um die eigenen Albernheit schert, hat er die Coolness nicht selten auf seiner Seite. Einen Song wie Highscore hätte man auch jemandem wie Alexander Marcus zugetraut, aber dass Rockstah in durchzieht, macht die Sache zu einem Highlight. Und wenn er diese mit klassischen Hiphop-Standards wie Alle meine Gang oder Balladen wie Bergen Aan Zee kontert, ist es am Ende eben doch keine Comedy, sondern sprudelnde Kreativität. Was bedeutet, dass auch wenn Cobblepot definitiv polarisieren wird und ganz sicher nicht ohne Makel bleibt, es in meinen Augen das bisher beste Album des Bayern ist. Ganz einfach, weil es sich traut, aus der Masse herauszutreten und anders zu sein. Mit dieser LP begibt sich Rockstah dorthin, wo Leute wie Marsimoto oder Der Täubling schon lange überzeugen: Zum Rap der unbegrenzten Möglichkeiten. Und Stand jetzt bin ich mir nicht mal mehr so sicher, ob ich dazu überhaupt noch Rap sagen will...






Persönliche Highlights: Der Pinguin / Mond / Highscore / Alle meine Gang / Love, Sex & Videogames / Will Russell

Nicht mein Fall: VHS

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Sonntag, 18. November 2018

Böse Onkels





















Eigentlich bin ich ja ein bisschen zu jung und zu unerfahren dafür, um mich für die Musik von Daughters zu interessieren, waren sie bis dato doch eher ein ziemlich nerdiges Relikt für Noise- und Industrial-Fans. Eine Band, die ihre (sogenannte) Hochphase Mitte der Zweitausender hatte, und das mit insgesamt nur drei Alben, die über den Status kleinerer Szene-Erfolge nie hinaus kamen. 2010 legten sie ihre Karriere dann zunächst auf Eis, weshalb sie in meiner aktiven Phase von 2012 bis jetzt für mich ein obskures Nischenphänomen blieben. Das alles änderte sich jedoch vor wenigen Wochen, als wieder aller Erwartungen ihr neues Album You Won't Get What You Want einen beachtlichen Siegeszug durch die Indie-Presse antrat. So ziemlich jede wichtige Plattform, darunter auch welche, die unter Umständen sonst nicht über Daughters geschrieben hätten, vergaben jede Menge Lorbeeren an die Gruppe aus Rhode Island, deren Output plötzlich ein Thema wurde, das man nicht ignorieren konnte. Und so habe nun auch ich mir die Platte mal ordentlich zu Gemüte geführt. Wobei ich zu dem Schluss komme, dass die großen Medien in diesem Fall ausnahmsweise mal Recht behalten haben: YWGWYW ist ein bemerkenswertes Stück Musik. Was in diesem Fall primär heißt, dass ich dieses Jahr wenige so finstere, apokalytische und abgrundtief böse Alben gehört habe, inhaltlich wie musikalisch. Daughters erforschen mit dieser LP viele Abgründe der menschlichen Seele, schreiben Stücke über Hass, Neid, Gewalt, Alpträume und Lügen, die sie in eine chaotische Ursuppe aus anarchischen Synth-Flimmereien, tiefen Industrial-Beats und strahlenden elektronischen Fanfaren einkochen. Vieles erinnert dabei an die besten Sachen von Acts wie Nine Inch Nails, Swans oder Throbbing Gristle, hat aber am Ende doch eine sehr eigene Dynamik. Unter anderem deshalb, weil Daughters in fast keinem Moment zimperlich sind: So gut wie Alle Gesangspassagen klingen wie ausgekotzt, die Komposition badet großzügig in Disharmonien und im Mastering hört man regelmäßig Spuren, die absichtlich total übersteuern. Dennoch ist YWGWYW nur sehr selten völlig losgelöst von herkömmlichen Strukturen. Ähnlich wie ein Trent Reznor versteht es diese Band erstaunlich gut, eine ergreifende Melodik mit haarsträubendem Experimental-Kram zu verbinden, sodass zwar nicht unbedingt fette Hooks, aber zumindest Leitplanken entstehen, an denen man sich beim Hören entlang hangeln kann. Der Effekt ist am Ende ähnlich wie bei einem Album wie the Ark Work von Liturgy oder Bish Bosch von Scott Walker, die klanglich extrem ausfällig und teils enervierend sind, aber dennoch nicht unnahbar. Im Vergleich zu den beiden gerade genannten Projekten ist das hier sogar geradezu konventionell. So gibt es Tracks wie Less Sex oder the Reason They Hate Me, die fast schon die Eingängigkeit eines the Downward Spiral haben. Ich auf der anderen Seite stehe wesentlich mehr auf die Stellen, in denen die Band kompositorisch komplett ausrastet und alle Register des harmonischen Unwohlseins zieht. In diesen Momenten zeigen Daughters, wie extrem das Extreme bei ihnen sein kann, und von der lyrischen Seite passt diese Ästhetik ebenfalls viel besser. Außerdem heben sie sich damit in vielen Punkten vom von mir noch immer sehr geschmähten Klischee der Industrial-Musik ab. Ihre Songs sind keine tranigen, scheppernden, pseudo-provokanten Popsongs, wie sie ein Marylin Manson macht, sondern haben echte Kanten und enthalten eine wahrhaftige Bosheit, die man in der Szene äußerst selten findet. Vor allem in dieser Hinsicht ist YWGWYW eine großartige Entdeckung, die ich auch mit euch gerne teilen möchte. Denn wenn ich hier schon den großen Hype vermehre, dann wenigstens für eine Band, die mir wirklich etwas neues bietet.






Persönliche Highlights: City Song / Long Road, No Turns / the Lords Song

Nicht mein Fall: Less Sex

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Samstag, 17. November 2018

Ready or Not?





















Gerade Mal acht Jahre ist es her, dass die Black Eyed Peas mit dem geradezu schwinderisch betitelten the Beginning ihre Bühne als damals vielleicht größte Popband der Welt verließen und als Quartett fürs erste Kollektiv das Handtuch warfen. Dass mir diese Zeit trotzdem so unglaublich viel länger vorkommt, liegt sicherlich daran, wie grundlegend sich die Mainstream-Landschaft seitdem verändert hat. Zur Erinnerung: Als der letzte Vorhang für das Kollektiv aus Kalifornien fiel, hieß die größte musikalische Sensation der Welt gerade Lady Gaga, Drake war noch ein absolutes Nischenphänomen, in den Clubs der Erde lief dieses neue, coole Zeug namens Dubstep und an solche Sachen wie Gangnam Style war noch nicht mal zu denken, geschweige denn an noch modernere Entwicklungen wie die Cloudrap-Welle oder den K-Pop-Hype. Doch nicht nur die personelle und stilistische Besetzung des Mainstream hat sich verändert (was in acht Jahren ja noch vollkommen logisch wäre), der gesamte Begriff ist zuletzt ein äußerst rutschiger geworden. Was heutzutage als "Konsens-Musik" gilt, ist dank dem Siegeszug der Streaming-Plattformen etwas komplett anderes als jemals zuvor. Und gerade eine so traditionell Pop-orientierte Gruppe wie die Black Eyed Peas wirkt in dieser Gegenwart auf einmal ziemlich altbacken und deplatziert. Wenn man sich den 2010er-Riesenhit the Time (Dirty Bit) heute anhört, zeigt sich auch, warum. Die Art von Künstler*innen, die die Kalifornier damals repräsentierten, war der Archetyp für alle Dinge, die man inzwischen glaubt überwunden zu haben. Die Creed des Neunziger-Rap, die vor lauter Party keinen Fokus mehr auf Inhalte bekamen. Dabei waren sie in meinen Augen noch immer lange nicht so schlimm wie ein David Guetta oder LMFAO. Und zumindest wussten sie immer sehr gut, wer sie sein wollten und was für ein Ruf ihnen vorauseilte. Eine Qualität, die sich auch auf ihrem Comeback wieder sehr stark zeigt und als solches vielleicht die einzige Sache, die gleich geblieben ist. Denn dass die Musikwelt sich verändert hat, ist auch den Black Eyed Peas nicht unbemerkt geblieben und als findige Pop-ConaisseurInnen wissen sie, dass sie sich mit ihr verändern müssen. Und zwar radikal. Dabei ist es vielleicht die größte Genugtuung an diesem Album, dass dies nicht ganz auf die offensichtliche Art und Weise passiert. Es wäre dieser Band nämlich ein leichtes gewesen, hier eine Heerschar von Produzent*innen anzuheuern, ein paar langweilige Nuschelrap-Tracks einzusingen, Quavo und Nicki Minaj einzuladen und damit dann die vielleicht größte Blamage ihrer gesamten Karriere zu verantworten. Aber genau an dieser Stelle sind sie eben immer noch zu schlau. Statt sich ohne Gegenwehr jedem Blödsinn zu ergeben, der gerade von einer Gruppe Hustensaftsüchtiger Schlaftabletten verzapft wird, suchen die Black Eyed Peas auf Masters of the Sun gleichzeitig ihre Jugend und ihre innere Reife. Und das ist in seiner Konsequenz erstmal nicht uninteressant: Durch den Austritt von Fergie wieder auf das ursprüngliche Dreier-Lineup reduziert, liegt es für die Band durchaus nahe, seine Oldschool-Wurzeln erneut zu erforschen, und gleichzeitig zu ermöglichen, dass hier auf inhaltlicher Ebene wieder etwas aufgestockt wird. Die neue LP schickt sich dabei nicht zuletzt an, wieder mehr gesellschaftskritische und moralisierte Standpunkte einzunehmen, was in Form der Leadsingle Ring the Alarm sogar für einen ziemlich guten ersten Eindruck sorgte. Assoziationen zu den Fugees, Dan the Automator und Jay-Z waren nur einige, die hier aufploppten, wobei der Fokus definitiv deutlicher auf Hiphop lag. Rein musikalisch war das hier das kredibilste Stück Musik, was diese Band seit langem fabriziert hatte und das meine Neugier ziemlich schnell auch ein kleines bisschen in Hoffnung verwandelte. Würde ausgerechnet den Black Eyed Peas ein erfolgreiches Comeback gelingen, noch dazu ein einigermaßen ernsthaftes? Die Antwort darauf ist am Ende leider doch ein ziemlich eindeutiges Nein. Der erste Teil von Masters of the Sun scheitert aber zumindest am Versuch, genau das zu tun. Und es gelingt ihm dabei zumindest, diese drei Musiker stilistisch mehr oder weniger komplett neu zu positionieren. Gleich der Opener Back 2 Hiphop läuft mit voller Breite in Neunziger-Rap-Klischees, fordert die Rückkehr der Realness in der Szene und hat dabei immerhin Nas als prominenten (und deutlich kredibileren) Sparring-Partner dabei. Auf anderen Tracks wie Big Love oder Get Ready wird man vorsichtig politisch, 4Ever holt den Vibe der ersten beiden Peas-Alben ab und mit Leuten wie Slick Rick, Ali Shaheed Muhammad und Phife Dawg (R.I.P.) als Gäste will die Platte sehr klare Zeichen setzen. Das Problem ist nur: Die Black Eyed Peas sind nun mal keine guten Rapper. Zumindest nicht die Art von Rapper, die wirklich große Themen wälzen kann, interessante Gedankensprünge kommuniziert und das alles in gute Punchlines verpackt. Und insbesondere in den gesellschaftskritischen Tracks hier wird das auf unangenehme Weise deutlich: Viele der Bars hier klingen wie von jemandem, der gerade vor einer Woche seinen ersten Part geschrieben hat, nur dass diese Zeilen hier am besten gleich die Welt verändern sollen. Noch dazu setzt sich gerade Will.i.am dabei gern auf ein hohes moralisches Ross und wirkt dabei nicht selten wie ein griesgrämiger Opa, der Kinder von seinem Rasen verjagt. So bleiben viele Stücke am Ende doch sehr oberflächlich und platt, was ziemlich kontraproduktiv ist. Denn da, wo der lyrische Anteil hochgeschraubt wurde, fehlt es jetzt an den großen Hooks, den Breaks und der Pop-Mentalität, die vorher der große Selling Point dieser Band war. Und rein musikalisch ist das hier gebotene bestenfalls mittelmäßig. Die Boombap-Anleihen klingen extrem billig, die Produktion ist selten wirklich bemerkenswert und in Wings behilft man sich einmal mehr damit, einen alten Klassiker (in diesem Fall Tom's Diner von Suzanne Vega) mit einem extrem geschmacklosen Remix zu versehen und darüber den eigenen Mist zu klatschen. Ein gelungenes Album ist Masters of the Sun also bei weitem nicht. Dennoch habe ich einigen Respekt vor der Leistung, die die Black Eyed Peas hier vollbringen, denn immerhin tun sie hier nicht weniger, als ihren kompletten Sound umzustellen. Klar ist das nicht überall von Erfolg gekrönt und in Sachen Rap-Throwback ist das hier immer noch eine ziemlich zaghafte Version, aber sie beweisen Mut mit diesem Schritt, sowie das Potenzial, sich nochmal komplett neu zu erfinden und dabei keinem Trend folgen zu müssen. Damit werden sie ihren miesen Ruf zwar auch nicht mehr retten, aber den Versuch erkenne ich an. Denn die Black Eyed Peas sind am Ende doch etwas mehr als nur die nervige Radiopop-Band, die wir alle froh sind, los zu sein.






Persönliche Highlights: Back 2 Hiphop / New Wave / Ring the Alarm

Nicht mein Fall: Yes or No / 4Ever / Big Love

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