Donnerstag, 22. November 2018

Lachen mit Mark





















Eine Sache, die ich bei Black Flag-Sänger Henry Rollins immer sehr bewundert habe ist, dass er als Performer sozusagen zwei Leben führt: Eines als der rabiate, rotzige Frontmann einer Hardcore-Band und ein weiteres als besonnener Spoken Word-Künstler, der in sehr angenehmer und geruhsamer Manier Geschichten aus seinem Leben erzählt. Die eine öffentliche Persona ist dabei vollkommen unvereinbar mit der anderen und dass es diese klare Trennung gibt, ist bei ihm wichtig und gut. Allerdings gilt das deshalb nicht gleich auch für alle anderen Leute. Bestes Beispiel dafür ist seit einigen Jahren sicherlich Mark Kozelek, der mit seinem musikalischen Output mittlerweile in einer kreativen Handlungsschleife gefangen scheint. Er betourt mit seiner Band Sun Kil Moon die gesamte Welt und spielt Konzerte, nur um dann auf einer Platte über seine Erfahrungen bei diesen Reisen zu schreiben und damit dann wiederum auf Tour zu gehen. Einige seiner besten Songs wie Bergen to Trondheim, Philadelphia Cop oder das legendäre the War On Drugs: Such My Cock sind derartige Berichte, die wie bei ihm üblich, auch gerne Mal sehr willkürlich und unspezifisch sein können. Und wenn man mich fragt, ist Kozelek in dieser Kunstform mittlerweile ein bewundernswerter Meister geworden: Jedes Jahr gibt es im Durchschnitt drei neue Platten von ihm, jede von ihnen über eine Stunde lang, die alle völlig formfreie Lyrik präsentieren, auf denen Musik nur noch als unterhaltende Nebensache stattfindet und die mehr oder weniger alle gleich klingen, aber dennoch eine unglaubliche Faszination ausstrahlen. Denn mehr als alles andere hat sich der Songwriter inzwischen als Geschichtenerzähler profiliert, der eigentlich gar keine musikalische Begleitung mehr braucht, um zu überzeugen. Wie der Spoken Word-Henry Rollins könnte er sich 2018 auf eine Bühne stellen, einfach so aus seinem Leben erzählen und die Leute (mich eingeschlossen) würden sicherlich dafür bezahlen und eine gute Zeit haben. Aber er macht immer noch Musik. Und dafür bin ich fast noch ein bisschen dankbarer. Denn indem er seine Geschichten nach wie vor in Songs verarbeitet, bricht er regelmäßig die Grenzen dieses Mediums auf. Wobei seine neueste LP This is My Dinner mal wieder eine völlig neue Facette davon zeigt. Nachdem Benji vor vier Jahren sein trauriges Sterblichkeits-Album war, Universal Themes als Tagebuch-Platte funktionierte und sein selbstbetiteltes Projekt von diesem Sommer viel Motivation und gute Laune versprühte, hat das hier erstmals ein Versuch, so etwas wie Comedy in seine Musik einzubringen. Was natürlich zunächst nach einer ziemlich heiklen Sache klingt. Eigentlich ist aber nichts in der Welt logischer: In seinen Stücken hat Kozelek schon lange das Charisma eines versierten Standup-Poeten, er kann gut aus seinem Leben erzählen und wer mal einen der vielen Konzertmitschnitte, die es von ihm online gibt, gesehen hat, weiß, dass er auch live mitunter zum schreien ist. Und gerade diese ulkige Energie, die er auf der Bühne hat, ist in vielerlei Hinsicht der Motor dieses neuen Albums, nicht selten bis zur Selbstparodie. So gibt es beispielsweise in Copenhagen eine Passage, in der Kozelek ziemlich detailliert über seine altersbedingten Erektionsprobleme redet, gefolgt von der fast schon geschrienen Zeile "is this too much information?!". Im Opener This is Not Possible findet ein seltsam unterkühlter, jazziger Gang-Shout des Titels als Call-Response-Variante statt, wobei verschiedene Situationen beschrieben werden, die alle Kozeleks Umgang mit Service-Fachkräften darstellen (der Hauptteil der Handlung findet dabei in einem Hotel in Frankfurt am Main statt, was nicht zuletzt für viele lustig ausgesprochene deutsche Wörter sorgt). In Candles spricht er darüber, dass schwedisches Essen und die viele Dunkelheit die Leute hypnotisieren würden und nachdem er im Song David Cassidy über seine Verehrung für den namensgebenden Sänger und Schauspieler gesprochen hat, covert er als nächsten Track dessen Komposition Come On Get Happy. Ich könnte haufenweise solche Passagen aufzählen und alle von ihnen sind großartig. Es gibt jedoch noch eine, die wirklich heraussticht und bei der ich beim ersten Hören tatsächlich laut lachen musste: Ziemlich zu Anfang des Songs Linda Blair singt er eine kurze Zeile über eine Passantin, die einen schlimmen Husten hat. Schon allein die Tatsache, dass er danach eine Weile lang dieses Husten nachzuahmen versucht, ist ziemlich witzig. Dass er das Geräusch jedoch eine Strophe später wiederholt, nachdem er gerade eine Reihe ziemlich brutal klingender Metalband-Namen aufgezählt hat, ist absolutes Comedy-Gold. Vor allem zeigt es aber, dass Mark Kozelek spätestens hier etwas vollkommen anderes ist als nur ein Songwriter. Bisher war er das zu gleichen Teilen wie ein Erzähler und er hat schon seit langem seine sehr eigene, unvergleichliche Herangehensweise, auf This is My Dinner dreht er allerdings völlig am Rad. Das hier ist mehr ein anderthalbstündiges Unterhaltungsprogramm als ein Musikalbum, aber als solches nicht weniger genial. Es ist wie fast jede Platte von diesem Typen eine neue Dimension, aber diesmal stößt er dabei auch wirklich Türen auf. Weg von der Musik, hin zur begleiteten Standup-Comedy oder Tagebuchlesung, je nachdem wie man das beurteilt. Dass er trotzdem kein Henry Rollins wird, macht ihn dabei einzigartig. Nicht etwa unter den Musikern, unter denen ist er sowieso schon ein Original. Es macht ihn einziartig unter den Spoken Word-Poet*innen






Persönliche Highlights: This is Not Possible / Linda Blair / Copenhagen / Candles / David Cassidy / Come On Get Happy / Rock'n'Roll Singer / Soap for Joyful Hands

Nicht mein Fall: -

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