Freitag, 23. November 2018

In einem Land vor unserer Zeit





















Würde man alle Rockbands dieser Welt danach sortieren, wie groß der Nerd-Faktor ihrer musikalischen Arbeit ist, the Ocean würden in diesem Raking sicherlich einen der vordersten Plätze einnehmen. Bereits seit ihrer Gründung vor knapp zwei Jahrzehnten sind die Schweizer Sludge-Progger in ihrer gesamten kreativen Vorgehensweise wesentlich ambitionierter als viele andere Künstler*innen ihres Genres und spätestens seit ihrem definierenden Album Precambrian vor etwa zehn Jahren, auf dem sie das erdgeschichtliche Zeitalter des Präkambriums zu vertonen versuchten, ist ihr Output in Fachkreisen gern ein bisschen als "Geolog*innen-Metal" verschrien. Mehr als Spott hat ihnen die Auseinandersetzung mit vordergründig wissenschaftlichen Themengebieten aber Bewunderung in der Szene eingebracht. Vermutlich hauptsächlich deshalb, weil sie, was progressive LP-Konzepte angeht inzwischen zum absoluten Endgegner geworden sind. Und vielleicht auch deshalb, weil sie im Progmetal damit einer der wenigen Acts sind, die man wirklich noch einigermaßen ernst nehmen kann. Ihre klanglichen Expeditionen in die Sachgebiete der Naturwissenschaften sind keineswegs hohle inhaltliche Hülsen, die als Ersatz für künstlerische Ideen dienen. Es klingt komisch, aber the Oceans Alben klingen in dem meisten Fällen tatsächlich nach den Dingen, die sie vertonen sollen. Das sicherlich beste Beispiel dafür war 2013 ihr letztes Album Pelagial, das sich mit Lebensformen der Tiefsee beschäftigte, und dabei tatsächlich eine Atmosphäre schuf, die einen beim Hören Stück für Stück weiter in Richtung Meeresgrund zog. Es zeigte die Idee dieser Band in Perfektion und machte Hoffnung darauf, dass auch ein eventueller Nachfolger diese Qualitäten wieder mit sich bringen würde. Was noch wahrscheinlicher wurde, als sich abzeichnete, dass die Schweizer diese Saison den Nachfolger ihres bisher vielleicht beliebtesten Albums vorstellen würden. Die Geolog*innen unter euch wissen es schon: Nach dem Präkambrium folgt in der wissenschaftlichen Zeitskala das Äon des Phanerozoikum, innerhalb dessen die Ära des Paläozoikums nun Thema dieser LP geworden ist. In vielerlei Hinsicht kann das hier also als eines von mehreren möglichen Sequels von Precambrian bezeichnet werden. Wäre ich studierter Erdkundler oder leidenschaftlicher Fan von the Ocean, hätte diese Nachricht vor einigen Monaten bei mir wahrscheinlich Begeisterungsstürme ausgelöst. Aber auch so ist das Ergebnis hier am Ende gar nicht übel geworden. Denn auch abgesehen von ihren Konzepten sind diese Jungs nach wie vor keine schlechte Band. Als geschworener Gegner sinnloser Gniedelei finde ich es erfrischend, dass sie auch auf Palaeozoic nicht den Fehler begehen, technisch versiertes Rumgepimmel mit gutem Songwriting zu verwechseln und sich wirklich Gedanken machen, wie Strukturen auf dieser LP aussehen könnten. Die Kompositionen hier haben den nötigen Zug, es gibt eine ansprechende Dynamik und peinliche Emorock-Momente oder blöde Vokal-Effekte spart die Band größtenteils aus. Ebenfalls cool finde ich, dass dieses Album produktionstechnisch nicht den Weg des geringsten Widerstands geht. Jede andere Gruppe, die solche Musik spielt, hätte die klanglichen Schwerpunkte auf das fette Riffing, die Basslines und die Drums gelegt, um den Gesamt-Sound möglichst aufgepumpt und derbe wirken zu lassen. The Ocean tun dies in Ansätzen, aber drehen dabei niemals alle Öfen gleichzeitig auf und setzen den Fokus eher auf die melodischen Anteile ihrer Musik. Dadurch empfindet man das hier oft eher als modernen Progrock als Metal, womit die Schweizer eine klangliche Formel umgehen, die man seit 20 Jahren bei jeder Deathcore-Band gleich hört. Dann noch ein paar instrumentale Schmankerl wie die Bläser in Silurian oder die Streicher in Permian, und fertig ist ein durchaus ziemlich ansprechendes neues Projekt. Ziemlich, weil am Ende eben doch mehr hätte gehen können. Bei allen kleinen Schrauben, die the Ocean hier drehen, ist der Hauptteil der Platte am Ende doch nur mäßig kreativ. Das Songwriting ist definitiv da, aber es geht über die gesamte Spieldauer nur sehr berechenbare Risiken ein. Gemessen an den Klischees, die hier schon aufgebrochen werden, ist da ganz klar noch Luft nach oben. Mit etwas mehr Arsch in der Hose hätten die Schweizer hier die Art von Progmetal schaffen können, wie sie Bands wie Baroness oder Cult of Luna vorleben. Stattdessen ist Palaeozoic eine LP, die zwar spannende Elemente beinhaltet, für die man aber auch sehr genau hinhören muss. Oberflächlich bleibt es eine gute LP, aber auch keine wirklich besondere. Was sie im Bereich des Progmetal trotzdem zu einer der besten Platten macht, die ich seit langem besprochen habe. Zu einer der nerdigsten sowieso






Persönliche Highlights: the Cambrian Explosion / Silurian: Age of Sea Scorpions / Permian: the Great Dying

Nicht mein Fall: -

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