Donnerstag, 29. November 2018

Voll Laser!





















Wer in den letzten fünf bis acht Jahren ein klein wenig die Trend-Bewegungen cooler musikalischer Strömungen verfolgt hat weiß, dass über die nostalgische Aufarbeitung oldschooliger Synth-Soundtracks aus den frühen Achtzigern mittlerweile eine eigenes kleines Mikrogenre entstanden ist, das auch seit langem schon kein ausschließliches Indie-Phänomen mehr ist. Angefangen mit der fast wissenschaftlichen Arbeit, die Daft Punk 2011 am Score des Sequels von Tron leisteten über weitere vordergründig cineastische Projekte für Kassenschlager wie Drive und Stranger Things bishin zum symbiotischen Indiepop eines Twin Shadow hat jene Musik, die ursprünglich von Leuten wie Vangelis, Giorgio Moroder und John Carpenter als futuristische Alternative für orchestrale Filmmusik entwickelt wurde, mehr oder weniger die komplette Retro-Welle durchgenudelt. Zeit also, dass sich nun auch die kommerziellen Endverbrauchenden auf die Reste des Trends stürzen. Und es macht Sinn, dass ausgerechnet Muse sich 2018 als deren Personifizierung herausstellen. Die Briten hatten prinzipiell schon immer eine Schwäche für große Kino-Atmosphäre, haben in den letzten Jahren immer wieder einen Zugang zu Einflüssen aus der elektronischen Musik gesucht und die Anfang der Achtziger häufig propagierte Cyberpunk-Attitüde passt sehr gut in die simple Idee von Gesellschaftskritik, die Alben wie the Resistance und Drones propagierten. Dabei muss man aber ganz klar sagen, dass auf Simulation Theory auch ihr Ansatz wesentlich grober gefasst ist. Man braucht nur einen Blick auf das Covermotiv der Platte werfen, um zu wissen, dass Muse nicht die großen Pop-Archäologen sind, die sich für so eine LP mit haufenweise Vintage-Hardware eindecken und sich die originalen Protagonisten von Anno Dazumal ins Studio holen. Sie wollen nur noch das Klischee, das es ermöglicht, ein Gefühl zu verkaufen: Die Neon-Schriftzüge, die Arcade-Sounds, den George Orwell-Dystopismus. Weshalb es auch nicht verwunderlich ist, dass sie bei der klanglichen Umsetzung des ganzen eher oberflächlich bleiben. Zwar gibt es hier dick produzierte Blubber-Keyboards uns Songtitel wie Algorithm oder Something Human, doch am Ende geht es darum, welche dieser Elemente in die klangliche Welt von Muse passen. Und an dieser Stelle muss man sagen, dass Simulation Theory am Ende dann doch eher wieder ein zeitgenössisches Poprock-Album geworden ist. Was entgegen meiner anfänglichen Befürchtungen aber so ziemlich seine beste Eigenschaft ist. Denn anders als der Vorgänger Drones, der unglaublich krampfhaft versuchte, möglichst rockig und progressiv zu sein und dabei furchtbar bieder und formelhaft wirkte, hat diese Platte kein Problem damit, in gewisser Weise auch mal kitschig zu sein. Das Ergebnis ist am Ende vielleicht das beste Muse-Projekt seit Black Holes & Revelations. Nicht zuletzt, weil es hier auch ziemlich große Ähnlichkeiten dazu gibt. Dinge wie die pseudo-rebellischen Lyrics von Matthew Bellamy, die für mich oft ein großer Abturn waren, finden hier im richtigen Setting statt, dass für sich eh total übersättig und pathetisch daherkommt und deshalb zumindest stringent ist. Statt zu versuchen, ernsthafte Messages loszuwerden, kleiden die Briten ihre Attitüde wieder in den Mantel der Selbstparodie, die früher mal so tolle Stücke wie Knights of Cydonia möglich machte. Das ist unterhaltsam und es gibt auf der anderen Seite wiederum die Grundlage für musikalische Eskapaden, die unter allen sonstigen Umständen total peinlich geworden wären. Mein mit Abstand liebster Track auf dieser LP ist Get Up And Fight, eine unglaublich schmierige Emo-Ballade, die nicht von ungefähr an die SciFi-Explosion the True Lives of the Fabulous Killjoys von My Chemical Romance erinnert. Sie ist nur deshalb so genial, weil sie in einem Umfeld stattfindet, das ebenfalls stilistisch überquillt und alle Register des Pop-Bombast zieht. Ein Umfeld, in dem Muse ihre gesamte Größe am besten ausspielen können. Funk-Breaks, Dubstep-Geschwurbel, Gospel-Anspielungen und Matthew Bellamys operettenhafte Oktavsprünge funktionieren eben nur, wenn man die Ernsthaftigkeit von vornherein außen vor lässt. Und zum Glück tut die Band hier endlich mal wieder genau das. Ich hatte Simulation Theory als einen erneuten Versuch befürchtet, ein bierernstes Polit-Album mit verkürzten Floskeln als "Narrativ" aufzunehmen, stattdessen ist es ein unglaublich kreativer, unterhaltsamer und theatralischer Pop-Zirkus geworden, der nicht weniger als die Platte ist, die diese Formation schon seit etlichen Jahren brauchen. Sie ist in keinster Weise cool, aber dass man die ganze Zeit dachte, Muse müssten cool sein, war der eigentliche Fehler. Denn in Wahrheit waren sie schon immer die Babymetal des Progrock. Es hat nur gedauert, bis ich das kapiert habe.






Persönliche Highlights: Algorithm / Pressure / Propaganda / Break It to Me / Something Human / Get Up And Fight / Blockades / Dig Down / the Void

Nicht mein Fall: the Dark Side

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