Freitag, 9. November 2018

Sterbender Schwan





















Man kann die Karriere der Wienerin Anja Plaschg mittlerweile getrost als eines der größten popmusikalischen Phänomene der letzten Dekade bezeichnen. Zwar existiert unter ihrer eigenen Marke Soap & Skin seit dem Debüt von 2008 nur zwei weitere Longplayer und eine EP, die insgesamt auf keine zwei Stunden Spielzeit kommen, dennoch haben diese in der Vergangenheit für einige Verwerfungen in den Feuilletons dieser Welt gesorgt. Denn eines ist klar: Bei dieser Frau hat man es mit einer sehr besonderen Künstlerin zu tun, bei der der Begriff des Genies nicht umsonst immer wieder auftaucht. Als hochbegabte Multiinstrumentalistin mit 16 in die Meisterklasse von Daniel Richter aufgenommen, die sie mit 18 gleich wieder verließ, um Musik und Filme zu machen, überzeugt sie bis heute auch durch eine einzigartige Fick-dich-Attitüde, die weniger Arroganz ist als künstlerische Überzeugung. Denn was Plaschg auszuzeichnen scheint, ist ein sehr eigenwilliger kreativer Kompass, der unter konventionellen Standpunkten nicht weniger als haarsträubend ist, aber bisher auf wunderliche Weise jedes Mal zu grandiosen Ergebnissen geführt hat. Und wenn das bedeutet, dass ihre einzigen drei Songs in fünf Jahren zu den krassesten gehören, die ich in dieser Zeit gehört habe, dann habe ich damit auch kein Problem. Gerade ihr letztes Album Narrow von 2012 war in dieser Hinsicht exemplarisch, schöpfte es in gerade Mal 28 Minuten doch in tieferen Emotionen als die meisten anderen Künstler*innen. Und ich glaube nicht, dass irgendjemanden ein Track wie Vater kalt lassen könnte. Kurz gesagt: Mein Erwartungen an From Gas to Solid / You Are My Friend, das erste Album der Österreicherin seit sechs Jahren, hätten höher nicht sein können. Dabei fachten großartige Singles wie Heal oder Italy / (This is) Water meine Aufregung zuletzt noch zusätzlich an. Und im Gegensatz zu vielen sah ich es eigentlich nicht als Nachteil, dass die Songs diesmal deutlich weniger schwermütig und düster waren als zuvor. Gerade Italy war mit seinen glorreichen Akkordeon- und Synth-Flächen ein ziemlich gutes Beispiel dafür, wie Plaschg ihre Ästhetik erfolgreich verändern konnte und trotzdem noch packendes Songwriting zeigte. Trotzdem muss ich in Bezug auf das Gesamtergebnis leider sagen, das die Skeptiker*innen am Ende recht hatten: Im Vergleich zu seinen Vorgängern ist Gas to Solid... ein eher spannungsarmes Projekt und noch dazu das bisher sicherlich langweiligste von Soap & Skin. Vor allem liegt das daran, dass es Anja Plaschg auch diesmal wieder schwer fällt, eine größere klangliche Palette an den Start zu bringen. Der Großteil der Songs hier sind erneut ziemlich simple Klavierballaden, von denen nur wenige mit zusätzlicher Instrumentierung ausgestattet sind. Und was bei einem halbstündigen Narrow der kurzen Spieldauer wegen total okay war, wird bei über 40 Minuten hier schon mal etwas dröge. Besonders die erste Hälfte des Albums braucht extrem lange, um klanglich aufzutauen. Erst der massive Slow-Burner Heal bringt ein klein wenig Action in die Sache und beginnt zaghaft die etwas kreativere zweite Hälfte der Platte. Hier kommen nun auch großzügig Synths, Streicher und vor allem Bläser zum Einsatz, die vieles etwas auflockern, aber in vielen Momenten auch überkompensieren. Nach so vielen minimalistischen Piano-Tracks eine völlig überladene Nummer wie Falling zu bringen, ist extrem schade, weil sie trotz ihrer Dramatik irgendwie albern wirkt. Und auch dem abschließenden Cover des Louis Armstrong-Klassikers What A Wonderful World fehlt irgendwie die Größe und Kraft, die Plaschg diesem Titel vor einigen Jahren bestimmt mit schlafwandlerischer Sicherheit gegeben hätte (Man denke nur an ihre extrem gruselige Interpretation des Achtziger-One Hit Wonders Voyage von Desireless). Stattdessen sind es eher die subtilen Momente, in denen die Wienerin diesmal glänzen kann: Safe With Me überzeugt als fast schon niedliche Indiepop-Nummer, (This is) Water schafft einen tragischen Konter zum euphorischen Italy und Foot Chamber ist am Ende doch noch der orchestrale Clusterfuck, den ich mir hier ein bisschen gewünscht hatte. Dass Soap & Skin damit kein total schlechtes Album macht, ist dabei auf jeden Fall gegeben und auch in den schwachen Momenten hier strahlt die Songwriterin ein unglaubliches Talent aus. Allerdings wirkt dieses auf Gas to Solid... das erste Mal angekratzt, eingepfercht und auch ein kleines bisschen planlos. Das hier ist nicht mehr das Rohmaterial, das man auf Narrow oder auf ihrem Debüt hörte, das hier ist schon eher die etwas polierte Popmusik-Version davon. Das macht die ganze Sache einfacher konsumierbar, es macht aus dem schönen, wilden Geschöpf Soap & Skin aber zumindest zu einem winzigen Teil den Tanzbären, der Anja Plaschg eigentlich nie sein wollte. Deshalb muss ich klar sagen: Ja, dieses Album ist eine Enttäuschung. Keine große, aber ein Bruch mit dem Prinzip. Und das ist, einmal gebrochen, leider Gottes irreparabel






Persönliche Highlights: Italy / (This is) Water / Heal / Foot Chamber / Safe With Me

Nicht mein Fall: Falling

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