Mittwoch, 29. September 2021

Der magische Montero

Lil Nas X - MonteroLIL NAS X
Montero
Columbia
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ akribisch | kommerziell | gewöhnlich ]

Betrachtet man die Dinge mal unabhängig von der Musik an sich, dann ist Lil Nas X in dieser Saison wahrscheinlich die musikalische Persönlichkeit mit dem größten Vorbildcharakter. Als einer der ersten wirklich nennenswerten schwulen Rapper im internationalen Mainstream hat er (gemeinsam mit Tyler, the Creator, könnte man argumentieren) in den letzten Jahren eine extrem wichtige Rolle als Pionier für junge queere Hiphop-Fans eingenommen, die man ihm Stand jetzt definitiv nicht mehr aberkennen kann und die er auf bemerkenswerte Weise nicht nur einnimmt, sondern lebt. Sein Auftritt als öffentliche Person, als Prominenter und in diversen Ecken des Internets zeigt eine erheiternd souveräne Attitüde gegenüber gesetzten Erwartungen, bestehenden Klischees und nicht selten auch Hass, bei der Nas gleichzeitig Provokateur und Kunstfigur, aber auch heilsamer Wegbereiter und Fürsprecher sein kann. Und für diese Rolle bewundere ich ihn bereits seit einer Weile uneingeschränkt. Als Musiker indes löste er bei mir bisher vor allem spektische Reaktionen aus und zeigte als Songwriter wenig von dem Talent, das er als moralischer Influencer und gutherziger Troll hatte. Klar fand auch ich vor drei Jahren Old Town Road geil, jedoch weniger als eigentlichen Song denn als das Meme drumherum und so gut wie alles, was zwischen diesem prognostizierten One Hit Wonder und dem Release seines Debüts Montero passierte, war ehrlich gesagt auch nicht wirklich mein Fall. Dass Lil Nas X mit seinen Tracks nicht gesichtslos in der Masse verschwand, lag in meinen Augen zum allergrößten Teil an der flamboyanten Show, die der Kalifornier jedes Mal frei Haus mitlieferte, selten an der Musik selber. Wirklich Bock hatte ich auf diesen Erstling im Vorfeld also eher nicht, auch wenn ich ihn gerne gehabt hätte. Wobei ich meine Einstellung zum Musiker Nas nach Erscheinen des fertigen Albums zumindest insofern korrigieren muss, dass ich jetzt schon irgendwie erkenne, was bei der ganzen Sache seine künstlerische Vision war und wie ernst diese gemeint ist. Und schon Anhand des zeitlichen Abstands von seinem Durchbruch 2018 bis hierhin lässt sich ablesen, dass in dieser Platte definitiv Arbeit steckt. Nach dem eher unverhofften viralen Hit von vor drei Jahren hat dieser Typ mit großer Wahrscheinlichkeit seine gesamte Energie darin investiert, eine kreativ möglichst scharf definierte Persönlichkeit herauszubilden, die von dem Lil Nas X von Old Town Road (einem Song, der hier passenderweise nicht nochmal auftaucht) nichts mehr übrig lässt. Viel eher ist es die LP, die den reichlich comediesken Startschuss seiner Karriere erfolgreich vergessen machen kann und mit einem größeren und besseren neuen Image übertüncht. Und als Gesamtergebnis ist es zudem kompositorisch runder, klanglich klarer und ästhetisch effizienter als alles, was ich davon erwartet hätte. Im ziemlich gelungenen Flow von Montero gibt es nur einzelne Momente, die effektiv stören und von denen nicht wenige eher von den Gästen kommen, die auf diesem Album ihren Senf dazugeben, als vom Hauptakteur selbst. Stromlinienförmig und ganz schön kommerziell sind die Titel am Ende schon, aber wenigstens gut darin. Und statt auf konkrete Hits als Flagschiffe setzt Nas hier eher auf ein ansprechendes Gesamtbild, das unabhängig von Einzeltracks funktioniert und anspricht. Stücke wie den Titeltrack oder Sun Goes Down fand ich als Singles beispielsweise noch ziemlich öde und nichtssagend, hier blühen sie als Teil eines ganzen auf, das irgendwie Sinn ergibt. Und das ist definitiv cool so, in Jubelarien will ich deshalb aber auch nicht gleich verfallen. Denn auf rein künstlerischer Ebene ist Montero zwar durchweg stimmig, dabei aber insgesamt weder besonders neu noch besonders mutig. Viele klangliche Ideen auf diesem Album hatte ein Drake schon 2013 erfolgreich abgegrast und im Sinne von R'n'B-infiziertem Poprap ist das meiste hier so middle of the road wie irgend möglich. Das an sich ist ja auch nicht verkehrt, aber eben auch nicht so revolutionär, wie es das ganze glamouröse Packaging mal wieder erscheinen lässt. Und im Schatten davon stehen dann auch wieder die Feststellungen, dass Montero gerade im Mittelteil schon irgendwie seine Längen hat und Lil Nas X nun mal wirklich nicht der beste Texter ist. Keiner dieser Faktoren macht das Album letztenlich signifikant schlechter, viele hindern es aber auch daran, wirklich zufriedenstellend zu sein. Und dass jemand so imposant-quirliges und aufreizendes wie dieser Typ so gewöhnliche Musik machen möchte, finde ich am Ende immer noch die größte Enttäuschung. Mehr als erwartet hat Nas mit dieser LP sicherlich geleistet und ob das nun an meinen schlechten Prämissen oder an der tatsächlichen künstlerischen Arbeit hier gelegen hat, kann ich nicht endgültig beantworten. Ich kann lediglich sagen, dass Montero die Platte ist, die mich auch musikalisch mit dem Gesamtwerk dieses Typen versöhnt. Was zumindest alles ist, was ich mir persönlich davon erhoffen konnte.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Montero (Call Me By Your Name) | That's What I Want | Scoop | Sun Goes Down | Dont Want It | Life After Salem

Nicht mein Fall
Dolla Sign Slime


Hat was von
Drake
If You're Reading This It's Too Late

Doja Cat
Hot Pink


Dienstag, 28. September 2021

Über den Jordan

Injury Reserve - By the Time I Get to PhoenixINJURY RESERVE
By the Time I Get to Phoenix
Die-Ai-Wei
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ experimentell | verkunstet | düster ] 

Eigentlich sah es nach 2019 so aus, als würde die Karriere von Injury Reserve nach dem großen Anlauf, die die Band seit Mitte der letzten Dekade dafür genommen hatte, endlich richtig fahrt aufnehmen. Ihr selbstbetiteltes Debüt aus dem gleichen Jahr war nach den fantastischen ersten Mixtapes des Trios aus Arizona vielleicht nicht ihr insgesamt stärkstes künstlerisches Statement, aber auf jeden Fall ein souveränes und sorgte zumindest dafür, dass die Gruppe in den Medien noch mehr Rückenwind bekam. Kreativ waren Injury Reserve dabei spannend und waghalsig unterwegs, hatten aber stets die nötigen Hits, um weiterhin die Laufkundschaft abzuholen. Dass die aufregende Fahrt auf der Überholspur, die sie ihr gesamtes Bestehen über durchgehalten hatten, hier weitergehen würde, war also quasi vorprogrammiert. Zumindest bis zum Juli 2020, als völlig überraschend und nicht wenig tragisch mit Jordan Groggs eines der wichtigsten Bandmitglieder verstarb. Der Tod des Rappers fühlte sich im damaligen Affenzahn der Formation an wie eine fatale Vollbremsung, die für viele Fans und natürlich auch primär für die verbleibenden Kollegen ein Innehalten um Umdenken provozierte. Das Album, das letzte Woche als By the Time I Get to Phoenix erschienen ist, war zum Zeitpunkt des Ablebens von Groggs bereits zur Hälfte fertig, wurde jedoch gezwungenermaßen erstmal zur Seite gelegt, um das geschehene zu verarbeiten. Erst danach kamen langsam die Fragen: Wie weitermachen mit Injury Reserve, wenn überhaupt? Sollte das alte Material nochmal aufgenommen werden? Und wenn ja, würde es der Erinnerung des Partners und Freundes gerecht werden, das hier noch zu veröffentlichen? Stand heute wissen wir, dass die Band alle diese Fragen mit ja beantworten konnte. Wie eine Zäsur fühlt sich die Platte am Ende trotzdem an. Weil einfach nichts mehr übrig ist vom optimistischen Spirit, mit dem die Band einst in den Ring stieg, von den großen Punchlines, den derben Hooks und den bombastischen Beats. By the Time I Get to Phoenix ist ein avantgardistisches Monstrum von einem Hiphop-Album, das finster und melancholisch die Tatsache reflektiert, dass man eben nicht da weitermachen kann, wo das Debüt aufgehört hat. Und es bedeutet auch definitiv, dass das hier bis dato das komplizierteste Stück Musik von Injury Reserve ist. Es nimmt die vorsichtigen experimentellen Tendenzen, die die Gruppe bereits seit ihrem ersten Mixtape andeutete, und breitet sie über alles aus, was ihr Sound vorher bedeutete. Andockpunkte sind dabei Sachen wie Clipping, Death Grips, Dälek, Moor Mother und die verschrobeneren Eskapaden eines Kanye West, letztlich macht das Duo hier aber auch seine komplett eigene Sache. Nur wenige Songs oder Vignetten stechen dabei in Form eines bemerkenswerten Einzeltracks hervor, das meiste ist eher ein diffuser Glitch- und Noise-Teppich, über den verhuscht gerappt, gesungen oder gesampled wird. Erst am Ende der knapp 45 Minuten findet die Band mit Stücken wie Knees, Top Picks for You oder Postpostpartum zu sowas wie eigenständigen Songs, die dann aber auch richtig klasse sind. Und trotz seiner nebulösen Aura hat auch der erste Teil der LP in Form eines düsteren Flows seine Qualitäten und ist auf jeden Fall thematisch passend. Es ist dabei traurig, dass das bisher kreativste und mutigste Album von Injury Reserve aus einer solch bitteren Krise geboren wird, doch ist es auf seine Art auch ein großartiger Tribut an den späten Jordan Groggs. Nicht zuletzt deshalb, weil ja auch dieser noch ganz wesentlich an den radikalen Veränderungen beteiligt war, die die Band hier vollzieht. Das beste Werkstück der Gruppe ist es dabei am Ende nicht geworden, was aber im Anbetracht der Umstände alles andere als eine faire Kritik ist. Im Gegenteil: Aus einer solchen Umbruchs- und Depressionsphase mit einem solchen Produkt herauszugehen, ist ein extrem starkes Stück für jede Gruppe von Musiker*innen. Und es stimmt mich optimistisch, dass Injury Reserve spätestens dann wieder eine der beachtenswertesten Kräfte im Hiphop aktuellen Hiphop werden können, wenn sie die Reste des Schocks erstmal so richtig abgeschüttelt haben. Jordan Groggs hätte es ganz sicher so gewollt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡08/11

Persönliche Höhepunkte
Outside | Top Picks for You | Postpostpartum | Knees | Bye Storm

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Clipping
Visions of Bodies Being Burned

Death Grips
the Money Store


Montag, 27. September 2021

Can't Get No Sleep

Hawkwind - SomniaHAWKWIND
Somnia
Cherry Red Records
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ trippy | eigenwillig | meditativ ]

Es ist schon eine besondere Leistung, wenn eine Band wie Hawkwind, die es seit inzwischen über 50 Jahren gibt und die seit Dekaden aus verschiedenen Besetzungen musikalischer Routiniers besteht, 2021 immer noch das Kunststück schafft, jemanden wie mich zu einem ernsthaften Fan zu machen. Einen Typen, der mit ihrer Generation Rock quasi keine Berührungspunkte teilt, eher mäßig auf Acts mit nerdigen Prog-Auswüchsen steht und bis vor kurzem noch dachte, es hier mit einer Bluesband zu tun zu haben. Und was die Sache noch erstaunlicher macht: Meine neuerliche Begeisterung für sie rührt nicht etwa daher, dass ich mich durch ein paar alte Klassiker geforstet habe und diese gut fand, sondern ist ganz und gar der Kraft ihres Outputs aus den letzten drei Jahren zu verdanken. Ein Output, der vielleicht nicht unbedingt durch seine künstlerische und stilistische Unfehlbarkeit besticht und bisweilen auch mal echt schräg werden kann, aber der vor allem durch eine Eigenschaft extrem begeistert: Dass diese Gruppe von gestandenen Profimusikern immer noch extrem freaky und experimentell sein kann. Meinen ersten Tango mit ihnen hatte ich 2018 auf Road to Utopia, einem Album, das alte Klassiker der Briten mit einer Big Band neu einspielte und dabei alles von Latin Jazz bis Swing mitnahm, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Und auch die beiden Platten der Formation seitdem waren alles andere als Dienst nach Vorschrift. Wenn eine Band so tief in ihrer Karriere noch solche Musik machen kann, muss ich einfach neugierig sein. Was sich jüngst auch wieder so richtig gelohnt hat, denn mit Somnia gibt es seit letzter Woche noch ein weiteres großartiges Album von ihnen, das wieder mal allen Erwartungen ausgebüchst ist. Aus der Ferne betrachtet ist das hier zwar "nur" eine Art meditativ-psychedelisches Prog- beziehungsweise Jamrock-Projekt, wie man es bei Hawkwind auch von früher schon kennt, bei dem allerdings unter der Oberfläche einiges blubbert. In nicht wenigen Tracks gibt es Einflüsse aus New Age-Akustikpop und Krautrock, an wieder anderen weirde Jazz-Auflüge und Versatzstücke aus orientalischen, lateinamerikanischen und ostasiatischen Folk-Gattungen, die schon mal ordentlich rumwuseln. Mit Abstand am spannendsten finde ich hier allerdings die große Scheibe, die sich die Briten ausgerechnet vom Triphop und Elektropop der späten Neunziger abgeschnitten haben und die teilweise sogar Somnias Etikett als Rockplatte zum abperlen bringt. So erinnert gleich der Opener Unsomnia extrem an die neueren Sachen von Archive, auf Barkus und Counting Sheep sind blubbernde Dub-Elemente mehr als nur Akzente und die zahlreichen elektronischen Einspielungen in Sweet Dreams oder China Blues sind weniger Analog-Prog-orientiert als viel mehr von Faithless, Air und Underworld abgeschaut. Was mich letztendlich nicht nur als verschworenen Triphop- und Big Beat-Enjoyer freut, sondern vor allem in Anerkennung der Kreativität, die Hawkwind hier aufbringen. Man merkt diesem Album einfach an, wie sich auf keinem Song mit dem einfachen Weg begnügt wurde und wie die Band aktiv nach neuen Wegen gesucht hat, ihren Sound auszugestalten. Wobei sie eben nicht so peinlich vorwärtsscheitert wie früher mal Steven Wilson oder Muse, die eh nur zu den coolen gehören wollten, sondern wirklich etwas richtig wertvolles aus diesem seltsamen Crossover machen, das über solchen Zuschreibungen steht. Mitunter kann es dabei ein wenig kauzig werden, sicher. Aber ich für meinen Teil sehe das inzwischen als Qualitätsmerkmal dieser Band. Denn was ist denn bitteschön die Alternative gut alternder klassischer Rockmusik? Kreativ gehandicappte Acts wie AC/DC oder die Stones? Senile Totalausfälle wie the Who oder Deep Purple? Oder warten, bis Motorpsycho endgültig ganz in Würde ergraut sind. Dann doch liebe diese Formation hier, die sich nach über einem halben Jahrhundert Bandgeschichte noch traut, ihren Sockenschuss zur Profession zu erhaben. Und es somit schafft, auch damit noch neue Fans zu finden. Also zumindest einen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
Unsomnia | Strange Encounters | Alcyone | Counting Sheep | China Blues | Small Objects in Space | Cave of Phantom Dreams

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Archive
Controlling Crowds

Pink Floyd
Meddle


Montag, 20. September 2021

Alles Dembo

J Balvin - JoseJ BALVIN
Jose
Sueños Globales, LLC
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ chillig | vibe-intensiv | ausgiebig ]

Schon letztes Jahr war es im wesentlichen dem Input von J Balvin zu verdanken, dass aus meiner vorsichtigen Neugier gegenüber den neuesten Entwicklungen im Bereich des Reggeaton und lateinamerikanischen Hiphop, die man ja irgendwie haben musste, ein ernsthaftes Interesse wurde. Ganz einfach deshalb, weil sein im vergangenen Frühjahr veröffentlichtes (Mini-)Album Colores exakt der Einstieg war, den ich in diese Stilrichtung brauchte. Die zehn Tracks in 28 Minuten, die der Kolumbianer hier versammelte, waren eine angenehm knapp gehaltene Kostprobe seiner ästhetischen Palette, die in allen Elementen das Maximum an Eingängigkeit, Coolness und Vibe herausfilterte, zu dem dieser Typ fähig war. Und obwohl das allen an sich ziemlich nice war, war es eben auch nur ein Tastemaker, der vor allem eines machte: Ziemlich Bock auf mehr. Ein Mehr, das Jose nach knapp anderthalb Jahren definitiv geworden ist. Mit dem dreifachen der Länge von Colores auf dem Tacho, insgesamt 24 Tracks, Features von internationalen Schwergewichten wie Skrillex, Dua Lipa oder Khalid (aber auch vieler Größen aus dem Latinpop-Bereich) und der Quasi-Selbstbetitelung der LP ist das hier absolut keine Kleinigkeit und mit all seiner Art und Weise ein Projekt, das sich seiner Größe auch bewusst ist. Eine Sache, mich im Vorfeld durchaus nicht nur positiv stimmte, sondern tatsächlich auch ein bisschen besorgt. Denn es ist eine Sache, dass Balvins Rezept der letzten Jahre auf zahlreichen eher kurzen und lockeren Mixtape-Formaten so gut funktionierte, doch nochmal eine völlig andere, wenn er hier plötzlich Drake sein will. Platten von diesem Format kann weiß Gott nicht jede*r und wenn ich ehrlich bin, hatte ich diesen Typen nicht unbedingt als jemanden gesehen, dem solche großen Statements besonders gut stehen. Doch hatte ich damit mal wieder mächtig Unrecht: Jose ist ein durch und durch gelungenes, erstaunlich kohärentes und extrem stimmiges Stück Musik, das mich nochmal extrem vom Talent des Kolumbianers überzeugt hat. Wobei der Vergleich mit Drake tatsächlich kein unbewusster ist, sondern ein sehr naheliegender. Denn genauso wie er es in den letzten Jahren schaffte, auf seinen Platten eine sehr chillige Form von Poprap-Streamrolling mit viel Understatement und Vibe zu kultivieren, das auch gerne mal über 90 Minuten oder mehr tragen kann, findet auch Balvin hier einen sehr entschlackten und subtilen Sound, der herrlich plätschert und auch auf halber Flamme durchweg überzeugend ist. Pumpende Banger wie In Da Getto oder Perra gibt es hier eher wenige, dafür viele sommerlich-relaxte Pop-Nummern mit prominentem Dembo-Backbeat, die auf den ersten Blick vielleicht ein bisschen monoton wirken, aber eben genau jenen fantastischen Flow ausmachen, der bei solchen Projekten elementar ist. Jose ist die Playlist für eine Poolparty am Nachmittag, bei der noch nicht alle im Vollrausch die Korken knallen lassen, sondern Cocktails noch mit Sekt gemixt werden und vielleicht ein mild gestopfter Blunt die Runde macht. Durchaus proaktiv und auch ein bisschen badass, dabei aber in jedem Moment tiefentspannt und sonnig. Von einem tatsächlichen Opus Magnum hat das ganze dann am Ende wenig, eher von einer sehr umfangreichen Werkschau, was aber auch völlig okay ist. Denn dem Naturell von J Balvin würde ein narrativ aufwändiges oder gar experimentelles Album ohnehin nicht stehen und das Potenzial sich daran zu verheben, wäre gefährlich groß. Da ist er mir so viel lieber: Nicht unbedingt weltbewegend, aber ein verlässlicher Lieferant guter und entspannter Vibes. Und als solchen will ich ihn so schnell auch nicht verlieren. Immerhin macht er damit hier eine der sicherlich besten Pop-Platten der laufenden Saison. Und das nicht zum ersten Mal.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
Una Nota | Te Acuerdas De Mí | In Da Getto | Billetes de 100 | La Venganza | Vestido | Pa' Guayarte | Perra | 7 De Mayo | Querido Rio | Qué Más Pues? | Otro Fili | Otra Noche Sin Ti

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Drake
Views

Bad Bunny
Las Que No Iban A Salir
 
 

Sonntag, 19. September 2021

Unverbraucht

We Were Promised Jetpacks - Enjoy the ViewWE WERE PROMISED JETPACKS
Enjoy the View
Big Scary Monsters
2021

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ melancholisch | getragen | reif ]

Dass ich 2021 erstmals ein Album von We Were Promised Jetpacks bespreche, ist eine Sache, die ich zu hundert Prozent aus Eigeninteresse tue. Nicht deshalb, weil irgendjemand sich für einen solchen Artikel interessieren würde und ehrlich gesagt nicht mal deshalb, weil ich die Platte an sich besonders gelungen finde. Vor allem wollte ich es deshalb tun, weil ich einmal aussprechen will, wie sehr ich die qualitative Stabilität bewundere, mit der diese Band nach wie vor Musik macht. Und dass die Schotten mit der Art, wie ihr Output innerhalb der letzten zehn Jahre einfach nur gut genug war, mittlerweile etwas sehr besonderes sind. Denn unter den Gruppen ihrer Generation wie the National, Elbow, den White Lies oder den Editors, die sich während der Zwotausender jener etwas poppigeren, veredelten Form des Postpunk-Revivals anschlossen, sind inzwischen wenige noch so verlässlich unterwegs wie sie. Gerade im Zeitraum der letzten zehn Jahre. Wo die meisten ihrer Zeitgenoss*innen sich an zu großen künstlerischen Ambitionen die Zähne ausbissen, etwas zu tief im Fanservice versackten oder in den meisten Fällen einfach nur langweilig wurden, musste ich bei We Were Promised Jetpacks ein ums andere mal feststellen, wie clever sie all diese Schikanen umschifften. Mit Platten wie Unraveling oder In the Pit of the Stomach holten sie jede Menge großartige Songs aus einem klanglichen Konzept, das zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon ausgeschöpft schien und dass sie das 2021 ein weiteres Mal tun, ist dann schon eine kleine Sensation. Sicherlich ist auch ein gewisser Nostalgiefaktor im Spiel, wenn ich es als positive Eigenschaft auffasse, wie sehr diese LP klingt, als wäre sie 2009 aufgenommen, aber schuld daran ist am Ende immer noch gutes Songwriting. Noch immer finden We Were Promised Jetpacks in Tracks wie What I Know Now oder If It Happens eine wunderbare Wärme in der Unterkühltheit britischer schottischer Indie-Klischees, nur dass diese inzwischen eher als Soundtrack für einen arthausigen Midlife-Crisis-Film geeignet wäre und weniger für einen über Teenager. Dabei klingen sie zwar immer noch gefühlt jünger als die meisten anderen Bands ihrer Generation, allerdings auch reif genug, um nicht mehr auf naiv-rockig machen zu müssen. Dass Adam Thompson nach wie vor mit seinem etwas rumpeligen Glasgow-Akzent singt, ist aber trotzdem cool. Wo dieser Artikel also primär ein bisschen dafür da ist, diese Band generell zu feiern, ist natürlich auch dieses Album nochmal ein guter Hinweis dafür, warum ich so empfinde. Denn vor einer Gruppe wie dieser, die auch über zehn Jahre nach ihrer (wohlgemerkt ebenfalls eher kurzen) Hype-Phase so unverbraucht und cool klingt, habe ich einfach jede Menge Respekt. Und auch wenn das bedeutet, dass wir von ihnen in der nächsten Dekade definitiv keinen Klassiker erwarten sollten, der sie nochmal zurück ins breite öffentliche Interesse schiebt, ist das vielleicht sogar besser so. Denn dann würde es ihnen vielleicht so gehen wie den ganzen anderen Bands in den letzten Jahren, die sich daran ein bisschen verbraucht haben.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡08/11

Persönliche Höhepunkte
Fat Chance | Don't Hold Your Breath for Too Long | What I Know Now | If It Happens | I Wish You Well | Blood, Sweat, Tears | Nothing Ever Changes | Just Don't Think About It

Nicht mein Fall
-


Hat was von
the National
High Violet

Editors
In Dreams


Samstag, 18. September 2021

Family Ties

Baby Keem - The Melodic BlueBABY KEEM
the Melodic Blue
pgLang
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ trocken | rotzig | ambitioniert ]

Dass the Melodic Blue die Hiphop-Landschaft während der gesamten letzten Woche so umfassend in Atem gehalten hat, zeigt in meinen Augen vor allem zwei Sachen sehr deutlich. Zum einen, wie gut in der Szene von heute ein Karriereeinstieg mit dem richtigen Vitamin B funktioniert, zum anderen, wie sehr die Leute da draußen Kendrick Lamar vermissen. Denn dass dieser für das hier vorliegende Debütalbum seines Cousins Baby Keem ordentlich seinen Einfluss hat spielen lassen, hatte jüngst nicht nur den erwünschten Effekt, dass selbiges Album bei vielen seiner Fans zu Gesprächsthema wurde, sondern teilweise sogar behandelt wurde wie der inoffizielle Nachfolger zu Damn. Was eine Verwechslung ist, die man in Bezug auf diese LP auf keinen Fall machen sollte. Denn obwohl Lamar hier diverse Features hat, nicht wenige Songs entscheidend mitprägt und die Platte über sein persönliches Imprint pgLang veröffentlicht, wäre ein Ergebnis wie dieses - wäre es tatsächlich sein Projekt - für viele Fans seiner Musik doch eher enttäuschend. Weil ein Baby Keem einfach kein Kendrick Lamar ist und auch überhaupt nicht sein will. Gegenüber dem lyrischen Brain und inhaltlichen Provokateur, der auch musikalisch gerne mal um die Ecke denkt, wirkt der kleine Cousin in erster Instanz ziemlich dillettantisch, uninspiriert und clownesk. Wobei in diesem Fall eigentlich nur der falsche Maßstab daran schuld ist, den man hieran ansetzt. Nimmt man the Melodic Blue für sich und sieht Baby Keem als den eigenständigen Künstler, der er definitiv sein kann, findet man durchaus jede Menge wertvolles Material auf dieser LP. Das ist klangästhetisch und performativ dann eher im Einflussbereich von Sachen wie Brockhampton, Injury Reserve, Denzel Curry oder Young Thug zu finden, was es aber keinen Deut schlechter macht. Im Gegenteil: Tracks wie das bretternde Trademark USA oder Pink Panties, das r'n'b-ige Issues, das trocken-trappige South Africa, das extrem fette Family Ties oder das klamaukige Range Brothers (mit Kendricks herrlichem 'top of the morining'-Part im zweiten Teil) sind Stücke, die diesem Rapper auf seinem ersten richtigen Outing jede Menge Charakter verpassen und mehr zeigen als bloß theoretisches Potenzial. Keem macht hier auf Anhieb ein sehr rundes und vielschichtiges Traprap- und Hiphop-Album, das auf jeden Fall das Zeug hat, auch nach dem momentanen Hype interessant zu bleiben. Ja, vielleicht ist es am Ende ein bisschen zu lang geworden und ja, der größte Lyriker der Welt ist dieser Typ echt nicht. Doch hatte ich nach einem Rollout wie diesem ehrlich gesagt erwartet, hier eine totale Nullnummer zu erleben, die nur aufgrund ihrer prominenten Verwandtschaft irgendwie Relevanz vermuten lässt. Wobei ich an dieser Stelle ganz eindeutig sagen muss: Melodic Blue wäre ein ebenso gutes Album, wenn die Person namens Kendrick Lamar niemals existiert hätte. Es hätte vielleicht nur niemand davon mitbekommen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
Trademark USA | Pink Panties | Scapegoats | Range Brothers | Gorgeous | South Africa | Family Ties | Scars | Durag Activity | Booman | First Order of Business | Vent

Nicht mein Fall
-


Hat was von
IDK
USee4YourSelf

Brockhampton
Saturation II
 
 

Donnerstag, 16. September 2021

Mama und Papa Gec

Sleigh Bells - TexisSLEIGH BELLS
Texis
Mom + Pop
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ krachig | niedlich | rockig ]

Wenn man wie ich die Musik der Gruppe Sleigh Bells aus New York über die letzte Dekade hinweg mehr oder weniger völlig ignoriert hat und wie bei mir daran vor allem der Umstand schuld war, dass man Anfang der Zwotausendzehner einfach keinen richtigen Zugang zu ihrem Output fand und später einfach das Gefühl hatte, das wichtigste eh schon verpasst zu haben, dann ist 2021 vielleicht das perfekte Jahr, um das nachzuholen. Nicht nur deshalb, weil das Duo mit Texis gerade sein erstes Album seit inzwischen einem halben Jahrzehnt veröffentlicht hat, sondern viel eher deshalb, weil man mittlerweile sehr gut sehen kann, wie immens der Einfluss ihrer ersten Platten auf die heutige Musiklandschaft ist. Insbesondere wenn man sich aktuell Künstler*innen wie Poppy, Grimes, 100 Gecs, Black Dresses oder den kompletten Unterbauch der amerikanischen Hyperpop-Szenerie ansieht, kommt man nicht an der Feststellung vorbei, dass diese ohne das Zutun der Sleigh Bells wohl einigermaßen anders aussehen würde, beziehungsweise die Band ihrer Zeit einfach sehr weit voraus war. Was ihnen mit diesem Quasi-Comeback den ziemlich coolen Vorteil verschafft, 2021 ein für ihre Verhältnisse recht konservatives Album zu veröffentlichen und trotzdem als klangliche Visionäre gefeiert zu werden. Denn zumindest im Vergleich zu den sehr gewagten Platten und Songs, die die New Yorker vor ihrer ausgedehnten Pause machten, ist Texis definitiv eine etwas zahmere, zurückhaltendere und kompositorisch gehemmtere Version des Sounds der beiden. Die eingängigen Quietschpop-Elemente, die darauf zuletzt die größte Innovation waren, gibt es hier an vielen Stellen wieder, allerdings in weniger grätschig und leider auch weniger eingängig. Die rotzigen Noisepop-Versatzstücke indes sind relativ würdevoll gealtert und zwar immer noch gut gemacht, allerings auch etwas ahnbar. Vieles auf dieser LP klingt dadurch ein wenig wie Sleigh Bells nach Reißbrett, beziehungsweise wie Sleigh Bells ohne songwriterischen Fahrplan, der sie nach der langen Pause nochmal wirklich interessant macht. Und obwohl das in den wenigsten Momenten effektiv schlecht ist und ich die meisten Tracks hier sogar echt mag, wirkt es mitunter seltsam unspezifisch und wenig rund. Mir ist schon klar, dass die Idee von Catchiness durch Platten wie diese subversiert werden soll, doch muss ich auch sagen, dass die geistigen Kinder der New YorkerInnen das inzwischen um einiges interessanter hinkriegen. Wobei das letztendlich das faszinierendste an Texis ist: Hier eine Band zu erleben, die so viel Musik von heute inspiriert hat und jetzt plötzlich wieder parallel dazu stattfindet. Nicht gänzlich unbeeindruckt davon, aber auch nicht als Teil irgendeiner Bewegung. Und in diesem Sinne ist das hier dann trotzdem ein echt cooles Album, das nichts mehr beweisen muss und trotz mangelnder Innovationskraft die kreative Stärke hat, um die Fackel der Leidenschaft weiterzugeben. Weshalb ich am Ende irgendwie doch allen hier empfehlen kann, diese Band zu hören. Vor allem, wenn man jetzt noch damit anfangen will.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡08/11

Persönliche Höhepunkte
Locust Laced | Knowing | Tennessee Tips | Rosary | Red Flag Flies | True Seekers | Hummingbird Bomb

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Poppy
I Disagree

Anarchy99
Rockstar Super Heat


Mittwoch, 15. September 2021

Niveau Weshalb Warum

JACE
Vorschuss
Flavour Gang
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ eloquent | badass | reißerisch ]
 
Es ist schon auf eine Weise ziemlich erstaunlich, wie wenig Musik Jace auf quantitativer Seite gereicht hat, um innerhalb der letzten Jahre zu einem meiner absoluten Lieblingsrapper im deutschen Sprachraum zu werden. Ein paar gezielt in den Algorithmus gepushte Songs von seinem Stich-Mixtape 2018, die Initialzündung mit der Picknick-EP wenig später und 2020 ein Album namens Wo ist Jacek, das mit etwas mehr als 25 Minuten schwerlich diese Bezeichnung verdiente, genügten bis jetzt, um mich von der langfristigen Genialität des Hamburgers zu überzeugen. Und wieso auch nicht? Auf die knappe Phase seiner Aktivität gesehen hatte er vor allem Punchline-technisch mehr als einmal sehr weit die Nase vorne, machte herrlich rotzfreche Songs ohne zu viele kontextuelle Schikanen und war hier und da auch mal eine ziemlich gute Wildcard für Sachen wie Emotrap-Ausflüge und immens schräge Freestyles. Ein Typ für den Mainstream war Jace dabei definitiv nicht, geschweige denn ein Gesamtkünstler jedweder Art. Und wo ich am Anfang noch irgendwie hoffte, von ihm eines Tages mal ein "richtiges" Debütalbum zu hören, finde ich es inzwischen besser, dass er sich bis jetzt an jene Art von ruppigen, etwa halbstündigen Kleinformaten hält, die ihm eh viel besser stehen. Und prinzipiell ist Vorschuss auch nur eine weitere dieser Platten. Mit 33 Minuten zwar seine bisher längste, allerdings nicht um vieles. Und die 11 Tracks darauf sind im großen und ganzen die übliche Routine für den Hamburger. Jede Menge derbe, dreckige und kantige Trap-Beats stellen den Rahmen für ein dutzend grobschlächtiger Songs, in denen der Protagonist vor allem als unfassbar cleverer Reimer, Texter und Flower überzeugt und ein paar eher schludrig gemachte Hooks, die auch gerne Mal mit billigem Autotune gekittet sein können. Wobei die besten Momente hier wie schon auf den Vorgängern diejenigen sind, in denen Jace am meisten technisch und am wenigsten zusammenhängend oder ernsthaft ist. Tracks wie J.A.C.E. oder Macgyver, die in ihrer ganzen Existenz einfach nur Vehikel für den lyrisch geflexten Irrsinn des Rappers sind und über die man einfach in jeder Zeile wieder grinsen muss. Rein inhaltlich sind die auf Vorschuss aber zum ersten Mal eher die Ausnahme, da hier auch erstmals versucht wird, etwas zusammenhängendere Narrative zu stricken. Das ist in diesem Fall dann auch nicht gleich ein How Much A Dollar Cost oder so, es geht eher um grundsätziche Ideen wie den ungesunden Slacker-Lifestyle (Annemontag), widersprüchliche Feedback-Kultur (No Hate) oder Junkfood (Extra Alles), doch man merkt schon einen Unterschied. Vor allem den, dass diese Hinwendung zu Inhalten öfter mal in die falsche Richtung führt. Indem Jace hier plötzlich nicht nur Zeile für Zeile denkt, sondern auch in größeren Zusammenhängen, entstehen hier durchaus mal ausgeklügelte Gedanken und längere Setups, die als Idee ganz okay sind, leider aber auch nicht das größte Talent dieses Künstlers spiegeln. Gerade in Songs wie Extra Alles, 112 oder Wadde Ma fehlt mir doch ein bisschen die chaotische Energie, die der Hamburger bisher nie vermissen ließ, weil zu viel nachgedacht wurde. In Tracks wie Annemontag oder Apfelladen haut das Rezept zwar schon wesentlich besser hin, allerdings auch da nie so gut wie die besten Sachen auf den letzten Mixtapes. Dass Jace die Art von Texten grundsätzlich nicht kann, will ich damit genausowenig sagen wie dass Vorschuss eine schlechte Platte ist. Prinzipiell könnte das hier sogar dafür sorgen, dass er in der Szene endlich ein bisschen bekannter wird und sich zumindest ein paar Schritte dem Mainstream nähert. Ich für meinen Teil empfinde das hier gerade nach dem tollen Wo ist Jacek wieder als einen kleinen Rückschritt. Was Jace für mich wohl zum einzigen Rapper macht, dem es schadet, intelligentere Musik zu machen.
 
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡08/11

Persönliche Höhepunkte
J.A.C.E. | Apfelladen | Annemontag | No Hate

Nicht mein Fall
Wadde Ma


Hat was von
Edgar Wasser
Etka Vassa

Pöbel MC
Stress & Raugln


Dienstag, 14. September 2021

Rock of Ages

The Night Flight Orchestra - Aeromantic IITHE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA
Aeromantic II
Nuclear Blast
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ retro | eingängig | theatralisch | campy ]
 
Als ich an dieser Stelle im letzten Jahr über den ersten Teil der Aeromantic-Serie von the Night Flight Orchestra schrieb, machte ich einen entscheidenden Fehler, der blöderweise meine Prämisse für den gesamten Artikel darstellte und darin bestand, die Schweden dem Spektrum des Powermetal zuzuordnen. Warum genau ich diese Anwandlung hatte, ich mir im Nachhinein unbegreiflich, vermutlich wollte ich ob der personellen Verbindung einiger Mitglieder des NFO zu Gruppen wie Soilwork und Arch Enemy einfach einen stilistischen Bezug herstellen, der allerdings völliger Mumpitz war. Wenn diese Band in irgendeiner Form eine Metalband ist, dann höchstens in einem sehr eingerosteten Verständnis, das irgendwann auch mal Sachen wie Foreigner, Journey, Styx und Asia dieser Stilistik zuordnete. Denn genau diesen Formaten eifert das Night Flight Orchestra seit seiner Gründung auf wunderbare Weise nach. Und Aeromantic II ist dabei wie sein Vorgänger auch eine Platte, die diese Hingabe fantastisch zur Schau stellt. Was hier passiert, ist retrofixierter Achtzigerrock-Schmonz erster Güte, der nach Trockeneis und Haarspray müffelt, getigerte Unterhosen trägt und mit seinem Auto redet. Und vor allem: der in jedem Moment dieser LP mal wieder fantastisch komponiert, eingängig performt und großartig produziert ist. Eine Platte des Night Flight Orchestra ist eine der einfachsten und deutlichsten Empfehlungen, die ich auf einem Format wie diesem geben kann, denn so gut wie jede*r dürfte daran jede Menge Spaß haben. Die oldschooligen Rocker*innen, weil hier jemand sehr originalgetreu einen einst gefeierten Sound wiederbelebt, die Pop-Fraktion, weil so gut wie alle Tracks hier tödliche Hits sind und die postironischen Patricians in den Foren, weil es so perfekt zur eigenen Geschmackverirrung passt. Was die Band selbst angeht, so bin ich mir auch relativ sicher, dass ihr stilistischer Entwurf seit der letzten LP nochmal sattelfester und krisensicherer geworden ist und in den allermeisten Fällen in Songs resultiert, die ein kleines Stück cooler und fetziger klingen als die auf der ersten Aeromantic. Besondere Highlights sind dabei für mich der bombastische Opener Violent Indigo, das sehnsuchtvoll-powerballadige How Long, das schmatzige Change, sowie der potenzielle Eurovisions-Gewinner der Zukunft, You Belong to the Night. Mit White Jeans und  gibt es zwar auch einen Track hier, der nicht so super funktioniert und offenbart was passiert, wenn NFO mit diesem Konzept zu weit gehen, allerdings wird dieser eine Hickup an anderen Stellen mit so viel Qualität ausgekontert, dass es fast schon nicht mehr auffällt. Und an diesen Stellen sind die Schweden dann eben nicht nur eine kultige Spaßband, die ziemlich gut beim Erbe der frühen Achtzigerjahre klaut, sondern teilweise beeindruckende kompositorische Arbeit leistet. Ein Album von 51 Minuten quasi durchgängig so peppig und eingängig klingen zu lassen, ist definitiv kein Pappenstiel und diese Band macht das ja immerhin nicht zu ersten Mal. Wo also der Fun-Faktor auch auf Aeromantic II sehr dominant ist, bin ich mehr und mehr auch begeistert vom effektiven Talent dieser Gruppe. Ein Talent, bei dem ich überzeugt bin, mich in Zukunft auf noch mindestens fünf Aeromantic-Platten freuen zu können.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡08/11

Persönliche Höhepunkte
Violent Indigo | Midnight Marvelous | How Long | Change | You Belong to the Night

Nicht mein Fall
White Jeans


Hat was von
Asia
Asia

Foreigner
4